Der Wohnungsmarkt wird enger und der Aufwertungsdruck auf die innerstädtischen Altbaugebiete größer. Der Milieuschutz ist ein Instrument, mit dem der Anstieg des Mietniveaus in besonders gefährdeten Stadtteilen gebremst werden kann. Doch er wird in Berlin nur von drei Bezirken angewandt. Zudem ließ der Senat die Möglichkeit, in Milieuschutzgebieten die Umwandlung in Eigentumswohnungen zu unterbinden, bisher ungenutzt.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg diskutiert darüber, ob in den aufgehobenen Sanierungsgebieten mit einer Milieuschutzverordnung dem Trend zur Luxusmodernisierung entgegengewirkt werden soll. In Sozialstudien hat die Mieterberatungsgesellschaft ASUM für alle drei ehemaligen Friedrichshainer Sanierungsgebiete empfohlen, die Notwendigkeit eines Milieuschutzes zu prüfen. „Im Zuge der verstärkten Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen gibt es eine wachsende Tendenz, die Wohnungen weiter aufzuwerten, um sie besser und teurer verkaufen zu können“, erklärt Werner Oehlert von ASUM. Auch in Pankow steht das Thema nach der Aufhebung von bisher fünf Sanierungsgebieten auf der Tagesordnung. „Aus fachlicher Sicht halte ich es für erforderlich, über einen Milieuschutz für die aufgehobenen Sanierungsgebiete zu diskutieren“, sagt Christoph Speckmann vom Pankower Stadtentwicklungsamt.
Aufwertungen, die über den zeitgemäßen Ausstattungszustand und über den üblichen Standard hinausgehen, kann man in Milieuschutzgebieten verhindern. Der Milieuschutz ist eine städtebauliche Satzung zum „Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ – so heißt es im Baugesetzbuch. Wo eine Milieuschutzverordnung gilt, müssen sich Eigentümer Umbauten, Modernisierungen, Nutzungsänderungen und Abrisse vom Bezirk genehmigen lassen. Wenn durch eine Baumaßnahme die vorhandene Bevölkerungsstruktur gefährdet wird, kann die Genehmigung versagt werden. Der Milieuschutz ist kein Schutzinstrument für den einzelnen Mieter, sondern für die Gesamtheit der Bewohner.
Durch die Baurechtsänderung von 1998 ist der Milieuschutz aber deutlich geschwächt worden. Seither müssen Modernisierungen immer ohne Auflagen genehmigt werden, wenn damit der „zeitgemäße Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung“ hergestellt wird.
Was man darunter zu verstehen hat, ist strittig. Es soll die bundesweite Durchschnittsausstattung zugrunde gelegt werden, doch es gibt keine Statistiken über die Häufigkeit von Aufzügen und Gäste-WCs oder über die Größe von Balkonen. Die Berliner Bezirke nutzen deshalb den Mietspiegel als Maßstab. „Wir haben unsere Milieuschutzkriterien so restriktiv zusammengestellt, dass nur die Standardausstattung nach Mietpreisspiegel auflagenfrei genehmigt wird“, erklärt Franz Schulz, Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. Wohnwerterhöhende Merkmale und Sondermerkmale werden ausgeschlossen.
Das dicke Ende kommt später
Bei einem Fall in Pankow sorgte das für Irritationen. Die Wohnungsbaugenossenschaft DPF wollte im Sommer 2010 bei drei Gebäuden in der Görsch- und Gaillardstraße insgesamt 99 größere Balkone anbauen. Die vorhandenen Balkone der 50er-Jahre-Bauten sind teilweise nur 2,5 Quadratmeter groß. Die neuen beabsichtigte man auf eine Fläche von neun Quadratmetern zu vergrößern und zu verglasen. Für die Bestandsmieter sollte die Miete durch den Balkonanbau nicht steigen, für diejenigen, die zuvor noch keinen Balkon hatten, um 50 Euro angehoben werden. Der Bezirk genehmigte den Balkonanbau jedoch nicht, er wollte im Milieuschutzgebiet nur Balkone bis zu fünf Quadratmeter zulassen.
„Von den Mietern wurde uns teilweise Unverständnis entgegengebracht“, berichtet Evelyn Grabowski vom Stadtentwicklungsamt. Die Presse stellte den Milieuschutz als sinnlose Bürokraten-Ausgeburt dar. Weil der Vermieter auf Mieterhöhungen verzichtet, bestehe gar keine Gefahr, vor der die Mieter geschützt werden müssten. Die Genossenschaft wollte deshalb die Genehmigung vor Gericht erstreiten. Inzwischen zeichnet sich aber eine außergerichtliche Einigung ab.
Grund für die Ablehnung des Bezirks: Bei einer Mieterhöhung nach dem Mietspiegel führt ein großer Balkon zur Vergrößerung der Wohnfläche und gilt als wohnwerterhöhendes Merkmal, das zu einer erheblich höheren Miete führen kann. Um also auf lange Sicht das Mietniveau des Gebietes in einem bezahlbaren Rahmen zu halten, müssen mietpreistreibende Modernisierungen abgelehnt werden, auch wenn die Mietsteigerung erst später eintritt.
Deshalb lehnen die Bezirke auch wandhängende WCs und als Handtuchhalter dienende Strukturheizkörper ab. Diese Ausstattungen wirken sich in der Modernisierungsumlage nur minimal aus, weil sie kaum teurer sind als bodenstehende Toilettenbecken und herkömmliche Heizkörper.
Milieuschutz hat auch Grenzen
„Eine schematische Übernahme der Kriterien aus dem Mietspiegel ist nicht sachgerecht“, sagt dazu Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV). Nach seiner Ansicht sollte man für den Milieuschutz einen eigenen Katalog der genehmigungsfähigen Maßnahmen aufstellen.
Der Milieuschutz ist kein Allheilmittel gegen Mietsteigerungen. Wenn in einem unsanierten Haus eine Zentralheizung und Bäder eingebaut sowie die Außenwände, Kellerdecken und Dächer gedämmt werden, greift er nicht, obwohl sich schon dadurch die Miete nicht selten verdoppelt. Der Bezirk muss solche Standards genehmigen – und der Mieter zahlen. Mietobergrenzen dürfen die Bezirke nach einem Urteil des OVG Berlin von 2004 nicht mehr verhängen.
In Milieuschutzgebieten kann allerdings die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für fünf Jahre untersagt werden, doch hat der Senat im Mai abgelehnt, eine entsprechende Verordnung zu erlassen – obwohl man sich aus Hamburg von durchweg guten Erfahrungen mit einem solchen Umwandlungsverbot berichten ließ. BMV-Geschäftsführer Reiner Wild: „Das wäre auch in Berlin ein wirksames und daher wünschenswertes Instrument.“
Jens Sethmann
Wenn Sie wissen möchten, ob ein Gebäude innerhalb eines Milieuschutzgebietes liegt, können Sie auf der Internetseite des Berliner Mieterverein unter Weitere Informationen zum Thema: Straßenliste Milieuschutzgebiete in Berlin [PDF, 31 Seiten] nachschauen.
Der Berliner Mieterverein hat dort alle betroffenen Straßen und Hausnummern aufgelistet.
MieterMagazin 11/11
Bei mancher Modernisierung steckt der Teufel im Detail
Foto: Christian Muhrbeck
Manche Behördenentscheidung ist für Mieter schwer nachvollziehbar: Umstrittene Balkonvergrößerung in der Gaillardstraße
Foto: Sabine Münch
Statistiken über die Häufigkeit bestimmter Ausstattungsmerkmale – etwa Aufzüge – von Gebäuden gibt es nicht
Foto: Christian Muhrbeck
Zum Thema
Vorreiter Hamburg
Hamburg ist bislang das einzige Bundesland, das den Milieuschutz mit einem Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen versehen hat. Die Wirksamkeit wird als hoch eingeschätzt. „Die Zahl der Umwandlungen ist zurückgegangen“, berichtet Willi Rickert vom Hamburger Amt für Wohnen, Stadterneuerung und Bodenordnung. Einen großen Anteil am Erfolg hat dabei das Vorkaufsrecht: Die Stadt kann Wohnungen selbst zum Verkehrswert kaufen. Dies ist bisher zwar nur achtmal geschehen, doch allein die Möglichkeit dazu macht Eigentümer sehr viel kompromissbereiter. Als Gegenleistung für einen Verzicht der Stadt auf ihr Vorkaufsrecht verpflichten sich Eigentümer unter anderem, bei Neuvermietungen die ortsübliche Vergleichsmiete nicht zu überschreiten und bei modernisierungsbedingten Mieterhöhungen im Rahmen des Hamburger Mietinterventionsmodells zu bleiben. Dabei wird je nach Ausgangsmiete die Mietsteigerung nach einer Modernisierung auf höchstens 20 oder 30 Prozent begrenzt beziehungsweise der Zuschlag bei 1,02 Euro gekappt. Das gilt unabhängig davon, welche Ausstattung geschaffen wird. Luxusmodernisierungen werden aber grundsätzlich ausgeschlossen.
js
27.06.2024