Leitsätze:
1. Der wegen Eigenbedarfs kündigende Vermieter hat im Rahmen seiner vertraglichen Rücksichtnahmepflicht dem Mieter eine andere, ihm während der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung zur Anmietung anzubieten, sofern sich diese im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befindet (Bestätigung von Senat, Urteile vom 9.7.2003 – VIII ZR 276/02, NJW 2003, 2604 unter II 2, sowie VIII ZR 311/02, WuM 2003, 463 unter II 1; vom 9.11.2005 – VIII ZR 339/04, BGHZ 165, 75, 79; vom 4.6.2008 – VIII ZR 292/07, NJW 2009, 1141 Rn. 12; vom 13.10. 2010 – VIII ZR 78/10, NJW 2010, 3775 Rn. 14; vom 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 24).
2. Die Verletzung dieser Anbietpflicht hat jedoch nicht zur Folge, dass die berechtigt ausgesprochene Eigenbedarfskündigung nachträglich rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam wird. Sie zieht lediglich einen Anspruch auf Schadensersatz in Geld nach sich (insoweit Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung; zuletzt Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 166/11, aaO mwN).
BGH vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15 –
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Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Das Amtsgericht hatte die auf Räumung und Herausgabe der Fünfzimmerwohnung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung sei im Hinblick darauf rechtsmissbräuchlich, dass es die Vermieterin unterlassen habe, den Mietern die Anmietung einer im Erdgeschoss desselben Anwesens gelegenen, leerstehenden Zweizimmerwohnung mit einer Fläche von 76 Quadratmetern anzubieten. Dem folgte der BGH nicht.
Zwar sei ein Vermieter verpflichtet, die Folgen einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung für den Mieter so gering wie möglich zu halten, da der Wohnung als Mittelpunkt der persönlichen Existenz eines Menschen besondere Bedeutung von Verfassungsrang zukomme. Der Vermieter habe dem betroffenen Mieter deshalb eine andere, ihm während der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende Wohnung zur Anmietung anzubieten, sofern diese sich im selben Haus oder derselben Wohnanlage befinde.
Verletze der Vermieter diese sogenannte Anbietpflicht, hatte dies nach bisheriger Auffassung des BGH (vom 9.7.2003 – VIII ZR 311/02) zur Folge, dass die – an sich berechtigte – Kündigung unwirksam werde. An dieser Rechtsprechung halte der BGH aber nicht mehr fest.
Denn hierdurch stelle sich eine – rechtswirksam – ausgesprochene Kündigung nicht nachträglich als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) dar.
Das Entstehen der Anbietpflicht sei stets vom Ausspruch einer an sich berechtigten Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs abhängig. Denn nur eine berechtigte Eigenbedarfskündigung löse die Nebenpflicht aus, dem Mieter unter bestimmten Umständen zur Abmilderung der hierdurch eintretenden Auswirkungen eine verfügbare Alternativwohnung anzubieten. In Anbetracht dessen sei es bei zutreffender Betrachtung aber ausgeschlossen, eine rechtmäßig ausgesprochene Eigenbedarfskündigung deswegen (rückwirkend) als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu bewerten, weil der Vermieter seine Anbietpflicht bezüglich einer anderen Wohnung verletzt habe. Denn der Vermieter verstoße nicht durch den Ausspruch der Eigenbedarfskündigung gegen die Rechtsordnung, sondern erst dadurch, dass er eine ihm während der Kündigungsfrist zur Verfügung stehende geeignete Alternativwohnung nicht dem Mieter anbiete. Folglich hätten auch die sich hieraus abzuleitenden Rechtsfolgen nicht an der – insoweit nicht zu beanstandenden – Kündigung, sondern an der pflichtwidrig unterlassenen Zurverfügungstellung einer Alternativwohnung anzusetzen.
Daher ziehe eine Verletzung der mietvertraglichen Anbietpflicht des Vermieters – wie auch bei sonstigen Verstößen gegen Nebenpflichten – lediglich Schadensersatzansprüche nach sich. Dem Mieter können daher allenfalls Ersatzansprüche in Geld für hierdurch entstandene Schäden (etwa Umzugs- und Maklerkosten) zustehen.
Diese Ansprüche seien allerdings nur auf Geldersatz gerichtet. Ein Anspruch des Mieters auf „Fortsetzung“ des bisherigen Mietverhältnisses komme als Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Denn die Anbietpflicht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann, beziehe sich nicht auf das gekündigte Vertragsverhältnis, sondern auf die Zurverfügungstellung einer anderen Wohnung. Dementsprechend stellte ein Anspruch auf „Fortsetzung“ des alten Mietverhältnisses oder gar auf Abschluss eines neuen Mietvertrags über die gekündigte Wohnung keine zum Ausgleich dieser Pflichtverletzung geschuldete Naturalrestitution im Sinne von § 249 Abs. 1 BGB dar. Es würde gerade nicht der Zustand hergestellt, der bestünde, wenn der Vermieter pflichtgemäß die Alternativwohnung angeboten hätte.
27.03.2022