Leitsatz:
Ein Mieter ist nicht berechtigt, wegen der auf dem Dach des Hauses durch einen Mobilfunkbetreiber errichteten UMTS-Mobilfunkantenne Mietminderung geltend zu machen, solange die nach den gesetzlichen Bestimmungen erforderlichen Grenzwerte eingehalten sind.
AG Tiergarten, Urteil vom 4.12.01 – 6 C 417/01 –
Mitgeteilt von RA Ulrich Kernen
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Zwischen den Parteien besteht ein Mietverhältnis über eine Wohnung in der S.-Straße, Quergebäude, 5. OG rechts in Berlin-Tiergarten. Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger berechtigt war, der Nebenintervenientin zu gestatten, auf dem Dach des Hinterhauses eine Mobilfunkantenne zum Betrieb ihres Mobilfunknetzes zu errichten. Die Beklagten verneinen diese Frage und mindern die Miete deshalb seit Juni 2001. Der Kläger hält sich dazu für berechtigt und verweist auf die Erteilung der Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 2.11.2000 sowie auf die durchgeführten Messungen und deren Ergebnisse. Der Kläger macht mit dem Klageantrag zu 1. die geminderte Miete für Juni bis September 2001 geltend.
Der Kläger beantragt, wie aus dem Tenor ersichtlich zu erkennen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten, dass die Anlage die in Deutschland geltenden Grenzwerte einhalte. Die Beklagten meinen, dass inzwischen auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse davon auszugehen sei, dass von Mobilfunkantennen eine erhebliche Gesundheitsgefährdung, insbesondere für Kinder, ausgehe. Zum Beweis beziehen sie sich auf neuere Erkenntnisse, insbesondere des Sachverständigen Dr. L. und dessen sachverständiges Zeugnis.
Die Beklagten beantragen widerklagend, den Kläger zu verurteilen, die Inbetriebnahme und den Betrieb der auf dem Dach des Hauses S.-Straße, Berlin, befindlichen Mobilfunkantenne nebst dazugehöriger Mobilfunksendeanlage zu unterlassen und die Inbetriebnahme jedem anderen, insbesondere dem Betreiber, zu untersagen.
Der Kläger beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist begründet, die Widerklage demgemäß unbegründet.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob die von der Nebenintervenientin errichtete Mobilfunkantenne die Gesundheit der Beklagten schädigt bzw. ernsthaft gefährdet. Diese Frage kann auf Grund des Vorbringens der Parteien und der darüber hinaus zu berücksichtigenden allgemeinkundigen bzw. gerichtsbekannten Tatsachen zumindest zurzeit nicht mit ja beantwortet werden.
1. Dass Elektrosmog zu gesundheitlichen Schäden führen kann, dürfte unstreitig sein.
2. Genauso unstreitig dürfte allerdings auch sein, dass Elektrosmog in dieser unserer Zeit und in unseren und in den allermeisten Breitengraden nicht verhindert werden kann. Wer dies wollte, müsste das Rad der Geschichte zurückdrehen und die Kommunikationsmittel der Gegenwart nahezu vollständig vernichten. Ein ungangbarer Weg.
3. Jede neue Technologie birgt Risiken, die zunächst nicht oder nur ungenügend erkannt, zum Teil allerdings auch überschätzt werden. Der Umgang mit einer neuen Technologie gestaltet sich deshalb schwierig.
4. In welchem Umfang eine Belastung hinnehmbar oder nicht mehr hinnehmbar ist, entscheidet derjenige, der über die Definitionsmacht verfügt. In einer Demokratie ist dies der Gesetzgeber. Wenn der Gesetzgeber die Kriterien festlegt, gebietet es der Grundsatz der Gewaltenteilung, dass diese Kriterien von den anderen Gewalten und von den Bürgern akzeptiert werden, die diesem Gesetzgeber durch ihre Wahlentscheidung die Entscheidungsgewalt verliehen haben.
5. Der Gesetzgeber hat durch die 26. Bundesimmissionsschutzverordnung eine Entscheidung getroffen, die diese grundsätzliche Akzeptanz verlangt.
6. Etwas anderes könnte dann gelten, wenn die Entscheidung des Gesetzgebers bereits bei Erlass der Entscheidung offensichtlich falsch war oder dies auf Grund zwischenzeitlich gewonnener Erkenntnisse inzwischen geworden ist und wenn dies zu einer Verletzung wesentlicher Rechte der Rechtsunterworfenen führt. Dies ist auf Grund des Vorbringens der Parteien und der allgemein- bzw. gerichtskundigen Tatsachen nicht feststellbar.
7. Die Richtwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung sind nach den Messungen der Streithelferin eingehalten worden. Die Behauptung der Beklagten, dass diese Messergebnisse manipuliert und falsch seien, ist unsubstantiiert und nicht unter Beweis gestellt worden.
8. Die Beklagten beziehen sich zum Beweis für ihre Behauptung im Wesentlichen auf Studien des Sachverständigen Dr. L. und dessen sachverständiges Zeugnis. Damit können sie keinen Erfolg haben. Es kann als wahr unterstellt werden, dass der Sachverständige die Behauptung der Kläger bestätigen und seine Auffassung kund tun wird, dass die Grenzwerte der 26. Bundesimmissionsschutzverordnung erheblich zu hoch sind und dass der Betrieb von Mobilfunkanlagen innerhalb der jetzigen Grenzwerte Gesundheitsschädigungen befürchten lässt. Damit lässt sich der entsprechende Beweis allerdings nicht führen. Das OLG Frankfurt am Main hat in seinem Urteil vom 28.11. 2000 (8 U 190/00) überzeugend dargelegt, dass andere Wissenschaftler sich mit den Ausführungen des Dr. L. auseinandergesetzt haben und zu dem Ergebnis gekommen sind, dass dessen Ausführungen nicht geteilt werden können. Welcher dieser Sachverständigenmeinungen im Ergebnis zu folgen ist und ob und gegebenenfalls wie hoch die Grenzwerte herabzusetzen sind, wird erst nach breiter Wissenschaftlerdiskussion zu entscheiden sein, wobei auch dann letztlich wieder der Gesetzgeber zu entscheiden haben wird, welche Grenzwerte notwendig sind, um den Schutz der Menschen in diesem Lande zu sichern.
9. Das Gericht hat Verständnis und Sympathie für das Anliegen der Beklagten, ihre Familien und damit letztlich auch die Allgemeinheit vor Risiken zu bewahren, die vielleicht zu erheblichen Schäden führen können. In einer Demokratie kann der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens aber nicht auf der Sympathie des Richters für eine bestimmte Entscheidung beruhen, weil der Richter sich wegen der Gewaltenteilung an die Vorgaben des Gesetzgebers zu halten hat und diese nur dann korrigieren darf, wenn sie nachweislich falsch sind. Eine solche Erkenntnis hat das Gericht auf Grund der allgemeinkundigen bzw. gerichtsbekannten Tatsachen und auf Grund des Vorbringens der Parteien nicht zu gewinnen vermocht.
10. Der Feststellungsantrag des Klägers ist begründet. Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich daraus, dass die Entscheidung über den Klageantrag zu 1. nur über die Zahlungsansprüche für die betreffenden Monate in Rechtskraft erwächst. Die Beklagten wären deshalb ohne die Feststellung nicht gehindert, die Miete immer wieder neu zu mindern. …
Anmerkung der Redaktion:
vgl. auch den Beitrag in MM 01, 439
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29.05.2018