Je verzweifelter man auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf ist, desto eher neigt man dazu, ein mulmiges Gefühl zu ignorieren und gewisse Risiken einzugehen. Das nutzen skrupellose Betrüger aus. Schlimmstenfalls ist man anschließend um Hunderte von Euro ärmer – und eine Wohnung hat man immer noch nicht.
Die meisten Menschen, die aus Köln, Madrid oder Tel Aviv nach Berlin ziehen, suchen im Internet nach einer Wohnung. Das ist bequem und kostet keine Maklergebühr. Man klickt sich durch schöne Fotos und Umgebungskarten und kann sich so von der Ferne aus für ein Angebot entscheiden.
Auch Céline hatte keine Zeit, sich persönlich etwas anzuschauen. Ziemlich kurzfristig hatte sie sich für einen zweimonatigen Sprachkurs in Berlin angemeldet. Eigentlich sollte es nur ein möbliertes Zimmer sein, denn viel Geld hat die junge Französin nicht. In einem Immobilienportal stieß sie dann auf eine sehr günstige, kleine Wohnung in Schöneberg. „Die Fotos waren toll und die Lage optimal“, erzählt sie. Auf ihre Anfrage antwortete der Anbieter sofort. „Wir haben dann ein paar Mal hin und her gemailt, es war ein richtig netter Kontakt, er hat mir jede Menge Tipps für meinen Berlinaufenthalt gegeben und auch persönliche Fragen gestellt.“ Céline sagte ihm zu und freute sich, so schnell etwas Passendes gefunden zu haben.
Ein paar Minuten nach der Zusage bekam sie dann eine E-Mail, wonach sie doch bitte die Miete im Voraus plus eine Kaution zahlen sollte. „Das war mir überhaupt nicht recht, ich habe ihn gefragt, ob nicht eine Anzahlung genügen würde“, berichtet Céline. Doch er meinte, er wäre bei ihrer Ankunft schon im Urlaub und bräuchte das Geld vorher. Ansonsten gebe es noch jede Menge andere Interessenten. Daraufhin setzte Céline ihre Suche zunächst fort. „Aber alles war entweder unverschämt teuer oder es kam nicht einmal eine Antwort auf meine Anfrage.“ Weil die Zeit drängte, zahlte sie schließlich den geforderten Betrag, insgesamt 850 Euro, bei dem Geldtransfer-Anbieter Western Union ein. Als ihre E-Mails an den Anbieter ein paar Tage vor der Abreise plötzlich zurückkamen, dachte sie an ein technisches Problem. Vereinbart war, dass sie den Schlüssel in einem Café im gleichen Haus abholen sollte. Doch in Berlin angekommen, stellte sich heraus, dass man im Café nichts davon wusste. Erst als der vermeintliche Wohnungsanbieter den ganzen Tag nicht unter der angegebenen Handynummer zu erreichen war, begriff Celine, dass sie auf einen Betrüger hereingefallen war.
Ein enger Markt lockt die Ganoven
Ihre Geschichte ist kein Einzelfall. Der Vorkasse-Betrug ist die häufigste Betrugsmasche auf Immobilienportalen. Betroffen ist der gesamte Markt: WG-Zimmer, möbliertes Wohnen auf Zeit, Eigentumswohnungen, ja sogar Feriendomizile.
Für die Betrüger sind vor allem diejenigen Städte interessant, wo das Angebot knapp ist und die Suchenden entsprechend unter Druck stehen. „Wir haben bereits vor sieben Jahren erstmals betrügerische Immobilienangebote registriert“, sagt Sonja May von „Immobilienscout“. Die Masche ist im Grunde immer die Gleiche: Es wird eine Wohnung oder ein Zimmer zu einem sehr günstigen Preis angeboten – die Fotos und Beschreibungen sind teilweise von anderen Internetseiten kopiert. Gegenüber dem Interessenten wird behauptet, eine Besichtigung sei nicht möglich. Man solle eine Kaution beziehungsweise eine Anzahlung leisten, dann bekomme man den Schlüssel.
Wer nun glaubt, so leichtgläubig könne doch niemand sein, irrt. Die Täter sind durchaus kreativ und variieren ihre Geschichten immer wieder. Mal wird behauptet, man halte sich im Ausland auf und könne die Wohnung daher nicht zeigen. Nach der Überweisung erhalte man den Schlüssel und könne sich die Wohnung in Ruhe anschauen. Falls sie nicht gefällt, gebe es das Geld zurück. Mal wird zur Legitimation eine Kopie des Ausweises geschickt – meist handelt es sich um gestohlene Dokumente oder um Kopien, die andere Wohnungssuchende geschickt haben. Auch der Mietvertrag wird bereits zugeschickt, so dass der Interessent sich auf der sicheren Seite wähnt. Typisch ist auch, dass ein Vertrauensverhältnis aufgebaut wird. Manchmal verspricht der betrügerische Anbieter, zeitgleich mit der Einzahlung des Geldes ein Paket mit dem Wohnungsschlüssel loszuschicken. Im Paket ist dann ein falscher oder gar kein Schlüssel. Besonders dreist sind Betrüger, die eine Wohnung weitervermieten, von der sie zufällig einen Schlüssel haben. In einem Fall hatte ein Mieter seine Wohnung während seines Urlaubs untervermietet. Der Untermieter gab sich dann als Eigentümer aus und kassierte von den „neuen Mietern“ Kaution und die erste Miete.
Viele der Opfer sind Zuzügler – zum einen, weil sie den hiesigen Wohnungsmarkt nicht kennen, zum anderen aber auch, weil sie oft ohnehin keine Besichtigung oder ein persönliches Treffen einplanen können.
Zu schön, um wahr zu sein
Aber auch Einheimische sind nicht gefeit, wie ein Beispiel aus München zeigt. Vor einigen Jahren inserierte eine Betrügerbande immer wieder ein 80 Quadratmeter großes, luxuriöses Penthouse in begehrter Wohngegend für 600 Euro warm. In der Hoffnung, auf ein echtes Schnäppchen gestoßen zu sein, pilgerten Dutzende von Interessenten zur angegebenen Adresse, um sich das Haus von außen anzuschauen. Die Adresse stimmte und in dem Mietshaus waren auch tatsächlich einige Wohnungen frei – allerdings nicht zum genannten Preis. Als Vermieter gab sich ein Engländer aus, der, wie sich herausstellte, verschiedene Namen und gestohlene Ausweise benutzte. Durch eine Münchnerin, die erst im letzten Moment misstrauisch geworden und abgesprungen war, flog der Schwindel auf, wie „Merkur-Online“ berichtete.
Woran können Wohnungssuchende erkennen, dass es sich um ein unseriöses Angebot handelt? „Vorsicht ist vor allem geboten, wenn ein Angebot zu schön ist, um wahr zu sein“, sagt Annegret Mülbaier, Pressesprecherin des Internet-Portals „WG-Gesucht.de“. Will heißen: Es ist viel zu preiswert für Ausstattung oder Lage, sieht aus wie ein Hotelzimmer und ist sofort beziehbar. Bei Immobilienscout empfiehlt man darüber hinaus, misstrauisch zu sein, wenn die Beschreibung im Exposé nicht zu den Bildern passt oder wenn das Inserat Sätze enthält, die keinen Sinn ergeben. Auch wenn die Kontaktdaten im Inserat unvollständig sind und der Anbieter keine Telefonnummer angeben möchte, kann das ein Indiz dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Das gleiche gilt für E-Mail-Adressen, die kryptische Zahlen- und Buchstabenkombinationen aufweisen.
Auf die Zahlungsmethode kommt es an
Der immer wieder geäußerte Rat, niemals ohne eine Besichtigung Geld zu überweisen, erscheint dagegen realitätsfern. Zweifellos ist es besser, die Wohnung zuerst zu sehen und den Vermieter kennenzulernen, bevor man irgendetwas zahlt. Wer nicht in Berlin wohnt, kann vielleicht einen Bekannten bitten, die Besichtigung zu übernehmen. Doch wer schon mal eine Ferienwohnung an der Nordsee oder in England gebucht hat, weiß, dass Anzahlungen durchaus üblich sind. Schließlich will auch der Anbieter eine Sicherheit haben, dass das Geschäft zustande kommt.
Worauf es ankommt, ist die Zahlungsmethode. Als sicher gelten deutsche Bankverbindungen. Ohne Identitätsprüfung und Meldeadresse kann man hierzulande kein Konto eröffnen. Der Täter ließe sich also ermitteln. Mit Vorsicht zu genießen sind ausländische Bankkonten. Die Strafverfolgung über Landesgrenzen hinweg ist kompliziert und langwierig. In vielen Betrugsfällen wird die Zahlung über einen Transferdienst wie Western Union oder MoneyGram abgewickelt. Darauf sollte man sich auf keinen Fall einlassen. Der Geldfluss lässt sich kaum nachverfolgen. Ein seriöser Anbieter wird kein Problem damit haben, sichere Zahlungsmethoden wie beispielsweise PayPal zu akzeptieren.
Wie raffiniert die Betrüger vorgehen, zeigt ein Fall, der im Sommer 2014 bekannt wurde. Wie die „Süddeutsche“ berichtete, wurde ausgerechnet ein IT-Mitarbeiter Opfer einer üblen Betrugsmasche. Über das Portal „Fewo-direkt“ buchte er eine Ferienwohnung an der französischen Atlantikküste. Nachdem er den Mietvertrag erhalten hatte, überwies er die gesamte Summe für den mehrwöchigen Urlaub, insgesamt 5000 Euro, auf das Londoner Konto des Anbieters. Was er nicht wissen konnte: Die E-Mail-Adresse der Verwalterin dieser Wohnung war gehackt worden. Mithin landete das Geld nicht auf dem Konto der tatsächlichen Verwalterin, sondern bei einer Betrügerbande. Chancen, das Geld jemals wiederzubekommen, bestehen kaum.
Die großen Immobilienportale unternehmen einige Anstrengungen, um Schwarze Schafe von vornherein auszusieben. „Alle Angebote, die bei uns inseriert werden, laufen durch einen Filter“, erklärt Annegret Mülbaier von WG-Gesucht.de. Nach bestimmten, immer wieder aktualisierten Kriterien werden verdächtige Angebote automatisch herausgefiltert. Das genaue Verfahren ist – verständlicherweise – Betriebsgeheimnis. Zusätzlich scannt ein Qualitätssicherungsteam die Anzeigen und löscht unseriöse Angebote. Alle Nutzer, die bereits Kontakt zur Anzeige hatten, werden in solchen Fällen per E-Mail gewarnt. Dennoch: „Zwischen acht und 20 unseriöse Anzeigen täglich werden von unserem Filter und unserem Qualitätssicherungsteam nicht erkannt“, so Mülbaier. Diese werden ihnen von Nutzern gemeldet. Eine hundertprozentige Sicherheit könne es nicht geben. Umso wichtiger sei es, die Suchenden zur Wachsamkeit aufzufordern. Bei WG-Gesucht.de erhält jeder Kunde bei der ersten Kontaktaufnahme ausführliche Sicherheitswarnungen. „Dafür nehmen wir sogar in Kauf, dass der falsche Eindruck eines überdurchschnittlichen Missbrauchs unserer Seite durch unseriöse Anbieter entsteht“, so Mülbaier.
Auch bei Immobilienscout hat man verschiedene technische Filter und Abfragen installiert, mit denen neu eingestellte Objekte überprüft werden. Außerdem haben User die Möglichkeit, unseriös erscheinende Angebote dem Kundenservice zu melden. Sollte sich der Verdacht erhärten, wird das Angebot gelöscht und das dazugehörige Anbieterkonto gesperrt. Weil die Betrüger ihre Strategien anpassen, handele es sich jedoch um ein Katz-und-Maus-Spiel, wie Sonja May einräumt.
Eine alte Masche – leicht umgestrickt
Der Vorkasse-Trick ist übrigens nicht die einzige Methode, mit der Betrüger abkassieren wollen. Bei Immobilienscout kennt man auch die Masche mit den kostenpflichtigen Wohnungslisten. Das funktioniert folgendermaßen: Nach der Kontaktaufnahme auf ein Inserat erhält der Interessent die Antwort, dass die Nachfrage sehr groß sei und dass daher eine Vorauswahl potenzieller Mieter getroffen werden soll. Zu diesem Zweck soll sich der Wohnungssuchende mit seinen Kontaktdaten auf einer separaten Website registrieren. Ein paar Tage später erhält er dann eine Rechnung für diese Registrierung. Eine andere Variante: Gegen Zahlung einer Gebühr von 80 bis 150 Euro soll der Interessent Zugang zu einer „exklusiven“ Wohnungsliste erhalten. Mit ähnlichen Methoden und unter wechselnden Namen haben bereits vor Jahren sogenannte Wohnraumvermittlungsvereine agiert, damals noch verstärkt in Tageszeitungen. Damals wie heute gilt: Die Listen enthalten größtenteils Angebote, die aus der Zeitung oder aus den Immobilienplattformen kopiert wurden. Vorab-Provisionen oder „Abo-Gebühren“ verstoßen gegen das Wohnungsvermittlungsgesetz. Ob eine Bearbeitungsgebühr für die Aufnahme in eine Datenbank zulässig sein kann, ist rechtlich umstritten. Fest steht, dass es einem Wohnungssuchenden nicht weiterhilft.
Einige Abzocktricks richten sich auch gegen Anbieter von Wohnraum. So warnt die Polizei vor Einbrechern, die sich auf ein Zimmerinserat melden und bei der Besichtigung durch einen Komplizen den Vermieter ablenken, um Wertsachen zu stehlen. Opfer sind vor allem Senioren.
Auch mancher Makler macht sich die Wohnungsnot zunutze, wie Annegret Mülbaier von WG-Gesucht berichtet. Weil ihr Projekt ausschließlich provisionsfreie Angebote zulässt, versuchen einige der professionellen Wohnungsvermittler unerkannt die Plattform zu nutzen, indem sie beispielsweise Anbieter kontaktieren und ihnen anbieten, die Provision zu teilen.
Birgit Leiß
Die Firma „Medici Living“: Wucher oder modernes Geschäftsmodell?
Die Wohnungsnot ruft nicht nur Betrüger auf den Plan, sondern auch clevere Geschäftemacher. Bestes Beispiel: Die Firma „Medici Living“, der nach eigenen Angaben größte professionelle WG-Anbieter.
Lesen Sie hier mehr über „Medici Living“.
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Bei Verdacht auf Mietpreisüberhöhung kann man Anzeige beim bezirklichen Wohnungsamt erstatten. Der Versuch, mit dem Vermieter zu verhandeln, verspricht wenig Erfolg. Trotzdem: probieren und vorher Rechtsrat einholen.
Wohnungsnot erhöht die Risikobereitschaft
MieterMagazin: Wie viele Fälle von Betrug im Zusammenhang mit Wohnungsanzeigen landen bei Ihnen auf dem Tisch?
Szymanski: Eine spezielle Statistik gibt es nicht, aber wir bearbeiten etwa hundert Fälle pro Jahr.
MieterMagazin: Was wissen Sie über die Täter?
Szymanski: Das sind keine Einzeltäter, sondern organisierte Gruppen. Viele sitzen in England, dorthin geht auch ein Großteil der Zahlungen. Generell sind die Täter recht trickreich. Und: Das Geld des Geschädigten ist fast immer weg.
MieterMagazin: Auf was sollte man achten, um nicht abgezockt zu werden?
Szymanski: Zunächst einmal sollte man stutzig werden, wenn ein Wohnungsangebot überraschend günstig ist. Ein zweites Alarmsignal: Das Inserat ist auf Deutsch, dann wird aber beim anschließenden Mail-Verkehr sofort ins Englische gewechselt. Drittens sollten sämtliche Alarmglocken schrillen, wenn man in Vorleistung gehen soll. Grundsätzlich würde ich empfehlen, sich nicht nur in der virtuellen Welt zu bewegen. Man kann versuchen, den Anbieter anzurufen. Oder man überprüft, ob die angegebene Adresse wirklich existiert und ob es dort überhaupt Mietwohnungen gibt.
MieterMagazin: Warum fallen Wohnungssuchende trotzdem immer wieder auf die altbekannten Tricks herein?
Szymanski: Es ist die Wohnungsnot, die viele bewegt, ein Risiko einzugehen – zumal es sich nicht um riesige Summen handelt, sondern nur um ein paar Hundert Euro. Zum Opfer werden vor allem Ausländer und sehr junge Leute, die sich mit den Gegebenheiten des Wohnungsmarktes nicht auskennen. Die Internetportale unternehmen zwar einiges, um schwarze Schafe auszusieben. Das Problem ist: Selbst wenn das Inserat nur ein oder zwei Tage online ist, gibt es schon einige Geschädigte.
Interview: Birgit Leiß
04.02.2019