In Berlin fehlt es an Wohnraum, gleichzeitig stehen überall in der Stadt Wohnungen leer, zum Teil seit vielen Jahren. Warum gelingt es nicht, die Eigentümer in die Pflicht nehmen? Sind die Bezirke zu nachlässig?
Dass man es mit einem berlinweiten Problem zu tun hat, macht das neue Leerstands-Register des Berliner Mietervereins (BMV) deutlich. Seit einiger Zeit ruft der BMV seine Mitglieder auf, Wohnungen zu melden, die seit mindestens drei Monaten leerstehen. Das Ergebnis: Bislang wurden mehr als 860 Wohnungen gemeldet. Das dürfte allerdings nur die Spitze des Eisbergs sein.
„Betroffen sind nahezu alle Bezirke, nicht nur die begehrten Innenstadtbezirke“, erklärt Sebastian Bartels von der BMV-Geschäftsführung. Allerdings entfallen mehr als die Hälfte der Fälle auf die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte, das heißt auf diejenigen Innenstadtbezirke, die hohe Umwandlungsquoten und rasante Mietsteigerungen verzeichnen. Am wenigsten betroffen sind Spandau und Marzahn-Hellersdorf, letzteres überrascht deswegen nicht so sehr, weil große Bestände dort in den Händen kommunaler Unternehmen sind.
Überraschendes hat dagegen die Auswertung der Eigentümerstruktur ergeben. Die Zahl der Einzeleigentümer, die Wohnungen und Häuser leer stehen lassen, scheint deutlich zu überwiegen. Unter den 105 Gesamtmeldungen wurden nur 35 gewerbliche Vermieter gezählt. Dazu Bartels: „Hier schlagen auch die Geisterhäuser zu Buche, die ausnahmslos Privateigentümern gehören.“
Letztlich geht es ums Geld
Die Gründe dafür, Wohnraum leerstehen zu lassen statt Mieteinnahmen zu kassieren, sind sicherlich vielschichtig. Doch häufig geht es für den Eigentümer schlicht darum, ohne störende Mieter freie Bahn zu haben, was immer er auch beabsichtigt. „Der spekulative Leerstand hat viele Gesichter, letztendlich geht es aber immer darum, wie man am meisten herausschlagen kann“, meint Michael Nelken, wohnungspolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus. Es gibt Hauseigentümer, die entmieten ihre Häuser, weil sie abreißen und durch einen lukrativen Neubau ersetzen wollen. Andere wollen luxussanieren und die Wohnungen in Eigentum umwandeln. Oft, so Nelken, ziehen sich diese Prozesse über Jahre hin, die Häuser werden schrittweise geleert.
Leerstand, Abriss und Neubau oder gewinnbringende Weiterveräußerung seien finanziell oftmals lukrativer als die Einkünfte aus einer stabilen Vermietung, heißt es bei der Stadtbodenstiftung, die kürzlich mit der Veranstaltungsreihe „Gemeingut statt Leerstand“ auf den Missstand aufmerksam gemacht hat. Besucht wurden zwölf Standorte in mehreren Bezirken, darunter auch die sogenannte Papageienplatte in der Habersaathstraße 40-48 in Mitte. Die fünf Wohnhäuser stehen, wie schon mehrfach im MieterMagazin berichtet, inzwischen fast komplett leer, weil der Eigentümer das einstige Schwesternwohnheim der Charité mit preisgünstigen Wohnungen abreißen will. Ebenfalls mit dabei auf der Tour: die Raumerstraße 33 in Prenzlauer Berg, wo 24 der 27 Mietwohnungen leerstehen sollen – und das seit vielen Jahren. Die Einsetzung eines Treuhänders, so hatte das Bezirksamt Pankow noch 2020 erklärt, sei derzeit nicht möglich, weil der Eigentümer gegen den Bescheid der Rückführungsaufforderung – sprich der Wiedervermietung – Widerspruch eingelegt hat. Damit seien die Verfahrensschritte vor Einführung eines Treuhänders noch nicht erfüllt. Die Stadtbodenstiftung, eine Initiative aus der Zivilgesellschaft, fordert, städtischen Boden vom Markt zu nehmen, treuhänderisch zu verwalten und für bezahlbaren Wohnraum und nachbarschaftliche Nutzungen dauerhaft zu sichern.
Aufwand und Risiko sind für die Verwaltung groß
Nach Überzeugung von Michael Nelken sind die vorhandenen Instrumente zur Bekämpfung des spekulativen Leerstands ausreichend: „Doch die für den Vollzug zuständigen Bezirksämter zeigen oft wenig Konsequenz und scheuen den personellen Verwaltungsaufwand und die finanziellen Risiken eines restriktiveren Vorgehens.“
„Wir stehen vor Gericht, daher ist eine Leerstandsbekämpfung nicht möglich“, heißt es allzuoft bei den Bezirken. Dahinter steht ein Pingpong-Spiel zwischen Verwaltung und Eigentümer, das den Bürgern im Grunde nicht zu vermitteln sei, wie Eckhard Sagitza, Leiter des Wohnungsamts in Friedrichshain-Kreuzberg, einräumt. Die Eigentümer kämpfen mit allen Bandagen, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Da werden Gutachten nachgeschoben, Fristverlängerungen beantragt, fingierte Mietverträge vorgelegt und gegen sämtliche Bescheide Widerspruch eingelegt. „Die Eigentümer sind gut aufgestellt, die arbeiten mit Rechtsanwaltskanzleien, die auf diesen Bereich spezialisiert sind“, sagt Ramona Reiser (Linke), die als Stadträtin in Mitte zuständig ist für die Zweckentfremdung – und nicht gerade als Hardlinerin in Sachen Leerstandsbekämpfung gilt.
Solange das Verfahren läuft, können keine Maßnahmen zur Wiedervermietung der Wohnungen eingeleitet werden. Bestes Beispiel: die Schwedter Straße 247-248, Ecke Kastanienallee 67-69, wo 36 Wohnungen leer stehen. Der Eigentümer wollte den Gebäudekomplex ursprünglich abreißen, doch die bereits erteilte Genehmigung wurde vom Bezirksamt Mitte widerrufen. Dagegen hat der Eigentümer Widerspruch eingelegt.
Selbst vergleichsweise engagierte Bezirke schaffen es nicht, das Problem in den Griff zu bekommen. So hat die berüchtigte Unternehmensgruppe Padovicz in Friedrichshain, aber auch im Nachbarbezirk Treptow-Köpenick mehrere Häuser abgewirtschaftet und weitgehend entmietet, so das Gebäude Krüllsstraße 12.
Karin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen, spricht von einem Vollzugsdefizit – und das nicht nur, weil die Kontrolle personalintensiv für die Ämter sei. Sie sagt: „Es gibt immer noch zu viele Umgehungsmöglichkeiten.“ Beispielsweise lassen sich nicht alle Bezirksämter die genauen Baupläne zeigen. Häufig genügt der vage Hinweis auf eine geplante Sanierung. Die Grünen fordern seit langem ein Miet- und Wohnkataster, mit dem der Leerstand digital erfasst und so besser kontrollierbar sein würde. Der Berliner Mieterverein unterstützt diese Forderung. Zudem, so Schmidberger, sollten die Personalstellen, die seit dem Wegfall des Mietendeckels zur Verfügung stehen, zumindest teilweise zur Verstärkung in die Bezirke geschickt werden.
Vor allem aber müssen die Bezirke endlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die dringend benötigten Wohnungen wieder dem Markt zuzuführen. Bei den Bürgerinnen und Bürgern sorgen Fälle wie die Habersaathstraße oder auch die vielen komplett leerstehenden Geisterhäuser zunehmend für Unmut. Allein in Mitte wurden seit der Einführung des Zweckentfremdungsverbotgesetzes im Jahre 2014 fast 7000 Leerstände gemeldet – von Mieterinnen und Mietern.
Birgit Leiß
Der lange Weg zur Wiedervermietung
Die Bezirksämter erfahren in den meisten Fällen durch Meldungen von Mietern aus der Nachbarschaft vom Leerstand. Weil diese jedoch keine Verfahrensbeteiligte im Sinne des Gesetzes sind, werden sie nicht darüber informiert, was aus ihrer Meldung geworden ist. „Wir gehen allen Hinweisen nach und schreiben den Eigentümer zunächst an“, erklärt Mittes Stadträtin Ramona Reiser (Linke) das Prozedere. Der Eigentümer muss sich innerhalb von drei bis vier Wochen äußern.
Doch die Tücken stecken im Detail, wie es auch in Friedrichshain-Kreuzberg heißt. Das fängt damit an, dass die Ämter mit Gutachten regelrecht zugeschüttet werden. „Wenn mir beispielsweise, wie in der Hasenheide 47, ein Holzschutzgutachten zum Schwammbefall vorgelegt wird, muss ich das erst einmal glauben“, sagt der Leiter des Wohnungsamtes, Eckhard Sagitza. In diesem Fall hat es der Eigentümer geschafft, den einst prächtigen Altbau fast mieterfrei zu bekommen.
Wird eine Wiedervermietung angeordnet, muss der Vermieter beweisen, dass er dem nachkommt, indem er Mietverträge vorlegt. In Friedrichshain-Kreuzberg wird bei Unstimmigkeiten auch schon mal das Melderegister zu Rate gezogen. Zusätzlich gehen die Mitarbeiter vor Ort und schauen sich die Namen auf den Klingelschildern an.
Fast alle Eigentümer klagen auf einstweiligen Rechtsschutz. Bis das Gericht darüber entschieden hat, geht viel Zeit ins Land – und der Zustand der unbewohnten Wohnung wird dadurch nicht besser. Theoretisch, so Sagitza, könnte das ganze Verfahren innerhalb von vier bis fünf Monaten abgewickelt werden. In der Praxis dauert es oft bis zu zwei Jahre.
bl
BMV-Infoblatt Nr. 115 zum Thema Zweckentfremdung mit Meldeformular:
www.berliner-mieterverein.de/recht/infoblaetter/info-115-zweckentfremdung-von-wohnraum-zweckentfremdungsverbot-gesetz.htm
Webtipp: Mieterverein erfasst Leerstände
Meldeformular des Senats: www.berlin.de/zweckentfremdung
16.10.2021