Am 12. November hat das Berliner Abgeordnetenhaus das Wohnraumversorgungsgesetz beschlossen. Damit treten am 1. Januar 2016 einige Verbesserungen für die Mieter der 125.000 Sozialwohnungen und der 290.000 Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Kraft. Der Senat hat das Gesetz als Reaktion auf das erfolgreiche Mietenvolksbegehren verfasst. Für den Berliner Mieterverein (BMV) ist es ein Schritt in die richtige Richtung, der aber noch nicht weit genug geht.
Die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen sind künftig deutlicher dazu verpflichtet, preisgünstige Wohnungen anzubieten und besonders benachteiligte Haushalte zu versorgen. Bei der Vermietung bestehender Wohnungen müssen sie 55 Prozent an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins vergeben, in ihren Neubauten sollen 30 Prozent Sozialwohnungen entstehen. Dem Berliner Mieterverein sind diese Quoten zu gering. Durch die Einrichtung von Mieterräten in allen sechs Unternehmen wird die Mitbestimmung gestärkt. Eine neue Anstalt öffentlichen Rechts soll Leitlinien für die Gesellschaften entwickeln und deren Einhaltung kontrollieren. Gegen Wohnungsverkäufe kann sie ein Veto einlegen.
Bei Sozialmietern mit geringem Einkommen wird die Miete künftig gekappt, wenn sie mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens ausmacht.
Nach Senatsberechnungen würden 22 600 Haushalte diesen Mietzuschuss bekommen. Der BMV kritisiert, dass für die Berechnung des Anspruchs die Nettokaltmiete maßgeblich ist. Wegen der teilweise sehr hohen Betriebs- und Heizkosten bedeutet das, dass die Mieter etwa 40 bis fast 50 Prozent ihres Einkommens für das Wohnen aufbringen müssen, bevor die Härtefallregelung bei ihnen greift. Zudem beträgt der Mietzuschuss höchstens 2,50 Euro pro Quadratmeter. „Die Härtefallhilfe ist nicht ausreichend“, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild.
Sie versagt gerade bei denen, die sie am nötigsten hätten: bei den Mietern in den 28.000 Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung, von denen teilweise Kostenmieten von 12 bis 18, in Einzelfällen sogar bis 21 Euro verlangt werden können. Jüngster Fall ist die Koloniestraße 2, 2 a und 6-8 im Wedding. Der Eigentümer der 157 Sozialwohnungen fordert von den Mietern statt 6 Euro plötzlich etwa 12 Euro pro Quadratmeter. Das Bezirksamt Mitte hat dem Eigentümer zwar mitgeteilt, dass die Wohnanlage nicht mehr als „öffentlich gefördert“ gilt und die Kostenmiete deshalb nicht verlangt werden darf, der Eigentümer hat gegen diesen Bescheid aber Widerspruch eingelegt. Darum steht die Mieterhöhung weiter im Raum und die Mieter haben akute Angst vor der Wohnungslosigkeit.
„Die im Wohnraumversorgungsgesetz der SPD enthaltenen Erleichterungen für einen Teil der Sozialmieter und die Verbesserungen bei den Landeswohnungsunternehmen begrüßen wir“, heißt es in einer Erklärung der Initiative Mietenvolksentscheid. „Von einer ‚Einigung‘ oder einem ‚Kompromiss‘ kann jedoch keine Rede sein. Wir werden uns damit nicht zufrieden geben können.“ Ob die Initiative nach der Verabschiedung des Wohnraumversorgungsgesetzes an ihrem Volksbegehren festhält und weiter eine Volksabstimmung anstrebt, hat sie noch nicht entschieden. Das hängt auch davon ab, ob die Senatsinnenverwaltung den Gesetzentwurf des ursprünglichen Volksbegehrens als verfassungsgemäß einschätzt. Das Gutachten dazu sollte eigentlich schon Ende Oktober vorliegen.
Gutachter sieht Handlungsbedarf
Wie der Soziale Wohnungsbau in Berlin wieder sozialer werden kann, zeigt ein Rechtsgutachten, das die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus bestellt hat. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die exorbitant hohen Kostenmieten rechtens sind. Gutachter Professor Martin Schwab von der Universität Bielefeld kommt zu dem Ergebnis, dass in den häufigen Fällen, wo ein Investor Sozialwohnungsbestände aus der Insolvenz des ursprünglichen Eigentümers erworben hat, die anfänglich berechneten Kostenmieten nicht mehr verlangt werden dürfen. Die Kostenmieten beruhen auf den extrem aufgeblähten Baukosten aus den 80er und 90er Jahren. Nachdem Investoren aufgrund der ab 2003 gestrichenen Anschlussförderung pleite gegangen sind, haben neue Erwerber deutlich weniger Geld für die Gebäude bezahlt. Im Fall der Koloniestraße hatte zum Beispiel der Bauherr 1991 rund 32 Millionen Euro für den Bau ausgegeben. Daraus errechnet sich eine Kostenmiete von 15,60 Euro pro Quadratmeter. Nach der Verweigerung der Anschlussförderung und der daraus folgenden Insolvenz des Bauherrn hat der heutige Eigentümer die Wohnanlage für nur 10 Millionen Euro erworben. Durch den sogenannten „Einfrierungsgrundsatz“ könnte er aber trotzdem die Kostenmiete verlangen, die auf der alten „fiktiven“ Kostenberechnung beruht – so zumindest die bisher gängige Rechtsauslegung. Schwab kommt in seinem Gutachten jedoch zu dem Schluss: „Kosten, mit denen der neue Vermieter nicht belastet ist, können den Mietern auch nicht aufgebürdet werden.“ Der Einfrierungsgrundsatz war ursprünglich zum Schutz der Sozialmieter vor nachträglichen Kostensteigerungen gedacht und dürfe nicht ins Gegenteil verkehrt werden.
„Berlin kann viel Geld sparen“
Der Jura-Professor plädiert dafür, für jedes Objekt des Sozialen Wohnungsbaus die reale Kostenmiete neu zu errechnen. Für die Koloniestraße kämen dabei etwa 6 bis 7 Euro pro Quadratmeter heraus, also nur wenig mehr als die Mieten, die jetzt gezahlt werden. Auf der Grundlage der korrigierten Kostenmieten kann das Land Berlin für jede Sozialwohnung eine soziale Richtsatzmiete festlegen. Die Neuberechnung ist ein hoher Aufwand, der sich aber lohnt. „Je geringer die Kostenmiete, desto geringer der Subventionsaufwand der öffentlichen Hand“, so Schwab. „Berlin kann also viel Geld sparen.“
„Das Gutachten ist eine Aufforderung an das Land Berlin, das Thema anzupacken“, sagt Reiner Wild. Der Berliner Mieterverein fordert seit Langem die Einführung von Richtsatzmieten, die unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen müssen. „Weil der Senat trotz gutachterlicher Unterstützung die absurde Mietensystematik im Sozialen Wohnungsbau aus Rücksichtnahme auf die Vermieter aufrecht erhält, müssen mit erheblichem Aufwand die unbezahlbar gewordenen Mieten mit Härtefallzuschüssen von 40 bis 45 Millionen Euro pro Jahr heruntersubventioniert werden“, so Wild.
Die Möglichkeit, den Missbrauch mit den fiktiven Kosten zu unterbinden, hat der Senat in seinem Wohnraumversorgungsgesetz nicht genutzt. Entsprechende Anträge von Grünen, Linken und Piraten lehnte die SPD-CDU-Mehrheit ab. Die Regierungskoalition hat aber die Einrichtung einer weiteren Expertenkommission für den Sozialen Wohnungsbau beschlossen.
Jens Sethmann
So berechnet sich der Mietzuschuss
Wer in einer Sozialwohnung lebt und mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens für die Nettokaltmiete aufbringen muss, kann einen Mietzuschuss beantragen. Voraussetzung ist, dass die Wohnung nicht zu groß ist. Als angemessen gelten höchstens 50 Quadratmeter Wohnfläche für einen Einpersonenhaushalt, 65 Quadratmeter für zwei Personen, 80 Quadratmeter für drei Personen, 90 Quadratmeter für vier Personen und zusätzliche 12 Quadratmeter für jede weitere Person. In Einzelfällen dürfen die Wohnflächen um bis zu 20 Prozent überschritten werden.
Für Mieter in energetisch schlechten Gebäuden, die neben der Nettokaltmiete hohe Betriebs- und Heizkosten tragen müssen, wird die Belastungsgrenze stufenweise leicht abgesenkt. Maßgeblich ist dabei der Energieausweis. In Häusern mit der schlechtesten Energieeffizienzklasse H müssen Mieter nur bis zu 25 Prozent des Einkommens für die Miete aufbringen, bei der Effizienzklasse G sind es 26 Prozent, bei Klasse F noch 27 Prozent.
In Sozialwohnungen ohne Anschlussförderung wird ein Mietzuschuss nur gezahlt, wenn der Mietvertrag vor dem 1. Januar 2016 abgeschlossen wurde. In diesen Fällen ist auch nur eine Nettokaltmiete bis 10 Euro pro Quadratmeter anrechenbar. Gezahlt wird höchstens ein Zuschuss von 2,50 Euro pro Quadratmeter. Wo Mieter den Mietzuschuss beantragen können, ist noch nicht entschieden. Die Senatsverwaltung plant, einen externen Dienstleister damit zu beauftragen.
Auch bei den sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen sollen die Mieter nicht mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Nettokaltmiete zahlen. Hier gelten aber andere Bedingungen für die Anerkennung eines Härtefalls: Die angemessenen Wohnungsgrößen sind um jeweils fünf Quadratmeter geringer. Außerdem darf das Jahreseinkommen des Haushalts folgende Grenzen nicht überschreiten: 16 800 Euro bei einer Person, 25 200 Euro bei einem Zweipersonenhaushalt und 5740 Euro für jede weitere Person sowie zusätzlich 700 Euro für jedes Kind. In Gebäuden mit einem höheren jährlichen Energiebedarf als 170 Kilowattstunden pro Quadratmeter sinkt die zumutbare Belastungsgrenze auf 27 Prozent des Einkommens. Härtefallanträge sind direkt bei der jeweiligen Wohnungsbaugesellschaft zu stellen.
js
Das Infoblatt „Wohnraumversorgungsgesetz – Die 20 wichtigsten Fragen und Antworten für Mieter“ ist erhältlich in der Geschäftsstelle oder im Internet unter www.berliner-mieterverein.de
Bericht über die Auswirkungen des Wegfalls der Anschlussförderung 2014: www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/anschlussfoerderung/
06.05.2018