Die Tür ist wieder auf – aber der Preis, den der Handwerker verlangt, ein Schock. Gut zu wissen, dass unverschämte Geldforderungen nicht mehr bezahlt werden müssen. Nach Gerichtsentscheidungen gelten sie als Wucher und sind damit strafbar. Erstatten sie Anzeige!
Wem ist das nicht schon einmal passiert: Die Tür ist zu, und der Schlüssel steckt auf der anderen Seite. In solch einer Situation hilft oft nur ein Notdienst. Wer aber jetzt die erstbeste Nummer wählt, kann leicht den nächsten Schock erleben: „Unseriöse Anbieter nutzen diese Notlagen schamlos aus“, erklärt Irina Krüger von der Verbraucherzentrale Berlin. „Sie fordern nach getaner Arbeit horrende Summen von mehreren hundert, mitunter sogar über tausend Euro.“
Ausgesperrtsein ist eine „Schwächesituation“
Mit dieser dubiosen Geschäftemacherei dürften sie jetzt allerdings nicht mehr so leicht durchkommen. Denn während schamloses Abkassieren bisher nur in einer extremen Zwangslage strafbar war – etwa bei Geschäftsuntüchtigkeit oder in einer lebensbedrohlichen beziehungsweise existenzgefährdenden Situation –, befand der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr: „Bereits das Ausgesperrtsein bringt den Wohnungsnutzer in eine Schwächesituation, die der Handwerker ,ausbeuten‘ kann. Diese Unterlegenheit muss nicht durch weitere Gefahrenmomente (wie etwa einen eingeschalteten Herd, einen zurückgelassenen Säugling, Kälte) verschärft werden.“
Zusammen mit einer aktuellen Entscheidung des Landgerichts Kleve ist damit höchstrichterlich klargestellt: Schlüsselnotdienste, die die Notsituation von Verbraucherinnen und Verbrauchern für Forderungen nach weit überzogenen Rechnungsbeträgen ausnutzen, betreiben immer Wucher.
„Das ist eine äußerst wichtige Entscheidung“, befindet Irina Krüger. „Nicht im zivilrechtlichen Sinne, aber was den Straftatbestand angeht, haben die Urteile eine Signalwirkung.“ Denn sie bedeuten, dass Betrugsopfer nun viel eher Anzeige erstatten und die Polizei die Vergehen leichter verfolgen kann. Und das nicht nur im Falle dubioser Schlüsseldienste: Eine verstopfte Toilette, die lecke Wasserleitung, das Wespennest unterm Rollladenkasten, plötzlicher Heizungsausfall sind ganz typische Fälle, in denen ein Reparaturdienst sofort ran muss.
Viele Menschen greifen zum Smartphone und orientieren sich bei ihrer Internet-Recherche an Notdiensten, die eine kurze Anfahrt und günstige Preise versprechen. Genau das nutzen die Abzocker. „Und Achtung: Unseriöse Anbieter stehen ganz oben in den Suchergebnissen“, warnt Irina Krüger. Dazu geben sie sich ortsansässig, sind aber oft nur über Handy- oder 0800-Nummern zu erreichen. Wer sie wählt, landet irgendwo in einem Callcenter. Um sich dagegen zu wappnen, sollte man niemals die scheinbar billigsten Notfallhelfer auswählen, sondern bei ortsbekannten Fachfirmen nachfragen. Wer vorausschauend schon einen Schlüssel- oder auch Sanitärnotdienst im Handy gespeichert hat, ist da klar im Vorteil. Bei unverschämten Geldforderungen, die über dem liegen, was am Telefon mit dem Notdienst abgesprochen wurde, sollte man nicht einfach begleichen.
„Wenn die unseriösen Handwerker das Geld erst einmal haben – ob in bar oder per Kartenzahlung – ist es weg“, so Irina Krüger. Wird eine Situation bedrohlich: bei den Nachbarn klingeln. Krüger: „Scheuen Sie sich nicht, die Polizei zu rufen und Anzeige zu erstatten.“
Rosemarie Mieder
Ausgeklügeltes Betrugsnetzwerk
Den Urteilen liegt ein langer und umfänglicher Rechtsstreit zugrunde. Die Betrüger mit Firmensitz in der Schweiz hatten bundesweit in Telefonbüchern nicht existente Schlüsseldienstfirmen mit örtlichen Anschriften und dazu passenden Telefonnummern eintragen lassen. Mitunter ließen sie in Branchenblättern der Gelben Seiten bis zu 60 verschiedene Rufnummern fiktiver Unternehmen aufnehmen. Die Anrufer landeten in einem Callcenter, ohne dies zu bemerken. Von 2008 bis 2016 wurden so gewaltige Gewinne erzielt – entstanden durch hohe nicht vereinbarte Aufschläge, die den Kunden in Rechnung gestellt wurden. In einem Fall wurden für das Öffnen einer Tür 1177 Euro veranschlagt.
rm
26.03.2021