Leitsätze:
1. Nach einer Eigenbedarfskündigung ist der Vermieter verpflichtet, eine während der Kündigungsfrist freiwerdende Wohnung auch dann als Alternativwohnung anzubieten, wenn diese mit 44 m² nur etwa halb so groß ist wie die streitgegenständliche Wohnung mit 87,58 m².
2. Unterlässt der Vermieter die Anbietung einer Alternativwohnung, hat der Mieter nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn er beweisen kann, dass er das Angebot des Vermieters auch angenommen hätte, so ihm die Alternativwohnung vor Ablauf der Kündigungsfrist angeboten worden wäre und ihm aus der Unterlassung des Vermieters ein bezifferbarer Schaden entstanden ist.
LG Berlin vom 11.3.2020 – 64 S 197/18 –
Mitgeteilt von RA Reinhard Lebek
Urteilstext
Gründe:
I.
Die Beklagte war Mieterin einer 3-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von ca. 95 m² (nach Mietvertrag) bzw. 87,58 m² (nach Aufmaß) bzw. 88,67 m² (nach Betriebskostenabrechnung) im Vorderhaus der P.str. x Berlin. Ihren „Mietvertrag für gewerbliche Räume“ vom 17.11.1981 schloss sie mit der Voreigentümerin ab. Die Klägerin erwarb 2006 das Eigentum an der Wohnung.
Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg – 16 C 920/83 A – vom 30.3.1984 ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es sich um ein Wohnraummietverhältnis handelt.
Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit der Beklagten mit Schreiben vom 27.02.2015 ordentlich zum 30.11.2015. Mit Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 206 C 474/15 – vom 19.04.2016 wurde die Beklagte zur Herausgabe der Wohnung verurteilt. Das Landgericht Berlin wies die Berufung mit Beschluss vom 25.01.2017 – 18 S 159/16 – gemäß § 522 ZPO zurück. Die Beklagte gab die Wohnung am 5.5.2017 heraus. Der Sohn der Beklagten zog im Frühjahr 2015 in eine eigene Wohnung.
Während der Kündigungsfrist ist eine 2-Zimmer-Wohnung der Klägerin im Hinterhaus mit 44 m² frei geworden. Diese bot die Klägerin der Beklagten nicht an und vermietete sie am 15.4.2015 anderweitig.
Im März 2016 bot die Klägerin der Beklagten eine 1-Zimmer-Wohnung in der L.Straße xx mit einer Fläche von 35 m² an. Im September 2016 bot die Klägerin der Beklagten eine 2-Zimmer-Wohnung in der G.Str. xx mit einer Fläche von 47,42 m² an. Im Oktober 2016 bot die Klägerin der Beklagten eine Wohnung in der W.Str. xx mit einer Fläche von 68,5 m² an. Diese Angebote nahm die Beklagte nicht an.
…
Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.492,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 552,87 EUR seit dem 06.04.2017, aus 89,17 EUR seit dem 06.05.2017 und aus 850,56 EUR seit dem 30.12.2017 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch gemäß § 546a Abs. 1 BGB auf Nutzungsentschädigung für den Zeitraum der Vorenthaltung (1.12.2015 bis 05.5.2017) zustehe.
Das am 16.8.2018 verkündete Urteil ist der Beklagten am 21.8.2018 zugestellt worden. Sie hat am 7.9.2018 Berufung eingelegt und diese – nach gewährter Fristverlängerung – mit am 21.11.2018 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz fristgerecht begründet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 205 C 307/16 – vom 16.8.2018 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
…
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517,519, 520 ZPO.
2. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Denn der Klägerin steht ein Nutzungsentschädigungsanspruch gemäß § 546a Abs. 1 BGB für den Zeitraum 1.12.2015 bis zur Rückgabe am 5.5.2017 in Höhe von 1.492,60 EUR zu.
Dieser Anspruch ist auch nicht durch die Aufrechnung der Beklagten mit einem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Anbietpflicht erloschen.
a) Die Klägerin war verpflichtet, der Beklagten die zur Verfügung stehende 2-Zimmer-Wohnung anzubieten, obwohl diese mit 44 m² nur etwa halb so groß war wie die streitgegenständliche Wohnung mit 87,58 m² (nach Aufmaß) bzw. 88,67 m² (nach Betriebskostenabrechnung) bzw. ca. 95m² (nach Mietvertrag). Die 2-Zimmer-Wohnung ist unstreitig während der Kündigungsfrist frei geworden.
Das Bundesverfassungsgericht hat die eigenverantwortliche Entscheidung des Mieters hervorgehoben, wie er sein Leben gestalten will und dabei darauf abgestellt, dass es zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehöre, „seinen Wohnbedarf nach seinen eigenen Vorstellungen zu bestimmen, also auch einzuschränken“ (BVerfG, Beschluss vom 28.01.1992 – 1 BvR 1054/91, NJW 1992, 1220f.).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs löst eine berechtigte Eigenbedarfskündigung die Nebenpflicht aus, dem Mieter unter bestimmten Umständen zur Abmilderung der hierdurch eintretenden Auswirkungen eine verfügbare Alternativwohnung anzubieten (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NJW 2017, 547, 555). Diese Nebenpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB entspringt einer gesteigerten Pflicht zur Rücksichtnahme für den Vermieter, die Folgen einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung für den Mieter so gering wie möglich zu halten. Danach ist der Vermieter nach Auffassung der Kammer verpflichtet, dem Mieter zur Vermietung freistehende oder im Kündigungszeitraum freiwerdende Wohnungen im selben Haus oder in derselben Wohnanlage grundsätzlich anzubieten. Eine Entscheidung darüber, was für den Mieter angemessen oder interessengerecht ist, hat der Vermieter dabei nicht zu treffen. Denn sonst hätte er es auch allein in der Hand, über den Umfang der vertraglichen Nebenpflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB zu entscheiden.
Überdies sind dem Vermieter regelmäßig die Interessen des Mieters weder im Einzelnen noch in ihren möglichen Wandlungen bekannt, so dass es sachgerecht erscheint, ihm die Pflicht aufzuerlegen, dem·Mieter der Wohnung, auf die sich die Eigenbedarfskündigung bezieht, die ihm zur Verfügung stehenden Wohnungen anzubieten. Die Berücksichtigung allein der durch die Anmietung konkretisierten und erkennbar gewordenen individuellen Bedürfnissen des Mieters versetzt den Vermieter gerade bei jahrzehntelangen Mietverhältnissen nicht in die Lage, sich ein Bild der aktuellen Interessen und Bedürfnissen des Mieters zu machen. So ist – wie hier auch vorgetragen – durchaus denkbar, dass Kinder ausziehen und damit eine geringere Wohnfläche benötigt wird.
Der Bundesgerichtshof verweist zwar auf die frühere Rechtsprechung des Senats, in der bei der Anbietpflicht unter anderem auf eine vergleichbare Wohnung abgestellt wurde; gleichzeitig lässt er in seinem Urteil vom 14.12.2016 ausdrücklich offen, ob eine deutliche Größenabweichung (166 m² versus 76 m²) eine ansonsten bestehende Anbietpflicht entfallen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NJW 2017,547, 555 und 556). Insofern stehen obige Ausführungen auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
Soweit die Kammer in dem zitierten Landgerichtsverfahren 18 S 159/16 noch eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält sie daran nicht mehr fest. Die Beendung eines langjährigen Mietverhältnisses bedeutet für den Mieter eine Zäsur, die eine erhebliche Veränderung der Lebens- und Wohnverhältnisse mit sich bringen kann. So wird einem Mieter gerade in Zeiten beengter Mietmärkte, die steigende Mieten und ein geringes Angebot freier Wohnungen mit sich bringen, angesonnen, bei der Suche nach Ersatzwohnraum seine Wohnbedürfnisse einzuschränken und auch kleinere, teurere und in weniger nachgefragten Stadtbezirken gelegene Wohnungen in den Blick zu nehmen (vgl. Beck-Online Großkommentar, BGB, Stand: 1.7.2019, § 574, Rn. 24ff. mit weiteren Nachweisen). Der Vermieter darf daher nicht voraussetzen, dass sich das Interesse des zur Räumung einer Wohnung verpflichteten Mieters von vornherein auf Ersatzwohnungen beschränken wird, die nach Zimmerzahl, Wohnfläche und Ausstattung der bisherigen Wohnung entsprechen.
b) Die unter anderem mit Schriftsatz vom 2.10.2019 vorgetragenen Gründe der Klägerin, die 44 m²-Wohnung nicht anzubieten, vermögen die Anbietpflicht nicht zu Fall zu bringen. Insbesondere sind im Zeitpunkt, zu dem die Anbietpflicht bestand, keine Gründe gegeben, die die Klägerin im vorliegenden Fall von der Anbietpflicht befreien würden. Im Einzelnen:
Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie nicht erkennen konnte, dass die kleinere Wohnung als Alternativwohnung überhaupt in Betracht kam, ist dem entgegenzuhalten, dass eine Anbietpflicht gerade deshalb angenommen wird, weil die Vermieterseite regelmäßig nicht wissen kann, was den mieterseitigen Interessen oder Plänen entspricht. Folglich durfte die Klägerin auch nicht einfach davon ausgehen, dass die Beklagte eine Wohnung für sich und ihren Sohn benötigen würde.
Der Einwand, dass die Wohnung im 3. OG keine Alternative gewesen wäre, da das Instrument der Beklagten nach Auffassung der Klägerseite wegen des Grundrisses der Wohnung und der Lage im Hinterhaus nicht in die Wohnung hätte verbracht werden können, greift nicht. Im Rahmen der Anbietpflicht konnte die Klägerin am 15.4.2015 aber nicht davon ausgehen, dass das Instrument der Beklagten in keinem Fall (auch nicht durch die Fenster) in die Wohnung verbracht werden könnte und die Beklagte deshalb unter keinen Umständen in die Wohnung ziehen würde. Die Klägerin hatte solche Überlegungen nicht für die Beklagte anzustellen und ihr die Wohnung dennoch anzubieten.
Dass das Klavierspielen im Hinterhaus eine viel größere Lärmbelästigung für die Nachbarn dargestellt hätte als im Vorderhaus, vermag die Anbietpflicht ebenso wenig zu Fall zu bringen, zumal die Beklagte darauf hinweist, dass die Zimmer der Wohnung nicht an eine andere Wohnung des Hauses angrenzen. Sind also primär die darunter und darüber liegende Wohnung betroffen, ergibt sich grundsätzlich keine stärkere Beeinträchtigung als im Vorderhaus. Der Hinweis darauf, dass im Vorderhaus Gewerbe überwiegen, deutet für sich genommen weder auf eine geringere noch eine erhöhte Beeinträchtigung einzelner Nachbarn bzw. ihrer Kunden durch das Klavierspiel.
Soweit die Klägerin einwendet, dass die Beklagte im August 2015 einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung mitgeteilt habe, dass sie wegen einer Erkrankung eine Wohnung mit Badewanne benötige, und die Alternativwohnung nur über eine Dusche verfüge, ist auch hier auf den Stand zum Zeitpunkt der Neuvermietung der Alternativwohnung abzustellen (15.04.2015), so dass die Alternativwohnung auch in Ermangelung einer Badewanne hätte angeboten werden müssen.
c) Diese Anbietpflicht hat die Klägerin verletzt, indem sie ihr der Beklagten die im Kündigungszeitraum frei gewordene Hinterhaus-Wohnung nicht angeboten hat. Mit den drei nach Ablauf der Kündigungsfrist angebotenen Wohnungen hat die Klägerin ihre Anbietpflicht nicht erfüllt. Sie hätte der Beklagten die 44m²-Wohnunganbieten müssen (siehe oben).
Die Anbietpflicht beinhaltet dabei nicht, dass eine Alternativwohnung zu denselben Konditionen wie die bisherige Wohnung angeboten wird. Insofern hätte die Klägerin der Anbietpflicht Genüge getan, wenn sie die Hinterhauswohnung angeboten hätte, ohne der Beklagten die Möglichkeit einer teilgewerblichen Nutzung einzuräumen. Die Klägerin hat nachvollziehbar vorgetragen, dass sie keine Erlaubnis für eine teilgewerbliche Nutzung erteilt hätte. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin anderen Mietern eine solche Erlaubnis erteilt hätte, eine Pflicht der Vermieterin der Beklagten eine solche Nutzung zu ermöglichen, bestand nicht.
d) Die Beklagte hat allerdings nicht hinreichend dargelegt und bewiesen, dass sie das Angebot der Klägerin auch angenommen hätte, so ihr die Alternativwohnung vor Ablauf der Kündigungsfrist angeboten worden wäre.
Die Klägerin hat bestritten, dass die Beklagte das Angebot der Alternativwohnung im Hinterhaus ohne teilgewerbliche Nutzung angenommen hätte. Soweit die Klägerin vorträgt, dass die Beklagte diese Alternativwohnung nicht angenommen hätte, weil sie auch die anderen Alternativwohnungen abgelehnt habe, kann dies offenbleiben. Die Einwände der Beklagten gegen die drei anderen angebotenen. Wohnungen – nämlich: (1) die Höhe der Miete der Wohnung in der W.str. xx (Gesamtmiete 865,00 EUR), (2) die Hellhörigkeit der Wohnung in der G.str. xx und (3) lediglich eine 1-Zimmer-Wohnung in der L.straße xx – lassen sich auf die anzubietende Wohnung nicht ohne weiteres übertragen, so dass entgegen der Auffassung der Klägerin allein damit nicht ausgeschlossen ist, dass die Beklagte das Angebot bzgl. der Hinterhaus-Wohnung angenommen hätte.
Dafür, dass die Beklagte das Angebot der Alternativwohnung im Hinterhaus ohne teilgewerbliche Nutzung angenommen hätte, hat die Beklagte keinen Beweis angeboten. Sie hat die Kammer davon auch nicht durch ihre persönliche Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2020 überzeugen können.
Die Beklagte hat vielmehr deutlich gemacht, dass es von größter Bedeutung für sie sei, den Klavierunterricht weiter in ihrer Wohnung zu erteilen. Aus dem undatierten Schreiben mit Eingangsstempel vom 13.8.2015 geht klar hervor, dass sie auch noch zu diesem Zeitpunkt die Bedingung einer teilgewerblichen Nutzung der Alternativwohnung für ihren Klavierunterricht aufrechterhielt. Ferner hat die Beklagte erklärt, dass sie nach 40 Jahren nicht unbedingt wieder im Hinterhaus wohnen wolle, wo die Treppenaufgänge in der Regel zu schmal für den Transport ihres Flügels seien. Außerdem geht aus dem Schreiben hervor, dass die Beklagte·ein Einigungsangebot der Klägerin über eine „Ausgleichszahlung“ von 10.000 € zurückgewiesen hatte und sich Hoffnungen auf einen wesentlich höheren „Ablösebetrag“ von mindestens 35.000 € machte.
Schriftsätzlich hat der Prozessbevollmächtigte lediglich erklärt: „[…] gehen wir davon aus, dass die Beklagte einen entsprechenden Umzug akzeptiert hätte“. Sein Einwand in der mündlichen Verhandlung, die Beklagte hätte wohl auf anwaltlichen Rat die Alternativwohnung im Hinterhaus auch ohne teilgewerbliche Nutzungsmöglichkeit angenommen, wenn ihr diese Wohnung angeboten worden wäre, greift vor dem Hintergrund des vorangegangenen Räumungsrechtsstreits (Amtsgericht Charlottenburg – 206 C 474/15 – bzw. Landgericht Berlin – 18 S 159/16) nicht durch. Denn dort hat sie den Eigenbedarf ebenso wie in der hiesigen ersten Instanz bestritten; auch dies indiziert, dass sie zu einem „freiwilligen“ Umzug ohne Entschädigungszahlung nicht bereit war. Dann kann aber nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass sie die Alternativwohnung im Hinterhaus angenommen hätte. Einen entsprechenden Beweis hat sie nicht angeboten oder gar geführt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. ·
4. Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Grundsätzliche, ihrer Bedeutung nach über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen sind nicht betroffen. Eine Revisionszulassung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ebenfalls nicht geboten.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 S. 1, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG.
27.03.2022