Eine durch die zunehmende Vernetzung nicht mehr kontrollierbare Datenflut rührt an der informationellen Selbstbestimmung des Verbrauchers. Auch im Wohnbereich nimmt die Digitalisierung zu. Kritiker sehen durch sogenannte intelligente Stromzähler die Gefahr einer „Zwangsdigitalisierung durch die Kellertür“ und einen Eingriff in die Grundrechte.
Die Idee ist einleuchtend: Nachts, wenn es große Stromüberschüsse gibt, wird Energie preisgünstig an private Haushalte verkauft. Damit könnte zum Beispiel die Kühltruhe nachts auf minus 25 Grad Celsius heruntergekühlt werden. Tagsüber, wenn der Strom teuer ist, braucht sie kaum Strom. Erst wenn die Temperatur auf minus 18 Grad Celsius ansteigt, ordert der digitale Zähler wieder Strom. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik, denn vollautomatisch gesteuerte Stromlieferungen und tageszeitabhängige Tarife der Stromversorger stehen hierzulande noch nicht zur Verfügung.
Trotzdem sollen intelligente Zähler, sogenannte Smart Meter, bereits ab 2017 für Kunden mit einem Verbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden im Jahr Pflicht werden. Alle anderen Haushalte sollen schrittweise bis 2020 folgen. Stadtwerke, Netzbetreiber und Vermieter können nach eigenem Ermessen die Installation „intelligenter“ Stromzähler veranlassen. Ein Recht von Mietern auf Zustimmung oder Ablehnung ist nicht vorgesehen. Nachdem das Gesetzespaket im Bundesrat diskutiert wurde, soll es nun den Bundestag passieren.
Die Bundesregierung beruft sich auf eine EU-Verordnung, nach der bis 2020 80 Prozent der Verbraucher mit „intelligenten“ Stromzählern ausgestattet werden müssen. Die EU-Kommission hält einen Einbau von Smart Metern aber nur für sinnvoll, wenn die Kosten-Nutzen-Analyse positiv ausfällt. Ein Dreipersonenhaushalt verbraucht durchschnittlich 3500 bis 4000 Kilowattstunden Elektrizität im Jahr. Eine Analyse des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie ergab bereits im Jahr 2013, dass bei Endverbrauchern mit einem Jahresstromverbrauch bis zu 4000 Kilowattstunden das durchschnittliche Stromkosteneinsparpotenzial 10 bis 20 Euro beträgt, bis 6000 Kilowattstunden sind es 40 Euro jährlich. Erst bei einem Jahresstromverbrauch von über 6000 Kilowattstunden ist mit mindestens 80 Euro Kostenersparnis zu rechnen.
Von den Smart Metern profitieren also vor allem die Hersteller der Geräte und die Energieversorger, die nicht mehr die Zählerstände vor Ort ablesen müssen. Marion Jungbluth, Energieexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband: „Der Nutzen ist nicht gesichert, die Kosten schon.“ Denn für die Installation der Smart Meter wird eine Gebühr fällig. Dazu kommt der monatliche Messpreis. Die Visualisierung der Verbrauchsdaten für den Mieter könnte extra berechnet werden. Kosten für Pilotprojekte, die Steuerbox und den Stromverbrauch der Zähler werden auf die Netzentgelte aufgeschlagen. Smart Meter können so dem Mieter Kosten von bis zu 100 Euro im Jahr bringen.
Der Zähler erkennt das TV-Programm
Ein Schwachpunkt im System sind die Kommunikationsschnittstellen, die sogenannten Smart Meter Gateways. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Daten bis zu einem Verbrauch von jährlich 10.000 Kilowattstunden nur einmal im Jahr an den Messstellenbetreiber übermittelt werden. Für Haushalte mit einem Verbrauch unter 6000 Kilowattstunden soll der Einbau eines Smart Meter Gateways nicht obligatorisch werden. Die Messstellenbetreiber können Gateways allerdings nach eigenem Ermessen einbauen und ihre Kunden daran anschließen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat die Sicherheitsanforderungen an die Gateways sehr hoch angesetzt. Sie müssen stets verschlüsselt mit dem Kunden, dem Administrator und den Netzbetreibern kommunizieren. Ein Protokoll ist Vorschrift.
Bei einer EMNID-Verbraucher-Umfrage äußerten 50 Prozent der Befragten Bedenken hinsichtlich der Sicherheit ihrer Stromverbrauchsdaten.
Experten der Fachhochschule Münster haben analysiert, dass Hell- und Dunkel-Sequenzen bei einigen Fernsehgeräten unterschiedlich viel Strom verbrauchen. Daraus lasse sich sogar analysieren, welches Fernsehprogramm gerade gesehen wird. Es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Versicherungen und andere Unternehmen sich für die Daten aus den Stromzählern interessieren.
Rainer Bratfisch
Was ist Smart Metering?
Smart Meter sind „intelligente“ Stromzähler, die mit einem Computer gekoppelt sind und registrieren, wann wie viel Strom von welchem Gerät im Haushalt verbraucht wird. Sie können Großgeräte wie Kühl- und Gefrierschränke, die Beleuchtung und die elektrische Heizung kontrollieren und steuern. Die Daten stehen dem Kunden zur Verfügung, werden aber auch an die Messstellenbetreiber übertragen. Die Übertragung ist technisch sekündlich möglich, erlaubt ist laut Gesetzesentwurf ein 15-Minuten-Takt. Das ermöglicht einen detaillierten Einblick in das Verbraucherverhalten eines Haushalts und soll dazu beitragen, dessen Energieverbrauch zu senken.
rb
03.03.2016