Das Quartiersmanagement (QM) soll in benachteiligten Kiezen für eine bessere soziale Infrastruktur sorgen. Aber was lässt sich erhalten, wenn die Fördermittel nach einigen Jahren nicht mehr fließen? So manche Tür schließt sich wieder. Wo ehrenamtliches Engagement vor Ort Tritt gefasst hat, haben Einrichtungen, Projekte und Initiativen aber durchaus Chancen. Insgesamt bleibt jedoch ein schmaler Grat, auf dem sich die Errungenschaften des QM noch nach dessen Ende bewegen.
Das Sprengelhaus ist im Wedding eine bekannte Adresse. In den einstigen Räumen einer leeren Bonbonfabrik treffen sich Nachbarn zum Feiern, beraten Vereine, finden Seminare statt, und es wird die Zukunft des umliegenden Kiezes diskutiert. Begrenzt von der Luxemburger und der Müllerstraße, der Ringbahn und dem Spandauer Schifffahrtskanal ist das Quartier dicht bebaut. Hier leben viele sozial Schwache. Für sie alle gab es zwischen den Wohnblöcken und Industriebrachen kaum Freiräume und so gut wie kein Grün. Deshalb gehörte der Sprengelkiez 1999 zu den ersten, den Berlin mit einem Quartiersmanagement (QM) ausstattete. Die Gelder aus dem Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ flossen fortan in neue Spiel- und Freizeitflächen, einen Grünzug, der heute bis an den Schifffahrtskanal heranführt, in Bildungs- und Gesundheitsangebote – und sie ermöglichten die Gründung und den Ausbau des Sprengelhauses.
Als feststand, dass das QM in diesem Quartier Ende 2016 nach 17 Jahren auslaufen würde – und damit die Fördergelder für die Projekte auch, fand sich ein „Runder Tisch Sprengelkiez“ zusammen, an dem beraten wurde, wie es weitergehen sollte. „Klar war, dass es nicht einfach würde, so eine große Einrichtung zu unterhalten“, sagt Siemen Dallmann, der sich seit 1999 im Kiez engagiert und seit 2008 als ehrenamtlicher Quartiersrat mitarbeitet. Heute deckt man die Kosten über die Einnahmen aus der Vermietung von Räumen an Organisationen und Initiativen, für Seminare oder Kursangebote. „Die Arbeit im Quartiersrat hat uns geschult“, so Siemen Dallmann, „Wir sind heute gut vernetzt und arbeiten deutlich professioneller.“ So ist es im Sprengelkiez gelungen, nach der Förderzeit so manches Projekt zu erhalten. „Aber wenn Räume nicht mehr bezahlt werden können, sterben eben auch die Projekte“, so Siemen Dallmann.
Diese bittere Erfahrung machen sie seit über zwei Jahren im Schöneberger Norden. Der Kiez, in dem sich die großen Verkehrsachsen Bülow- und Potsdamer Straße kreuzen, der durch ein Nebeneinander von Arm und Reich, durch ein „Pallasseum“ genanntes großdimensioniertes Bauwerk des Sozialen Wohnungsbaus auf der einen Seite und teure Eigentumswohnungen auf der anderen Seite geprägt ist, gehörte ebenfalls zu einem der ersten, das als QM-Gebiet ausgewiesen wurde. 2020 endeten die Fördermaßnahmen – nach 21 Jahren.
QM zum falschen Zeitpunkt beendet
Stadtteilkoordinatorin Tina Waleschkowski erzählt: „Als hier klar wurde, dass damit Schluss ist, gab es Proteste und Demonstrationen.“ Mit Hilfe der ehrenamtlichen Quartiersräte und Kontakten zu Akteuren ist zwar ein Übergang gelungen: „Aber viele Projekte mussten beendet werden, weil die Finanzierung weggebrochen war“, so Tina Waleschkowski. Das geschieht nun just zu einer Zeit, in der sich die Strukturen im Kiez dramatisch ändern, immer weniger bezahlbarer Wohnraum zu finden ist, zunehmend Gutbetuchte in neu errichtete Luxuswohnanlagen ziehen und sich die Gegensätze verschärfen. Gerade jetzt gibt es dringend notwendige Nachbarschaftsangebote gar nicht mehr oder nur noch in sehr begrenztem Maße.
Auf Dauer geschlossen hat wohl die Kiezbibliothek, die mit ihrem Bestand an fremdsprachiger Literatur besonders ein Anlaufpunkt für Familien mit Migrationshintergrund war. Umso wichtiger, dass eines der Schlüsselprojekte im Schöneberger Norden erhalten werden konnte: die „Bildungsbotschafter*innen“. In einem Kiez, wo mehr als die Hälfte der Menschen einen Migrationshintergrund hat, zu Hause oft kaum Deutsch gesprochen wird, sind die dafür eigens geschulten Frauen und Männer Brückenbauer von den Bildungseinrichtungen in die verschiedenen Communities.
So wie Stadtteilmütter engagieren sich auch die „Bildungsbotschafter*innen“ ehrenamtlich. Oleksandra Bienert, Stadtteilkoordinatorin im Marzahner Nordwesten, zählt solchen Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern zu den wichtigsten Ergebnissen erfolgreicher QM-Arbeit: „Ich habe das QM immer als einen Raum für Engagement verstanden“, erklärt sie und verweist auf Projekte im Wohngebiet rund um die Havemannstraße. Als der Kiez 1999 zum QM-Gebiet erklärt wurde, lag seine Fertigstellung erst wenige Jahre zurück. Der Fall der Mauer konfrontierte das junge Wohnquartier mit zunehmendem Leerstand, steigender Arbeitslosigkeit und Problemen bei der Integration von Spätaussiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion.
Engagement kann Geld nicht ersetzen
Um Verfall und Verwahrlosung zu verhindern, flossen Gelder in großem Umfang in bauliche Maßnahmen. Aber eben auch in Projekte wie das Kulturhochhaus. Hier in einem Plattenbau hatte es schon 1994 einen „Kinderkeller“ gegeben. Mit QM-Mitteln und Hilfe des Vermieters, der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Degewo, entwickelte sich daraus ein Kinder- und Jugendtreff, kamen ein Café, ein Einfach-Laden und die Pension „11. Himmel“ dazu. Ohne großes ehrenamtliches Engagement wäre all das kaum möglich gewesen. Aber eben auch nicht ohne starke Partner, die über den Förderzeitraum hinaus für materiellen Rückhalt sorgten.
„Es ist klar, dass die QM-Förderung irgendwann endet“, meint Matthias Bielor, Vorsitzender der Spielplatzinitiative Marzahn. „Aber man sollte die Gebiete so ausstatten, dass das, was geschaffen wurde, auch weiter erhalten werden kann.“ Der große Abenteuerspielplatz an der Schorfheidestraße beispielsweise, auf dem auch nach beendeten Projektfinanzierungen kaputtes Gerät repariert und ausgetauscht, Gehölz beschnitten und der Platz grundsätzlich unterhalten werden muss. Vor 30 Jahren wurde er mit viel Eigeninitiative und Engagement auf die grüne Wiese gebaut. Sollte er irgendwann schließen, trifft das ein Viertel, in dem die Kinderarmut zu den höchsten in Berlin zählt.
Rosemarie Mieder
Sieben Jahre als Regellaufzeit
1999 startete das Quartiersmanagement mit 15 Gebieten in Berlin. Eine zeitliche Begrenzung gab es damals noch nicht. Weil aber immer neue Gebiete ins Förderprogramm aufgenommen wurden, stellte sich die Frage nach dem Ende der Maßnahmen. 2015/16 wurden schließlich die ersten vier QM-Gebiete aus der Förderung entlassen. 2019, nach 20 Jahren Quartiersmanagement zog der Senat eine erste große Bilanz: Insgesamt waren bis dahin 42 Gebiete mit insgesamt 472,06 Millionen Euro unterstützt worden. 423.000 Bewohnerinnen und Bewohner hatten bis dahin von den Maßnahmen profitiert. Seit 2020 ist nun eine Laufzeit von sieben Jahren für die neuen QM-Gebiete festgelegt. Danach wird die Entwicklung im Quartier geprüft und – wenn möglich – beginnt eine zweijährige Übergangszeit. Dann läuft die Förderung aus dem Programm endgültig aus.
rm
28.02.2022