Berlin gilt nicht gerade als saubere Stadt. Wenn man sich aber die Zustände auf den Berliner Straßen vor 150 Jahren vor Augen führt, weiß man die segensreiche Einrichtung einer kommunalen Stadtreinigung zu schätzen. Es war ein langer Weg, bis Berlin eine geregelte und zuverlässige Müllabfuhr organisiert bekam.
Die Anfänge der Berliner Müllabfuhr liegen im Jahr 1660. Weil Kurfürst Friedrich Wilhelm nicht mehr zulassen wollte, dass die Berliner ihre Abfälle und Fäkalien auf die Straßen kippten, setzte er einen Gassenmeister ein, der täglich bimmelnd mit einem Karren durch die Straßen zog. Die Bürger waren verpflichtet, ihren im Hof gesammelten Müll zum Wagen des Gassenmeisters zu bringen und für einen vollen Karren einen Groschen und sechs Pfennige zu bezahlen. Bürgern, die weiterhin die Straße als Müllkippe missbrauchten, wurde ihr Unrat durch das Fenster ins Haus zurückgeworfen. Aber trotz mehrfach erhöhter Strafen kippten die Berliner den Inhalt ihrer Nachttöpfe und ihrer Küchenabfälle weiter in den Rinnstein. Die Klagen über schmutzige und stinkende Straßen nahmen nicht ab, bis die zwischen 1873 und 1893 gebaute Kanalisation in Betrieb ging.
Am Anfang war eine Senkgrube
Im 19. Jahrhundert hatten die meisten Häuser im Hof abgedeckte Müll- und Senkgruben, in denen Fäkalien, Küchenabfälle und Hausmüll gesammelt wurden. Private Fuhrunternehmer leerten die Gruben monatlich von Hand. Was sie mit dem Abfall machten, stand in ihrem Belieben: Zum Teil kippten sie ihn in die Spree oder in die Landschaft, den größten Teil aber verkauften sie als Dünger. Nach dem Anschluss an die Kanalisation hatte der Müll aber nur noch so wenige organische Bestandteile, dass er sich kaum noch als Dünger eignete.
Die Stadt ließ deshalb 1887 drei Müllabladeplätze einrichten: am Stralauer Anger (heute Osthafen), an der Landsberger Allee (Friedrichshain) und an der Müllerstraße (heute Schillerpark). Weil das aber keine Dauerlösung sein konnte, kaufte man 1894 ein Gelände in Spreenhagen am Oder-Spree-Kanal, das fortan als Deponie genutzt wurde.
Im Jahr 1894 gab es auch erste Experimente zur Müllverbrennung. Die Versuche in dem eigens vor dem Stralauer Tor gebauten Müllofen waren ein einziger Fehlschlag. Das Feuer ging immer wieder aus, und der Abfall verbrannte nicht vollständig. Grund war der hohe Anteil von Braunkohlenasche, der den Berliner Müll nahezu unbrennbar machte.
Ab 1895 verlangte der Berliner Polizeipräsident die „staubfreie“ Müllabfuhr: Die Müllfahrzeuge müssen dicht schließen, auch beim Verladen des Mülls. In den folgenden Jahren setzte sich das Patent des „Staubschutzwagens“ durch, der an den seitlichen Einfüllöffnungen einen Klappenmechanismus besaß. Dazu gehörte ein rechteckiger Müllbehälter aus Eisenblech mit 200 Litern Fassungsvermögen, der von zwei Müllmännern an Schultergurten aus den Höfen zum Müllwagen getragen wurde. Der „Berliner Müllkasten“ setzte sich bald als Standard durch und wurde bis in die 50er Jahre verwendet.
Die heutigen 240-Liter-Behälter mit Rollen erinnern noch an das Format des Berliner Kastens. In den 20er Jahren wurde auch die 110-Liter-„Ringtonne“ eingeführt, die sich angekippt über den Rand rollen ließ. Sie war in West-Berlin bis 1987 in Gebrauch, im Ostteil wurden sie Anfang der 90er Jahre ausgemustert.
Viele der rund 60 Berliner Müllfuhrunternehmen konnten sich die Investitionen für eine „staubfreie“ Abfuhr nicht leisten und mussten aufgeben. Um 1901 beherrschten vier Unternehmen den Berliner Markt, 1914 waren schon 90 Prozent der Berliner Haushalte Kunden der „Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Grundbesitzer“. Nach dem Ersten Weltkrieg geriet die Genossenschaft in Schwierigkeiten und musste 1922 den Betrieb einstellen. An ihre Stelle trat die „Berliner Müllabfuhr-Aktiengesellschaft“ (BEMAG), an der die Stadt zunächst 25 Prozent, ab 1927 schließlich 85,8 Prozent der Aktien hielt. Die BEMAG unterhielt vier Verladestationen, an denen der Hausmüll auf Eisenbahnwaggons geschüttet wurde: an der Mühlenstraße, an der Monumentenbrücke, an der Beusselbrücke und an der Behmbrücke. Im Jahr 1927 wurden mit der Bahn 24.259 Waggons zu den Müllkippen in Blankenfelde/Schildow, Vorketzin, Schöneicher Plan, Bergerdamm und Caputh gefahren.
Ungewöhnliche Bodenverbesserung
Der Bahntransport war billiger als mit dem Schiff. Auf Kähnen konnte man größere Mengen transportieren, das Entladen war jedoch schwieriger. Das änderte sich durch den Einsatz eines neuartigen Spülbaggers, bei dem der Müll mit einer großen Menge Wasser verdünnt aus den Schuten herausgespült wurde. Durch das 60 Zentimeter starke Rohr konnten auch sperrige Müllstücke wie alte Kinderwagen an Land gespült werden. Adolf Mast, Gründer der Müllkultivierung GmbH, berichtete: „Einen Entladeplatz fanden wir nach langem Suchen in der Gemeinde Golm bei Potsdam, wo innerhalb der Haveldeiche im sogenannten Golmer Luch rund 2500 Morgen mooriger Ödländereien lagen, die zum größten Teil den Golmer Bauern, zum Teil dem Verband für Vogelschutz und einem Naturschutzverein gehörten. Eine Aufhöhung des Geländes um 2 bis 2,5 Meter mit Müll, dessen wachstumsfördernde Eigenschaften schon in der Nähe von Nauen auf Versuchsgütern festgestellt worden war, konnte also hier (…) zusätzlich ein fruchtbares Acker- und Gemüseland schaffen.“ Das Müllabladen in einem Naturschutzgebiet – heute ein ökologischer Alptraum – galt um 1930 noch als willkommene Bodenverbesserung.
1936 eröffnete an der Stelle, wo der Charlottenburger Verbindungskanal in den Spreebogen einmündet, eine Müllverladeanlage, in der die Abfälle direkt von den Pferdefuhrwerken auf Binnenschiffe geschüttet werden konnten. Die von Paul Baumgarten entworfene Anlage war seinerzeit einzigartig und steht heute unter Denkmalschutz. Die Müllwagen fuhren von der Helmholtzstraße in zwei Reihen in eine Halle und kippten dort den Müll in darunter ankernde Müllschuten. Auf einem halbrunden Plateau, das über die Wasserfläche hinausragt, konnten die Fuhrwerke wenden. So konnten täglich 250 Fahrzeuge entladen werden. Das entspricht 600 Tonnen, dem Fassungsvermögen einer 60 Meter langen Schute.
Die politische Teilung Berlins stellte die „Insel“ West-Berlin vor große Probleme. Die 1951 in den Westsektoren gegründeten Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) mussten 1953 die Müllverschiffung aufgeben und Abladeplätze im Stadtgebiet suchen. Bis 1958 wurden 33 Müllkippen eröffnet. Die vier größten – Wannsee, Lübars, Marienfelde und Rudow – wurden teilweise bis in die 80er Jahre hinein genutzt. Entlastung brachten die 1967 in Betrieb genommene Müllverbrennungsanlage in Ruhleben und die 1972 und 1974 abgeschlossenen Abkommen mit der DDR, die eine Ablagerung West-Berliner Mülls auf Deponien im Umland ermöglichten. Dazu wurde zwischen der Gropiusstadt und Groß-Ziethen ein eigener Grenzübergang nur für Mülltransporte geöffnet.
In Ost-Berlin wurde 1974 in der Rhinstraße die erste und einzige Müllverbrennungsanlage der DDR in Betrieb genommen. Im Osten war das Müllaufkommen deutlich geringer: Während West-Berliner Mitte der 80er Jahre jährlich pro Kopf 450 Kilogramm Müll produzierten, entfielen im Ostteil nur 270 Kilogramm auf einen Einwohner. Das lag nicht nur am Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost. Ab 1971 war in der DDR ein ausgefeiltes Recyclingsystem zur Sammlung von Sekundärrohstoffen (SERO) aufgebaut worden. Bei der Einführung der Mülltrennung mit dem „Dualen System“ im Jahr 1992 hatten Ostler deshalb weit weniger Eingewöhnungsprobleme als viele Westler.
Jens Sethmann
Berliner Müll anno 1895
Im Jahr 1895 produzierte jeder Berliner pro Tag durchschnittlich 0,5 kg Müll. Täglich mussten 1000 Tonnen Müll entsorgt werden. Von 100 kg Müll waren 50 kg „Feinmüll“, also Asche und Staub. Die andere Hälfte war „Grobmüll“. Davon waren 30 kg Fleisch- und Pflanzenteile, 2,74 kg Papier, 3,46 kg Schlacken und Kohleteile, 0,52 kg Weißglas, 0,65 kg Buntglas, 6,13 kg Scherben, 1,14 kg Metall- und Blechbüchsen sowie 0,87 kg Lumpen. Die übrigen knapp 4,5 kg bestanden aus Holz, Knochen und Eisen.
js
Zum Weiterlesen:
Maria Curter: Berliner Gold – Geschichte der Müllbeseitigung in Berlin, Berlin 1996
Weitere Informationen zum Thema:
22.12.2018