Leitsatz:
Der Ausschlusstatbestand des § 556 g Absatz 1a Satz 2 BGB ist nicht eröffnet, wenn die dem Mieter vor dessen Abgabe der Vertragserklärung in Textform erteilte Auskunft des Vermieters nach § 556 g Abs.1a Satz 1 BGB inhaltlich unzutreffend gewesen ist (hier: unrichtige Höhe der geschuldeten Vormiete). Die Revision wird zugelassen.
LG Berlin vom 2.3.2023 – 67 S 215/22 –
Mitgeteilt von VRiLG Michael Reinke
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Grundsatz, dass unter Geltung der Mietpreisbremse die Miete bei Vertragsabschluss maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf (§ 556 d Abs. 1 BGB), wird durch die Ausnahmeregelung des § 556 e Abs. 1 BGB durchbrochen. Danach darf eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden, wenn die Miete, die der vorherige Mieter zuletzt schuldete, höher ist als die nach § 556 d Abs. 1 zulässige Miete.
Will sich der Vermieter auf das sogenannte Vormiet-Privileg berufen, ist der Vermieter nach § 556 g Abs. 1 a Satz 1 Nr. 1 BGB a.F. verpflichtet, dem Mieter vor Abgabe der Vertragserklärung unaufgefordert Auskunft darüber zu erteilen, wie hoch die Vormiete ein Jahr vor Beendigung des Vormietverhältnisses war. Unterbleibt die Information, so kann der Vermieter sich nicht auf den Ausnahmetatbestand berufen und kann nur 110 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen. Fraglich war, was gilt, wenn zwar eine Auskunft erteilt wurde, diese aber falsch war.
Das AG Mitte (vom 4.8.2022 – 21 C 269/21 –) hatte in der Vorinstanz noch entschieden, dass der Vermieter seine vorvertragliche Informationsobliegenheit nur durch die Angabe der exakt richtigen Vormiete erfüllt. Entspreche die angegebene Vormiete nicht der rechtlich maßgeblichen Vormiete, so werde der Vermieter so behandelt, als ob er gar keine Angaben gemacht hätte. Das bedeutete, er könne sich frühestens zwei Jahre nach der nachgeholten richtigen Mitteilung der Vormiete auf diese berufen.
Der Ansicht des AG Mitte ist die 67. Zivilkammer des Landgericht Berlin im Berufungsverfahren – wie aus dem Leitsatz ersichtlich – entgegen getreten. Vorliegend hatte der Mieter ein am 16.7.2019 beginnendes Mietverhältnis über eine 49,39 Quadratmeter große Wohnung abgeschlossen. Die vertraglich vereinbarte monatliche Nettokaltmiete betrug 822,73 Euro. Die Wohnung war zuvor für den Zeitraum von Juni 2017 bis Juni 2019 zu einer monatlichen Nettokaltmiete von zunächst 800 Euro vermietet, wobei während dieser Zeit die Indexmiete auf 822,73 Euro stieg. In einem diesem Mietverhältnis vorhergehenden Mietverhältnis war die Wohnung ab dem 1.3.2015 (also vor Inkrafttreten der Mietpreisbremse) für eine Miete von 699 Euro vermietet, die mit einer Indexmieterhöhungserklärung mit Wirkung zum 1.6.2016 auf 700,95 Euro erhöht wurde. Dieses Mietverhältnis endete zum Mai 2017.
Mit vermieterseitigem Schreiben vom 25.6.2019 wurde der Mieter wie folgt informiert: „Die Vormiete betrug ein Jahr vor Beendigung des Vormietverhältnisses 812,47 Euro pro Monat nettokalt. Die Vormiete betrug zum Zeitpunkt der Beendigung des Vormietverhältnisses 822,73 Euro pro Monat nettokalt.“
Einige Monate später rügte der Mieter die hohe Miete unter Verweis darauf, dass die preisrechtlich höchstzulässige Miete (= ortsübliche Vergleichsmiete plus 10 Prozent) zu Beginn des Mietverhältnisses 398,45 Euro betragen habe, womit die Rückforderung eines monatlichen Betrages in Höhe von 424,28 Euro ab dem Zeitpunkt der Rüge begründet sei.
Das Landgericht folgte dieser mieterseitigen – vom Amtsgericht noch bestätigten – Berechnung nicht. Es sah vielmehr den Vermieter nicht gehindert, sich auf das Vormietprivileg zu berufen. Zwar habe der Vermieter mit 822,73 Euro fälschlicherweise eine zu hohe Vormiete angegeben, diese Falschauskunft führe jedoch nicht zum Verlust des Vormietprivilegs. Vielmehr ergebe sich der Rückforderungsanspruch des Mieters aus der Differenz zu der zulässigen Vormiete in Höhe von 700,95 Euro. Über 121,78 Euro hinausgehende Zahlungsansprüche stünden dem Mieter nicht zu. Denn für § 556 e Abs. 1 BGB sei die Vormiete in ihrer zulässigen und damit tatsächlich geschuldeten Höhe maßgebend; nur der die zulässige „Vor-Vormiete“ übersteigende Teil der unmittelbaren Vormiete unterfalle der Unwirksamkeit (vgl. LG Berlin vom 22.9.2022 – 67 S 113/22).
Dem Vermieter sei es nicht verwehrt, sich auf die gemäß § 556 e Abs. 1 Satz BGB zulässige Vormiete zu berufen, wenn er vor Vertragsschluss lediglich die mit dem Vormieter tatsächlich vereinbarte und von diesem zuletzt gezahlte und nicht die „geschuldete“ Vormiete in ihrer preisrechtlich zulässigen Höhe angegeben habe.
Dass Falschauskünfte des Vermieters nicht zum Verlust des Vormietprivilegs führen, begründet das Landgericht folgendermaßen: Aus dem Wortlaut der Norm ergebe sich eindeutig, dass die Geltendmachung des Vormietprivilegs nur ausgeschlossen sei, soweit der Vermieter die Auskunft „nicht erteilt“ habe. Hier aber habe der Vermieter eine Auskunft erteilt, indem er den im Vormietverhältnis vereinbarten Mietzins einschließlich seiner späteren Veränderungen wahrheitsgemäß angegeben habe. Der Wortlaut der Norm hätte eine abweichende Auslegung nur gerechtfertigt, wenn es statt „nicht erteilt“ „nicht oder unrichtig erteilt“ geheißen hätte.
Die Regelungsabsicht des Gesetzgebers liege ausweislich der Gesetzesbegründung vornehmlich darin, dem Mieter durch den Hinweis auf die Vormiete ein mögliches späteres Berufen des Vermieters auf eine Ausnahmebestimmung warnend vor Augen zu führen. Außerdem verweise die Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf, die Auskunftspflicht erfasse nur solche Umstände, die in der Sphäre des Vermieters lägen und die der Vermieter bereits kenne oder ohne weiteres ermitteln könne. Die im Einzelnen mit nicht unerheblichen tatsächlichen und rechtlichen Unwägbarkeiten behaftete Höhe der preisrechtlich zulässigen Vormiete oder gar der „Vor-Vormiete“ betreffe aber weder allein die Sphäre des Vermieters noch „kenne“ er sie zwangsläufig oder sei „ohne Weiteres“ in der Lage, sie zutreffend zu ermitteln.
Die Ansicht des Landgerichts stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH, der die fehlerhaft erteilte Auskunft des Vermieters zu einer – tatsächlich nicht erfolgten – umfassenden Modernisierung im Sinne vom § 556 f Satz 2 BGB nicht gemäß § 556 g Abs. 1 a Satz 2 BGB a.F. sanktioniere, sondern es dem Vermieter stattdessen zubillige, sich bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auch ohne gesonderte Auskunftserteilung gemäß § 556 e Abs. 2 BGB auf eine einfache Modernisierung zu berufen (vgl. BGH vom 18.5.2022 – VIII ZR 9/22). Sie finde ihre Entsprechung auch im Betriebskostenrecht, bei dem die formelle Richtigkeit einer Nebenkostenabrechnung durch inhaltlich fehlerhafte Angaben des Vermieters nicht berührt werde (BGH vom 13.12. 2011 – VIII ZR 286/10).
Einer analogen Anwendung des in § 556 g Abs. 1a Satz 2 BGB a.F. nicht geregelten Falls der inhaltlich unzutreffenden Auskunft stehe das Fehlen einer planwidrigen Gesetzeslücke entgegen. Es sei nicht nur fernliegend, sondern schon durch das Gesetzgebungsverfahren widerlegt, dass der Gesetzgeber den naheliegenden Fall einer falschen Auskunft angesichts des kontrovers diskutierten Inhalts und Ausmaßes der Ausnahmevorschriften übersehen und die Voraussetzungen für ein Eingreifen weitreichender Sanktionen nicht sorgfältig in den Blick genommen sowie ausformuliert habe. Dies gelte umso mehr, als die Gesetzesbegründung lediglich auf den Willen schließen lasse, eine unterbliebene Auskunft über das Vorliegen eines etwaigen Ausnahmetatbestands zu sanktionieren. Denn der Gesetzgeber habe dem Mieter für den Fall von Zweifeln an der Richtigkeit einer erteilten Auskunft in § 556 g Abs. 3 BGB ein zusätzliches und weitergehendes vertragliches Auskunftsrecht geschaffen. Es komme hinzu, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des § 556 g Abs. 1a BGB zum 1.4.2020 den Fall einer inhaltlich unzutreffenden Auskunft ungeachtet des anhaltend streitigen Meinungsstandes auch weiterhin nicht zum Zwecke der Klarstellung ausdrücklich geregelt habe.
Schutzwürdige Interessen des Mieters stünden diesem Auslegungsergebnis nicht entgegen, da dem Mieter im Fall einer vom Vermieter schuldhaft unrichtig erteilten Auskunft und dem Mieter daraus erwachsender Schäden Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vermieter zustünden.
Hinweis: Ein Schaden kann sich beispielsweise aus einer verspäteten Rüge ergeben, weil der Mieter aufgrund der Auskunft zunächst von der preisrechtlichen Zulässigkeit der Miete ausging. Er muss dann so gestellt werden, als wenn er die richtige Information erhalten hätte.
Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof diese Sichtweise des LG Berlin bestätigt.
Auch nach Ansicht des LG Berlin dürfte aber die Berufung auf das Vormietprivileg ausscheiden, wenn der Vermieter eine Miethöhe angibt, die tatsächlich in keinem der vorherigen Mietverhältnisse vereinbart war. Derartige Falschangaben können zudem die Würdigung als versuchten Eingehungsbetrug nach § 263 Abs. 1 StGB zulassen.
Urteilstext
Gründe
I.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung, die über eine Registrierung gemäß § 10 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) für den Bereich der Inkassodienstleistungen verfügt, macht aus abgetretenem Recht des Mieters einer Wohnung der beklagten Vermieterin Ansprüche wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe (§ 556d BGB) geltend.
Die Beklagte und der Mieter schlossen am 26. Juni 2019/9. Juli 2019 ein am 16. Juli 2019 beginnendes Mietverhältnis über eine 49,39 m² große Wohnung, die gemäß der Berliner Mietenbegrenzungsverordnung vom 28. April 2015 in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt liegt. Die vertraglich vereinbarte monatliche Nettokaltmiete betrug 822,73 EUR. Die streitgegenständliche Wohnung war zuvor mit Mietvertrag für den Zeitraum von Juni 2017 bis Juni 2019 zu einer monatlichen Nettokaltmiete von zunächst 800,00 EUR vermietet. In einem diesem Mietverhältnis vorhergehenden Mietverhältnis war die Wohnung ab dem 1. März 2015 für eine Miete von 699,00 EUR vermietet, die mit einer Indexmieterhöhungserklärung mit Wirkung zum 1. Juni 2016 auf 700,95 EUR erhöht wurde. Dieses Mietverhältnis endete zum Mai 2017.
Mit vermieterseitigem Schreiben vom 25. Juni 2019 wurde der Mieter wie folgt in Textform informiert: „Die Vormiete betrug ein Jahr vor Beendigung des Vormietverhältnisses 812, 47 Euro pro Monat nettokalt. Die Vormiete betrug zum Zeitpunkt der Beendigung des Vormietverhältnisses 822,73 Euro pro Monat nettokalt.“.
Mit Schreiben vom 1. September 2021 rügte die Klägerin gegenüber der Beklagten unter Berufung auf eine Beauftragung und Bevollmächtigung durch den Mieter einen Verstoß gegen die Vorschriften der Begrenzung der Miethöhe (§§ 556d ff. BGB).
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zunächst Auskunft, Rückzahlung von 424,28 EUR überzahlter Miete für den Monat September 2021 sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.295,43 EUR begehrt.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei mit der Berufung auf die Vormiete ausgeschlossen. Ihre Rechtsvorgängerin sei ihrer Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen, da die von ihr mitgeteilte Vormiete nicht der von dem vorherigen Mieter tatsächlich geschuldeten Miete entspreche.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Beklagte könne sich nicht gemäß § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB auf das Vormietprivileg berufen. Die Mitteilung der preisrechtlich unzulässigen und nicht gemäß § 556e BGB geschuldeten Vormiete sei dem Fall einer nicht erteilten Auskunft gleichzustellen. Auf die „Vor-Vormiete“ könne sich die Klägerin nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach der erst im Laufe des Rechtsstreits erteilten Auskunft berufen. Die preisrechtlich höchstzulässige Miete zu Beginn des Mietverhältnisses habe 398,45 EUR betragen, womit die geltend gemachte Zuvielforderung in Höhe von 424,28 EUR begründet sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 12. August 2022 zugestellte Urteil mit am 12. September 2022 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach vorheriger Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit am 11. November 2022 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie ist der Ansicht, der Auskunftspflicht sei durch Mitteilung der von dem Vormieter gezahlten Vormieten entsprochen worden, auch wenn diese nicht im Sinne des § 556e Abs. 1 BGB tatsächlich geschuldet gewesen seien.
Die Beklagte hat ihre zunächst auf die vollständige Klageabweisung gerichtete Berufung in der Berufungsverhandlung hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung in Höhe von 121,78 EUR für September 2021, zur Zahlung vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 627,13 EUR – jeweils nebst anteiliger Zinsen sowie hinsichtlich der einseitig und übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärten Auskunftsansprüche zurückgenommen.
Sie beantragt nunmehr nur noch, das angefochtene Urteil abzuändern, soweit sie, die Beklagte, zu einer Zahlung von mehr als 121,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2022 (Überzahlung September 2021) sowie zu einer Zahlung von mehr als 627,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2022 (vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten) verurteilt worden ist, und die Klage insoweit abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften sowie das angefochtene Urteil (Bl. I/151-157 d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Beklagten hat nach teilweiser Rücknahme ihrer Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Der von der Klägerin geltend gemachte Rückzahlungsanspruch ist lediglich wegen überzahlter Miete für September 2021 in Höhe von 121,78 EUR nebst anteiliger Zinsen gemäß §§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, 556d ff. BGB begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist insoweit rechtskräftig, nachdem die Beklagte ihre dagegen gerichtete Berufung zurückgenommen hat. Es kann deshalb dahinstehen, ob die §§ 556d ff. BGB für den geltend gemachten Rückforderungszeitraum durch die Berliner Mietenbegrenzungsverordnung vom 28. April 2015 (GVBl. 2015, S. 101) zum 1. Juni 2015 überhaupt wirksam in Vollzug gesetzt worden sind (vgl. dazu Kammer, Urt. v. 15. Dezember 2022 – 67 S 180/22, GE 2023, 89, juris Tz. 12 f.), ebenso, ob der Klägerin wegen Verstoßes gegen § 312j Abs. 3 BGB die Aktivlegitimation fehlt (vgl. dazu Kammer, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union v. 2. Juni 2022 – 67 S 259/21, juris).
Über 121,78 EUR hinausgehende Zahlungsansprüche stehen der Klägerin für September 2021 nicht zu. Insoweit beruft sich die Beklagte zu Recht auf § 556e Abs. 1 BGB. Danach darf eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden, wenn die Miete, die der vorherige Mieter zuletzt schuldete, höher ist als die nach § 556d Abs. 1 zulässige Miete. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Abzustellen ist dabei zunächst auf das dem streitgegenständlichen Mietverhältnis unmittelbar vorhergehende (Vor-)Mietverhältnis und den dort vereinbarten Mietzins, soweit dieser seinerseits preisrechtlich zulässig vereinbart wurde. Die dort vereinbarte Nettokaltmiete von 822,73 EUR ist unter erneuter Heranziehung von § 556e Abs. 1 Satz 1 BGB jedenfalls insoweit preisrechtlich zulässig, als sie den im – vor Inkrafttreten der §§ 556d ff. BGB im März 2015 begonnenen – „Vor-Vormietverhältnis“ zunächst mit 699,00 EUR vereinbarten und später durch eine gemäß § 557b Abs. 1 BGB wirksam erfolgte Indexmieterhöhung auf 700,95 EUR erhöhten Nettokaltmietzins nicht überschreitet.
Der erfolgreichen Geltendmachung des Vormietprivilegs des § 556e Abs. 1 Satz 1 BGB steht es nicht entgegen, dass in einem dem Mietvertrag vorhergehenden Mietverhältnis eine die Grenzen des § 556d Abs. 1 BGB oder seiner Ausnahmetatbestände überschreitende (Vor-)Miete vereinbart wurde. Denn für § 556e Abs. 1 BGB ist die Vormiete in ihrer zulässigen und damit tatsächlich geschuldeten Höhe maßgebend; nur der die zulässige „Vor-Vormiete“ übersteigende Teil der unmittelbaren Vormiete unterfällt der Unwirksamkeit (vgl. Kammer, Urt. v. 22. September 2022 – 67 S 113/22, MDR 2022, 1540, juris Tz. 23-32 (Revision anhängig unter VIII ZR 229/22); Herlitz, jurisPR-MietR 1/2023 Anm. 5; a.A. Pramataroff, FD-MietR 2022, 452692; Schüller, in: BeckOK BGB, 65. Ed., Stand: 1. Februar 2023, § 556e Rz. 4).
Der Beklagten ist es nicht gemäß § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB in seiner ab dem 1. Januar 2019 geltenden Fassung i.V.m. Art. 249 § 49 Abs. 2 EGBGB verwehrt, sich auf die gemäß § 556e Abs. 1 Satz BGB zulässige Vormiete zu berufen, da sie vor Vertragsschluss lediglich die mit dem Vormieter tatsächlich vereinbarte und von diesem zuletzt gezahlte und nicht die nach obiger Maßgabe „geschuldete“ Vormiete in ihrer preisrechtlich zulässigen Höhe angegeben hat.
Nach § 556g Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB aF ist der Vermieter im Fall des § 556e Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Mieter vor Abgabe der Vertragserklärung unaufgefordert Auskunft darüber zu erteilen, wie hoch die Vormiete ein Jahr vor Beendigung des Vormietverhältnisses war. Soweit der Vermieter die Auskunft nicht erteilt hat, kann er sich gemäß § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB aF nicht auf eine nach § 556e oder § 556f BGB zulässige Miete berufen. Der Sanktionstatbestand des § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB aF ist vorliegend nicht erfüllt:
Der Anwendung des § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB aF auf den hier vorliegenden Fall steht bereits der Wortlaut der Norm entgegen, wonach die Geltendmachung des Vormietprivilegs nur ausgeschlossen ist, soweit der Vermieter die Auskunft „nicht erteilt“ hat. Hier aber hat die Beklagte eine Auskunft erteilt, indem sie den im Vormietverhältnis vereinbarten Mietzins einschließlich seiner späteren Veränderungen wahrheitsgemäß angegeben hat. Der Wortlaut der Norm hätte eine abweichende Auslegung nur gerechtfertigt, wenn es statt „nicht erteilt“ „nicht oder unrichtig erteilt“ geheißen hätte. Dem entspricht auch die Gesetzessystematik. Denn § 556g Abs. 1a Satz 3 BGB statuiert ein Nachholrecht des Vermieters nur für den Fall der „nicht erteilten“ Auskunft. Die Schaffung eines vermieterseitigen Nachholrechts wäre aber nicht nur für den Fall der vollständigen Auskunftsverweigerung, sondern erst recht für den einer unrichtigen oder anderweitig unzureichenden Auskunftserteilung veranlasst oder jedenfalls zu erwarten gewesen. An einer solchen Regelung jedoch fehlt es mit Ausnahme des in § 556g Abs. 1a Satz 4 BGB geregelten und hier nicht einschlägigen Falles einer formwidrigen Auskunftserteilung.
Es kommt hinzu, dass es sich bei § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB aF um eine den vom Gesetzgeber in § 556e Abs. 1 BGB zugebilligten Bestandsschutz der Vormiete erheblich einschränkende Sanktionsvorschrift handelt, die eine eng am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung gebietet. Dieser Bestandsschutz würde dem Vermieter jedoch ohne sachlichen Grund weitgehend entzogen, wenn er in einem nach Inkrafttreten der §§ 556d ff. BGB geschlossenen Mietverhältnis einen Mietzins vereinbaren würde, der die vor Inkrafttreten der §§ 556d ff. BGB vereinbarte Vormiete und die Grenzen des § 556d Abs. 1 BGB oder eine seiner Ausnahmevorschriften – womöglich aus bloßer Unachtsamkeit und in lediglich geringfügigem Umfang – überschreitet. Denn in einem solchen Fall würde sich eine dem (Nach-)Mieter in Befolgung von § 556g Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BGB aF erteilte Auskunft zwangsläufig als unrichtig und damit als „nicht erteilt“ i.S.v. § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB aF erweisen (vgl. Kammer, Urt. v. 22. September 2022 – 67 S 113/22, MDR 2022, 1540, juris Tz. 23-32 (zur materiellen Reichweite des Vormietprivilegs)). Nur das gegenteilige und das Vormietprivileg erhaltende Gesetzesverständnis entspricht der Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung der Norm. Denn dem durch § 556e Abs. 1 BGB gewährten – und im Wesentlichen unbeschränkten – Schutz des Vormietbestandes des Eigentümers kommt ein maßgebliches Gewicht für die Vereinbarkeit der §§ 556d ff. BGB mit Art. 14 GG zu (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18. Juli 2019 -1 BvL 1/18, 1 BvL 4/18, 1 BvR 1595/18, NJW 2019, 3054 Tz. 103; Kammer, Urt. v. 22. September 2022, a.a.O.).
Einem Abstellen auf die Auskunftserteilung als solche steht die Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht entgegen. Diese liegt ausweislich der Gesetzesbegründung vornehmlich darin, dem Mieter durch den Hinweis auf die Vormiete ein mögliches späteres Berufen des Vermieters auf eine Ausnahmebestimmung warnend vor Augen zu führen. Außerdem verweist die Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf, die Auskunftspflicht erfasse nur solche Umstände, die in der Sphäre des Vermieters lägen und die der Vermieter bereits kenne oder ohne weiteres ermitteln könne (vgl. BT-Drs. 19/4672, S. 1, 11, 14; Börstinghaus, GE 2022, 944, 946). Die im Einzelnen mit nicht unerheblichen tatsächlichen und rechtlichen Unwägbarkeiten behaftete Höhe der preisrechtlich zulässigen Vormiete oder gar der „Vor-Vormiete“ betrifft aber weder allein die Sphäre des Vermieters noch „kennt“ er sie zwangsläufig oder ist „ohne weiteres“ in der Lage, sie zutreffend zu ermitteln.
Diesem Gesetzesverständnis entspricht auch der allgemeine auskunftsrechtliche Grundsatz, nach dem eine unrichtige Auskunft als erteilte Auskunft anzusehen ist, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die – wenn auch fehlerhafte – Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 3. September 2020 – III ZR 136/18, jNJW 2021, 765, juris Tz. 43; Börstinhaus, a.a.O., 945). Diese Sichtweise steht im Einklang mit der von der Kammer insoweit geteilten Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH, der die fehlerhaft erteilte Auskunft des Vermieters zu einer – tatsächlich nicht erfolgten – umfassenden Modernisierung i.S.v. § 556f Satz 2 BGB nicht gemäß § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB a.F. sanktioniert, sondern es dem Vermieter stattdessen zubilligt, sich bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auch ohne gesonderte Auskunftserteilung gemäß § 556e Abs. 2 BGB auf eine einfache Modernisierung zu berufen (vgl. BGH, Urt. v. 18. Mai 2022 – VIII ZR 9/22, WuM 2022, 468, juris Tz. 54). Sie findet ihre Entsprechung auch im Betriebskostenrecht, bei dem die formelle Richtigkeit einer Nebenkostenabrechnung durch inhaltlich fehlerhafte Angaben des Vermieters nicht berührt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2011 – VIII ZR 286/10, WuM 2012, 98, beckonline Tz. 12 m.w.N.).
Einer analogen Anwendung des in § 556g Abs. 1a Satz 2 BGB a.F. nicht geregelten Falls der inhaltlich unzutreffenden Auskunft steht das Fehlen einer planwidrigen Gesetzeslücke entgegen. Es ist nicht nur fernliegend, sondern schon durch das Gesetzgebungsverfahren widerlegt, dass der Gesetzgeber den naheliegenden Fall einer falschen Auskunft angesichts des kontrovers diskutierten Inhalts und Ausmaßes der Ausnahmevorschriften übersehen und die Voraussetzungen für ein Eingreifen weitreichender Sanktionen nicht sorgfältig in den Blick genommen sowie ausformuliert hat (vgl. Börstinghaus, WuM 2022, 589, 591; Fleindl, in: BeckOGK BGB, Stand 1. Januar 2023, BGB, § 556g Rn. 50 m.N.; Selk NJW 2019, 329, 331). Dies gilt umso mehr, als die Gesetzesbegründung lediglich auf den Willen schließen lässt, eine unterbliebene Auskunft über das Vorliegen eines etwaigen Ausnahmetatbestands zu sanktionieren. Denn der Gesetzgeber hat dem Mieter für den Fall von Zweifeln an der Richtigkeit einer nach § 556g Abs. 1a Satz 1 BGB a.F. erteilten Auskunft in § 556g Abs. 3 BGB ein zusätzliches und weitergehendes vertragliches Auskunftsrecht geschaffen (vgl. BT-Drs. 19/4672, S. 27). Es kommt hinzu, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des § 556g Abs. 1a BGB zum 1. April 2020 den Fall einer inhaltlich unzutreffenden Auskunft ungeachtet des anhaltend streitigen Meinungsstandes auch weiterhin nicht zum Zwecke der Klarstellung ausdrücklich geregelt hat (vgl. Börstinghaus, WuM 2022, 589, 591; ders., in: Schmidt-Futterer, 15. Aufl. 2021, BGB § 556g Rz. 27m-n; ders., jurisPR-MietR 19/2022 Anm. 1; Fleindl, a.a.O., § 556g Rz. 82; Selk, a.a.O.; Theesfeld-Betten, in: BeckOK MietR, Stand 1. Februar 2023, § 556g Rz. 54).
Schutzwürdige Interessen des Mieters stehen dem von der Kammer gewonnenen Auslegungsergebnis nicht entgegen, da dem Mieter im Fall einer vom Vermieter schuldhaft unrichtig erteilten Auskunft und dem Mieter daraus erwachsender Schäden Schadensersatzansprüche gegenüber dem Vermieter zustehen.
Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (§§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1, 398 BGB) ist lediglich in einer von der Berufung nicht mehr angegriffenen Höhe von 627,13 EUR – berechnet unter Ansatz des 47-fachen Differenzbetrags von 121,78 EUR – nebst Zinsen begründet. Weitergehende Ansprüche stehen der Klägerin nicht zu, da dem Erstattungsanspruch des Geschädigten im Verhältnis zum Schädiger nur der Gegenstandswert zugrunde zu legen ist, der der berechtigten Forderung entspricht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04, NJW 2005, 1112, beckonline Tz. 8). Berechtigt war aber lediglich ein monatlicher Differenzbetrag von 121,78 EUR und nicht die von der Klägerin vorgerichtlich geltend gemachte – und weit darüber hinausgehende – Summe.
Die Entscheidungen zu den Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 91a Abs. 1 Satz 1, 516 Abs. 3, 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO geboten, um eine höchstrichterliche Klärung der im Einzelnen streitigen Reichweite der §§ 556e Abs. 1 Satz 1 und 556g Abs. 1a BGB zu ermöglichen.
24.05.2023