Ein vom Sturm abgedecktes Dach, aber auch eine übergelaufene Dusche: Große und kleine Ereignisse können zu einem Notstand in einer Wohnung oder im ganzen Haus führen. Oft ist schnelles Handeln geboten, um Schlimmeres zu verhindern. Dennoch müssen Regeln eingehalten werden. Nicht zuletzt, um bei notwendigem eigenmächtigen Handeln nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben.
Freitagabend, kurz vor 7. Als Selma und Frank K. mit ihren Wochenendeinkäufen nach Hause kommen und sich auf einen ruhigen Abend freuen, wartet hinter der Küchentür eine böse Überraschung: Vor der Spüle steht eine Pfütze und die scheint sich auszubreiten. Wasser läuft langsam, aber stetig unter der Blende hervor. Sie sucht nach einem Lappen, er holt schon mal den Werkzeugkasten.
Ausrichten können die beiden nichts: Das Wasser kommt aus dem Rohr vor dem Absperrventil, da hilft Zudrehen nichts und die Handtücher, die sie darum wickeln und darunter legen, sind bald durchnässt. Zwar haben die beiden das Leck gerade noch rechtzeitig entdeckt, um Schlimmeres zu verhindern, aber jetzt muss ein Fachmann ran. Und zwar möglichst rasch. Denn wenn sie darauf warten, dass die Hausverwaltung ab Montagmorgen wieder besetzt ist, tropft es wahrscheinlich schon bei den Nachbarn unter ihnen bis zum Erdgeschoss von der Decke. Sie rufen eine Klempnerfirma, deren Nummer im Kasten des Hausmeisters hängt: Für Havarien und Notfälle steht dort.
Gemeint sind mit Havarien plötzlich auftretende Ereignisse oder Störungen, die ein sofortiges Eingreifen erforderlich machen, weil sie zu schweren Schäden an Gebäuden, Sachwerten, Wohnungseinrichtungen und Ausrüstungsgegenständen führen oder sogar das Leben und die Gesundheit von Menschen gefährden können.
Was ist eine Havarie?
Zu solch einem Geschehen zählen Brände, Explosionen oder schwere Unwetterschäden, so wie sie im vergangenen Sommer auch Berlin heimgesucht haben. Als Regengüsse Keller und Erdgeschosswohnungen unter Wasser setzten, Stürme Dächer abdeckten und Bäume auf Autos und in Fenster krachen ließen. Aber auch technische Störungen können als Havarie gewertet werden. Zu denen zählen:
– Eine defekte Elektrik. Etwa wenn der gesamte Hausanschluss lahmgelegt ist, einzelne Wohnungen ohne Strom sind, Rohrleitungen oder Wände unter Spannung gesetzt sind und wenn es zu Kabelbränden kommen kann.
– Gestörte Gas- und Wasserinstallationen. Schäden wie Rohrbrüche oder nicht schließende Hauptabsperrventile können Decken, Wände, Einrichtungen durchnässen, Keller unter Wasser setzen. Der Austritt von Gas kann zu schweren Verpuffungen und Explosionen führen, genau wie eine Überhitzung von Gasthermen. Und auch ein Totalausfall der Kalt- und Warmwasserversorgung in einem Haus gilt als Notfall.
– Ein verstopftes Abwassersystem. Wenn Fallstränge über ganze Etagen nicht mehr durchlässig sind, rechtfertigt das ein schnelles Eingreifen. Genauso wie der
– Totalausfall der gesamten Heizung.
„Mieter sollten da durchaus wachsam sein“, erklärt die Juristin Stefanie Immelmann vom Berliner Mieterverein (BMV). „Denn sie haben auch eine Schadensminderungspflicht.“
Eine brenzlige Lage …
Gasgeruch, eine plötzlich tropfende Leitung, die vom Sturm teilweise oder ganz abgerissene Plane über einem Dachausbau können Havarien und schwere Schäden zur Folge haben. Dagegen gelten ein tropfender Wasserhahn, die verstopfte Badewanne, der lauwarme Heizkörper, Temperatur- und Druckschwankungen in der Wasserversorgung oder auch der Ausfall einer Sicherung im Stromnetz als „Lappalien“. So ärgerlich sie sein mögen, sie gebieten keine Sofortmaßnahmen. Hier müssen Mieter sich gedulden, die Öffnungs- und Sprechzeiten von Vermieter beziehungsweise Hausverwaltung abwarten sowie ein korrektes Procedere einhalten.
Aber mitunter sind es gerade scheinbare Kleinigkeiten, unglückliche Umstände, dumme Zufälle, die eine Notaktion auslösen.
Sabrina S. war nur rasch hinunter zum Briefkasten gegangen – jetzt steht sie vor verschlossener Tür. Der Schlüssel steckt fest und lässt sich nicht einmal mehr herausziehen. Sie muss schnell etwas unternehmen, denn drinnen steht ein Topf auf dem Herd. Im wahrsten Sinne des Wortes eine brenzlige Situation. Nachdem die Studentin mehrfach hektisch versucht, den Schlüssel doch noch zu drehen, klingelt sie bei Nachbarn und telefoniert nach einem Schlüsseldienst. Der verspricht auch, rasch zu kommen und nennt seine Bedingungen: Expresszuschlag und Sofortkasse.
Eine Wahl hat die junge Frau nicht. Denn wie so oft in dringenden Fällen fehlt die Zeit, sich etwa mit dem Vermieter über die Ausführung einer Notreparatur zu verständigen oder Vergleichsangebote einzuholen.
Nach Feierabend oder an Wochenenden und Feiertagen ist beim Vermieter ohnehin in der Regel nur ein Anrufbeantworter erreichbar, der auf die Geschäftszeiten verweist.
… und eine Zwickmühle
Damit stecken Mieter in einer Zwickmühle: Einerseits haben sie das Recht (und auch die Pflicht), größere Schäden zu verhindern. Andererseits wollen sie natürlich nicht auf den Kosten sitzen bleiben. § 536 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gibt dem Mieter unter zwei Voraussetzungen das Recht zur Selbsthilfe beziehungsweise zur Beauftragung eines Fachmannes – ohne dass er die Aktion später etwa aus eigener Tasche zu zahlen hat:
– Der Vermieter ist mit der Beseitigung des Mangels im Verzug.
Dafür muss jedoch vor dem Notfall bereits ein Mangel angezeigt worden sein: „Und hier gilt der Grundsatz: Der Mangel muss schriftlich angezeigt, es muss eine Frist zu seiner Beseitigung gesetzt worden sein – und nicht zuletzt muss der Zugang der Mangelanzeige beim Vermieter oder der Hausverwaltung auch nachweisbar sein, zum Beispiel durch ein Einwurf-Einschreiben“, so Mietrechtsberaterin Stefanie Immelmann vom Berliner Mieterverein.
– Die umgehende Beseitigung des Mangels ist notwendig.
Das ist dann der Fall, wenn durch Nichtstun ein weiterer, womöglich viel größerer Schaden in der Wohnung oder dem ganzen Haus entstehen oder wenn sich die Situation sogar zu einer Gefahr für die Mieter zuspitzen kann.
Wie wichtig diese beiden Voraussetzungen sind, unterstreicht der Bundesgerichtshof (BGH) mit folgender Entscheidung: Beseitigt ein Mieter eigenmächtig einen Mangel an der Mietsache, ohne dass der Vermieter im Verzug ist, oder die umgehende Beseitigung des Mangels zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Mietsache notwendig ist, kann er keine Kostenübernahme vom Vermieter verlangen (BGH vom 16. Januar 2008 – VIII ZR 222/06). Aber in einem Gespräch vor Ort einigte sich Sabrina mit dem Vermieter, und beide trugen die Rechnung des Schlüsseldienstes zu gleichen Teilen. Die Summe war aber auch überschaubar.
Im Falle von Margret Sch. war der Schaden bedeutend größer. Hinzu kam: Die Alleinerziehende hatte die Havarie in ihrer Wohnung durch eigene Unachtsamkeit teilweise mit verschuldet. Ursache war eigentlich eine nicht rechtzeitig angekündigte Wassersperrung. Die junge Mutter erfuhr davon nichts und ärgerte sich am Morgen, weil die Dusche nicht funktionierte. Erst beim Aus-dem-Haus-Gehen sieht sie den Zettel mit der Ankündigung und überfliegt ihn kurz. Auf den Gedanken zurückzugehen und die Wasserhähne noch einmal zu überprüfen, kommt sie dabei nicht. So strömt aus der Brause einen Tag lang Wasser und steht am späten Nachmittag in der gesamten Wohnung. Es muss sofort abgepumpt und Trockner müssen aufgestellt werden. Margret Sch. zieht mit ihrem Kind erst einmal zu den Eltern und hat Angst, der Vermieter könnte ihr den Schaden in der Wohnung anlasten.
„Wenn die Gebäudeversicherung auf die Betriebskosten der Mieter umgelegt wird – was der Regelfall ist –, muss der Vermieter bei Schäden durch fest eingebaute Teile wie sanitäre Anlagen auf diese Versicherung zurückgreifen“, erklärt Rechtsberaterin Stefanie Immelmann. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes gilt das auch im Fall von Margret Sch.: Verursache ein Mieter nur leicht fahrlässig einen Leitungswasserschaden, so sei der Vermieter verpflichtet, seinen Gebäudeversicherer und nicht den Mieter für den Schadensausgleich in Anspruch zu nehmen (BGH vom 3. November 2004 – VIII ZR 28/04). Ein Mieter haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit (BGH vom 13. September 2006 – IV ZR 378/02), das heißt, wenn er „die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt“.
Den Schaden gut dokumentieren
Um nach einem Havariefall das Ausmaß von Schäden sowohl für den Vermieter, aber auch die Versicherung zu beweisen, rät die Juristin, alles so gut wie möglich zu dokumentieren, Fotos zu machen und – wenn möglich – Zeugen hinzuzuziehen: „Das können Nachbarn sein, Freunde, auch nahe Verwandte. Dagegen gelten Parteien, die ebenfalls im Mietvertrag stehen, nicht als Zeugen.“
Stefanie Immelmann: „Im Falle einer Notfallreparatur oder einer Ersatzvornahme rate ich übrigens dringend, nur lokale Mängel beheben zu lassen“, selbst wenn es immer wieder Rohrbrüche gibt, weil der Vermieter die Leitungen nicht instandsetzen lässt. Es muss dann zusammen mit Nachbarn oder auch juristischer Unterstützung nach Mitteln und Wegen gesucht werden, ihn zu einer umfassenden Instandsetzung zu bringen.
Bei Hildegard K. war es eine energische ehrenamtliche Helferin, die schließlich dafür sorgte, dass die 79-Jährige alle Hilfe bekam, die ihr zustand. Nach einer Verstopfung im Abwassersystem war bei der Seniorin die Toilette übergelaufen und hatte nicht nur das Bad, sondern auch Teppiche und Möbel in anderen Räumen beschädigt. Mit der Beseitigung der Verstopfung und einer notdürftigen Reinigung der Wohnung war für den Vermieter die Sache erledigt, so meinte er. Erst das von der Helferin eingeschaltete Gesundheitsamt machte ihm klar: So geht es nicht! Der Vermieter wurde zu einem Ortstermin bestellt.
„An Wänden, Fußböden und Mobiliar sind … Feuchteschäden erkennbar. Es wird vermutet, dass unter dem Teppichboden weitere Feuchteschäden und Fäkalienreste vorhanden sind. Da Fäkalschäden in der Regel nicht nur ein gesundheitliches Risiko bergen, sondern auch für die meisten Menschen ekelerregend sind, sind sie schnell, fachgerecht und rückstandsfrei zu beseitigen. … Des Weiteren muss … kurzfristig eine Ersatzwohnung gefunden werden“, lautet die deutliche Auflage des Gesundheitsamtes. Ohne Soforthilfe von Nachbarn und dem Einsatz der Ehrenamtlichen wäre die alte Frau verzweifelt.
Hilfe unter Nachbarn
„Auch das ist eine Regel für den Notfall: Helfen sie sich im Haus gegenseitig, gerade wenn es um Schutz von Betroffenen und die erste Schadensbeseitigung geht“, rät Stefanie Immelmann.
Ein Mieter hat das Recht auf Hilfen im Havariefall. Wenn ein Vermieter die verweigert oder er einfach nicht zu erreichen ist, darf er sie selbst organisieren. Das betrifft nicht nur die Beauftragung von Notfallfirmen, die erste Reparaturen ausführen. Stefanie Immelmann: „Wenn eine Wohnung beispielsweise durch einen totalen Heizungsausfall im Winter unbewohnbar wird, weil kein einziges Zimmer mehr beheizt werden kann, kann der Mieter auf Kosten des Vermieters sogar in ein Hotel ziehen.“ Auf jeden Fall dürfen – zumindest in einzelnen Zimmern – Radiatoren aufgestellt werden. Wie viele das sein können, hängt von den Gegebenheiten ab: Gibt es Pflegebedürftige? Leben Kleinkinder in der Wohnung? Wie weit fallen die Temperaturen in den Räumen? Für den zusätzlichen Stromverbrauch gilt: Die Rechnung zahlt der Vermieter.
„Ein Havariefall und Notsituationen sind immer mit Ärger, Hektik und auch Nervosität verbunden“, weiß die Mietrechtsberaterin des Mietervereins. „Und sie passieren meist in den ungünstigsten Momenten. Mein Rat ist dennoch: Versuchen Sie immer zuerst ihren Vermieter oder die Hausverwaltung zu erreichen, zu informieren und das weitere Vorgehen mit ihnen abzusprechen.
Rosemarie Mieder
Wenn´s schnell gehen muss – die Feuerwehr?
Notfallhandwerker, die bei einer Havarie nicht schnell genug vor Ort sein können, geben nicht selten den Tipp: Rufen Sie doch die Feuerwehr. Ist das korrekt? Rolf-Dieter Erbe von der Berliner Feuerwehr gibt Auskunft.
MieterMagazin: Soll man bei Havarien im Haus die Feuerwehr rufen?
Erbe: In wirklich brenzligen Situationen: ja. Aber: Sobald wir in private Bereiche gerufen werden, also etwa in Mietshäuser, ist das kostenersatzpflichtig. Das heißt, mit Ausnahme von Bränden kommt hinterher eine Rechnung zu demjenigen, der uns gerufen hat – ob es nun um einen umgestürzten Baum im Innenhof geht, den vollgelaufenen Keller oder um die aufgebrochene Wohnungseingangstür.
MieterMagazin: Wie hoch sind die Kosten?
Erbe: Ein Löschfahrzeug im Einsatz kommt in 45 Minuten auf etwa 435 Euro und ein Kranwagen kostet 11,60 Euro – je angefangener Minute. Wir schließen übrigens noch vor Ort einen schriftlichen Vertrag mit dem Auftraggeber. Ist das ein Mieter, muss er auch die Rechnung zahlen und kann erst hinterher versuchen, sie vom Vermieter erstattet zu bekommen.
MieterMagazin: Das heißt, jeder sollte genau überlegen, wann er in ihrer Einsatzzentrale anruft.
Erbe: Das rate ich ganz dringend. Denn wenn wir etwa kommen, um eine Wohnungstür zu öffnen, dann tun wir das mit unseren Mitteln. Das heißt, wir brechen auf und hinterher ist die Tür wahrscheinlich kaputt. Wir sind kein Schlüsseldienst und haben kein passendes Werkzeug.
MieterMagazin: Wie oft wird die Feuerwehr zu Bagatellfällen gerufen?
Erbe: Leider viel zu oft. Ich würde sogar sagen, nahezu die Hälfte aller Einsätze sind unnötiger Alarm. Da werden wir zu Schadensfällen gerufen, die von Notfall- und Spezialfirmen erledigt werden müssten. Oder wo die Bewohner auch selber tätig werden könnten. Wenn nur wenige Zentimeter Wasser in einem Keller stehen, raten wir: Nehmen Sie Eimer und Lappen und wischen sie das selber weg. Da können Pumpen gar nichts ausrichten. Solche Einsätze sind für die Betroffenen teuer, für uns ärgerlich und wenn viele Löschfahrzeuge gebraucht werden, kostet jede unnütze Fahrt wertvolle Zeit.
Interview: Rosemarie Mieder
Selbsthilfe bei Wasserschäden
– Schließen Sie Wasserhähne und -leitungen und prüfen Sie, wo das Wasser herkommt. Manchmal ist es erforderlich, auch den Haupthahn zu schließen.
– Beenden Sie die Stromzufuhr in den vom Wasser betroffenen Räumen, denn es besteht Lebensgefahr durch einen Stromschlag.
– Versuchen Sie, das Wasser aufzuwischen oder selbst zu beseitigen. Sind die Mengen dafür zu groß, rufen Sie eine Firma, die das Wasser abpumpt. Achtung: Nur in wirklichen Notfällen die Feuerwehr rufen!
– Sichern Sie Ihren Hausrat, indem sie ihn wenn möglich in trockenere Räume bringen.
– Dokumentieren Sie die Schäden. Machen Sie Fotos von beschädigten Gegenständen und auch von der Schadensursache. Holen Sie wenn möglich Zeugen aus dem Haus dazu.
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Tipps zur Vorsorge
– Wenn in Ihrem Haus keine Notrufnummern aushängen, besorgen Sie sich selbst welche – und geben sie diese auch an Nachbarn weiter. So können auch schon einmal Preise abgefragt und verglichen werden.
– Hinterlegen Sie wenn möglich einen Wohnungsschlüssel bei einer Person Ihres Vertrauens. Das sind im Idealfall Nachbarn, die immer erreichbar sind. Rechtstipp: Ihr Vermieter beziehungsweise die Hausverwaltung sind nicht berechtigt, einen „Notschlüssel“ von Ihnen einzubehalten.
– Prüfen Sie Ihren Versicherungsschutz. Hier einige Faustregeln:
Wurden Mobiliar oder Hausrat etwa durch einen Wasserschaden zerstört, greift die Hausratversicherung.
Wurde der Wasserschaden durch eine andere Person verursacht oder sind Sie für einen Schaden bei jemand anderem verantwortlich, übernimmt die Haftpflichtversicherung die Schadensabwicklung. Sind etwa durch Wasser Schäden am Gebäude entstanden, reguliert in der Regel die Wohngebäudeversicherung des Vermieters den Schaden.
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10.10.2024