Leitsätze:
1. Ein Mieter kann die Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen einer Härte i.S.v. § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB nur dann verlangen, wenn der Härtegrund schon vor Ablauf der Kündigungsfrist vorlag. Erstmals nach Beendigung des Mietverhältnisses entstandene Härtegründe finden im Rahmen von § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB keine Berücksichtigung.
2. Eine auf fehlendem Ersatzwohnraum beruhende Härte nach § 574 Abs. 2 BGB ist nur dann „nicht zu rechtfertigen“, wenn der Mieter bereits ab dem Zeitpunkt des Kündigungszugangs alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den Eintritt der Härte bis zur kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses abzuwenden. Das erfordert zwingend die Entfaltung von Anmietbemühungen noch vor Ablauf der Kündigungsfrist.
LG Berlin vom 28.9.2023 – 67 S 101/23 –
Mitgeteilt von der Zivilkammer 67 des Landgerichts Berlin
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging hier unter anderem darum, ob die Mieterin sich darauf berufen kann, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für sie eine besondere Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Vermieterin nicht zu rechtfertigen wäre, da von ihr angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden könne, § 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.
Die Mieterin hatte innerhalb der Frist des § 574 b Abs. 2 Satz 1 BGB einen Widerspruch gegen die Kündigung erklärt und sich darauf berufen, dass ihre Familie, Freunde und Bekannte in der Umgebung der streitgegenständlichen Wohnung wohnten. Zudem wohnten ihre beiden minderjährigen Kinder seit ihrer Geburt in der Wohnung und seien mit dem Kiez eng verbunden, unter anderem gingen sie dort zur Grundschule und zum Instrumentalunterricht. Die Mieterin arbeite in der Nähe der streitgegenständlichen Wohnung in einer Grundschule und stocke mit ALG II auf, weswegen es für sie „momentan nahezu unmöglich“ sei, eine vergleichbare Wohnung zu einem ähnlichen Mietpreis anzumieten.
Das Landgericht verneinte jedoch das Vorliegen eines Härtegrundes i.S.v. § 574 Abs. 1 BGB.
Die Mieterin könne sich nicht mit Erfolg auf § 574 Abs. 2 BGB berufen, wonach eine Härte auch vorliegt, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
Einen Mieter treffe im Rahmen von § 574 Abs. 2 BGB eine Obliegenheit, sich mithilfe von Verwandten und Bekannten oder öffentlichen und privaten Stellen sowie unter Inanspruchnahme geeigneter Medien ernsthaft und nachhaltig um eine angemessene Ersatzwohnung zu bemühen, wobei sich der Umfang der zu fordernden Bemühungen danach richte, was dem jeweiligen Mieter unter seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuzumuten sei. Entsprechende Bemühungen, sich um angemessenen Ersatzwohnraum zu bemühen, sowie deren Feststellung durch das Gericht seien auch nicht etwa im Hinblick auf eine Mangellage auf dem Wohnungsmarkt entbehrlich.
Insoweit sei festzustellen, dass die ersten von der Mieterin nachgewiesenen Bemühungen um Ersatzwohnraum auf den 23. August 2022 datieren und somit knapp zwei Jahre nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung sowie über ein Jahr nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt seien. Sowohl im Zeitpunkt der Erklärung des Widerspruches als auch bei Ablauf der Kündigungsfrist habe somit kein im Rahmen von § 574 Abs. 2 BGB zu berücksichtigender Härtegrund vorgelegen, auf den sich die Mieterin berufen könnte. Ob Ersatzwohnraum zu angemessenen Bedingungen zu erlangen gewesen wäre, wenn die Mieterin vor Ablauf der Kündigungsfrist – von ihr tatsächlich unterlassene – Anmietbemühungen entfaltet hätte, könne dahinstehen. Denn eine Härte könne nur dann „nicht zu rechtfertigen“ i.S.v. § 574 Abs. 1, 2 BGB sein, wenn der Mieter ab dem Zeitpunkt des Kündigungszugangs alles ihm Zumutbare unternommen habe, um den Eintritt der Härte bis zur kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses zu verhindern. Davon ausgehend sei die Entfaltung von Anmietbemühungen noch während des Bestandes des Mietverhältnisses unabhängig davon erforderlich, ob der gekündigte Wohnraummieter Zweifel an der Wirksamkeit der Kündigung habe. Soweit vertreten werde, der Mieter dürfe die Ersatzwohnraumsuche so lange zurückstellen, als er an den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung gegen den Räumungsanspruch nicht ernsthaft zweifeln müsse (vgl. LG Berlin vom 17.2.2020 – 64 S 160/19 –), könne die Kammer dieser Argumentation nicht folgen. Vielmehr würde neben dem Wortlaut auch Sinn und Zweck sowie die Systematik der §§ 574 Abs. 1, Abs. 2, 574 b Satz 2 Satz 1 BGB – bei zutreffender Belehrung durch den Vermieter – die Geltendmachung des Widerspruchs und das Bestehen eines Widerspruchsgrundes spätestens zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses verlangen. Aus diesem Regelungskonzept des Gesetzgebers ergebe sich, dass sich ein Wohnraummieter, sofern er sich auf den Härtegrund des § 574 Abs. 2 BGB berufen wolle, nicht darauf zurückziehen könne, erstmals nach Beendigung des Mietverhältnisses oder womöglich sogar erst nach Erlass eines erst– oder zweitinstanzlichen Räumungsurteils mit der Suche nach angemessenem Ersatzwohnraum zu beginnen.
Davon ausgehend seien die von der Mieterin vorgetragenen und auch durch Übersendung entsprechender Unterlagen nachgewiesenen Bemühungen um Ersatzwohnraum – einerseits den Zeitraum August 2022 bis Januar 2023 betreffend sowie erneut und intensiviert seit August 2023 – im Rahmen von § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB schon grundsätzlich nicht mehr berücksichtigungsfähig, da insofern Voraussetzung sei, dass die (rechtliche) Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine Härte bedeute. Nach Ablauf der Kündigungsfrist – hier gemäß § 573 c Abs. 1 Satz 1, 2 BGB mit Ablauf des 30. Juni 2021 – entstandene Umstände bzw. Härtegründe könnten daher bei der Beurteilung von § 574 BGB keine Rolle mehr spielen.
Soweit die Auffassung der 67. Zivilkammer des LG Berlin.
Das Landgericht hat die Revision zum Bundesgerichthof zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Frage zu ermöglichen, ob sich auch ein Mieter, der erst nach Ablauf der Kündigungsfrist Bemühungen um Ersatzwohnraum nachweisen kann, auf § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB berufen kann.
Urteilstext
Gründe:
Die Kläger begehren von der Beklagten die Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten und ihren beiden Töchtern innegehaltenen Wohnung aufgrund einer von ihnen am 30. September 2020 ausgesprochenen Kündigung wegen angeblichen Eigenbedarfs ihrer Tochter.
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Kündigung vom 30. September 2020 das Mietverhältnis beendet habe, da der geltend gemachte Eigenbedarf bestehe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin … stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Zeugin ernsthaft beabsichtige, in die derzeit von der Beklagten innegehaltene Wohnung einzuziehen. Dem stehe der Umstand, dass die Zeugin … bereits im November 2021 in eine 30 m² große Wohnung in der … gezogen sei und diese alleine bewohne, nicht entgegen. Der Beklagten sei es zumutbar, in der bisherigen Wohnortsnähe eine neue vergleichbare Wohnung zu suchen; dies sei auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Beklagten nicht unzumutbar. Wegen der Einzelheiten, insbesondere zum erstinstanzlichen Vorbringen und zu den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen, wird auf das amtsgerichtliche Urteil (Bl. 66-73 d.A.) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 17. März 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 14. April 2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 16. Juni 2023 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Beklagte rügt im Wesentlichen, dass das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Tochter der Kläger ernsthaft beabsichtigt habe und beabsichtige, in die Wohnung der Beklagten einzuziehen. Es gebe Widersprüche hinsichtlich des Eigennutzungswunsches der Tochter und es sei nicht klar, zu welchem Zeitpunkt die Kläger ihrer Tochter die Wohnung tatsächlich übergeben wollten. Zudem fehle sowohl in der Kündigung als auch in der Klageschrift die Information, dass auch die Partnerin der Tochter in Wohnung einziehen wolle, dies sei jedoch Teil der Begründungspflicht. Schließlich sei das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass es für die Beklagte zumutbar sei, eine vergleichbare Wohnung zu finden. Der Beklagten stünden monatlich 966,00 EUR zuzüglich der angemessenen Kosten der Unterkunft zur Verfügung. Die von ihr getätigten Wohnungsbemühungen seien ausreichend, insbesondere seien in dem entsprechenden Zeitraum keine anderen Wohnungen für Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins auf dem Markt gewesen. Zuletzt sei die Wohnungssuche durch den überraschenden Tod des Lebensgefährten der Beklagten im Mai 2023 erschwert worden.
Die Beklagte beantragt, das am 16. März 2023 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte, Az: 10 C 147/22, abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise: der Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung gem. §§ 719, 707, 712 ZPO durch Hinterlegung einer Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Kläger abzuwenden.
Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der Zeugin …. Hinsichtlich des Beweisthemas wird auf den Beweisbeschluss vom 28. Juni 2023 (Bl. 100 d.A.) Bezug genommen, hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 15. August 2023 (Bl. 134-140 d.A.). Weiter hat die Kammer die Kläger gemäß § 141 ZPO informatorisch angehört. Auch insoweit wird auf das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 15. August 2023 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
1. Das Amtsgericht hat die Beklagte aus den zutreffenden Gründen zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verurteilt. Den Klägern steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zu. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis hat durch die Kündigung vom 30. September 2020 seine Beendigung gefunden.
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hinsichtlich der von den Klägern geltend gemachten Gründe für ihren Wunsch, die streitgegenständliche Wohnung ihrer Tochter überlassen zu wollen, ist zutreffend und wird von der Kammer einschränkungslos geteilt. Das Amtsgericht konnte den für die Beweisführung erforderlichen Grad richterlicher Überzeugung auch auf Grundlage der Vernehmung der Bedarfsperson, der Zeugin … gewinnen, da diese den Grund für ihren Nutzungswunsch plausibel und nachvollziehbar geschildert hat. Insoweit wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen aus dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die dagegen gerichteten Berufungsangriffe der Beklagten verfangen nicht. Die Kammer ist nach Anhörung der Kläger gemäß § 141 ZPO sowie nach erneuter Vernehmung der Zeugin … i.S.v. § 286 ZPO davon überzeugt, dass ein Überlassungswille der Kläger hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung sowie ein entsprechender Nutzungswunsch der Zeugin … sowohl im Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung vom 30. September 2020 als auch bei Ablauf der Kündigungsfrist am 30. Juni 2021 vorlag.
Die Kammer vermag der Argumentation der Beklagten, wonach die Angaben der Zeugin zu dem Zeitpunkt ihres Entschlusses bzw. Wunsches, in die streitgegenständliche Wohnung einzuziehen, weder zu den Angaben in der Kündigung vom 30. September 2020 noch zu denen aus der in der Klageschrift passen würden, nicht zu folgen. Insofern ist zu berücksichtigen, dass der zwischen den Klägern und der Beklagten abgeschlossene Mietvertrag eine – gemäß § 575 BGB unwirksame – Befristung enthielt, welche mit dem 2. Nachtrag zum Mietvertrag eine Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.03.2020 vorsah. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Aussage der Zeugin … aus dem amtsgerichtlichen Beweistermin vom 26. Januar 2023 als schlüssig und widerspruchsfrei dar. Danach habe sie während ihres Abiturjahres 2019/2020 den Entschluss gefasst, nach dem Abitur in Berlin bleiben und hier studieren zu wollen. Gemeinsam mit ihren Eltern habe sich dann der Plan entwickelt, dass sie in die streitgegenständliche Wohnung einziehen könne. In Anbetracht der Befristung des Mietvertrages bis zum 31.03.2020 steht auch die Aussage der Zeugin, sie meine sich daran zu erinnern, dass die „Kündigungsfrist“ zum Februar 2020 ablaufen würde, auf jeden Fall im Frühjahr 2020, nicht im Widerspruch zu der späteren Eigenbedarfskündigung. Vielmehr gingen die Zeugin sowie die Kläger – was diese in ihrer informatorischen Anhörung bekundet haben – zunächst davon aus, dass ein Räumungs- und Herausgabeanspruch hinsichtlich der streitgegenständlichen Wohnung gegenüber der Beklagten schon wegen der Befristung des Mietvertrages bestehe.
Weiter lässt sich den Aussagen der Zeugin aus dem Termin vom 15. August 2023 entnehmen, dass diese – nachdem sich herausgestellt hatte, dass die in dem Mietvertrag bzw. in dem Nachtrag enthaltene Befristung unwirksam war – davon ausging, nach der von ihren Eltern ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung kurz vor Beginn ihres Studiums, welches im Oktober 2021 begonnen hat, in die streitgegenständliche Wohnung einziehen zu können. Dass es bei den Aussagen der Zeugin hinsichtlich der Frage nach dem Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung – tatsächlich am 30. September 2020 – und nach dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – zum 30. Juni 2021 – vereinzelte Unklarheiten gab, steht der Überzeugung der Kammer vom Vorliegen eines ernsthaften Nutzungswunsches der Klägerin zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten nicht entgegen. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass für die Zeugin weniger der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung von Relevanz ist als vielmehr das Datum, zu welchem sie davon ausging, in die Wohnung tatsächlich einziehen zu können. Dies hat sie zutreffend auf den Zeitraum vor Beginn ihres Studiums datiert. Jedenfalls aber hat sie insofern überzeugend und nachvollziehbar angegeben, dass sich an ihrem Nutzungswunsch seit dem Jahr 2019 bzw. 2020 nichts mehr geändert habe, vielmehr habe sich dieser in dem Zeitraum vor Beginn ihres Studiums noch weiter verfestigt. Der Ansicht der Beklagten, wonach die Angabe der Zeugin zur Verfestigung ihres Nutzungswunsches im Zeitraum August bis Oktober 2021 einem Nutzungswunsch im Zeitpunkt des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung sowie zum Ablauf der Kündigungsfrist widerspreche, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr steht für die Kammer nach dem gesamten Inhalt der Bekundungen der Zeugin fest, dass der Nutzungswunsch bereits seit dem Frühjahr 2020 bestand und bis zum heutigen Tage weiterhin besteht und sich dieser Nutzungswunsch unmittelbar vor Beginn des Studiums der Zeugin im Oktober 2021 nochmals weiter intensiviert hat.
Der Annahme eines Überlassungs- und Nutzungswunsches steht es auch nicht entgegen, dass die Zeugin in dem erstinstanzlichen Beweistermin angegeben hat, gemeinsam mit ihrer Partnerin in die streitgegenständliche Wohnung einziehen zu wollen, wohingegen diese in der Kündigungserklärung nicht erwähnt wird und die Zeugin in dem Termin vom 15. August 2023 erklärt hat, sie werde die streitgegenständliche Wohnung alleine bewohnen und ihre Partnerin werde sich dort lediglich besuchsweise aufhalten. Diese Frage kann letztlich offenbleiben, da gemäß § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung lediglich voraussetzt, dass die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses in dem Kündigungsschreiben angegeben sind. Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (vgl. BT-Drs. VI/1549, S. 6?f. zu § 564a Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.). Diesem Zweck wird im Allgemeinen Genüge getan, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann; bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs ist daher grundsätzlich die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, ausreichend (vgl. BGH, Urt. v. 22. Mai 2019 – VIII ZR 167/17, NZM 2019, 527 Rn. 19 m.w.N., beck-online).
Diesen Anforderungen genügt die Kündigungserklärung vom 30. September 2020. Aus dieser ließ sich für die Beklagte zweifelsfrei entnehmen, dass die Tochter der Kläger die streitgegenständliche Wohnung in Zukunft zu nutzen beabsichtigt, da sie aus dem elterlichen Haushalt ausziehen und einen eigenen Hausstand während ihres Studiums gründen möchte.
Die Tatsache, dass die Kläger in dem Kündigungsschreiben keine Angaben dazu gemacht haben, dass die Klägerin – mögicherweise bzw. teilweise – die Wohnung gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin nutzen will, steht dem nicht entgegen. Die Bedarfsperson, für die der Eigenbedarf geltend gemacht wird, ist konkret benannt worden. Es kommt daher – jedenfalls dann, wenn wie hier die Überzeugung besteht, dass der geltend gemachte Eigenbedarfswunsch tatsächlich vorliegt – nicht entscheidend darauf an, ob neben der Bedarfsperson möglicherweise noch weitere Personen die streitgegenständliche Wohnung nutzen werden.
Schließlich steht der Überzeugung vom Vorliegen des Eigenbedarfswunsches auch nicht entgegen, dass die Kläger und die Zeugin bei der Planung, dass die Zeugin die streitgegenständliche Wohnung in Zukunft nutzen wolle, keine genauen Absprachen hinsichtlich etwaiger Mietzahlungen der Zeugin getroffen haben. Die Kläger sowie die Zeugin haben dazu bekundet, dass sich die Miete, die die Zeugin derzeit für ihre Wohnung leiste, höher als der von der Beklagten geschuldete Mietzins sei, so dass klar gewesen sei, dass sich die Zeugin die streitgegenständliche Wohnung auch finanziell leisten könne. Zudem erhalte die Zeugin von den Klägern während ihres Studiums Unterhalt, weswegen eine genaue Absprache über die finanziellen Rahmenbedingungen für die in Rede stehende Wohnung nachvollziehbarer Weise nicht zwingend erforderlich war.
2. Weiter hat das Amtsgericht zu Recht angenommen, dass sich die Beklagte nicht darauf berufen kann, dass die Beendigung des Mietverhältnisses für sie eine besondere Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Kläger nicht zu rechtfertigen wäre, da von ihr angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden könne, §§ 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.
Die Beklagte hat zwar mit Schreiben vom 26. April 2021 und damit innerhalb der Frist des § 574b Abs. 2 Satz 1 BGB einen Widerspruch gegen die Kündigung erklärt und sich darauf berufen, dass ihre Familie, Freunde und Bekannte in der Umgebung der streitgegenständlichen Wohnung wohnten. Zudem wohnten ihre beiden minderjährigen Kinder seit ihrer Geburt in der Wohnung und seien mit dem Kiez eng verbunden, unter anderem gingen sie dort zur Grundschule und zum Instrumentalunterricht. Die Beklagte arbeite in der Nähe der streitgegenständlichen Wohnung in einer Grundschule und stocke mit ALG II auf, weswegen es für sie „momentan nahezu unmöglich“ sei, eine vergleichbare Wohnung zu einem ähnlichen Mietpreis anzumie-ten.
a) Ein Härtegrund i.S.v. § 574 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
Hinsichtlich der von der Beklagten vorgetragenen sozialen Vernetzung von ihr selbst sowie ihren Kindern in der Nachbarschaft der streitgegenständlichen Wohnung ist diese zwar nachvollziehbar. Diese Erwägungen sind im Rahmen der Prüfung von § 574 Abs. 1 BGB jedoch nicht geeignet, eine besondere Härte zu begründen, da eine solche nur in Betracht kommt, wenn sich die für den Mieter mit einem Umzug verbundenen Nachteile von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (vgl. BGH, Urteil vom 22.5.2019 – VIII ZR 167/17, NJW-RR 2019, 972 Tz. 31 m.w.N., beck-online). Dafür, dass dies hier der Fall wäre, ist nichts ersichtlich.
Die von der Beklagten in ihrem Widerspruch geschilderte angespannte finanzielle Situation ist nicht im Rahmen von § 574 Abs. 1 BGB, sondern in Verbindung mit der Frage nach fehlendem Ersatzraum zu berücksichtigen (vgl. Hartmann, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 574 BGB Rn. 59), so dass auch insofern kein Härtegrund i.S.v. § 574 Abs. 1 BGB gegeben ist.
b) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf § 574 Abs. 2 BGB berufen, wonach eine Härte auch vorliegt, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
Den Mieter trifft im Rahmen von § 574 Abs. 2 BGB eine Obliegenheit, sich mithilfe von Verwandten und Bekannten oder öffentlichen und privaten Stellen sowie unter Inanspruchnahme geeigneter Medien ernsthaft und nachhaltig um eine angemessene Ersatzwohnung zu bemühen, wobei sich der Umfang der zu fordernden Bemühungen danach richtet, was dem jeweiligen Mieter unter seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zuzumuten ist (vgl. BGH, Urteil v. 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, NJW 2019, 2765 Tz. 53 m.w.N., beck-online). Entsprechende Bemühungen, sich um angemessenen Ersatzwohnraum zu bemühen, sowie deren Feststellung durch das Gericht sind auch nicht etwa nicht im Blick auf eine Mangellage auf dem Wohnungsmarkt entbehrlich (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 52 m.w.N.).
Insoweit ist festzustellen, dass die ersten von der Beklagten nachgewiesenen Bemühungen um Ersatzwohnraum auf den 23. August 2022 datieren und somit knapp zwei Jahre nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung sowie über ein Jahr nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt sind. Sowohl im Zeitpunkt der Erklärung des Widerspruches als auch bei Ablauf der Kündigungsfrist lag somit kein im Rahmen von § 574 Abs. 2 BGB zu berücksichtigender Härtegrund vor, auf den sich die Beklagte berufen könnte. Ob Ersatzwohnraum zu angemessenen Bedingungen zu erlangen gewesen wäre, wenn die Beklagte vor Ablauf der Kündigungsfrist – von ihr tatsächlich unterlassene – Anmietbemühungen entfaltet hätte, kann dahinstehen. Denn eine Härte kann nur dann „nicht zu rechtfertigen“ i.S.v. §§ 574 Abs. 1, 2 BGB sein, wenn der Mieter ab dem Zeitpunkt des Kündigungszugangs alles ihm Zumutbare unternommen hat, um den Eintritt der Härte bis zur kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses zu verhindern (vgl. BGH, Beschl. v. 2. Juli 2014 – XII ZR 65/14, NJW-RR 2014, 914 Tz. 4 m.w.N. zum Erfordernis von Bemühungen des Vollstreckungsschuldners und der davon abhängenden Unersetzlichkeit des Nachteils i.S.d. § 719 Abs. 2 ZPO). Davon ausgehend ist die Entfaltung von Anmietbemühungen noch während des Bestandes des Mietverhältnisses unabhängig davon erforderlich, ob der gekündigte Wohnraummieter Zweifel an der Wirksamkeit der Kündigung hat. Soweit vertreten wird, der Mieter dürfe die Ersatzwohnraumsuche so lange zurückstellen, als er an den Erfolgsaussichten seiner Rechtsverteidigung gegen den Räumungsanspruch nicht ernsthaft zweifeln muss (vgl. LG Berlin, Beschl. v. 17. Februar 2020 – 64 S 160/19, BeckRS 2020, 2853 Tz. 6 ff.), vermag die Kammer dieser Argumentation nicht zu folgen. Vielmehr verlangen neben dem Wortlaut auch Sinn und Zweck sowie die Systematik der §§ 574 Abs. 1, Abs. 2, 574b Satz 2 Satz 1 BGB – bei zutreffender Belehrung durch den Vermieter – die Geltendmachung des Widerspruchs und das Bestehen eines Widerspruchsgrundes spätestens zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses. Aus diesem Regelungskonzept des Gesetzgebers ergibt sich, dass sich ein Wohnraummieter, sofern er sich auf den Härtegrund des § 574 Abs. 2 BGB berufen will, nicht darauf zurückziehen kann, erstmals nach Beendigung des Mietverhältnisses oder womöglich sogar erst nach Erlass eines erst- oder zweitinstanzlichen Räumungsurteils mit der Suche nach angemessenem Ersatzwohnraum zu beginnen (vgl. Emanuel, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. Juli 2023, § 574a Rz. 15).
Davon ausgehend sind die von der Beklagten vorgetragenen und auch durch Übersendung entsprechender Unterlagen nachgewiesenen Bemühungen um Ersatzwohnraum – einerseits den Zeitraum August 2022 bis Januar 2023 betreffend sowie erneut und intensiviert seit August 2023 – im Rahmen von § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB schon grundsätzlich nicht mehr berücksichtigungsfähig, da insofern Voraussetzung ist, dass die (rechtliche) Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine Härte bedeutet. Nach Ablauf der Kündigungsfrist – hier gemäß § 573c Abs. 1 Satz 1, 2 BGB mit Ablauf des 30. Juni 2021 – entstandene Umstände bzw. Härtegründe können daher bei der Beurteilung von § 574 BGB keine Rolle mehr spielen (vgl. Rolfs, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2021, § 574 Rn. 24; Häublein, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2023, § 574 Rn. 9 m.w.N.). Um solche nachträglich entstandenen Gründe, für die nicht mehr die mietrechtliche Vorschrift des § 574 BGB einschlägig ist, sondern die allgemeinen Schutzvorschriften der §§ 721, 765a ZPO anwendbar sein können, handelt es sich hier aber.
c) Auf den Antrag der Beklagten war ihr gemäß § 712 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Kläger abzuwenden, da die Vollstreckung ihr einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
Es ist grundsätzlich und auch hier davon auszugehen, dass bei einer Räumungsvollstreckung einer Wohnung der unersetzliche Nachteil droht, dass sich der (endgültige) Verlust der Wohnung als der bisherige Lebensmittelpunkt wegen zwischenzeitlicher Verfügungen oder Veränderungen durch den Vollstreckungsgläubiger meist nicht mehr rückgängig machen lässt (vgl. BGH, Beschl. v. 31. Januar 2023 – VIII ZA 27/22, BeckRS 2023, 5021 Tz. 10, beck-online).
Dem Antrag der Beklagten steht auch kein überwiegendes Interesse der Kläger nach § 712 Abs. 2 Satz 1 ZPO entgegen. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ist einerseits das Interesse des Räumungsschuldners – hier der Beklagten – an einer vorläufigen Aussetzung der Zwangsvollstreckung zu berücksichtigen, andererseits das Interesse des Gläubigers – hier der Kläger – an einer zeitnahen Realisierung seines titulierten Anspruchs (vgl. zum Maßstab Ulrici, in: BeckOK ZPO, 49. Ed., Stand: 1. Juli 2023, § 712 ZPO Rn. 8 m.w.N.). Diese Interessenabwägung geht hier zu Gunsten der Beklagten aus. Sie steht vor dem Hintergrund des stark angespannten Wohnungsmarktes in Berlin im Falle einer Räumungsvollstreckung vor der Situation, in absehbarer Zeit voraussichtlich keinen anderweitigen Wohnraum für sich und ihre beiden minderjährigen Kinder zu finden. Die entsprechenden Bemühungen um Ersatzwohnraum für den aktuellen Zeitraum hat die Beklagte mit den vorgelegten Wohnungsbewerbungen nachgewiesen und damit auch glaubhaft gemacht i.S.v. § 714 Abs. 2 ZPO. Das Interesse der Kläger, die streitgegenständliche Wohnung ihrer Tochter zur Verfügung stellen zu können, muss demgegenüber zurücktreten. Zwar ist insofern zu berücksichtigen, dass die aktuelle Wohnsituation der Zeugin … von dieser sowohl hinsichtlich des Zustands der von ihr derzeit bewohnten Wohnung als auch hinsichtlich der Größe und des Mietzinses als nicht zufriedenstellend angesehen wird. Anders als der Beklagten droht der Zeugin … aber auch bei der nunmehr getroffenen Regelung nach § 712 Abs. 1 ZPO kein nicht zu ersetzender Nachteil.
Die Beklagte kann jedoch keinen Vollstreckungsschutz gemäß § 712 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne vorherige Sicherheitsleistung verlangen. Denn sie hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, zur Leistung einer Sicherheit nicht in der Lage zu sein.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 7, Nr. 10 Satz 2, 711 ZPO.
4. Die Revision war gemäß §§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Frage in Bezug zu ermöglichen, ob sich auch ein Mieter, der erst nach Ablauf der Kündigungsfrist Bemühungen um Ersatzwohnraum nachweisen kann, sich auf § 574 Abs. 1, Abs. 2 BGB berufen kann.
5. Die Entscheidung zur Gewährung einer Räumungsfrist beruht auf § 721 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Beklagten war auch unter Berücksichtigung des Erlangungsinteresses der Kläger angesichts des gerichtsbekannt angespannten Wohnungsmarktes die aus dem Tenor ersichtliche Räumungsfrist zu gewähren.
30.11.2023