Elena und Simone haben zusammen mit ihrer Nachbarschaft 140 Wohnungen vor dem Verkauf an einen dänischen Investor gerettet. Mit einem ausgeklügelten Kommunikationskonzept, durchzechten Nächten und viel Herz haben sie erreicht, dass der Bezirk Neukölln für ihre Häuser in der Neuköllner Thiemannstraße, Ecke Böhmische Straße („BoeThie“) sein bezirkliches Vorkaufsrecht zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft ausüben wird. Die beiden Frauen erklären, wie sie den Einsatz für ihr Haus organisiert haben.
MieterMagazin: Wie habt Ihr vom Verkauf Eurer Häuser erfahren?
Elena: Wir haben ein Schreiben vom Stadtrat erhalten, in dem die Verkaufsabsichten erklärt und mit dem wir zu einer Versammlung im Rathaus Neukölln eingeladen wurden.
MieterMagazin: Was habt Ihr als erstes gemacht?
Elena: Zunächst einmal ist mir klar geworden, dass dieser Brief nicht verständlich genug formuliert war. Also habe ich einen zweiten Aufruf an alle Nachbarinnen und Nachbarn gestartet und habe diesen in vier Sprachen übersetzt: „Es geht um unsere Häuser, bitte kommt zu dieser Besprechung“ – auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch. Bei der Versammlung waren dann etwa 120 Leute.
MieterMagazin: 120 Leute auf einer ersten Versammlung ist ganz ordentlich.
Elena: Es gibt 300 Bewohnerinnen und Bewohner in etwa 140 Wohneinheiten. Viele waren in großer Sorge, besonders die alten Menschen.
MieterMagazin: Was hat die Mieterschaft am meisten verunsichert?
Elena: Ich glaube, es war vor allem die Menge an komplexen Informationen. Klar, wir hatten das jetzt schon tausendmal gehört: Das Vorkaufsrecht kann zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt werden – aber was heißt das genau? Was steckt hinter den Fachausdrücken? Welche Szenarien können eintreten?
MieterMagazin: Wie kam es dann, dass sich die Bewohner des Hauses organisiert haben?
Elena: Ich habe mich vorgestellt und angeboten, mit anderen gemeinsam die Kommunikation zu organisieren. Übers Wochenende habe ich von einem befreundeten Grafikdesigner das Logo für die Hausgemeinschaft „BoeThie“ entwerfen lassen, habe eine Facebook-Seite eingerichtet und eine E-Mail-Adresse angelegt.
MieterMagazin: Wie seid ihr denn an die Öffentlichkeit gegangen?
Elena: Ich habe ein Gedächtnisprotokoll von der Versammlung im Rathaus geschrieben. Das war dann der zweite Aushang in allen Häusern. Dort habe ich die Mieterinnen und Mieter auch erstmalig dazu aufgerufen, Briefe mit der Schilderung ihrer persönlichen Situation an den Investor zu schreiben und an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir haben einige Bewohner, die hier im Haus geboren wurden. Zum Beispiel lebt nebenan eine alte Frau, die Multiple Sklerose hat, deren Tochter an Parkinson erkrankt ist und deren Mann unter Demenz leidet. Sie kämpft schon genug in ihrem Leben, sie kann hier nicht weg, und sie kann auch nicht mehr Miete zahlen.
MieterMagazin: Was waren die nächsten Schritte?
Elena: Wir haben eine Woche später zu einer Infoveranstaltung eingeladen. Etwa 80 Nachbarinnen und Nachbarn sind vorbeigekommen, um sich zu informieren.
MieterMagazin: Und auf dieser Veranstaltung habt Ihr Euch dann als aktive Gruppe zusammengefunden?
Elena: Ja, wir haben an diesem Tag eine WhatsApp-Gruppe eingerichtet und haben Listen von den Aktiven verteilt. Die Aktiven hatten den Auftrag, bei allen Mieterinnen und Mietern zu klingeln und zu fragen: „Habt Ihr das mitbekommen? Habt Ihr alles verstanden? Habt Ihr Fragen?“
MieterMagazin: Wie viele Aktive haben sich dann beteiligt?
Elena, Simone: Also 10 bis 15, mal mehr, mal weniger.
MieterMagazin: Und wie ist es dann mit der Öffentlichkeitsarbeit losgegangen?
Simone: Schon in den ersten zwei Wochen haben wir aus dem Kreis der Aktiven Untergruppen gebildet, beispielsweise eine Arbeitsgruppe für die Demo und eine für die Webseite.
MieterMagazin: Welche Maßnahme seht Ihr als die erfolgreichste an?
Elena: Der größte Erfolg war sicher ein Artikel auf der Titelseite der drittgrößten dänischen Tageszeitung – das hat richtig was gebracht.
MieterMagazin: Und wie geht es nun weiter mit dem Protest?
Elena: Wir haben noch einige gute Ideen. Und: Die Freundschaft und gute Nachbarschaft bleibt auf jeden Fall. Wir wollen uns mit anderen Häusern und Hausgemeinschaften vernetzen, vielleicht sogar bundesweit. Wir machen hier weiter in unserem Kiez als nachbarschaftliche Gemeinschaft. Kein Kiez – kein Zuhause!
Das Gespräch führte Franziska Schulte.
Das MieterMagazin wird an dieser Stelle in lockerer Folge Nachbarschafts- und Quartiersinitiativen vorstellen.
Weitere Informationen und Kontakt unter
https://boethie.noblogs.org/
Eine ungekürzte Version des Interviews finden Sie auf
www.berliner-mieterverein.de/mieterinitiativen/best-practise.htm
23.02.2019