Neben Eigenbedarf haben Vermieter im Grunde nur eine Möglichkeit, einen vertragstreuen Mieter loszuwerden: eine Kündigung wegen mangelnder wirtschaftlicher Verwertung. Doch mit diesem Instrument kommen Vermieter nur in seltenen Fällen zum Ziel.
Nach dem Gesetz kann ein Vermieter kündigen, wenn ihn das Mietverhältnis an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks hindert und er dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Spekulation darf mit der Kündigung nicht verfolgt werden, heißt es explizit. 2009 folgte dann der Dammbruch durch ein Aufsehen erregendes Urteil des Bundesgerichtshofs. Der neue Eigentümer eines stark sanierungsbedürftigen Hauses wollte abreißen und stattdessen einen Neubau mit Eigentumswohnungen errichten. Den Mietern kündigte er mit der Begründung, eine Fortsetzung der Mietverhältnisse würde ihn an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung hindern. Bei Umsetzung der Abriss- und Neubaupläne könne er eine Rendite von 16 Prozent erzielen, während er sich bei einer Sanierung mit 2,5 Prozent begnügen müsse. Gleichzeitig legte er ein Gutachten vor, wonach eine Sanierung teurer käme als der Neubau – ohne dass die Restlebensdauer des Hauses nennenswert verlängert und ohne dass dadurch ein zeitgemäßer Zustand der Wohnungen erreicht worden wäre. Diese Argumente überzeugten das Gericht, die Kündigung sei zulässig (BGH vom 28. Januar 2009 – VIII ZR 8/08). Der beabsichtigte Abriss sei wirtschaftlich vernünftig. Der Deutsche Mieterbund kritisierte das Urteil scharf: „Erstmals werden die Renditeerwartungen eines Finanzinvestors höher bewertet als die Bestands- und Wohninteressen der Mieter“, so der Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB), Lukas Siebenkotten.
Die Fallzahlen gehen zurück
In den Folgejahren wurde von der Verwertungskündigung immer häufiger Gebrauch gemacht, zumal zwei Jahre später ein ähnlicher Paukenschlag folgte. Hier ging es um eine in den 1930er Jahren als „Behelfsheim“ erbaute Siedlung in Hamburg. Der Eigentümer wollte den Wohnblock abreißen und an seiner Stelle Neubauwohnungen errichten. Auch hier bestätigte der BGH, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses vorliegt (BGH vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10). Das Gericht begründete dies vor allem mit der schlechten Bausubstanz des Wohnblocks. Mit seinen kleinen, gefangenen Räumen und der schlechten Belichtung entspreche er zudem nicht den heutigen Wohnvorstellungen.
„Kein Freifahrtschein für den Abrissbagger, aber dennoch ein bedenkliches Urteil“, kommentierte der Berliner Mieterverein die Entscheidung, zumal das Gericht klarstellte, dass zur Begründung einer Verwertungskündigung keine Wirtschaftlichkeitsberechnung vorgelegt werden muss.
Noch ein Jahr zuvor hatte das Landgericht Berlin das anders gesehen. Ein Vermieter, der das Wohngebäude aufgrund von Schäden der Bausubstanz abreißen lassen will, müsse als Begründung in seinem Kündigungsschreiben eine vergleichende Ertragsberechnung anstellen, die die Sanierungs-, Abriss- und Neubaukosten sowie die Erträge vor und nach der geplanten Baumaßnahme einander gegenüberstellen muss, heißt es dort (LG Berlin vom 8. Januar 2010 – 63 S 297/09, MM 2010, 145).
„Bei dem Hamburger Behelfsheim handele es sich um einen extrem seltenen Fall“, sagt Stefan Schetschorke, Leiter der Rechtsabteilung des BMV. Es gebe Nachfolgeentscheidungen, die das relativiert haben. Insgesamt, so Schetschorke habe sich der Run gelegt: „Wir haben vor ein paar Jahren wesentlich mehr Verwertungskündigungen auf den Tisch bekommen.“ Leider gebe es mittlerweile eine bessere Methode, die Mieter loszuwerden: die klassische Hinausmodernisierung.
Birgit Leiß
Der Fall Winterfeldtstraße 35
Das hatte sich der neue Eigentümer einfacher vorgestellt: Schon kurz nach dem Kauf des Altbaus in der Schöneberger Winterfeldtstraße kündigte er den Mietern. Begründung: Die niedrigen Mieteinnahmen deckten nicht die Finanzierungskosten des Erwerbs. Nur durch den Verkauf der luxussanierten Wohnungen könne er die anvisierte Rendite von 6 Prozent erzielen. Der Eigentümeranwalt stützte sich ausdrücklich auf das erwähnte BGH-Urteil aus dem Jahre 2009. Nach Jahren des Bangens können die Mieter nun aufatmen. Sämtliche Klagen wurden rechtskräftig zurückgewiesen. Die vorgebrachten Gründe lassen auf ein Spekulationsgeschäft schließen, so das Landgericht (LG Berlin vom 15. Dezember 2015 – 63 S 148/15). Der Eigentümer habe beim Erwerb schließlich gewusst, auf was er sich einlasse. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Dagegen legte die „Euroboden Winterfeldtstraße GmbH“ Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein. Diese wurde am 28. März 2017 abgelehnt.
bl
03.01.2018