Hohes Alter und ein schlechter Gesundheitszustand sind für das oberste deutsche Gericht nicht automatisch Härtefallgründe bei einer Eigenbedarfskündigung. Vielmehr müssen die Gerichte künftig zur Prüfung des Einzelfalls Sachverständigengutachten einholen.
Es waren zwei Eigenbedarfskündigungen mit unterschiedlichem Ausgang, die der Bundesgerichtshof an die Landgerichte zurückgewiesen hat (BHG vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17). Im Berliner Fall ging es um eine 80-Jährige, die mit ihren beiden Söhnen in einer Dreizimmerwohnung lebt – und das bereits seit 1974. Der Eigentümer, der die Wohnung 2015 erworben hat, gibt an, mit seiner Frau und ihren beiden Kindern selbst dort wohnen zu wollen. Bei dem anderen Fall wurde Mietern einer Doppelhaushälfte bei Halle gekündigt, angeblich weil die Ex-Frau des Eigentümers einziehen möchte, um ihre in der Nähe lebende betagte Großmutter zu pflegen.
Beide Mietparteien belegten durch ärztliche Atteste, dass ein Umzug ihren Gesundheitszustand erheblich verschlechtern würde. Das Berliner Landgericht hielt die Härtegründe für stichhaltig und wies die Räumungsklage zurück (LG Berlin vom 9. Mai 2018 – 64 S 176/17). Die Richter in Halle dagegen haben der Räumungsklage stattgegeben (LG Halle vom 5. Juli 2017 – 1 S 245/16).
Der BGH hob nun beide Urteile auf und mahnte eine besonders sorgfältige Aufklärung des Sachverhalts bei der Härtefallklausel mittels eines amtlichen Sachverständigengutachtens an.
Beim Berliner Mieterverein (BMV) stößt das Urteil auf Unverständnis. Die Berliner Mieterin konnte sich auf vier Härtegründe berufen: hohes Alter, Demenzerkrankung, lange Mietdauer und fehlender Ersatzwohnraum, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild: „Was muss denn noch vorliegen, damit die Härtegründe schwerer wiegen als das Erlangungsinteresse des Vermieters?“ Der BMV fordert deshalb eine generelle Regelung, dass Mieter, die das 70. Lebensjahr vollendet haben, schwer erkrankt sind oder die mehr als 20 Jahre in einer Wohnung leben, nicht wegen Eigenbedarfs gekündigt werden können.
Birgit Leiß
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28.03.2022