Auch vier Monate nachdem das Bundesverwaltungsgericht die bisherige Anwendung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten gekippt hat, fehlt noch immer ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Behebung des Problems. Die Mietervereine von Berlin, Hamburg und München machen nun gemeinsam Druck für eine schnelle Wiederherstellung des Vorkaufsrechts.
Das Vorkaufsrecht war das wichtigste Instrument, um Mieterinnen und Mieter in Milieuschutzgebieten vor Verdrängung zu schützen. Wenn ein Haus zu einem spekulativ überhöhten Preis verkauft wird und somit zu erwarten ist, dass der Käufer in der Folge die Mieterträge erheblich steigern würde, konnte die Gemeinde – in Berlin der Bezirk – in den Kaufvertrag eintreten und so dem Käufer zuvorkommen. Schon das Vorhandensein einer Vorkaufsmöglichkeit zähmte die Investorenträume vom schnellen Reibach mit Mietshäusern mitunter.
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte aber am 9. November 2021, dass das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden darf, wenn die aktuelle Grundstücksnutzung nicht den städtebaulichen Vorgaben entspricht oder die Gebäude mangelhaft sind. Anzeichen für künftige Veränderungen, die den Zielen des Milieuschutzes widersprechen – und seien sie auch noch so eindeutig – dürfen keine Rolle spielen.
Seit 2015 wurden 96 Häuser mit zusammen knapp 2700 Wohnungen per Vorkaufsrecht von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften erworben. Davon waren 82 Käufe bis zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts rechtskräftig. In 14 Vorkaufsfällen haben Eigentümer Widersprüche und Klagen erhoben. Die Mieter dieser Häuser stehen vor einer unsicheren Zukunft.
Abwendungsvereinbarungen nicht mehr verbindlich?
Dazu kommt noch die weit größere Zahl von Abwendungsvereinbarungen, die nun angefochten werden könnten. Um einen Vorkauf abzuwenden, konnten Eigentümer sich dem Bezirksamt gegenüber auf die Einhaltung der Milieuschutzregeln und einen Verzicht auf Umwandlung in Einzeleigentum oder Eigenbedarfskündigungen verpflichten. In Berlin wurden 384 Abwendungsvereinbarungen geschlossen und somit rund 9000 Wohnungen gesichert. Weil diese Vereinbarungen auf vermeintlich rechtswidriger Grundlage abgeschlossen wurden, könnten sich die Eigentümer nun nicht mehr daran gebunden fühlen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat allerdings noch keine Erkenntnisse über Verstöße gegen die Regelungen oder aufgekündigte Vereinbarungen.
Die im Deutschen Mieterbund (DMB) organisierten Mietervereine von Berlin, Hamburg und München haben nun gemeinsam ein Eckpunktepapier vorgelegt, das Grundlage für eine schnelle Gesetzesänderung sein soll. Erarbeitet wurde es von Rechtsanwalt Dr. Rainer Tietzsch, der auch Vorsitzender des Berliner Mietervereins (BMV) ist. Zum einen schlagen die Mietervereine vor, ins Baugesetzbuch einen Passus einzuführen, wonach den Städten ein Vorkaufsrecht zusteht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Erwerb des Grundstücks die für den Milieuschutz bezeichneten Belange beeinträchtigt werden. Das wäre insbesondere der Fall, wenn der Kaufpreis hoch ist oder der Eigentümer sich weigert, eine auf die Einhaltung der Erhaltungsziele gerichtete Erklärung abzugeben. Zudem soll das Vorkaufsrecht künftig auch für Häuser gelten, die in Einzeleigentum umgewandelt wurden.
Mietervereine: den Vorkaufspreis deckeln
Auch an eine Preisbegrenzung für das Vorkaufsrecht ist gedacht. Im Grundsatz muss die öffentliche Hand heute bei einem Vorkauf den Preis zahlen, den Verkäufer und Käufer zuvor ausgehandelt haben. Nur wenn dieser um 25 Prozent über dem offiziell ermittelten Verkehrswert liegt, kann er auf diese Höhe abgesenkt werden. Allerdings hat das rege Spekulieren mit Immobilien in den letzten Jahren auch die Verkehrswerte massiv in die Höhe getrieben. So wurde es für gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen immer schwieriger, in den Vorkauf einzutreten. Sie können einerseits solch hohe Kaufpreise nicht mit einer sozialverträglichen Vermietung refinanzieren. Und andererseits soll das Vorkaufsrecht die Immobilienpreisspirale nicht auch noch weiter ankurbeln. Die Mietervereine schlagen deshalb vor, dass der Vorkaufspreis, orientiert an einem Ertragswert, gedeckelt wird.
BMV: „Ohne Vorkaufsrecht drohen Preissteigerungen und Verdrängung“
„Die Stadt München braucht das Vorkaufsrecht dringend, um Menschen zu helfen, die sonst auf lange Sicht gesehen ihr Zuhause verlieren würden“, sagt Angela Lutz-Plank, Geschäftsführerin des Mietervereins München. „Ohne Vorkaufsrecht können Spekulantinnen und Spekulanten nicht mehr verpflichtet werden, sozialverträglich vorzugehen.“ Ihr Kollege Rolf Bosse vom Mieterverein zu Hamburg ergänzt: „Die Zeit drängt, ohne Vorkaufsrecht drohen Verdrängung und Preissteigerungen in bereits jetzt schon besonders betroffenen Quartieren unserer Metropolen.“ Für den BMV-Geschäftsführer Reiner Wild ist ein funktionierendes Vorkaufsrecht ein Baustein für mehr Gemeinwohl in den Städten: „Unsere Innenstädte dürfen nicht zu einem Tummelplatz des internationalen Anlagekapitals verkommen, sondern müssen Wohnort für alle Bevölkerungsschichten bleiben und auch wieder werden.“
Im Bundestag hat die Linksfraktion am 17. Februar einen eigenen Gesetzentwurf zur Erneuerung des bisher praktizierten Vorkaufsrechts eingebracht. „In einem ersten Schritt muss das alte Vorkaufsrecht schnellstmöglich wiederhergestellt werden, denn jeder Tag zählt“, erklärt Caren Lay, Wohnungspolitikerin der Linken. „In vielen Fällen ist der geplante Vorkauf noch nicht abgeschlossen. Andere Häuser werden dieser Tage verkauft, aber den Kommunen sind die Hände gebunden.“
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) sicherte am 24. Februar der Bauministerkonferenz zu: „Beim kommunalen Vorkaufsrecht wollen wir die Kommunen schnell wieder handlungsfähig machen.“ Auch die Fraktionen von SPD und Grünen beteuern, es müsse eine schnelle Regelung geben, doch die mitregierende FDP blockiert: „Wir müssen prüfen, ob das Vorkaufsrecht das richtige Instrument ist, oder ob man mit dem Geld lieber Wohnungen bauen sollte“, sagt FDP-Baupolitiker Daniel Föst. „Eine langwierige Prüfung eines einzigen Paragrafen ist eine vorgeschobene Schutzbehauptung vor der Ablehnung“, kommentiert Caren Lay. Für die CDU ist das Vorkaufsrecht „ideologisch, populistisch, wirkungslos“, so der Abgeordnete Jan-Marco Luczak. Der Linken-Entwurf wurde in die Ausschüsse überwiesen.
„Die Ampelregierung ist jetzt am Zug, den Ausverkauf der deutschen Städte und die Verdrängung von Mieterinnen und Mietern durch den Verkauf ihrer Mietshäuser an rein renditeorientierte Investoren zu stoppen“, appelliert der DMB-Präsident Lukas Siebenkotten. „Dieses Thema weiter auf die lange Bank zu schieben, wäre unverantwortlich.“
Jens Sethmann
Der Vorkauf ist keine Berliner Lokalmarotte
Berlin arbeitet deutschlandweit am intensivsten mit dem Milieuschutz: Aktuell sind in zehn Bezirken 72 Milieuschutzgebiete ausgewiesen, am meisten in Pankow, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln – keine hingegen in Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf. Mehr als eine Million Berlinerinnen und Berliner leben in einem Milieuschutzgebiet, der größte Teil davon innerhalb des S-Bahn-Rings.
Neben Berlin haben vor allem Hamburg und München das Vorkaufsrecht genutzt. In den 16 Hamburger Milieuschutzgebieten wohnen knapp 320.000 Menschen. Dort hat Hamburg im Jahr 2020 bei 27 Häusern das Vorkaufsrecht ausgeübt und 14 Abwendungsvereinbarungen abgeschlossen. München hat 36 Milieuschutzgebiete mit 335.000 Einwohnern, wo 2018 1345 Wohnungen durch Vorkauf oder Abwendungsvereinbarungen gesichert wurden. München verlangt in Abwendungsvereinbarungen von Vermietern auch, freiwerdende Wohnungen an Mieter zu vergeben, die wegen ihres geringen Einkommens Anspruch auf eine Sozialwohnung haben.
js
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28.03.2022