Als volkseigene Wohnungen gebaut, im Kapitalismus verhökert – die einstigen DDR-Prestigebauten an der Karl-Marx-Allee und an der Weberwiese haben zum Teil schon mehrere Runden der Immobilienverwertung durchlaufen. Nun droht in der Siedlung an der Weberwiese der Verkauf der in Einzeleigentum umgewandelten Wohnungen, und damit die Verdrängung der Mieterschaft. Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg sucht nach Wegen, um dies zu verhindern.
Betroffen sind rund 500 Mietparteien des Wohnkomplexes Weberwiese. Hier, zwischen Straße der Pariser Kommune und Kadiner Straße, wurde zwischen 1950 und 1956 eine Wohnsiedlung im traditionellen Stil der Stalinallee gebaut. Da sie sich in der zweiten Reihe des sozialistischen Prachtboulevards befand, war die Architektur nicht ganz so opulent.
Nach der Wende waren die kommunalen Wohnungsunternehmen durch das Altschuldenhilfegesetz gezwungen, Teile der ehemals volkseigenen Wohnungsbestände zu privatisieren. Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (damals WBF, mittlerweile in der WBM aufgegangen) verkaufte daher 1993 den Großteil der Karl-Marx-Allee mit 2767 Wohnungen an die DePfa. Fünf Jahre später privatisierte sie noch einmal 500 Wohnungen an der Weberwiese. Das markante Hochhaus an der Weberwiese und einige angrenzende Blöcke mit rund 400 Wohnungen behielt sie in ihrem Bestand.
Pleitiers, Verwalter, Spekulanten
Nachdem die erste neue Eigentümerfirma schon nach kurzer Zeit pleite gegangen war, wurden die Wohnungen jahrelang von einem Insolvenzverwalter betreut. 2006 übernahm der dänische Investor Tækker die Siedlung. 2017 trat die jetzige Eigentümerin White Tulip GmbH, ein Teil der Investmentgesellschaft Round Capital Hill, auf den Plan. Sie erwarb die Anlage in Form eines Share Deals und umging so die Grunderwerbsteuer. Verwaltet werden sie von dem Unternehmen Residea.
Im Laufe der Jahre wurden bei etwa der Hälfte der Häuser die Fassaden denkmalgerecht saniert. Bäder und Elektrik sind aber teilweise noch im Ur-Zustand. Die Bewohnerschaft ist sehr gemischt. Während es noch manche Erstbewohner:innen gibt, werden seit einiger Zeit freigewordene Wohnungen möbliert nach dem Co-Living-Modell angeboten.
Tækker hat die Wohnanlage zwischen 2012 und 2015 grundbuchlich in Einzeleigentum umgewandelt. Das heißt, die Wohnungen können einzeln als Eigentumswohnungen verkauft werden. Bisher ist das offenbar nur in wenigen Fällen geschehen. Nun deutet sich aber an, dass zumindest 300 der 500 Wohnungen nach und nach auf den Markt geworfen werden sollen. Anfang März bot Residea auf Immobilienportalen 22 Wohnungen unter dem Projektnamen „54East“ zum Verkauf an. Die „Liebhaberstücke für Architekturkenner“ kosten zwischen 211.500 und 439.000 Euro – jeweils rund 6000 Euro pro Quadratmeter. „Meet the real Berlin – casual, authentic, wild, forbidden“ heißt es im Verkaufsprospekt („Treffen Sie auf das echte Berlin – lässig, authentisch, wild, verboten“). Beauftragte der Hausverwaltung suchen Mieter:innen auf, um ihnen Abfindungszahlungen bei Aufhebung ihres Mietvertrages anzubieten oder ihnen den Kauf ihrer Mietwohnung vorzuschlagen. Bei der Privatisierung im Jahr 1998 war den Mieter:innen im Fall eines Einzelverkaufs ein Vorkaufsrecht zugestanden worden. Viele, die vor 1998 eingezogen sind, haben zudem ein lebenslanges Wohnrecht. Für Mieter:innen, die schon vor der Eigentumsumwandlung – je nach Wohnblock 2012, 2013 oder 2015 – dort wohnten, gilt eine zehnjährige Kündigungssperrfrist ab dem Tag des ersten Verkaufs der Wohnung. Den später Eingezogenen bleibt nur die gesetzliche Kündigungsfrist, wodurch sie bei einem Verkauf deutlich stärker von einer Eigenbedarfskündigung bedroht sind.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat 2016 für das Gebiet eine Milieuschutzverordnung erlassen, um bei einem Verkauf das Vorkaufsrecht nutzen zu können und die Mieterschaft vor übermäßig teuren Modernisierungsmaßnahmen zu schützen. So konnte der Bezirk 2018 den drohenden Verkauf des Blocks D-Süd an der Karl-Marx-Allee 92-100 an den Wohnungskonzern Deutsche Wohnen verhindern. Die landeseigene WBM trat danach in den Kaufvertrag ein.
Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2021 kann das Vorkaufsrecht im Milieuschutz allerdings praktisch nicht mehr angewandt werden. Das Bezirksamt muss deshalb einen anderen Weg finden, um die Mieter:innen vor Verdrängung durch Eigenbedarfskündigung und Entmietung zu schützen. Gemeinsam mit der Mieterinitiative Weberwiese wurde dazu eine „Roadmap“ entwickelt und eine „Kommission Weberwiese“ eingerichtet. „Wir wollen klarmachen, dass der Fall Weberwiese eine exemplarische Chance bietet, die vom Land Berlin und der Immobilienwirtschaft verursachten Missstände auf dem Wohnungsmarkt konsequent zu beheben“, erklärt Bernd Lützeler von der Mieterinitiative Weberwiese.
Mit dem „gestreckten Erwerb“ zur Rekommunalisierung?
Vorbild könnte der „gestreckte Erwerb“ sein, mit dem vier weitere Blöcke der Karl-Marx-Allee (C-Nord, C-Süd, D-Nord und F-Nord) mit 820 Wohnungen im Jahr 2019 dem Zugriff der Deutschen Wohnen entzogen wurden. Weil diese Blöcke nicht unter Milieuschutz standen, hatte der Bezirk dort kein Vorkaufsrecht. Allerdings hatten die Mieter:innen wie an der Weberwiese ein individuelles Vorkaufsrecht. Dies nutzte rund die Hälfte der Mietparteien mit Hilfe des Landes Berlin, um die Wohnungen im gleichen Zuge an die landeseigene Gewobag zu übertragen. Daraufhin blies die Deutsche Wohnen das für sie unattraktiv gewordene Geschäft ab.
Diese Form der Rekommunalisierung lässt sich aber nicht eins zu eins auf die Weberwiese übertragen. Hier werden voraussichtlich nicht viele Wohnungen im Paket an einen großen Investor veräußert, sondern nach und nach einzeln verkauft. Hier müsste man bei jeder auf dem Markt angebotenen Wohnung einzeln intervenieren. „Wir wollen gemeinsam mit der Mieterschaft, mit der Landespolitik, Initiativen und Expert:innen sehen, was möglich ist“, sagt Florian Schmidt, grüner Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg.
Es wird höchste Zeit. Am Strausberger Platz 15-18 kann man sehen, wo es hinführt, wenn man Investoren freie Hand lässt. Eine Maklerfirma meldet stolz, dass schon 29 der 81 Wohnungen verkauft sind. Aktuell ist noch eine Zweizimmerwohnung für 495.000 Euro im Angebot.
Die Arbeiterpaläste, in denen heute noch Menschen wohnen, die selbst angepackt und sich als Aufbauhelfer:innen ein Anrecht auf eine Wohnung erarbeitet haben, werden von Immobilienhändlern ungeniert zu Geld gemacht. „Ein Teil der Gesellschaft verlangt hier von den anderen einen Tribut für das Recht, die Erde bewohnen zu dürfen“, schrieb Karl Marx, als hätte er vor 150 Jahren die Entwicklung der nach ihm benannten Allee geahnt.
Jens Sethmann
Strategien gegen die Zerstückelung
Die Situation an der Weberwiese ist für Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt „exemplarisch für die Probleme der Stadt“. In seinem Bezirk sind bereits 47 Prozent aller Wohngebäude in Einzeleigentum aufgeteilt worden. Betroffen sind etwa 73.000 Haushalte. Bei einem Großteil der Häuser sind die Wohnungen nach Aufteilung noch nicht verkauft. Die Mieter:innen haben beim erstmaligen Verkauf zwar ein Vorkaufsrecht, sind aber akut von der Verdrängung bedroht, weil sie nur in den allerseltensten Fällen dafür das nötige Geld zur Verfügung haben. Wenn sich die Mieterschaft eines Hauses zusammenschließt, könnten sich aber Möglichkeiten ergeben, die Wohnungen im Paket anzukaufen. So haben die Bewohner:innen der Samariterstraße 32 ihren Eigentümer auf diesem Weg dazu gebracht, das bereits aufgeteilte Haus nicht einzeln zu vermarkten, sondern als Ganzes an die Genossenschaft SelbstBau zu verkaufen.
js
Mieterinitiative Weberwiese:
https://weberwiese-initiative.com/
Mieterbeirat Karl-Marx-Allee:
www.mieterbeirat-kma.de/
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04.05.2023