Seit fast 40 Jahren gibt es den Milieuschutz und andere Erhaltungssatzungen. Es brauchte lange Zeit, bis diese Schutzinstrumente auch genutzt wurden. Und es ist für die Berliner Bezirke auch heute noch zuweilen ein steiniger Weg, ein Milieuschutzgebiet auf den Weg zu bringen.
Das Instrument der Erhaltungssatzung wurde 1976 ins damalige Bundesbaugesetz geschrieben. Ganz überwiegend nutzen die Städte und Gemeinden die Variante der städtebaulichen Erhaltungssatzung. Schon Anfang der 80er Jahre gab es bundesweit über 100 solcher Satzungen zum Schutz von historischen Ortsteilen oder architektonisch bedeutsamen Siedlungen. Deutlich seltener wird der Milieuschutz („soziale Erhaltungssatzung“) genutzt. Die ersten Erfahrungen fielen gemischt aus. Erfolgreich waren vor allem die Ruhrgebietsstädte, die in den 80er Jahren auf diese Weise die Arbeiterschaft vor der Verdrängung aus den verkauften Werks- und Zechensiedlungen bewahren konnten. Weitgehend erfolglos hatten die Städte jedoch versucht, mit dem Milieuschutz die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen zu verhindern. Dies wurde erst 1998 mit der Novelle des Baugesetzbuches ausdrücklich ermöglicht.
In Berlin kam 1991 das erste Milieuschutzgebiet zustande. Nach dem Fall der Mauer und dem Hauptstadtbeschluss befürchtete man in den Innenstadtbezirken eine Verdrängungswelle. Die Bezirke Tiergarten und Kreuzberg ergriffen deshalb die Initiative und beschlossen die Aufstellung mehrerer Milieuschutzgebiete. Doch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kam Gegenwind: Für die Aufstellung von Erhaltungsverordnungen sei sie zuständig. Erst nach langem Gerangel erließ der damalige Senator Volker Hassemer erstmalig im Oktober 1991 für den Moabiter Stephankiez eine Milieuschutzverordnung. In den folgenden Jahren brachten acht der alten Bezirke Milieuschutzgebiete auf den Weg. Die Senatsverwaltung trat dabei häufig als Bremser auf. Zuletzt wollte der frühere Stadtentwicklungssenator Peter Strieder im Jahr 1999 dem Bezirk Friedrichshain ausreden, für den Boxhagener Platz einen Milieuschutz auszuweisen. Strieder wollte hier stattdessen das neu ins Leben gerufene Instrument des Quartiersmanagements einsetzen. Letztlich kam man zu der Einsicht, dass sich die beiden Instrumente nicht ausschließen und deshalb auch gleichzeitig gelten können.
Seit der Bezirksreform 2001 können die Bezirke Erhaltungsverordnungen komplett eigenständig erlassen. Der Senat erschwerte den Bezirken die Anwendung dennoch. Bis zum März 2015 verweigerte er den Erlass einer Umwandlungsverordnung, mit der die Bezirke in Milieuschutzgebieten die Aufteilung von Mietshäusern in Einzeleigentum verhindern können. Die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow hatten dieses Instrument ebenso vehement gefordert wie der Berliner Mieterverein. Die SPD war zwar willig, der Koalitionspartner CDU blockte aber drei Jahre lang ab.
Die Aufstellung eines Milieuschutzgebietes beginnt mit einem einfachen Beschluss des Bezirksamts. Schon ab diesem Zeitpunkt können Bauanträge, die dem Milieuschutzziel widersprechen, für ein Jahr zurückgestellt werden. In dieser Zeit kann die eigentliche Verordnung ausgearbeitet werden. Mit der Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt wird der Milieuschutz rechtskräftig.
Weil der Milieuschutz ein Instrument des Städtebaurechts ist, muss die Verordnung städtebaulich begründet werden. Eine gängige Argumentation: Man möchte die Bewohnerstruktur erhalten, um die Auslastung der Schulen, Kitas und anderen Infrastruktureinrichtungen des Stadtteils nicht zu gefährden, denn nach Luxusmodernisierungen ziehen vermehrt kinderlose Haushalte in das Gebiet, und durch die Zusammenlegungen oder Zweckentfremdung von Wohnungen sinkt die Einwohnerzahl. Damit die Verordnung rechtssicher wird, muss das Bezirksamt mit einer Untersuchung nachweisen, dass im betreffenden Gebiet die drei Voraussetzungen für den Milieuschutz vorliegen:
- Aufwertungspotenzial: Es muss eine nennenswerte Zahl von Wohnungen geben, die noch nicht vollständig saniert sind, so dass der Genehmigungsvorbehalt des Milieuschutzes greifen kann.
- Aufwertungsdruck: Es muss nachgewiesen werden, dass die Marktlage vor Ort teure Modernisierungen, Umwandlungen oder Zweckentfremdungen erwarten lassen.
- Verdrängungspotenzial: Ein größerer Teil der Gebietsbevölkerung muss wegen seines geringen Einkommens oder aus anderen Gründen von der Verdrängung bedroht sein.
Mit den Untersuchungen werden in der Regel Sozialforschungs- oder Mieterberatungsgesellschaften beauftragt. Vor allem die Befragung der Bewohner ist sehr aufwändig. In bestehenden Milieuschutzgebieten müssen zudem in regelmäßigen Abständen Sozialstudien erstellt werden, um die Verordnung aufrecht zu erhalten. Für die Prüfung der Bauanträge und die Kontrolle der Auflagen benötigt die Verwaltung außerdem Personal, das die Bezirke nur mit Mühe stellen können. Dieser finanzielle und personelle Aufwand lässt viele Bezirkspolitiker vor dem Milieuschutz zurückschrecken.
Jens Sethmann
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03.03.2018