Studienanfänger in Berlin sind wirklich nicht zu beneiden. Für ein WG-Zimmer müssen anstrengende Castings absolviert werden, die Studentenwohnheime haben lange Wartelisten, und selbst um eine Plattenbauwohnung in Ahrensfelde muss man sich heutzutage bewerben wie um einen Job. Das MieterMagazin hat sich unter Erstsemestern umgehört: Welche Erfahrungen haben sie bei der Wohnungssuche auf dem harten Berliner Wohnungsmarkt gemacht?
Mareike und Rocco sind beide in Lichtenberg aufgewachsen und wollen mit Studienbeginn endlich eine eigene Wohnung beziehen. „Mir ist völlig egal wo, solange die Entfernung stimmt“, sagt Rocco, der an der Humboldt-Universität Sonderpädagogik und Physik studieren wird. Etwa 400 bis 500 Euro kann er ausgeben, seine Bekannte Mareike weiß es noch nicht so genau. Da sie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) im Dualen System studiert, wird sie von Anfang an Gehalt bekommen. Noch haben sie mit der Suche nicht angefangen. „Aber jetzt müssen wir loslegen.“ Notfalls bleiben sie eben noch ein paar Monate länger im Hotel Mama.
Da geht es ihnen besser als den meisten ihrer Kommilitonen. Vernusan aus Duisburg ist für die Zeit der Wohnungssuche übergangsweise bei einem Bekannten in Spandau untergekommen – ein Notbehelf, den er lieber heute als morgen beenden möchte. „Ich will nicht länger zur Last fallen, außerdem ist der Weg in die Stadt ganz schön weit.“ Der 21-Jährige kann maximal 400 Euro für ein Zimmer ausgeben. Er wünscht sich ein Zusammenwohnen mit gemeinsamen Unternehmungen, keine reine Zweck-Wohngemeinschaft. Mittlerweile sucht er fast nur noch über Kontakte, inklusive sozialer Netzwerke. Seine Erfahrung: Über die einschlägigen Portale im Internet zu suchen, ist aussichtslos: „Meistens bekommt man nicht einmal eine Antwort, und wenn man sich 30 Minuten nach Einstellen des Inserats nicht gemeldet hat, ist es sowieso zu spät.“ Überrascht ist er nicht, dass es so schwierig ist, etwas zu finden. „Meine Berliner Bekannten haben mich vorgewarnt.“
Großsiedlung statt Szene-Kiez
Nika aus Bremen geht die WG-Suche dagegen recht entspannt an, allerdings braucht sie auch nur etwas zur Zwischenmiete, weil sie demnächst ein Auslandssemester absolvieren will. Die 23-Jährige ist kaum zu Hause und hat daher wenig Ansprüche: „Mein Leben spielt sich außerhalb der Wohnung ab, daher bin ich auch ziemlich knauserig.“ Mehr als 360 Euro will sie keinesfalls ausgeben, und dafür müsste es schon ein richtig schönes Zimmer sein. Nika hat gute Erfahrungen mit Wohngemeinschaften gemacht, mit einigen ihrer ehemaligen Mitbewohner ist sie bis heute befreundet. Daher würde sie auch nur ungern in ein Studentenwohnheim ziehen: „Zu unpersönlich“, findet sie.
Doch wie stellt man es an, etwas Passendes zu finden? Man müsse flexibel sein und nicht allzu wählerisch, lautete der Tenor beim „Tag des Wohnens“, den das Studierendenwerk alljährlich mit verschiedenen Partnern organisiert, darunter auch der Berliner Mieterverein. David Eberhart, Sprecher der Berlin-Brandenburgischen Wohnungsunternehmen (BBU) empfiehlt, eine Plattenbauwohnung oder auch eine Wohnung in Brandenburg in Betracht zu ziehen. In den Großsiedlungen, etwa in der Gropiusstadt oder Marzahn, seien die Chancen ungleich größer als in den begehrten Szenevierteln. Zudem seien einige Städte Brandenburgs in nur 30 bis 60 Minuten mit der Regionalbahn zu erreichen. Dort gebe es noch freie, preisgünstige Wohnungen, und die Studenten würden mit offenen Armen empfangen.
„Ich habe nichts gegen Marzahn“, sagt Nicole. Das Problem sei die Entfernung. Die 19-Jährige kommt aus Frankfurt/Main, ist passionierte Radfahrerin und hasst Bahnfahren: „Das ständige Piepen der Handys macht mich verrückt.“ Wichtiges Kriterium für ihr neues Zuhause: Die Humboldt-Uni soll in 30 Minuten per Rad erreichbar sein. Dass das nicht einfach wird, weiß sie schon, zumal ihr Budget mit 350 Euro nicht gerade üppig ausfällt. Am liebsten würde sie eine kleine Wohnung haben, keine WG. Bis sie etwas gefunden hat, kann sie in Berlin bei ihrer Schwester wohnen. Ebenso wie ihre Bekannte Johanna sucht sie schon seit Wochen, sowohl über soziale Netzwerke als auch über Portale. Rund 30 Bewerbungen hat jede von ihnen schon geschrieben – ohne auch nur eine einzige Antwort zu bekommen. Johanna würde bis zu 450 Euro ausgeben, sie kommt aus Brandenburg. Auch ihre Ansprüche sind bescheiden. Maximal 45 Minuten bis zur Uni, möglichst ein bisschen Grün in der Nähe, etwa ein Park zum Joggen. „Es geht nicht um das Nachtleben, ich will einfach nicht zu viel Zeit in der U-Bahn verbringen“, betont die 18-Jährige.
Am beliebtesten: die Wohngemeinschaft
Nach einer Erhebung des BBU wohnen etwa 30 Prozent der Berliner Studenten in Wohngemeinschaften, 20 Prozent wohnen allein und nur 6 Prozent im Wohnheim. Für 27 Prozent ist das Zusammenleben mit Kind oder Partner die bevorzugte Wohnform. So auch für Nina, die mit ihrem Freund zusammenziehen will. Die beiden haben sich einen eher untypischen Wunschbezirk ausgeguckt: Treptow-Köpenick. Weil die 20-Jährige an die Humboldt-Uni muss und ihr Freund eine Ausbildung im östlichen Speckgürtel von Berlin beginnen wird, haben sie sich für die goldene Mitte entschieden. Eine Zweizimmerwohnung für maximal 650 Euro warm soll es sein, gern Plattenbau mit kleinen Zimmern. Bisher hat das Paar hauptsächlich beim Portal „ImmoScout“ nach passenden Angeboten geschaut. „Da suchen natürlich die meisten“, weiß Nina. Demnächst wollen sie es direkt bei den Wohnungsbaugesellschaften probieren – nach Angaben des BBU-Sprechers ein durchaus Erfolg versprechender Weg. Sein Tipp: die Eltern zur Besichtigung mitnehmen. Das mache einen guten Eindruck.
Durchschnittlich geben Berlins Studierende übrigens 363 Euro für das Wohnen aus. Das ist zwar immer noch weniger als in München oder Köln, dennoch ist der Anstieg nirgendwo sonst so groß wie in der Hauptstadt. Laut einem Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln verzeichnete Berlin seit 2010 einen Anstieg der Nettokaltmieten in studentischen Wohnungen um 70,2 Prozent. Die Preise stiegen von 6 auf 11 Euro pro Quadratmeter in dieser Zeit an.
Jakob rechnet damit, dass er etwa 650 Euro Bafög bekommen wird. Für die Miete inklusive Heizung hat er 400 Euro einkalkuliert. Der angehende Informatikstudent muss sich also einen Job suchen, damit er die erste eigene Wohnung finanzieren kann. „Egal wo, Hauptsache bezahlbar“, ist auch sein Motto. Der 19-jährige Brandenburger ist seit ein paar Wochen auf Wohnungssuche und hat sich schon „einige unzumutbare Angebote“ angesehen, wie er erzählt.
Zu den Glücklichen, die bereits etwas gefunden haben, gehört Helena. Kürzlich hat sie eine Zusage vom Studentendorf Schlachtensee bekommen. Hinter ihr liegt eine monatelange strapaziöse Wohnungssuche, inklusive demütigender WG-Castings und unseriöser Angebote, etwa ein Zimmer, bei dem sie sich nicht hätte anmelden können. Die 19-Jährige aus Frankfurt/Main hat es sich nicht so schwierig vorgestellt. „Ich bin völlig desillusioniert, man ist eine von Hunderten von Bewerbern und bekommt nicht einmal eine Rückmeldung.“ Daher ist sie heilfroh, endlich etwas gefunden zu haben. Allerdings hat sie nur eine „Lösung auf Zeit“. Weil das Studentendorf saniert wird, muss sie im Juli 2018 schon wieder ausziehen.
Birgit Leiß
Berlin: die meisten Studenten, die wenigsten Wohnheimplätze
„Solange nicht endlich Wohnungen zu günstigen Mieten in spürbarer Anzahl entstehen, wird mit der Notsituation junger Leute ein Geschäft gemacht“, kritisiert Wibke Werner, stellvertretende Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Der Bund müsse endlich Geld in die Hand nehmen, um Studentenwohnungen zu fördern. Vor zwei Jahren hatte der Berliner Senat versprochen, 5000 Wohnheimplätze bis zum Jahre 2020 zu errichten. Diese Zahl wurde inzwischen sogar nach oben korrigiert. Das Problem: Die meisten befinden sich derzeit noch in der Planungsphase oder im Bau. So plant das Wohnungsunternehmen „berlinovo“ im Auftrag des Senats 2800 Wohnplätze, von denen 800 Ende 2018 fertig sein sollen. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen weitere 2500 Wohnheimplätze beisteuern. Derzeit gibt es für Berlins rund 180.000 Studenten – das ist neuer Rekord – lediglich 9380 Plätze in Wohnheimen. Nirgendwo sonst im Bundesgebiet ist die Versorgung mit öffentlich geförderten Wohnheimplätzen so schlecht.
bl
29.10.2017