Hand aufs Herz: Haben Sie sich den Mietvertrag von vorne bis hinten durchgelesen, bevor Sie ihn unterschrieben haben? Häufig hat man gar nicht die Zeit dazu, außerdem gehen viele Mieter davon aus, dass es einen Standard-Mietvertrag gibt und dass es auf das Kleingedruckte ohnehin nicht ankäme. Doch diese Annahme ist falsch.
Die Zahl der Mietvertragsformulare ist schier unübersehbar, heißt es beim Berliner Mieterverein (BMV). Circa 1000 verschiedene gedruckte Formulare gibt es, dazu einige Zehntausend auf den Computern von Hausverwaltungen und Anwaltsbüros entstandene „individuelle“ Formularverträge.
Weit verbreitet ist das Formular des Grundeigentum-Verlags. Es wird ständig aktualisiert und der neuesten Rechtsprechung angepasst. Wer im Schreibwarenladen nach einem Mustermietvertrag fragt, wird wiederum fast immer einen des RNK-Verlages erhalten. Immer mehr Hausverwaltungen benutzen aber ihre eigenen Verträge, meist aus verschiedenen Quellen zusammengeschrieben – und nicht immer von einem Juristen geprüft. Für den Mieter kann das sogar ein Glücksfall sein, wie Rechtsanwalt Daniel Friedrichs erklärt.
Überspitzt könne man sagen: „Je ausgefallener, desto besser für den Mieter, weil dann einzelne Klauseln unwirksam sein können.“ Wenn der Vermieter nämlich etwas in den Vertrag hineinschreibt, was den Mieter unangemessen benachteiligt, dann riskiert er die Ungültigkeit seiner Vereinbarung, wenn sie gegen Treu und Glauben verstößt, im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung steht oder den Vertragszweck gefährdet. Unwirksam sind in Formularen auch überraschende und intransparente, also schwer verständliche Vereinbarungen. An ihre Stelle tritt die – meist mieterfreundlichere – gesetzliche Regelung.
Bekanntestes Beispiel für häufig unwirksame Vertragsformulierungen sind die Schönheitsreparaturen. Weil der Bundesgerichtshof (BGH) starre Renovierungsfristen für unzulässig erklärt hat, gilt in solchen Fällen die gesetzliche Vorgabe, wonach der Vermieter für die Schönheitsreparaturen verantwortlich ist. Auch ein zeitweiliger Kündigungsausschluss nur für den Mieter ohne Gegenleistung des Vermieters benachteiligt den Mieter in unangemessener Weise. „Lässt sich der Vermieter im Vertrag zu viel versprechen, bekommt er also gar nichts“, fasst Friedrichs zusammen. Gleichzeitig lasse ein ausgefallenes Vertragswerk auch ein anstrengendes Mietverhältnis erwarten, weiß der Anwalt aus Erfahrung.
Ein einziges Wort kann entscheidend sein
Festzuhalten bleibt: Während man bei den Formularverträgen des Grundeigentum-Verlags davon ausgehen kann, dass sie auf dem neuesten Stand und damit rechtssicher sind, ist das bei diversen Vorlagen aus dem Internet oder auch aus dem Schreibwarenladen nicht immer der Fall. Hier sind häufig veraltete Regelungen enthalten. Ob eine Klausel gültig ist oder nicht, hängt mitunter von einem Wort, etwa dem Zusatz „im Allgemeinen“ ab. Ein Laie kann das unmöglich beurteilen.
„Am besten ist natürlich, man unterschreibt nicht sofort, sondern lässt den Vertrag vorher juristisch überprüfen“, erklärt Rechtsexperte Frank Maciejewski vom Berliner Mieterverein. Wer beispielsweise ein Haustier mit in die neue Wohnung bringen will, sollte prüfen lassen, ob das Verbot der Tierhaltung wirksam vereinbart wurde. Doch wer will schon den Vermieter gleich zu Anfang dadurch verärgern, dass er den Mietvertrag misstrauisch studiert? Je teurer die Wohnung, desto eher wird es aber möglich sein, dass man den Vertrag mit nach Hause nehmen und in Ruhe prüfen kann.
Gibt es dagegen viele Interessenten, bringt einen die zeitaufwändige Überprüfung in die Bredouille. Zumindest sollte man unter allen Umständen das Vertragsformular von vorne bis hinten durchlesen und verstehen, rät Friedrichs: „Dabei sollte man im Zweifelsfall davon ausgehen, dass sämtliche Regelungen wirksam sind.“
Komplizierter wird das Ganze dadurch, dass individuellen Vereinbarungen fast keine Grenzen gesetzt sind. Man kann beispielsweise vertraglich festhalten, dass der Mieter einmal pro Woche das Auto des Vermieters waschen muss. Als vorformulierte Vertragsbedingung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wäre das nicht zulässig, als eine zwischen den Parteien ausgehandelte Regelung dagegen sehr wohl.
„Sofern eine Individualvereinbarung nicht sittenwidrig ist oder gegen das Gesetz verstößt, ist sie bindend“, erklärt Maciejewski. Stärker als auf die Formularklauseln sollte man daher sein Augenmerk auf Sondervereinbarungen richten, empfiehlt Rechtsanwalt Falko Kalisch. Zwar hat man als Bewerber in der Regel keine Wahl – entweder man unterschreibt oder man bekommt die Wohnung eben nicht. „Aber Individualvereinbarungen können für den Mieter sehr unangenehm sein, da sollte man sich schon überlegen, ob man die Wohnung wirklich anmieten will“, meint der Anwalt. Zu prüfen ist allerdings, ob es sich überhaupt um eine Individualvereinbarung handelt. Die Abgrenzung ist schwierig. „Früher waren das hauptsächlich handschriftlich eingefügte Passagen, heute ist das kein hinreichendes Indiz mehr“, erklärt er.
Bis an die Grenze – oder darüber hinaus
In der Regel gibt der Vermieter das Vertragsformular vor, Mieter haben nur selten ein Mitspracherecht, welcher Vordruck verwendet wird. Doch wo sind die Unterschiede? Vereinfacht gesagt sind die Formularverträge der Hausbesitzerverbände vermieterfreundlicher. Sie sind dicht bis an die erlaubte Grenze mieterfeindlich gestaltet – oder gehen sogar noch darüber hinaus. Bestes Beispiel: die Kleinreparaturklausel, durch die der Mieter bis zu einer bestimmten Höhe an notwendigen Reparaturen beteiligt wird. Während die bisherige Rechtsprechung eine Begrenzung auf 80 Euro vorsieht, steht im Vertrag des Grundeigentum-Verlags ein Limit von 120 Euro. Ob dies zulässig ist, bleibt abzuwarten – noch existiert dazu keine Rechtsprechung. Auch die Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf den Mieter ist in dieser Vertragsausfertigung „wasserdicht“ vereinbart.
Wer das seltene Glück hat, selber ein Vertragsformular vorschlagen zu dürfen, sollte unbedingt auf die Vorlage des Deutschen Mieterbundes (DMB) zurückgreifen. Dieser Vertrag enthält auf acht Seiten detaillierte Regelungen, etwa zur Raumtemperatur, zur Frage von Einbauten oder zur Auskunftspflicht des Vermieters. Beide Parteien können außerdem durch Ankreuzen den Ausschluss von Eigenbedarfskündigungen oder den Verzicht auf Mieterhöhungen für eine bestimmte Zeit vereinbaren. Nach Angaben des DMB genießt das Formular auch bei Vermietern eine große Akzeptanz: „Häufig sind es Einzeleigentümer, die vielleicht selber Mieter sind, und die Streit von vornherein vermeiden wollen“, so Ulrich Ropertz, Pressesprecher des DMB.
Birgit Leiß
MieterMagazin 6/11
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Es geht auch mündlich
Sie sind in eine Wohnung eingezogen, doch der Mietvertrag, den man Ihnen zuschicken wollte, lässt auf sich warten? Dann sollten Sie keinesfalls bei der Hausverwaltung nachhaken. Mündliche Mietverträge sind nämlich auch gültig – und für den Mieter sogar günstiger, weil dann automatisch die günstigeren Bestimmungen des BGB gelten. Schönheitsreparaturen muss der Mieter dann beispielsweise nicht übernehmen.
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Der Mietvertrag des DMB kann kostenlos heruntergeladen werden unter
www.mieterbund.de
Rat und Tat
AGB oder Individualvereinbarung?
Zum Schutz des Verbrauchers – also auch des Mieters – gibt es in den Paragraphen 305 bis 310 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einige Regelungen zur Gestaltung rechtsgeschäftlicher Schuldverhältnisse durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (ABG). Für den Mieter bedeutet das: Wenn der Vermieter etwas in den Vertrag hineinschreibt, was gegen Treu und Glauben verstößt, also besonders ungerecht ist, oder anderweitig gegen die Paragraphen 305 ff. BGB verstößt, dann ist diese Regelung ungültig, auch wenn der Mieter sie unterschrieben hat. Voraussetzung ist jedoch, dass es sich tatsächlich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt und nicht um eine zwischen Mieter und Vermieter ausgehandelte Individualvereinbarung. AGB sind im Mietrecht alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Ob der Vermieter ein gedrucktes Mietvertragsformular benutzt oder es mit der Schreibmaschine oder per Hand schreibt, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist, dass der Vermieter den gleichen Text mehrfach verwendet. Nach heutiger Rechtsprechung versteht man darunter mindestens drei bis fünf Fälle. Handelt es sich um einen gewerblichen Vermieter, also etwa eine Wohnungsbaugesellschaft, eine Genossenschaft oder ein Immobilienunternehmen, muss nicht einmal das gegeben sein, es reicht die einmalige Verwendung.
Allerdings: Die Beweislast dafür, dass ein Einzelvertrag vorformuliert war und dass der Verbraucher keinen Einfluss auf den Inhalt nehmen konnte, trägt grundsätzlich der Verbraucher, also in unserem Fall der Mieter.
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alle Illustrationen: Julia Gandras
29.03.2022