Best-Practice-Beispiele
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Mieter:innen-Geschichte Alte Schönhauser:
„Stellt uns unter Denkmalschutz!“
Die Mieter:innen in der Alten Schönhauser Straße 26 bilden seit Jahrzehnten eine lebendige Hausgemeinschaft. Die sehen sie durch den Verkauf der Hinterhäuser an einen Kapitalanleger bedroht und fordern, dass der Bezirk von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch macht.
Mara, Patricia, Dirk, Lima und die anderen Mieterinnen und Mieter der Alten Schönhauser Straße 26 haben uns zu einem ihrer abendlichen Planungstreffen eingeladen. Ein privater Kapitalanleger hat das Quergebäude und das Gartenhaus gekauft. Die Mieterinnen und Mieter befürchten, dass sie ihr Zuhause verlieren. Zwölf Bewohner:innen verschiedener Generationen sitzen an diesem Abend des 11. Juni 2021 in ihrem Berliner Hinterhof im Alexanderplatzviertel zusammen.
Sie sind Auszubildende, Architekt:innen, Selbstständige und Lebenskünstler:innen. Wir, Franziska und Vera vom BMV, sind auch dabei. Im Hintergrund steht noch die rostig-weiße Hollywoodschaukel, die wir bereits von den Fotos der Hausgemeinschaft „Alte Schönhauser 26“ aus den 1990er-Jahren kennen. Vom Bolzplatz hinter der Gartenmauer hören wir hin und wieder Geschrei und Jubel, von Ferne dringen Musik und das Quietschen der Straßenbahnen bis in den zweiten Hinterhof.
„Ich bin hier groß geworden und erinnere mich an viele wichtige Momente.
Hier habe ich Radfahren gelernt, meine Geburtstage gefeiert. Der Hof mit der knarzenden Hollywoodschaukel und dem hohen Bambus ist mein Zuhause.“
Lima aus dem Gartenhaus
„Es muss ein Hoffest für die Presse her“, sagt Mara in die Runde. Und die Versammelten sind sich einig, dass sie mit einem Mailing die Unterstützung von Politiker:innen einfordern wollen, damit der Bezirk Mitte sein Vorkaufsrecht tatsächlich ausübt. Dann will die Hausgemeinschaft in der Einwohnerfragestunde der kommenden Bezirksverordnetenversammlung mehr Transparenz in das entsprechende Prüfungsverfahren bringen.
Die Zeit für die Vorkaufsprüfung ist knapp
Denn Stadträte und Parteien in Mitte – so erleben es viele Hausgemeinschaften – sind aus ihrer Sicht nicht sonderlich engagiert bei der Suche nach einer städtischen Wohnungsgesellschaft oder Genossenschaft zu deren Gunsten der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausüben kann. Sie kritisieren zudem, dass die Vorkaufsprüfung vollkommen intransparent abläuft. Die Mieter:innen der „Alten Schönhauser 26“ haben erst nach 20 Tagen von der zuständigen Abteilung des Bezirksamtes vom Verkauf ihrer Häuser erfahren. „Jetzt bleibt uns nur noch kurze Zeit, den Vorkauf zu erreichen“, sagt Patricia.
In nur zwei Monaten läuft die Frist für die Vorkaufsprüfung ab. Bis dahin muss der Bezirk den Vorkauf erklärt und einen gemeinwohlorientierten Käufer oder Käuferin gefunden haben. Oder der aktuelle Erwerber unterzeichnet eine Abwendungsvereinbarung, die die Mieter:innen zumindest 20 Jahre vor der Umwandlung ihrer Wohnungen in Eigentumswohnungen schützen soll. Allerdings ist der Käufer nicht verpflichtet so eine Vereinbarung zu unterzeichnen. Und die Inhalte sind frei verhandelbar.
„Ich will in Ruhe gelassen werden und ich will zurück zur WBM.
Von denen habe ich vor 30 Jahren meinen Mietvertrag bekommen.
Da war noch alles gut.“
Dirk aus dem Quergebäude
Die Hausgemeinschaft will keine Abwendungsvereinbarung, sie will zur Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte zurück, der die Häuser nach der Wende zunächst gehörten. „Am liebsten würden wir selbst kaufen“, da sind sich alle einig. Verständlich, doch nach den Leitlinien des Senats für Stadtentwicklung hat die Abwendungsvereinbarung Vorrang gegenüber dem Vorkauf. Ein Pokerspiel, dass die Bezirke in den vergangenen Jahren allzu oft verloren haben. Sie haben meist schlicht kein Druckmittel gegen die Käufer:innen.
Der Milieuschutz sollte die Mieter:innen eigentlich schützen
Aufgeben wollen die Mieter:innen trotzdem nicht. Die Hausgemeinschaft „Alte Schönhauser 26“ besteht schon seit Jahrzehnten, ist kunterbunt, feierfreudig und nachbarschaftlich. Das 1895 erbaute Haus, in dem sie leben, steht heute unter Denkmalschutz. Es ist eines der wenigen Mietshäuser im Scheunenviertel, das die Eigentümer:innen bislang weder luxussaniert noch umgewandelt haben.
Notgedrungen haben die Mieter:innen die Initiative ergriffen, als sie vom Verkauf ihrer Wohnungen erfuhren, und fordern den Bezirk Mitte sowie den Berliner Senat auf, ihr Zuhause zu schützen und in eines der landeseigenen Wohnungsunternehmen zu überführen. „Stellt uns unter Denkmalschutz“, fordern sie.
„Wir Mieter:innen in den beiden Hinterhäusern sind ein lebendiges Museum,
eine Gemeinschaft von 30 Jahren gemeinsam erlebten Geschichten.
Stellt uns unter Denkmalschutz.“
Friedemann aus dem Gartenhaus
Wir kennen das: Seit Jahren werden Häuser in Berlin von ihren alten Eigentümer:innen an private Kapitalanleger oder geheimnisvolle ausländische Firmengeflechte verscherbelt. In der Alten Schönhauser 26 hat ein Berliner Zahnarzt bereits vor einigen Jahren das Vorderhaus und nun auch das Quergebäude und das Gartenhaus gekauft. Für die Mieter:innen ist klar, dass sie keine Umwandlung ihrer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen wollen. Im Vorderhaus sind Umwandlungen bereits Realität, weshalb sie umso entschlossener kämpfen wollen.
Die Hausgemeinschaft versteht ihr Zuhause als einen Ort der gelebten und diversen Kiezkultur. Ihr Haus repräsentiert genau das, was das Land Berlin eigentlich als schützenswert erachtet. Immerhin erklärte der Senat das Alexanderplatzviertel 2019 zum Milieuschutzgebiet.
„Ich habe hier die Wende miterlebt, den Umbruch in den anliegenden Straßen beobachten dürfen. Nun liegen wir im Milieuschutzgebiet Alexanderplatzviertel. Dieses Milieuschutzgebiet soll Mieterinnen wie mich vor Verdrängung schützen.
Tut es das wirklich?“
Mara, die in 30 Jahren in verschiedenen Wohnungen des Hauses gelebt hat
Uns hat der gemeinsame Abend mit der Hausgemeinschaft „Alte Schönhauser 26“ gezeigt, wie wertvoll so eine lebendige Gemeinschaft sein kann. Gemeinsam mit den Mieter:innen fordern wir den Bezirk Mitte auf, die Sorgen der Mieter:innen ernst zu nehmen, das Versprechen aus der Milieuschutzgebieterklärung einzulösen und alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Bewohner:innen vor der Verdrängung aus ihrem Zuhause zu schützen.
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Interview mit Elena Poeschl am 19.12.2018 in der Thiemannstraße 19 von der Hausgemeinschaft „BoeThie“ (Böhmische und Thiemannstraße) in Neukölln
Elena und Simone haben zusammen mit ihrer Nachbarschaft 140 Wohnungen vor dem Verkauf an einen dänischen Pensionsfonds gerettet. Mit einem ausgeklügelten Kommunikationskonzept, durchzechten Nächten und viel Herz haben sie erreicht, dass der Bezirk Neukölln für ihre Häuser in der Neuköllner Thiemannstraße, Ecke Böhmische Straße („Boe-Thie“) sein bezirkliches Vorkaufsrecht zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt hat. Die beiden Frauen haben die Kommunikation der „BoeThies“, eine Pressekonferenz, eine Demo und die Vernetzung mit vielen anderen Berliner Initiativen organisiert. Wir haben sie begleitet. Das Interview führte Franziska Schulte.
Informationsschreiben vom Stadtrat
Wie habt Ihr vom Verkauf Eurer Häuser erfahren?Elena: Wir – also alle AnwohnerInnen – haben ein Informationsschreiben vom Stadtrat erhalten, in dem der Sachverhalt des Verkaufs unserer Häuser kurz erklärt wurde und mit dem wir zu einer BürgerInnen-Versammlung im Rathaus Neukölln am 5. November 2018 eingeladen wurden.
Vier verschiedene Sprachen
Franziska: Wie viele MieterInnen sind dort erschienen, auf dieser BürgerInnen -Versammlung?
Elena: Also zunächst einmal ist uns klar geworden, dass dieser Brief nicht verständlich genug formuliert ist, also habe ich einen zweiten Aufruf an alle NachbarInnen gestartet in vier verschiedenen Sprachen. ‚Es geht um unsere Häuser, bitte kommt zu dieser Besprechung‘, und das auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Türkisch. Es muss ja bedacht werden, dass hier viele Menschen wohnen, die kein Deutsch oder schlecht Deutsch sprechen und vielleicht ein derart bürokratisch formuliertes Beamtenschreiben nicht verstehen. Das wurde mir auch klar, als ich einige der Infoschreiben des Stadtrats in den Mülleimern im Hausflur liegen sah. Bei der BürgerInnen-Versammlung waren dann etwa 120 Leute, was aus unserer Sicht eine Menge ist.
Franziska: Moment bitte, dieser Aufruf, den Du geschrieben hast, war der für die Briefkästen bestimmt oder als Aushang?
Elena: Als Flyer in Deutsch für die Briefkästen und für jedes Haus vier Aushänge in den verschiedenen Sprachen.
Franziska: Tolle Idee! 120 Leute auf der Versammlung ist ordentlich. Wie viele Wohneinheiten umfasst das Gebäudeensemble?
Elena: Wohneinheiten gibt es 140 und BewohnerInnen sind es etwa 300.
Es war das erste Mal, dass ich davon gehört hatte.
Franziska: Was war Deiner Ansicht nach nicht verständlich in diesem Brief des Stadtrats?Elena: Es war eben sehr ‚behördendeutsch‘ formuliert und der letzte Satz war dann ‚man sehe die Materie ist kompliziert‘. Selbst ich habe nicht auf Anhieb verstanden, um was es geht. Ich habe verstanden, dass wir verkauft werden, ich habe verstanden, dass es um das Vorkaufsrecht geht. Nur war es das erste Mal, dass ich davon gehört hatte. Ich glaube, so ging es den meisten Menschen hier. Bei dieser Versammlung im Rathaus war an den Fragen, die gestellt wurden, abzulesen, dass die Leute sehr verunsichert sind, dass viele auch nach der Versammlung nicht verstanden hatten, worum es geht. Eine Frau stand auf und fragte ‚Muss ich nächstes Jahr aus meiner Wohnung ausziehen?‘. Also viele hatten ganz große Sorge, besonders die alten Menschen und es waren viele alte MieterInnen gekommen, die z.T. schon sehr lange in den Häusern wohnen. Die später Dazugezogenen waren eher in der Unterzahl.
Vorkaufsrecht
Franziska: Ich würde gern noch einmal näher auf diese von Dir beschriebene Verunsicherung der MieterInnen eingehen. Was hattet Ihr für einen Eindruck, welche Information genau, diese Verunsicherung hervorgerufen hat?
Elena: Ich glaube, es war vor allem die Menge an komplexen Informationen. Klar, wir haben das jetzt schon tausendmal gehört: das Vorkaufsrecht kann zugunsten einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft ausgeübt werden – da fängt es schon an. Was ist denn eine städtische Wohnungsbaugesellschaft. Was ist denn eine Genossenschaft. Diese Fülle an Fachtermini und Informationen. Und diese möglichen bzw. mutmaßlichen Szenarien, die eintreten können, wie etwa ‚wenn a passiert, dann folgt vielleicht b‘. Zudem wurde uns natürlich nicht gesagt, wer der Investor ist. Das dürften sie uns nicht sagen, hieß es. Und weiterhin, dass jetzt also das Vorkaufsrecht geprüft würde und in einer Frist von nur zwei Monaten ein anderer Käufer gefunden werden müsste, aber der Investor auch eine sogenannte Abwendungsvereinbarung unterzeichnen könne, usw. Sehr schwierig auf Anhieb zu verstehen!
Ansprechpartner
Franziska: Viele Menschen haben noch nicht einmal gehört, dass sie in einem sogenannten Milieuschutzgebiet wohnen.Elena: Ja, das wusste ich auch nicht. Das wurde erklärt. Am Ende dieser Stunde wurde dann gesagt, es wäre schön, wenn sich jemand findet, der als AnsprechpartnerIn fungieren würde. Da habe ich gedacht, es wird das einzige Mal sein, dass so viele Menschen, die in diesen Häusern leben, zusammen in einem Raum sitzen und habe mich gemeldet.
Franziska: Das heißt, Du hast dann gleich vor Ort die Gelegenheit ergriffen, etwas zu sagen?
Elena: Ja, ich hatte schon diverse Fragen gestellt. Ich habe mich vorgestellt und kurz erzählt, was ich beruflich mache und angeboten mit anderen Mieter*innen zusammen, die Organisation der Kommunikation zu übernehmen. Dann habe ich kurz um Handsignal gebeten und gefragt, ob den Leuten meine Nase passt – da haben alle gelacht und gemeint, es wäre gut. Es haben sich später weitere Leute gefunden, aber in den ersten zwei Wochen habe ich zunächst alles alleine gemacht. Übers Wochenende habe ich von einem befreundeten Graphikdesigner das Logo für die Hausgemeinschaft „BoeThie“ (Böhmische und Thiemannstraße) entwerfen lassen, habe eine interne Facebook Seite eingerichtet und eine E-Mail Adresse angelegt.
Franziska: Schnell geschaltet. Das ist ja ein ganz schöner Aufwand, diese Adressen dann alle abzutippen, wenn das vor Ort handschriftlich erfolgt ist. Das hast auch alles Du geleistet?
Elena: Ja, klar. Ich habe dann ein Protokoll geschrieben von der Versammlung im Rathaus. Das war dann auch der erste Aushang in allen Häusern. Dort habe ich die MieterInnen erstmalig dazu aufgerufen, persönliche Briefe zu schreiben an den Investor und an die Öffentlichkeit. Die ersten Briefe, die kamen, lieferten Argumente, waren auch für mich eine Grundlage dafür, zu verstehen, was eigentlich das Problem ist, und welche Gründe es gibt, hier wohnen bleiben zu wollen, jenseits des einen Arguments, nämlich dass es sich um bezahlbaren Wohnraum handelt. Wir haben einige MieterInnen, die hier geboren wurden. Eine Frau lebt nebenan, die Multiple Sklerose hat, die Tochter ist an Parkinson erkrankt und ihr Mann leidet unter Demenz, wirklich krasse Schicksale. Sie kämpft schon genug in ihrem Leben, sie kann nicht noch an anderen Fronten kämpfen, sie kann hier nicht weg und sie kann nicht mehr Miete zahlen.
Je mehr Zeit man investert, desto besser will man es machen.
Franziska: Vielleicht kannst Du in dem Zusammenhang noch einmal berichten, was in Dir ganz persönlich, gerade in diesen ersten Tagen vorging. Was hat Dich gleich so aktiv werden lassen? Wo kam dieser erste große innere Antrieb her?
Elena: Auf der Versammlung bemerkte ich die vielen alten Menschen, die sehr überfordert waren. Eine Frau war richtig verwirrt und fragte, wann die Bezirksverwaltung denn nun die neuen Wohnungen an die MieterInnen vergeben würde. Das zeigte uns sehr anschaulich, dass konkreter Handlungsbedarf besteht. Naja, anfänglich dachte ich, ‚so ein bisschen Kommunikation machen und so‘, das wird schon. Je mehr Zeit man investiert, desto besser will man es machen. Das ist der Motivationsmotor. Ja, auch meine persönlichen Erfahrungen. Das hier ist meine erste Wohnung, in der ich wirklich lebe und die wie ein Anker für mich ist. Dieser Kiez, in dem es wirklich so ist, dass die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Interessen und aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen zusammenleben, ist für mich sehr reizvoll, ein Zuhause eben.
Simone: Ja, also für mich und viele andere Menschen hier in Neukölln war klar, wohin die Reise mit unseren Kiezen geht. Straßenzug um Straßenzug werden Häuser von Investoren gekauft, modernisiert oder wieder verkauft. Ich hatte dazu schon viel gelesen und auch gehört von Freunden und Bekannten.
Die nächsten Schritte
Franziska: Was waren die nächsten Schritte, die Ihr unternommen habt?Elena: Wir haben eine Woche später zu einer Infoveranstaltung in der Bar Kaktus eingeladen. Etwa 80 NachbarInnen haben dieses Angebot wahrgenommen und sind vorbeigekommen, um sich zu informieren und mit uns Aktiven zu sprechen. Hier ging es vor allem darum, Unterschriften einzusammeln für einen gemeinwohlorientierten Drittbegünstigten in Gestalt einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft oder einer Genossenschaft sowie ggf. im Vorkaufsprozess relevant werdende freiwillige Mieterhöhungen abzufragen, die manche MieterInnen evtl. leisten könnten. Wir wollten gewappnet sein für den Fall, dass bei der Suche nach einem Käufer, die Wirtschaftlichkeitsprüfung zum Erwerb unserer Häuser negativ ausfallen und dann das Angebot einer freiwilligen Mieterhöhung zusätzlich helfen könnte für einen positiven Bescheid. Die persönlichen Briefe des Näherkommen sollten Grundlage für unser Presse- und Öffentlichkeitskonzept sein.
Franziska: Ihr habt also so eine Art „Infotalk“ angeboten?
Elena: Wir waren von 12 bis 16 Uhr vor Ort. Das hat wirklich was gebracht. Wir konnten uns mit den Leuten unterhalten, haben uns kennengelernt und ‚geschnackt‘. Einige habe schon ihre Briefe vorbeigebracht, das war wirklich gut.
Franziska: Dann habt Ihr Euch auf dieser Infoveranstaltung als ‚Aktive‘ der Gruppe gefunden?
Elena: Ja, wir haben eine What’s App Gruppe eingerichtet an diesem Tag.
Simone: Wir haben außerdem Listen verteilt an HausvertreterInnen. Die haben den Auftrag bekommen, im eigenen Haus bei allen Mieter*innen zu klingeln und zu fragen ‚habt Ihr das mitbekommen‘, ‚habt Ihr alles verstanden oder habt Ihr Fragen‘ und nach den Kontaktmöglichkeiten – also Telefon und/oder E-Mail Adressen – zu fragen. Es stellte sich etwas später heraus, dass es wirklich noch einige gab, die das alles nicht mitbekommen haben.
Franziska: Wie viele Aktive haben sich beteiligt oder wie würdet Ihr diesen Kreis beschreiben der aktiven Beteiligung?
Elena, Simone: Also so 10-15, mal mehr mal weniger.
Franziska: Ha, also sehr viel fand in dieser Chat Gruppe statt. Aber wir hatten drei ‚StellvertreterInnen-Treffen‘, wo wir auch im Kaktus und die meisten Leute des Aktiven-Kreises anwesend waren. Und da wurde diskutiert, da gab es auch mal Kontroversen.
Elena: Ha, also sehr viel fand in dieser Chat Gruppe statt. Aber wir hatten drei ‚StellvertreterInnen-Treffen‘, wo wir auch im Kaktus und die meisten Leute des Aktiven-Kreises anwesend waren. Und da wurde diskutiert, da gab es auch mal Kontroversen.
Franziska: Was hattet Ihr für einen Eindruck, was die Streitpunkte waren bzw. worin die größten Kontroversen bestanden?
Elena: Es gab einmal am Anfang die Situation, wo nicht gewollt wurde, dass ich allein zu diesen Treffen gehe, also z.B. mit dem Stadtrat oder den Abgeordneten aus Land und Bund.
Simone: Es ging auch viel um Grundsatzfragen. Welche Strategie fahren wir jetzt, sind wir uns da alle einig. Und ist Elena sozusagen legitimiert oder nicht, und was heißt das, wenn nicht. Dann war halt relativ schnell klar, dass – weil Elena auch Sprecherin ist und daher bereits in Kontakt stand mit den PolitikerInnen und anderen Initiativen – dass die Informationen aus den Gesprächen nicht immer weitergehen in ‚Echtzeit‘, dass das oft gar nicht möglich ist.
Franziska: Das sind ja zum einen strukturelle Sachen und zum anderen eben das Legitimationsthema, ein Thema, was auch in anderen Initiativen diskutiert wird. Es gibt diejenigen, die auf echte Strukturen bestehen, was oft in so ‚heißen Phasen‘ gar nicht möglich ist zu leisten. Eben weil es oft nur einen kleinen Kreis von aktiven MieterInnen gibt und vieles auf wenigen Schultern lastet.
Elena: Am 21. November, also gleich in der ersten Woche, da hatte ich schon meine erste Krise. Da schrieb ich ‚Leute, ich brauche dringend mehr Unterstützung von Euch, bei der Planung der Kommunikation, zur Erstellung der Flyer bis zu den Terminen mit den PolitikerInnen und so weiter. Ich brauche in jedem Haus jemanden, der den Überblick behält. Wenn wir uns in den nächsten Wochen richtig reinhängen, können wir wirklich was erreichen.
Basisarbeit: Kommunikation untereinander
Simone: Genau, daraufhin habe ich mich dann gemeldet. Aber das war noch bevor sichtbar wurde, dass hier unter Umständen eine Struktur aufgebaut werden kann.Simone: Ich weiß nicht mehr genau zu welchem Zeitpunkt, aber irgendwann in den ersten zwei Wochen haben wir dann Untergruppen gebildet, eine Arbeitsgruppe für die Demo beispielsweise oder für die Webseite. Elena blieb zunächst alleine mit Presse und Politik. Ich selbst habe mich am Anfang noch total überschätzt, ich dachte, ich mache einfach überall mit.Elena: Ich war ja irgendwie in allen Gruppen, am Ende des Tages muss alles wieder irgendwie zusammenfließen. Dann soll z.B. ein Webseiten-Eintrag gemacht werden und es stellt sich die Frage, wo liegen die Bilder und die Notizen, dann bekam ich eben einen Anruf. Oder die Demo-Gruppe, die bei der Polizei offiziell anmelden sollte, die dann noch Informationen brauchte, weil die Online-Anmeldung über meinen Namen gelaufen war.
Uns war es wichtig, dass keine Politisierung zugunsten einer Partei in unsere Arbeit einfließt. Wichtiger ist die Basisarbeit, die Kommunikation untereinander, das bringt vor allem etwas für die Gemeinschaft und man klammert einige Kontroversen aus. Da ich z.B. viel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht habe, ist zeitweise die Kommunikation mit den anderen MieterInnen etwas zu kurz gekommen. Andererseits bringt eine totale Transparenz auch mehr Unstimmigkeiten hervor.
Zahlreiche Vernetzungseffekte
Franziska: Wie ist es gelungen, eine Pressekonferenz zu veranstalten mit entsprechender Präsenz der Berliner Medien? Wie konntet Ihr einen Presseverteiler aufbauen?
Elena: Hier sind wir sehr an unsere Grenzen gekommen! Es war unglaublicher Stress und unglaublicher Druck, aber ich musste das machen. Die Idee kam daher, dass wir möglichst viele Medien erreichen wollten und da es viel zu viele gibt, sind wir auf die Idee mit der Pressekonferenz gekommen. Auch schien uns die Veranstaltung einer PK öffentlichkeitswirksamer. Den Verteiler haben wir selbst aufgebaut, alle Adressen haben wir aus dem Internet gefischt und zu einer Liste zusammengestellt. Den Investor hatten wir durch eigene Recherchen und die Recherchen eines befreundeten Journalisten identifiziert. Wie man in der Presse lesen konnte, ging es um einen Milliardendeal, von dem sich der dänische Pensionsfonds PFA natürlich gute Rendite versprach. Diese Infos, die persönlichen Geschichten unserer MieterInnen und eine Situationsbeschreibung mussten für die Einladung, die Erzählung, zudem auch in Englischer Sprache verfasst und bereitgestellt werden. Wir haben im Zuge der PK unzählige Telefonate geführt, haben nachgefasst und genervt. Die lokale Berichterstattung war dann auch sehr erfolgreich, nahezu alle Berliner Medien haben berichtet. Wir hatten neues Social Media Material durch den Live-Stream der PK. Unsere PolitikerInnen mussten hier verbindliche Aussagen machen, es gab neue zahlreiche Vernetzungseffekte, viel Öffentlichkeit. ‚BoeThie war da!‘
Franziska: Welche Schritte habt Ihr noch unternommen?
Simone: Es gab unsere Infoveranstaltungen, die Stellvertreter-Treffen der Aktiven, wir haben viel Aufklärung zu den komplexen Sachverhalten in einfacher Sprache und in Englisch geleistet, dann die persönlichen Briefe unserer NachbarInnen, die zur Auseinandersetzung mit einem drohenden Verlust der Wohnung führen sollten. Wenn ein Haus verkauft wird, dann ist ja eigentlich dieser Moment der persönlichen Betroffenheit noch nicht oder nur wage vorhanden.
Elena: Dann der Kontakt zu den Landes- und BundespolitikerInnen und zu Reiner Wild, die wir baten ebenfalls Briefe an den Investor zu schreiben, die Kontakte zur Senatsverwaltung für Finanzen wegen einem Landeszuschuss für den Vorkauf zugunsten eines Dritten und unsere eigene Akquise, die einen Käufer unter den städtischen WBU’s oder den Genossenschaften bringen sollte. Die „Stadt und Land“ konnte auch aufgrund unseres Engagements auf allen Ebenen überzeugt werden.
Simone: Wir hatten einen guten Kontakt zu einer dänischen Journalistin, die bereits im Vorfeld drei Artikel über uns in der „Ejendomswatch“ veröffentlicht hatte (https://ejendomswatch.dk/Ejendomsnyt/Investorer/article11069404.ece ).
Franziska: Welchen Eindruck hattet Ihr in diesem ganzen Prozess von der Arbeit der Bezirksverwaltung und der Bezirkspolitik? Bitte jede von Euch einen Satz.
Elena: Ich will die Arbeit nicht runtermachen, die ist total wichtig und das ist sicher kein angenehmer Job, aber die Kommunikation mit den BürgerInnen ist insgesamt noch verbesserungswürdig.
Die beste Metapher ist: Der Stadtrat fährt in einem Trabi auf der linken Spur einer Autobahn, er WÜRDE gern überholen, er hat ein Instrument, allein – es ist defizitär und das Überholen wird damit nicht gelingen. Es ist ja gut, wenn er einen Investor immerhin zur Unterzeichnung einer Abwendungsvereinbarung bringen kann, aber die MieterInnen nehmen die Abwendung nur als einen Trostpreis wahr.
Simone: Und ich finde, es ist auch so. Ich möchte diesen Trostpreis nicht.
Franziska: Gibt es Ideen zu einem Weiterführen einer MieterInnen Kampagne?
Elena, Simone: Wir haben noch einige gute Ideen, die Freundschaft und gute Nachbarschaft mit vielen bleibt auf jeden Fall. Mir liegt am Herzen, dass die PFA im Scheinwerferlicht bleibt. Wir wollen uns mit anderen Häusern und Hausgemeinschaften vernetzen, möglicherweise sogar bundesweit oder europaweit. Wir machen hier weiter in unserem Kiez als nachbarschaftliche Gemeinschaft, kein Kiez – kein Zuhause!
Es geht immer noch mehr.
Franziska: Welche Erfahrungen habt Ihr persönlich aus dieser freiwilligen Arbeit für Eure Wohnungen, Euren Kiez und Eure Nachbarschaft mitgenommen?Elena: Ich gehe anders durch die Welt. Ich schaue die Menschen an und denke mir, wie sie leben, was sie denken, welches Schicksal sie vielleicht haben. Ich schaue anders auf andere Menschen. Man bewegt sich ganz plötzlich auf einer anderen Wissens- und Emotionsebene. Ich war mit meinem Job und der Uni schon ausgelastet, hätte mich damals jemand gefragt, würdest Du das machen, dann hätte ich dankend abgelehnt. Aber in diesem Prozess stellte ich fest ‚es geht immer noch mehr‘. Jetzt denke ich, dass soziale Strukturen nicht nur im Kiez, sondern gesamtgesellschaftlich noch viel mehr ausgebaut und vorhanden sein müssen. Ich möchte nicht so leben, in einer gespaltenen Gesellschaft und den Reibungen zwischen Bevölkerungsschichten, die meiner Ansicht nach durch die Spekulation mit Wohnraum forciert wird. Menschen, die um ihr Zuhause gegeneinander ausgespielt werden.
Franziska: Ein Blick in die Zukunft: Wenn wir von dem positiven Effekt der Bildung einer nachbarschaftlichen Gemeinschaft, gegenseitiger Hilfe und Solidarität ausgehen, was wünschst Du Dir für die Berliner Gesellschaft?
Elena, Simone: Berlin ist Berlin aufgrund seiner Kieze und Stadteile, in denen arm und reich nicht getrennt voneinander wohnen, so besonders und so lebenswert. Das muss so bleiben und wieder so werden. Viel mehr Menschen müssen sich damit auseinandersetzen, was es beispielsweise bedeutet RentnerIn in Neukölln zu sein, oder freischaffender Künstler, wie unterschiedlich das Leben läuft. Das soziale und bunte in Berlins Kiezen und besonders in unserem Kiez hier, ist doch der Spiegel für eine pluralistische Gesellschaft – es funktioniert ja hier. Hier findet eine Verschmelzung vieler Kulturen statt. Die gehören einfach alle hierher!
Franziska: Vielen Dank!
Wenn ein Mietshaus verkauft werden soll, schrillen bei den Bewohnern mittlerweile sämtliche Alarmglocken. Angesichts der horrenden Kaufpreise droht die Verdrängung durch höhere Mieten oder gar die Umwandlung in Eigentumswohnungen. Immer mehr Mieter setzen daher all ihre Hoffnungen auf ein Instrument, das in Berlin erst seit einigen Jahren Anwendung findet: das bezirkliche Vorkaufsrecht in den Milieuschutzgebieten. 39 Häuser konnten dadurch bislang vor dem Zugriff von Spekulanten gerettet werden. In all diesen Fällen geschah das nur durch erheblichen Druck der Mieter. Monatelang haben sie Transparente gemalt, Ausschusssitzungen besucht, Mieterversammlungen organisiert und Politiker persönlich kontaktiert. Das MieterMagazin stellt fünf Hausgemeinschaften vor, die es geschafft haben.
Artikel aus MieterMagazin 4/2019: Erfolgsgeschichte(n): Wie Mieter ihre Häuser mit dem bezirklichen Vorkaufsrecht vor Spekulation bewahren
Die Mieterinitiative Lobeckstraße 64 setzt sich gegen die Modernisierungspläne ihres Vermieters, die Deutsche Wohnen, zur Wehr. Die zwei Aktiven Ulrich Maichle und Peter Bohlemann sprechen über ihre Arbeit.
Artikel aus MieterMagazin 4/2019:
Mieterinitiative Lobeckstraße 64:
„Rumjammern hilft nicht“
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Neuköllner Mieter_innen wehren sich gegen den Verkauf Ihres Hauses
„Alles muss man selber machen!“ Mit Herz und Seele stemmen sich die Mieter_innen der Schöneweider Sztr. 20 gegen den Verkauf ihres Hauses an einen Investor. Neukölln als Place to be für undurchsichtige Investoren und Firmengeflechte, die zu überteuerten Kaufpreisen die Kieze aufkaufen. Zahlreiche Hausgemeinschaften, Mieter_innen-Initiativen sowie Stadtteilinitiativen haben sich vor allem in den vergangenen zwei Jahren gegründet. Gemeinsam veranstalten die Initiativen und Nachbarschaften Kundgebungen, Solipartys, Hoffeste und Ausstellungen. Vor allem entwickeln sie immer wieder neue kreative Formate, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Menschen in der Schöneweider20 haben ein Video produziert und einen eigenen Song geschrieben. Seht und hört selbst! #allesmussmanselbermachen
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Inhalt laden: Das ist unser Haus – Schöneweider20
In 7 Schritten zur aktiven Mieter-Initiative
- Wozu dient dieser Leitfaden?
- 1 Kontakt zum Berliner Mieterverein
- 2 Mieterversammlung – Rechtslage ermitteln, Ziele definieren
- 3 Baurechtliche Genehmigungen von Behörden
- 4 Kontaktaufnahme mit Bezirksverwaltung und Bezirkspolitik
- 5 Informationsfluss zu relevanten Akteuren des Berliner Senats und Berliner Abgeordneten der Wohnungspolitik
- 6 Vernetzung und Erfahrungsaustausch mit anderen Berliner Mieter-Initiativen
- 7 Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Protestaktionen
- Best-Practice-Beispiele
07.07.2021