Leitsatz:
Ein „Neubau mit Maximalkomfort“ ist kein mietrechtlich geschütztes Verwertungsinteresse.
AG Mitte vom 17.8.2023 – 25 C 80/23 –
Mitgeteilt von RA Cornelius Krakau
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging um die Räumung einer Wohnung in dem – aus den Berliner Medien bekannt gewordenen – Wohnkomplex Habersaathstraße 44 in 10115 Berlin. Nach Erhalt der bezirklichen Abrissgenehmigung kündigte die Vermieterin wegen Hinderung wirtschaftlicher Verwertung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB die Wohnung des Mieters.
Zur Begründung führte die Vermieterin an, das Grundstück nach Abriss von insgesamt über hundert Wohnungen unter Einschluss der von dem besagten Mieter innegehaltenen Räume neu zu bebauen, den neu geschaffenen Wohnraum zu veräußern und einen Gewinn von insgesamt 13.706.830,00 Euro zu erzielen. Bei Erhalt der bisherigen Bausubstanz und Fortbestand auch des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre sie gezwungen, das Gesamtobjekt mit einer Unterdeckung zu bewirtschaften, deren Höhe davon abhänge, in welchem Ausmaß Kosten für bauliche Maßnahmen aufgewendet würden.
Diese Begründung überzeugte das Amtsgericht nicht, so dass es die Räumungsklage vollständig abwies.
Das Gericht argumentierte wie folgt:
Die Beurteilung der Frage, ob der Eigentümerin durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entstehe, sei vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin lasse sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen. Dabei gewähre das Eigentum der Vermieterin aber keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprächen. So wenig die Eigentümerin als Vermieterin einen Anspruch darauf habe, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen, so wenig habe sie bei jedwedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung.
Bei der hier vorzunehmenden konkreten Abwägung überzeuge das Vorbringen der Vermieterin insoweit schon im Ansatz nicht, denn es setze sich mit der naheliegenden Möglichkeit eines Weiterverkaufs des Grundstücks im Ist-Zustand oder nach Durchführung baulicher Maßnahmen sowie gegebenenfalls Umwandlung unter Erhalt des Gebäudes und der Mietverhältnisse nicht auseinander, sondern setze lediglich die eigene Weiterbewirtschaftung mit dem Verkauf nach Abriss und Neubau in Relation.
Die vermieterseitige Kalkulation und damit auch die Kündigungsbegründung seien damit in einem maßgeblichen Punkt unvollständig, wenn nicht sogar bewusst lückenhaft: Die Grundstückspreise stiegen in Berlin seit Jahren erheblich. Konkret hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Grundstücks habe der Bodenrichtwert gerichtsbekannt am 1. Januar 2018 noch 4000,00 Euro betragen. Dieser Wert sei zum 1. Januar 2023 auf 6000,00 Euro und damit um 50 % gestiegen. Zwischenzeitlich, zum 1. Januar 2022, dem Jahr der Kündigung, sei sogar eine Steigerung um 75 % zu verzeichnen gewesen. Es sei deswegen schon nicht ersichtlich, dass sämtliche Alternativen, die der Vermieterin zur ihrem Geschäftsmodell entsprechenden Verwertung zur Verfügung stünden, für sie im Vergleich zum Abriss und Neubau wirtschaftlich nachteilig seien. Soweit in der mündlichen Verhandlung hierzu pauschal vorgetragen wurde, einen Investor zu finden, sei angesichts der Mietverhältnisse schwierig beziehungsweise unmöglich, überzeuge das nicht. Denn die Vermieterin selbst habe ja in der gleichen Situation als Investorin gekauft.
Des Weiteren sei bei der vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien zunächst zu berücksichtigen, dass die Vermieterin das Objekt in Kenntnis des Mietvertrages und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben habe. Die geplante Verwertung mit dem Ziel der Rendite sei unter den gegebenen Voraussetzungen von vorneherein ein hoch riskantes, im Rahmen der Abwägung aus diesem Grund weniger schutzwürdiges Geschäft gewesen. Gleiches gelte für den baulichen Zustand des Gebäudes, von dem sich die Vermieterin vor dem Kauf hätte überzeugen können. Es sei die Sache der Vermieterin gewesen, angesichts der baulichen Verhältnisse und der die Mietparteien schützenden Vorschriften vor dem Kauf mit der nicht fern liegenden Möglichkeit des Fortbestands der Mietverhältnisse wirtschaftlich sinnvoll zu kalkulieren.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass auch nach dem in der Kündigungserklärung in Bezug genommenen Gutachten ein Zustand der Wohnung, der einer angemessenen Wohnraumversorgung entspricht, unter Erhalt der Bausubstanz sehr wohl mit vertretbarem Aufwand erreicht werden könne. Eine angemessene Wohnraumversorgung sei nämlich nicht gleichzusetzen mit heutigem Komfort und Stand der (Neubau-)Technik. Vielmehr meine der Begriff die Versorgung mit nach Größe, Ausstattung und Miete für breite Schichten der Bevölkerung geeignetem Wohnraum. Ausreichend sei also ein mangelfreier Durchschnittszustand. Eine den Abriss fordernde oder diesen auch nur nahelegende Mangelhaftigkeit des Gebäudes und der streitgegenständlichen Wohnung sei aber nicht ansatzweise dargetan.
Hinzu komme, dass das Gebäude bereits in weiten Teilen energetisch saniert sei. Die aufgeführten Vorteile eines Abrisses seien demgegenüber aus wohnungswirtschaftlicher Sicht wenig bedeutsam: So sollten verzichtbare Komfortzuwächse durch Balkone, vergrößerte Verkehrsflächen, verstärkten Schallschutz, vermietbare Nutzflächen, hochwertige Keller und Stellplätze geschaffen werden. Auch dem komme in der Abwägung nur ein geringes Gewicht zu.
Das generell bestehende Interesse des Mieters, das Mietverhältnis zu erhalten, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten eines Umzugs und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, überwiege demgegenüber als höchstpersönliche, grundsätzlich existenzsichernde und damit besonders gewichtige Rechtsposition deutlich.
Urteilstext
Tatbestand
Die Klägerin ist seit 2018 Eigentümerin und Vermieterin der Wohnung Nr. 3/11 im 2. Obergeschoss vorne links im Gebäude Habersaathstraße 44 in 10115 Berlin gelegenen und vom Beklagten als Mieter bewohnten Wohnung.
Der Wohngebäudekomplex Habersaathstraße 40-48 wurde im Jahr 1984 errichtet. In den Jahren 2006/2007 wurden am Gebäude Baumaßnahmen durchgeführt. So wurde das Flachdach durch ein Folien/Bitumendach erneuert und eine Photovoltaik-Anlage installiert. Die Außenwände wurden mit einem Wärmeverbundsystem (WDVA) verkleidet, die Fenster gegen Kunststoff-lsolierglasfenster ausgetauscht sowie die Keller- und die Dachgeschossdecke gedämmt.
Im Jahr 2018 erwarb die Klägerin den Gebäudekomplex. Im Zeitraum August 2017 bis Juni 2018 ließ die Klägerin ein Gutachten über den Bestand der Gebäudeeinheiten Habersaathstraße 40a – 48 sowie zur Ermittlung des Sanierungsbedarfs erstellen. Das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr.- lng. P. vom 14. Juni 2018, auf das für die weiteren Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K1 , BI. 11 ff. d. A.), untersuchte vier Verwertungsszenarien, wovon drei Szenarien jeweils Sanierungsmaßnahmen am Gebäude und in den Wohnungen unterschiedlichen Ausmaßes und ein Szenario den vollständigen Abriss nebst Errichtung eines Neubaus beinhalteten.
Das Bezirksamt Mitte erteilte der Klägerin mit Bescheid vom 27. Februar 2022 die Abrissgenehmigung für die Wohngebäude Habersaathstraße Nr. 40-48.
Mit Schreiben vom 1. August 2022, auf das für die Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K6, BI. 110 ff. d. A.), kündigte die Klägerin das Mietverhältnis ordentlich zum 30. April 2023. Zur Begründung der: Kündigung führte die Klägerin unter Verweis auf das Gutachten vom 14. Juni 2018, einer Kostenanpassung vom 23. März 2022, einer wohnungsbezogenen Renditeberechnung sowie einer Angebotskalkulation auf, das Mietverhältnis stehe dem Abriss und Neubau nebst anschließendem Verkauf als einzig wirtschaftlich vertretbaren Möglichkeit der Verwertung des Grundstücks entgegen. Mit Schreiben vom 21. Februar 2023 widersprach der Beklagte der Kündigung. Ein Auszug des Beklagten erfolgte nicht.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung vom 1.8.2022 sei wirksam, insbesondere entstünde der Klägerin durch den Fortbestand des Mietverhältnisses ein erheblicher Nachteil im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB.
Sie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die mit Nr. 3/1 bezeichnete Wohnung, gelegen im 2. OG vorn links des Objekts Habersaathstraße 44 in 10115 Berlin, zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin entstünde kein erheblicher Nachteil durch den Fortbestand des Mietverhältnisses, denn ihr stünde kein Anspruch auf die maximal mögliche Rendite zu.
Für das weitere Vorbringen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihm innegehaltenen Wohnung gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB nicht zu, da die Kündigung vom 1. August 2022 das Mietverhältnis nicht beendet hat.
Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB sind nicht erfüllt. Danach hat die Vermieterin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn sie durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Hieran fehlt es.
Die Beurteilung der Frage, ob der Eigentümerin durch den Fortbestand eines Mietvertrags ein erheblicher Nachteil entsteht, ist vor dem Hintergrund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und damit des grundsätzlichen Bestandsinteresses des Mieters, in der bisherigen Wohnung als seinem Lebensmittelpunkt zu verbleiben, vorzunehmen. Die erforderliche Abwägung zwischen dem Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10 , Rn. 19, juris; NJW 2011, 1135). Dabei gewährt das Eigentum der Vermieterin keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeiten, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil versprechen (BGH, Urteil vom 27. September 2017- VIII ZR 243/16, Rn. 21, juris; NZM 2017, 756 m.w.N.). So wenig die Eigentümerin als Vermieterin einen Anspruch darauf hat, aus der Mietwohnung die höchstmögliche Rendite zu erzielen, so wenig hat sie bei jedwedem wirtschaftlichen Nachteil einen Anspruch auf Räumung (BVerfG, Beseht. v. 9. Oktober 1991 – 1 BvR 227/91, BVerfGE 84, 382 Rn. 12 m.w.N.).
Dabei ist zu beachten, dass sowohl die Rechtsposition der Vermieterin, als auch das abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt sind (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993-1 BvR 208/93-, BVerfGE 89, 1-14; BGH, Urteil vom 10. Mai 2017- VIII ZR 292/15, juris, NJW-RR 2017, 976). Die Wohnung ist für den einzelnen Menschen Mittelpunkt der privaten Existenz und er ist auf ihren Gebrauch zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen (BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 -, BVerfGE 89, 1-14, Rn. 21).
Im Hinblick auf die vom Gesetzgeber eigens geschaffene Härteregelung des § 574 BGB sind auf Seiten des Mieters allerdings (nur) die unabhängig von seiner konkreten Situation bestehenden Belange in die Abwägung einzustellen, also das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, die ein Wohnungswechsel in der Regel mit sich bringt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2017- VIII ZR 292/15 , juris). Deswegen ist im Rahmen der Abwägung auch unerheblich, ob der Beklagte aufgrund seiner Einkommensverhältnisse und seines Berufs konkret von Obdachlosigkeit bedroht ist, oder – wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat – nicht.
Die der Vermieterin entstehenden Nachteile dürfen andererseits keinen Umfang annehmen, der die Nachteile weit übersteigt, die vorliegend dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen. Die im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erforderliche Abwägung zwischen dem grundsätzlichen Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse der Eigentümerin entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung; sie lässt sich nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der konkreten Situation der Vermieterin treffen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 27. September 2017 – VIII ZR 243/16, Rn. 22, 23, juris m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen entsteht der Klägerin aufgrund der von ihr im Kündigungsschreiben vom 1. August 2022 sowie den dort in Bezug genommenen Unterlagen behaupteten Tatsachen durch den Fortbestand des Mietverhältnisses mit dem Beklagten kein erheblicher Nachteil i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB:
Die Klägerin beabsichtigt ausweislich ihrer Kündigungsbegründung, das Grundstück nach Abriss von insgesamt über hundert Wohnungen unter Einschluss der von dem Beklagten innegehaltenen Räume neu zu bebauen, den neu geschaffenen Wohnraum zu veräußern und einen Gewinn von insgesamt 13.706.830,00 € zu erzielen. Bei Erhalt der bisherigen Bausubstanz und Fortbestand auch des streitgegenständlichen Mietverhältnisses wäre die Klägerin – ausweislich ihres Vortrags – gezwungen, das Gesamtobjekt mit einer Unterdeckung zu bewirtschaften, deren Höhe davon abhängt, in welchem Ausmaß Kosten für bauliche Maßnahmen aufgewendet werden.
Das Vorbringen überzeugt insoweit schon im Ansatz nicht, denn es setzt sich mit der naheliegenden Möglichkeit eines Weiterverkaufs des Grundstücks im Ist-Zustand oder nach Durchführung baulicher Maßnahmen sowie gegebenenfalls Umwandlung unter Erhalt des Gebäudes und der Mietverhältnisse nicht auseinander, sondern setzt lediglich die eigene Weiterbewirtschaftung mit dem Verkauf nach Abriss und Neubau in Relation. Die klägerische Kalkulation und damit auch die Kündigungsbegründung sind damit in einem maßgeblichen Punkt unvollständig, wenn nicht sogar bewusst lückenhaft: Die Grundstückspreise steigen in Berlin seit Jahren erheblich. Konkret hinsichtlich des hier streitgegenständlichen Grundstücks betrug der Bodenrichtwert – wie aus allgemein zugänglichen Quellen (https://fbinter.stadt-berlin.de/boris/) ersichtlich und damit gerichtsbekannt – am 1. Januar 2018 noch 4.000,00 €. Dieser Wert stieg nach dem Eigentumserwerb der Klägerin zum 1. Januar 2023 auf 6.000,00 € und damit um 50 %. Zwischenzeitlich, zum 1. Januar 2022, dem Jahr der Kündigung, war sogar eine Steigerung um 75 % zu verzeichnen. Es ist deswegen schon nicht ersichtlich, dass sämtliche Alternativen, die der Kläger zur ihrem Geschäftsmodell entsprechenden Verwertung zur Verfügung stehen, für sie im Vergleich zum Abriss und Neubau wirtschaftlich nachteilig sind. Soweit in der mündlichen Verhandlung hierzu pauschal vorgetragen wurde, einen Investor zu finden, sei angesichts der Mietverhältnisse schwierig bzw. unmöglich, überzeugt das nicht. Denn die Klägerin selbst hat ja in der gleichen Situation als Investorin gekauft. Das Vorbringen ist zudem aber auch nicht Teil der Kündigungsbegründung und deswegen nicht beachtlich, § 573 Abs. 3 S. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2017- VIII ZR 243/16, Rn. 32, juris).
Selbst die Alternative der Veräußerung bei Erhalt des Gebäudes außer Acht lassend, liegt ein erheblicher Nachteil unter Berücksichtigung der angeblich nur defizitär möglichen Bewirtschaftung im Vergleich zum avisierten Veräußerungsgewinn von 13.706.830,00 € nicht vor:
Bei der vorzunehmenden Abwägung der unterschiedlichen Interessen beider Vertragsparteien ist neben den übrigen Umständen des Einzelfalls zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Objekt in Kenntnis des Beklagten und des Mietvertrages und damit in Kenntnis der eingeschränkten Möglichkeiten zur Änderung oder gar Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse erworben hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. November 2003- 1 BvR 1424/02, NJW-RR 2004, 371 Rn. 16; LG Berlin, Urteil vom 25. September 2014 – 67 S 207/14 -, Rn. 12, juris; Blank/Börstinghaus/Siegmund/Siegmund, 7. Aufl. 2023, BGB § 573 Rn. 83). Die geplante Verwertung mit dem Ziel der Rendite war unter den gegebenen Voraussetzungen von vorneherein ein hoch riskantes, im Rahmen der Abwägung aus diesem Grund weniger schutzwürdiges Geschäft. Gleiches gilt für den baulichen Zustand des Gebäudes, von dem sich die Klägerin ja vor dem Kauf hätte überzeugen können. Es war die Sache der Klägerin angesichts der baulichen Verhältnisse und der die Mietparteien schützenden Vorschriften vor dem Kauf mit der nicht fern liegenden Möglichkeit des Fortbestands der Mietverhältnisse wirtschaftlich sinnvoll zu kalkulieren.
Zwar ist der Klägerin zuzugeben und im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass sie sich – wie in der mündlichen Verhandlung von ihr herausgestellt – verpflichtet hat, für die Mietverhältnisse im Rahmen des Neubauprojekts Ersatz zu schaffen. Ein konkretes Angebot einer Ersatzwohnung an den Beklagten zu einer bestimmten Miete ist indes gar nicht dargetan. Vielmehr beabsichtigt die Klägerin – ausweislich des Vorbringens ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung – an den Beklagten allenfalls zu einer Miete in Höhe von 30 % seines von ihm noch nachzuweisenden Einkommens zu vermieten. Vergleichsgespräche drehten sich bislang um den Auszug des Beklagten gegen eine Abfindung.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch nach dem in der Kündigungserklärung in Bezug genommenen Gutachten ein Zustand der Wohnung, der – worauf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ja maßgeblich abstellt – einer angemessenen Wohnraumversorgung entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Februar 2011 – VIII ZR 155/10, Rn. 21, juris), unter Erhalt der Bausubstanz sehr wohl mit vertretbarem Aufwand erreicht werden kann. Eine angemessene Wohnraumversorgung ist nämlich, anders als die Klägerin offenbar meint, nicht gleichzusetzen mit heutigem Komfort und Stand der (Neubau-)Technik. Vielmehr meint der Begriff die Versorgung mit nach Größe, Ausstattung und Miete für breiten Schichten der Bevölkerung geeigneten Wohnraum (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 1990 – 8 C 67/87 -, juris). Ausreichend ist also ein mangelfreier Durchschnittszustand. Eine den Abriss fordernde oder diesen auch nur nahelegende Mangelhaftigkeit des Gebäudes und der streitgegenständlichen Wohnung ist aber nicht ansatzweise dargetan. Ein konkreter Erneuerungsbedarf im Falle der Weiternutzung wird in dem in Bezug genommenen Gutachten überhaupt nur hinsichtlich des Flachdachs (dort der Abdichtungen, vgl. S. 21 d. Gutachtens, BI. 31 d. A.), des Estrichs, der Türen, der Rohrleitungen und der Elektroanlage festgestellt (S. 52 d. Gutachtens, BI. 62 d. A.). Nur insoweit kann deswegen auch von einem Instandsetzungsbedarf ausgegangen werden. Die Durchführung aller erforderlichen Maßnahmen wird im Gutachten ja ausdrücklich unter dem Stichwort „Szenario II“ (S. 62 des Gutachtens, BI. 72 d. A.) bewertet. Hinzukommt, dass das Gebäude bereits in weiten Teilen energetisch saniert ist: So wurde eine Photovoltaik-Anlage installiert, die Außenwände wurden mit einem Wärmeverbundsystem (WDVA) verkleidet, die Fenster gegen Kunststoff-lsolierglasfenster ausgetauscht sowie die Keller- und die Dachgeschossdecke gedämmt. Die aufgeführten Vorteile eines Abrisses sind demgegenüber aus wohnungswirtschaftlicher Sicht wenig bedeutsam: So sollen verzichtbare Komfortzuwächse durch Balkone, vergrößerte Verkehrsflächen, verstärkten Schallschutz, vermietbare Nutzflächen, hochwertige Keller und Stellplätze geschaffen werden (vgl. S. 67 d. Gutachtens, BI. 77 d. A.). Auch dem kommt in der Abwägung nur ein geringes Gewicht zu.
Das generell bestehende Interesse des Beklagten, das Mietverhältnis zu erhalten, die Wohnung und damit den Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren und nicht mit den unbeträchtlichen Kosten eines Umzugs und anderen erheblichen Unzuträglichkeiten belastet zu werden, überwiegt demgegenüber als höchstpersönliche, grundsätzlich existenzsichernde und damit besonders gewichtige Rechtsposition deutlich.
Die Klage ist damit vollständig abzuweisen.
30.11.2023