Mehr als ein Drittel der gesamten Energieproduktion fließt in den Industrienationen in den Betrieb von Gebäuden, vor allem in die Beheizung. Die Energieeffizienz im Gebäudebereich ist deshalb neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien die zweite Säule der Energiewende. Die Anforderungen des Klimaschutzes und die steigenden Energiepreise zwingen zur Erschließung weiterer Einsparpotenziale. Das Niedrigenergiehaus ist inzwischen Standard im Neubau. Künftig sollen Wohngebäude mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen.
Energieeffizientes Bauen hat in Deutschland Tradition. Das erste anerkannte Passivhaus entstand 1991 in Darmstadt. Der Heizenergieverbrauch der vier Reihenhauseinheiten beträgt durchschnittlich 10 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr – das bedeutete damals eine Energieeinsparung von rund 90 Prozent gegenüber einem herkömmlichen Haus. Zum Vergleich: Der Heizenergiebedarf eines ungedämmten Berliner Altbaus kann bis zu 300 Kilowattstunden betragen. Im Jahr 2000 wurden in Kassel erstmalig 40 Passivhaus-Wohnungen im Sozialen Wohnungsbau errichtet. Inzwischen gibt es bundesweit über 2000 Passivhäuser – vor allem Wohnhäuser, aber auch Verwaltungsgebäude, Schulen und Kindergärten.
Passivhäuser decken ihren Primärenergiebedarf, der 15 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr nicht überschreiten soll, aus vorhandenen Energiequellen wie Sonnen- oder Erdwärme oder durch die Wärmeabstrahlung von Personen und Geräten, die mit geeigneten Anlagen zurückgewonnen und zum Heizen genutzt werden kann. Die üblichen Merkmale dieser Gebäude sind eine ausgezeichnete Wärmedämmung, eine dreifache Wärmeschutzverglasung, eine Lüftungsanlage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung und der Verzicht auf ein konventionelles Heizsystem. Der Begriff „Passivhaus“ ist allerdings nicht geschützt, sondern eine Art Verbrauchsstandard. Der bewährte deutsche Passivhaus-Standard bildet die Grundlage für das in der Europäischen Gebäuderichtlinie ab 2020 geforderte „Nearly Zero-Energy Building“ (NZEB).
Das erste Passivhaus in Berlin – mit zwei Wohnungen – entwarf 2000/2001 „Müllers Büro“ in Lichtenrade. Die „Baugruppe Zur Börse“ realisierte 2009/2010 in Pankow drei fünfgeschossige Passivhäuser in Holzbauweise für 50 Parteien. Am Arnimplatz in Prenzlauer Berg steht das erste Passiv-Mietshaus Berlins. Auch wenn die Nettokaltmiete mit rund 9 Euro pro Quadratmeter nicht gerade günstig ist: Die Wohnnebenkosten betragen lediglich 1 bis 1,50 Euro pro Quadratmeter (Durchschnittswert in Berlin: 2,77 Euro). Die Architekten Christoph Deimel und Iris Oelschläger haben ihr Passivhaus in der Boyenstraße 33/34 in Mitte zum ersten Mehrfamilien-Nullemissionshaus Berlins weiterentwickelt. Die Bewohner sparen 50 Prozent Energiekosten, und auch die Baukosten liegen mit rund 2350 Euro pro Quadratmeter am unteren Ende der Preisspanne für Eigentumswohnungen in Mitte.
Neue Energieklassen seit 2015
An die Stelle des Primärenergiebedarfs ist mit Einführung der neuen Passivhaus-Klassen im April 2015 der „Gesamtbedarf erneuerbarer Primärenergie“ getreten. Beim „Passivhaus Classic“, dem bisherigen Passivhaus, liegt dieser Wert bei maximal 60 Kilowattstunden Primärenergie je Quadratmeter und Jahr, bezogen auf die überbaute Fläche. Ein „Passivhaus Plus“ ist noch sparsamer: Es darf nicht mehr als 45 Kilowattstunden verbrauchen. Zudem muss es mindestens 60 Kilowattstunden Energie je Quadratmeter und Jahr erzeugen. Beim „Passivhaus Premium“ ist der Energiebedarf auf 30 Kilowattstunden begrenzt, die Energieerzeugung muss mindestens 120 Kilowattstunden betragen.
Passivhäuser sind etwa 5 bis 15 Prozent teurer als „normale“ Wohnbauten. Zunehmend werden auch ältere Gebäude auf Passivhausstandard umgerüstet. Damit kann der Energieverbrauch für die Heizung um mehr als 85 Prozent verringert werden. Durch die teilweise notwendigen umfangreichen Eingriffe in die Bausubstanz ergeben sich bei der Umrüstung von Altbauten Mehrkosten in Höhe von 12 bis 18 Prozent einer „normalen“ Sanierung beziehungsweise Modernisierung. Die vergleichsweise höheren Investitionskosten amortisieren sich jedoch bereits nach wenigen Jahren.
Bei Nullenergiehäusern beziehungsweise energieautarken Häusern wird der externe Energiebezug des Gebäudes im Jahresmittel durch den eigenen Energiegewinn aufgewogen. Für Heizung, Kühlung und Warmwasser (inklusive der dazu benötigten Elektrizität) ist keine Fremdenergie erforderlich. Der Stromverbrauch für Licht, Geräte und Maschinen aller Art und für das Laden von Akkus wird dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Das Effizienzhaus Plus als Nachfolger des Plus-Energiehauses erzeugt in der Jahresbilanz mehr Energie, als für Betrieb und Nutzung erforderlich ist. Diese wird für die Elektromobilität oder die Quartiersversorgung mit Strom verwendet.
Inzwischen umfasst das Netzwerk Effizienzhaus Plus bundesweit 36 Modellvorhaben vom Ein- bis zum Mehrfamilienhaus im Neu- und Altbau. In der Sophienstraße 35 in Lichtenberg hat die Bauherrengemeinschaft LaVidaVerde ein viergeschossiges Gebäude mit 18 Ein- bis Vierzimmerwohnungen im Effizienzhaus-Plus-Standard errichtet. Der Stromüberschuss beträgt 4390 Kilowattstunden im Jahr, die Kaltmiete 8,80 Euro pro Quadratmeter.
Für die Förderung von Häusern mit geringem Energiebedarf hat sich inzwischen der Begriff „Effizienzhaus“ (statt Niedrigenergiehaus) eingebürgert. Das Qualitätssiegel steht für eine effiziente Heizung und geringen CO2-Ausstoß. Dabei gibt die Zahl hinter dem Effizienzhaus an, wie hoch der Jahres-Primärenergiebedarf im Verhältnis zu den gesetzlichen Anforderungen der Energieeinsparverordnung 2009 an einen vergleichbaren Neubau ist. Alle Neubauten müssen mindestens den Standard „Effizienzhaus 100“ haben, das heißt einen Jahres-Primärenergiebedarf von höchstens 100 Prozent des Referenzgebäudes.
Für Neubauten gibt es die Förderstufen 40, 55 und 70 und Passivhaus, für Sanierungen die Stufen 55, 70, 85, 100 und 115. Für eine Förderung im Rahmen des KfW-Effizienzhaus 55 darf der Jahres-Primärenergiebedarf zum Beispiel 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter und der Jahres-Heizwärmebedarf 15 Kilowattstunden nicht überschreiten. Der Höchstbetrag für die Förderung liegt bei 50.000 Euro je Wohneinheit, der Tilgungszuschuss für das jeweilige Maßnahmenpaket beträgt 12,5 Prozent – maximal 6250 Euro. Wer mit eigenen Mitteln finanziert, erhält pro Wohneinheit einen Investitionszuschuss von 15 Prozent der förderfähigen Kosten von 50.000 Euro – maximal 7500 Euro. Heute werden mehr als die Hälfte aller Neubauten in Deutschland im Standard KfW-Effizienzhaus 70 oder besser gebaut.
Der Energiebedarf bestimmt die Förderhöhe
Seit 2012 arbeiten der Siedlerverein Eichkamp und die Interessengemeinschaft Heerstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf an der Planung eines energieautarken Wohnquartiers für die rund 3100 Bewohner der beiden Siedlungen. Hauptziele sind die Senkung des Energiebedarfs in den Wohngebäuden und die vollständige Eigenversorgung mit Strom und Wärme. Inzwischen wurde die Bürgerenergievereinigung Eichkamp/Heerstraße gegründet, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben und mit einer Fragebogenaktion der aktuelle Zustand der Gebäude erfasst. Das Bezirksamt unterstützt das Vorhaben und prüft, inwieweit öffentliche Gebäude wie Schulen und Sporthallen in die Netzentwicklung integriert werden können. Schwerpunkte der Arbeit sind in diesem Jahr der Ersatz alter Feuerungsanlagen durch effizientere Technologien wie Brennwertkessel und Mini-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) und erneuerbare Energiequellen wie Holz, Erdwärme und Umweltwärme sowie der Einsatz von Fotovoltaikanlagen. Die zurzeit noch dominierenden Öl- und Gasfeuerungsanlagen werden im Zielszenario komplett durch Gasbrennwert- und Pelletheizungen, Wärmepumpen und Mini-KWK ersetzt. Der jährliche Endenergiebedarf der Gebäude soll von derzeit rund 3,75 Millionen Kilowattstunden auf 2 Millionen Kilowattstunden im Jahr 2030 sinken – ein anspruchsvolles Ziel, aber machbar. Dieses Projekt ist ein Beispiel für andere Kieze in der Stadt – auch wenn es bis zur hundertprozentigen Energieautarkie noch ein weiter Weg ist.
Rainer Bratfisch
Die deutsche Praxis hinkt hinterher
Bereits 2010 hat die EU in ihrer Gebäuderichtlinie festgeschrieben, dass alle Neubauten ab 2021 „Niedrigstenergiegebäude“, also Nahe-Nullenergiehäuser, sein müssen. „Die Bundesregierung verschläft die Energieeffizienz im Gebäudebereich“, urteilt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Die Hälfte der im Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz (NAPE) geplanten Maßnahmen ist noch immer nicht umgesetzt. Deshalb droht der Bundesrepublik jetzt ein Vertragsverletzungsverfahren durch die Europäische Union.
rb
Weitere Informationen:
Wege zum Effizienzhaus Plus. Berlin: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, 3. Auflage 2014, 50 Seiten
Forschungsinitiative „ZukunftBau“: www.forschungsinitiative.de
Fraunhofer Institut für Bauphysik, Abteilung Wärmetechnik: www.ibp.fraunhofer.de/wt
Effizienzhaus Plus Rechner: www.effizienzhaus-plus-rechner.de
KfW-Bankengruppe: www.kfw.de
Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena): www.dena.de
Passivhaus Institut Darmstadt: www.passiv.de
05.02.2018