Leitsatz:
Die vom Land Berlin erlassene „Verordnung im Sinne des § 577 a Abs. 2 BGB über den verlängerten Kündigungsschutz bei Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung“ (Kündigungsschutzklausel-Verordnung vom 13.8.2013, GVBl. S. 488), welche die Kündigungssperrfrist nach Bildung und Veräußerung von Wohnungseigentum im Sinne des § 577 a Abs. 1 BGB für das gesamte Gebiet von Berlin auf zehn Jahre festlegt, ist wirksam.
BGH vom 22.6.2022 – VIII ZR 356/20 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 31 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach § 577 a Abs. 1 BGB kann sich ein Erwerber, wenn an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden ist, auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB (Tatbestände des Eigenbedarfs oder der wirtschaftlichen Verwertung) erst nach Ablauf von drei Jahren seit der Veräußerung berufen.
Diese Kündigungssperrfrist beträgt gemäß § 577 a Abs. 2 Satz 1 BGB bis zu zehn Jahre, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete gemäß § 577 a Abs. 2 Satz 2 BGB durch Rechtsverordnung einer Landesregierung bestimmt sind.
Von dieser Ermächtigung hat das Land Berlin mittels der Kündigungsschutzklauselverordnung vom 13.8.2013 (GVBl. S. 488) Gebrauch gemacht. Nach § 2 dieser Kündigungsschutzklauselverordnung kann sich ein Erwerber von Wohnungseigentum auf ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BGB in Berlin erst nach Ablauf von zehn Jahren berufen.
Im Rechtsstreit bestritt der Vermieter die Rechtswirksamkeit der Verordnung und hielt deshalb seine schon drei Jahre nach der erstmaligen Veräußerung ausgesprochene Eigenbedarfskündigung für wirksam. Er begründete seine Ansicht damit, dass die Verordnung „gleich ganz Berlin“ – und nicht nur einige besonders nachgefragte Stadtteile – zu einem Gebiet erklärt, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist.
Dem widersprach der BGH: Die Kündigungsschutzklauselverordnung des Landes Berlin stehe sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit dem Bundesrecht in Einklang. Dass die gesetzliche Regelung in § 577 a Abs. 2 Satz 2 BGB selbst verfassungsrechtlichen Bedenken begegne und es damit bereits an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage fehle, sei nicht zu erkennen. § 577 a Abs. 2 Satz 2 BGB verstoße nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
Bei der Ermächtigungsgrundlage des § 577 a Abs. 2 Satz 2 BGB handele es sich im Ergebnis auch um eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Zwar würden die Eigentümerbefugnisse durch den Kündigungsausschluss beschränkt. Dies sei jedoch zum einen aufgrund des aus Sicht des Gesetzgebers gebotenen Schutzes des Mieters vor dem unverschuldeten Verlust seiner Wohnung geboten und zum anderen verhältnismäßig, da die Vorschrift des § 577 a Abs. 1 BGB einen engen Anwendungsbereich habe, der diesen Mieterschutz sowohl gegenständlich – die Kündigungssperrfrist gilt nur für eine Eigenbedarfs- oder Verwertungskündigung und lediglich nach der erstmaligen Veräußerung zuvor gebildeten Wohnungseigentums – als auch in zeitlicher Hinsicht – maximale Kündigungssperrfrist von zehn Jahren – nur in beschränktem Umfang einräume.
Die Kündigungsschutzklauselverordnung des Landes Berlin sei auch von der gesetzlichen Ermächtigung in § 577 a Abs. 2 Satz 2 BGB gedeckt. Insbesondere sei die Ausweisung der gesamten Stadt als ein Gebiet, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist, nicht zu beanstanden.
Der Bundesgesetzgeber habe die Bestimmung der Gebiete mit erhöhtem Wohnbedarf ausdrücklich dem Landesverordnungsgeber überlassen und diesem bei der Einschätzung der gegenwärtigen und künftigen Wohnraumversorgungslage einen (weiten) Beurteilungsspielraum zugestanden.
Den Landesregierungen werde ein anhand der örtlichen Gegebenheiten auszufüllender wohnungsmarkt- und sozialpolitischer Beurteilungsspielraum sowohl hinsichtlich der Festlegung der relevanten Gebiete nebst der Auswahl der Bezugsebene (gesamte Gemeinde oder Teile hiervon) als auch des zeitlichen Geltungsbereichs der Verordnung zugebilligt.
Ausweislich der Verordnungsbegründung habe der Senat von Berlin unter Zugrundelegung von neun Indikatoren – unter anderem der Mietwohnungsversorgungsentwicklung in den Jahren 2006 bis 2011 und des Indexes Angebotsmieten/Bestandsmieten (2012/2006) – eine besondere Gefährdung der ausreichenden Versorgung der gesamten Bevölkerung in Berlin mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen angenommen.
Ebenso wie die bezüglich der Kriterien wortlautgleiche Bestimmung des § 558 Abs. 3 Satz 2 BGB verlange auch § 577 a Abs. 2 Satz 1 BGB nicht, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung eine Unterversorgung der Bevölkerung im gesamten Gemeindegebiet bereits bestehe, sondern lediglich das Vorhandensein einer „besonderen Gefährdungslage“. Eine solche habe der Senat von Berlin angenommen. Wenn der Verordnungsgeber keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür habe, dass sich eine solche Lage auf abgrenzbare Gemeindeteile beschränke, und er sich in dieser Situation entscheide, die gesamte Gemeinde als Gebiet im Sinne von § 577 a Abs. 2 Satz 1 BGB auszuweisen, überschreite er hierdurch nicht den ihm eingeräumten politischen Beurteilungsspielraum.
Der Berliner Verordnungsgeber sei von einer vergleichbaren Gefährdung der Wohnraumversorgung in ganz Berlin bereits zuvor bei Erlass der Kappungsgrenzenverordnung vom 7.5.2013 (GVBl. S. 128) ausgegangen. Die Ausweisung eines Gebiets, in dem die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet sei, diene bei der Kappungsgrenzenverordnung und der Kündigungsschutzklauselverordnung ähnlichen Zwecken. Anhaltspunkte dafür, dass sich die entsprechende Versorgungslage in Berlin nur wenige Monate später – die Kündigungsschutzklauselverordnung wurde am 13.8. 2013 erlassen – derart geändert hätte, dass nunmehr lediglich Teile von Berlin als betroffen auszuweisen gewesen wären, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kündigungsschutzklauselverordnung des Landes Berlin genüge schließlich auch ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere wahre die Ausweisung des gesamten Stadtgebiets von Berlin als ein solches, in dem eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet sei und damit nach der Umwandlung einer Wohnung in Wohnungseigentum sowie deren Veräußerung mit einer Eigenbedarfskündigung zehn Jahre zugewartet werden müsse, im Hinblick auf den aufgezeigten begrenzten Anwendungsbereich der Kündigungsschutzvorschrift des § 577 a Abs. 1 BGB sowie den beabsichtigten Schutz der Mieter vor dem Verlust ihrer Wohnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Somit sei dem Vermieter eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gegenüber solchen Mietern, denen die Wohnung zum Zeitpunkt der Bildung des Wohnungseigentums bereits überlassen war, für die Dauer von zehn Jahren nach der (erstmaligen) Veräußerung verwehrt.
27.09.2022