Über ein Jahrzehnt hat Berlin die Wohnungspolitik vernachlässigt. Im Glauben an einen entspannten Wohnungsmarkt gab der Senat ab Ende der 90er Jahre die Zügel aus der Hand und vertraute auf den Markt. Das Ergebnis des selbstgewollten Machtverlusts der Politik sehen wir heute: Die Mieten steigen rasch auf breiter Front an, die Zweckentfremdung von Wohnungen ist außer Kontrolle geraten, immer mehr Mietwohnungen werden in Einzeleigentum umgewandelt und Sozialwohnungen werden für die eigentliche Zielgruppe zunehmend unbezahlbar. Zukünftigen Mammutaufgaben wie der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes und dem altersgerechten Umbau steht die Berliner Politik ratlos gegenüber. Stattdessen sucht man die Lösung vor allem in einem vage formulierten Neubauprogramm. Dabei gibt es viel mehr wohnungspolitische Möglichkeiten, die andere Kommunen auch erfolgreich nutzen. Das MieterMagazin hat untersucht, wie die vier Größstädte München, Frankfurt am Main, Hamburg und Berlin mit vier wohnungspolitischen Problemen umgehen. Das Fazit: Berlin hinkt hinterher.
Mit vielen der in Berlin heraufziehenden Probleme haben die meisten westdeutschen Großstädte schon lange zu tun. Hamburg, München oder Frankfurt am Main haben aber nicht nur Programme für den Wohnungsneubau, sondern auch Erfahrungen im wohnungspolitisch sinnvollen Umgang mit dem Wohnungsbestand. Berlin könnte daraus eine Menge lernen. Es muss hier ja nicht erst soweit kommen, dass die Mieten auf Schwabinger oder Harvestehuder Niveau steigen oder dass ganze Wohngebiete wie das Frankfurter Westend zu Bürostandorten werden.
* Mikrozensus 2006 (neuere Daten nicht vorhanden)
** Berlin: 2011, Hamburg: 2011, München: 2011, Frankfurt: 2010
*** Rückgang durch veränderte Erhebungsmethode
Problem Nummer 1:
Neuvertragsmieten
Verglichen mit anderen Metropolen hat Berlin noch günstige Mieten. Aber die Berliner haben auch wesentlich geringere Einkommen als die Einwohner von Hamburg, München oder Frankfurt am Main. Die Mietbelastung liegt auf dem gleichen Niveau: Die Haushalte in den Großstädten mussten im Jahr 2006 etwa ein Viertel ihres Haushaltseinkommens für Miete und Nebenkosten ausgeben. Diese Belastung wird weiter anwachsen, denn die Mieten steigen überall schneller als die Einkommen. In Berlin ist der Mietanstieg sogar am schnellsten: Die Durchschnittsmiete nach Mietspiegel erhöhte sich in den vergangenen Jahren jeweils um vier Prozent.
Gegen Mietpreisüberhöhungen wird in Berlin nicht vorgegangen. Nach Paragraph 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes sind unangemessen hohe Mieten eine Ordnungswidrigkeit. Gegen einen Vermieter, der Wohnungen zu einem Preis vermietet, der mehr als 20 Prozent über dem ortsüblichen Maß liegt, kann ein Bußgeld bis zu 50.000 Euro verhängt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass ein „geringes Wohnungsangebot“ herrscht. Für Berlin trifft das nach offizieller Lesart insgesamt nicht zu, auch wenn vor allem in der Innenstadt die Wohnungsnot offensichtlich ist. Der vormalige rot-rote Senat hat in der vergangenen Legislaturperiode eine Bundesratsinitiative gestartet, die es den Kommunen ermöglichen sollte, auch für bestimmte Teile der Stadt eine Anspannung des Wohnungsmarkts festzustellen, um folglich in diesen Stadtteilen mit dem Wirtschaftsstrafgesetz gegen Mietpreisüberhöhungen aktiv werden zu können. Ob der neue Senat diese Initiative weiterverfolgt, ist noch offen.
In Hamburg, München und Frankfurt am Main gilt der Wohnungsmarkt unbestritten als angespannt. So werden bei Neuvermietungen in Hamburg durchschnittlich rund elf Euro pro Quadratmeter nettokalt verlangt, in München sogar 12,64 Euro. Unter diesen Umständen nehmen die Städte die Mietpreiskontrolle selbstverständlich wahr. Die Zahl der zu Ende gebrachten Verfahren ist allerdings übersichtlich: So sind im Frankfurter Amt für Wohnungswesen im Jahr 2010 insgesamt 308 Anzeigen wegen Mietpreisüberhöhungen eingegangen. Die meisten Verdachtsfälle wurden jedoch als unbegründet zu den Akten gelegt. In 25 Fällen wurden Bußgelder verhängt. Nur 17 Verfahren wurden einvernehmlich gelöst, indem der Eigentümer die zuviel gezahlte Miete an den Mieter zurückgab. Das Wirtschaftsstrafgesetz müsse deshalb dringend reformiert werden, meint der Hessische Mieterbund, der die Landesregierung auffordert, die Berliner Bundesratsinitiative zu unterstützen. „Die Landesregierung darf nicht länger tatenlos zusehen, wie skrupellose Geschäftemacher die angespannte Wohnungsmarktlage in Frankfurt ausnutzen“, so Wolfgang Hessenauer.
Der alle zwei Jahre erneuerte Mietspiegel macht es den Bürgern aller vier Städte leicht, auch selbst zu überprüfen, ob ihre Miete gerechtfertigt ist. Das ist nicht so selbstverständlich, wie es scheint. So ist zum Beispiel der Kölner Mietspiegel nicht im Internet einsehbar und muss gegen eine Gebühr von 3,50 Euro bestellt werden. In Bremen gibt es überhaupt keinen Mietspiegel.
Hamburg, München und Frankfurt am Main nutzen ihre Sozialwohnungen viel intensiver als Berlin. Während Berlin dem Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes tatenlos zusieht, sind die anderen Städte bemüht, die Zahl ihrer Sozialwohnungen zu erweitern. Es wird nicht nur der Neubau von Sozialwohnungen gefördert, die Städte kaufen auch Belegungsrechte im Wohnungsbestand an. Am aktivsten ist München, das jährlich mit 25 Millionen Euro Sozialbindungen ankauft, um die „städtische Eingriffsreserve“ mit Belegungsrecht und Mietpreisbindung auf dem derzeitigen Niveau von 75.000 Wohnungen zu stabilisieren. Hamburg wendet dafür vergleichsweise wenig auf: Jährlich stehen drei Millionen Euro für den Ankauf von Belegungsbindungen bereit. Das reicht gerade mal für 200 Wohnungen. Frankfurt am Main hat im Jahr 2010 insgesamt 104 Belegungsbindungen erworben, die meisten von öffentlichen Wohnungsunternehmen. Von privaten Eigentümern konnten trotz einer Werbekampagne nur für 19 Wohnungen Belegungsrechte angekauft werden. Die Stadt hat aber auch mit den Wohnungsbaugesellschaften im „Frankfurter Vertrag“ beschlossen, dass die Wohnungen, für die die öffentliche Förderung ausgelaufen ist, weiterhin vorrangig an Wohnungssuchende mit Wohnberechtigungsschein vermietet werden.
Problem Nummer 2:
Zweckentfremdung
Der Zweckentfremdung von Wohnraum ist in Berlin Tür und Tor geöffnet. Im Jahr 2002 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin die Zweckentfremdungsverbot-Verordnung für ungültig erklärt, weil es in der Hauptstadt keine Wohnungsnot mehr gäbe. Das Gericht stützte sich damals vor allem auf Aussagen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und des seinerzeitigen Senators Peter Strieder (SPD), der zu jener Zeit keine Gelegenheit ausließ, von einem „entspannten Wohnungsmarkt“ und einem hohen Wohnungsleerstand zu sprechen. Dass sich dies längst geändert hat, erkennt mittlerweile auch die Senatsverwaltung an. Sie hat allerdings überhaupt keinen Überblick mehr, wieviele Wohnungen im vergangenen Jahrzehnt zu Büros, Praxen, Werkstätten oder Touristenherbergen umgewidmet wurden, denn die genehmigungsfreien Umnutzungen gehen komplett an den Ämtern vorbei. Der 2010 gestartete Versuch, dem Ferienapartment-Boom mit einer Neufassung der Betriebsverordnung beizukommen, ist bisher gescheitert. Mit ihr ist es in noch keinem einzigen Fall gelungen, eine Ferienwohnungsnutzung zu unterbinden, nicht einmal in der Wilhelmstraße, wo die Wohnungen ganz offensichtlich hotelartig an Touristen vermietet werden.
Nun hat Senator Michael Müller (SPD) im Mai nach über einjähriger Prüfung ein neues Zweckentfremdungsverbot angekündigt, das sich voraussichtlich aber nur auf die Bezirke Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf beziehen wird. Damit will man vor allem die Umnutzung von Wohnraum in Ferienwohnungen eindämmen, deren Zahl der Senat auf 12.000 schätzt.
In Hamburg erlaubt das Wohnraumschutzgesetz den Bezirken, gegen die Zweckentfremdung vorzugehen. Die Nutzung von Wohnraum zu gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken ist nur unter bestimmten Bedingungen zulässig und muss vom Bezirksamt genehmigt werden. Neben Büros, Werkstätten und Praxen gelten in Hamburg auch Kindertagesstätten, Räume zur Prostitutionsausübung und Ferienwohnungen ausdrücklich als Zweckentfremdung. Auch das Leerstehenlassen und der Abriss von Wohnungen muss nach dem Hamburgischen Wohnraumschutzgesetz genehmigt werden. Die Frage ist in Hamburg besonders brisant, weil nach Expertenschätzungen 40 000 Wohnungen fehlen, gleichzeitig aber eine Million Quadratmeter Bürofläche leer steht – was Eigentümer jedoch nicht davon abhält, Wohnungen weiter umnutzen zu wollen.
München steht vor demselben Problem. Das Planungsreferat der Stadt hat deshalb im vergangenen Herbst beschlossen, die Umwandlung von Büros in Wohnraum rechtlich zu erleichtern. Dazu sollen auch Gewerbegebiete, in denen das Wohnen planungsrechtlich nicht zulässig ist, in Mischgebiete umgewidmet werden. „Bei der derzeitigen Wohnungsknappheit in München ist das doch eine sehr gute und naheliegende Idee“, meint Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins München. „Lieber eine bewohnte Wohnung als ein leerstehendes Büro, sollte die Devise sein!“ Neben Hamburg ist München die einzige Stadt, die die Fehlnutzung von Wohnungen verbietet. Das Münchner Sozialreferat unterbindet jedes Jahr rund 200 Zweckentfremdungen.
Die schwarz-grün regierte Stadt Frankfurt am Main kann seit 2004 nicht mehr gegen die Umnutzung von Wohnungen in Gewerberäume und den ungerechtfertigten Leerstand vorgehen, weil das Land Hessen das Zweckentfremdungsverbot aufgehoben hat. „Politisch ignorant, ideologisch verblendet und von sachlicher Unkenntnis geprägt“, nennt Wolfgang Hessenauer, Vorsitzender des Hessischen Mieterbundes, die Entscheidung der Landesregierung. Die drei im Deutschen Mieterbund (DMB) organisierten Frankfurter Mietervereine fordern in einem gemeinsamen „Aufruf für eine aktive Wohnungspolitik“ den Frankfurter Magistrat und die Parteien der Stadtversammlung auf, sich gegenüber der Landesregierung für die „Aufhebung der Aufhebung des Zweckentfremdungsverbotes“ einzusetzen.
Mehr Informationen zum Thema "Zweckentfremdung von Wohnraum" (Mai 2016):
Problem Nummer 3:
Energetische Modernisierung
Steigende Energiepreise und Klimaschutz machen die energetische Sanierung eines großen Teils der Wohngebäude erforderlich. Dabei gibt es ein erhebliches Kostenproblem: Das Anbringen einer Wärmedämmung, der Austausch alter Fenster und die Installation einer effizienten Heizungsanlage sind teuer. Durch die Modernisierungsumlage steigt die Grundmiete in aller Regel viel stärker als die Heiz- und Betriebskosten sinken. Mieter mit geringen Einkommen laufen Gefahr, durch die energetische Sanierung verdrängt zu werden. Die bislang erfolglose Berliner Bundesratsinitiative, nach der nur noch neun statt bisher elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete umgelegt werden sollen, würde das Problem auch nicht grundsätzlich lösen. Förderprogramme könnten hingegen die umlegbaren Kosten so weit senken, dass günstigstenfalls warmmietenneutral modernisiert werden kann. Die Bundesregierung setzt aber gerade bei diesen Fördermitteln den Rotstift an.
Die Städte können auf diesem Feld nicht allzu viel bewirken. Die Möglichkeit, eigene Förderprogramme aufzulegen, hängt stark von der kommunalen Finanzkraft ab. Berlin stellt jährlich rund drei Millionen Euro an Fördermitteln für die energetische Optimierung von Neubauten und Bestandsgebäuden zur Verfügung. Verglichen mit den 45 Millionen Euro, die Hamburg bereitstellt, ist das nichts. Gefördert wird damit in der Hansestadt nur noch der strenge Passivhausstandard. Auch München stellt mit knapp 14 Millionen Euro die Bundeshauptstadt in den Schatten. Die Stadt Frankfurt am Main plant ebenfalls, ein eigenes Programm aufzustellen. Die drei Frankfurter DMB-Mietervereine fordern ein energetisches Modernisierungsprogramm für jährlich drei Prozent des Wohnungsbestandes.
Die Möglichkeit, über den Mietspiegel Einfluss auf die energetische Sanierung zu nehmen, ergreifen die Städte noch zu wenig. Der Berliner Mietspiegel, in dem seit 2009 gute Energieverbrauchskennwerte als wohnwerterhöhend und schlechte Werte als wohnwertmindernd gezählt werden, ist in diesem Zusammenhang auch eher vorbildlich für die anderen Kommunen.
Frankfurt am Main hat 2010 ebenfalls energetische Merkmale in den Mietspiegel aufgenommen, allerdings sehr einseitig: Für eine Wärmeschutzverglasung und einen modernen Heizkessel gibt es Mietzuschläge, für einen schlechten energetischen Zustand jedoch keine Abzüge. Die Mietspiegel von Hamburg und München lassen die Energieeffizienz der Wohngebäude noch völlig außer acht.
Problem Nummer 4:
Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen
Die Umwandlung von Mietwohnungen in Einzeleigentum schreitet in Berlin Jahr für Jahr voran, besonders in den attraktiven Lagen. In den Jahren 2001 bis 2010 sind über 76.000 Wohnungen umgewandelt worden – mehr als vier Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Diese Wohnungen werden aber in den meisten Fällen nicht vom Käufer selbst genutzt, sondern als Kapitalanlage weiter vermietet.
Den hohen Mietwohnungsanteil von 85,8 Prozent hat der Trend der letzten Jahre kaum gesenkt. Berlin bleibt also Mieterstadt. Problematisch ist der Umwandlungsboom dennoch, weil mit der Aufteilung eines Mietshauses in Einzeleigentum meist eine Modernisierung einhergeht, die über das übliche Maß hinausgeht. Von aufwendigen Ausstattungen versprechen sich die meisten Wohnungskäufer eine bessere Rendite infolge einer höheren Miete. Entsprechend teurer wird es für die Mieter.
Der Berliner Senat hat dem bisher nichts entgegengesetzt. In den 90er Jahren stand die große Koalition der Entwicklung sogar wohlwollend gegenüber, war doch die Erhöhung der Eigentümerquote ein erklärtes Ziel des CDU-geführten Senats. Mittlerweile hat man die Problematik zumindest erkannt. In ihrer Koalitionsvereinbarung haben sich SPD und CDU darauf verständigt, die Möglichkeit eines Umwandlungsverbots zu prüfen.
Diese Möglichkeit besteht seit 1998, als das Baugesetzbuch in diesem Punkt auf Betreiben Hamburgs geändert wurde. Seither können die Länder die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen in Milieuschutzgebieten unter einen Genehmigungsvorbehalt stellen. Der Stadtstaat Hamburg ist bisher das einzige Bundesland, das diese Möglichkeit ergriffen und eine Umwandlungsverordnung erlassen hat. In den Gebieten der Sozialen Erhaltungsverordnung – so wird der Milieuschutz in Hamburg genannt – konnte die Umwandlungstätigkeit fast völlig zurückgedrängt werden. Erst im Februar wurden für die Stadtteile St. Pauli und St. Georg neue großflächige Erhaltungsverordnungen samt Umwandlungsvorbehalt erlassen. Für das Schanzenviertel und das Ottensener Osterkirchenviertel stehen solche Verordnungen unmittelbar bevor, weitere Gebiete in Altona, Eimsbüttel und Wilhelmsburg sind in der Vorbereitung. „Mit dem Erlass Sozialer Erhaltungsverordnungen wenden wir ein bewährtes und wirksames Mittel an, um Bewohner in innenstadtnahen Bereichen vor Wohnungsaufwertungen und nachfolgender Verdrängung zu schützen“, erklärt Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD).
Die Stadt München hätte dieses Instrument auch gern zur Verfügung, ist aber darauf angewiesen, dass der Freistaat Bayern den gesetzlichen Rahmen schafft. „Um die Gefahr der Gentrifizierung und deren Ausweitung auf weitere Münchner Stadtteile in den Griff zu bekommen, ist der Erlass einer Umwandlungsverordnung und die Änderung der bestehenden Gesetze notwendig“, erklärt Beatrix Zurek vom Mieterverein München. Dies hat das Landesparlament im Dezember 2011 jedoch abgelehnt. „Der Bayerische Landtag leistet der Entmietung, Gentrifizierung und dem Aufbrechen gewachsener Bevölkerungsstrukturen Vorschub“, kritisiert Alfred Poll, Vorsitzender des DMB-Landesverbandes Bayern. Die Staatsregierung lehnte den Vorstoß unter anderem ab, weil das Gesetz allein für die „Sondersituation“ in der Landeshauptstadt von Bedeutung wäre und man keine „Lex München“ schaffen wolle. Beatrix Zurek widerspricht: „Warum soll man die Anwendung nicht auf bestimmte Kommunen beschränken – den anderen schadet es ja nicht.“
Das seit 1996 rot-grün regierte München hat für 14 Gebiete mit 169.000 Einwohnern einen Milieuschutz erlassen. Zur Abwehr von Umwandlungen nutzt die Stadt in diesen Gebieten ersatzweise ihr Vorkaufsrecht bei Grundstücksverkäufen. Sie will damit nicht vorrangig in den Besitz der Häuser kommen, sondern die Käufer auf die Ziele des Milieuschutzes verpflichten. Käufer können den Vorkauf der Stadt vermeiden, wenn sie in einer Abwendungserklärung zusagen, eine Umwandlung in Eigentumswohnungen sowie überzogene Modernisierungsmaßnahmen für die Dauer von maximal zehn Jahren zu unterlassen.
Ähnlich sieht es in Frankfurt am Main aus. Auch das Land Hessen ermöglicht seinen Städten nicht, gegen Umwandlungen vorzugehen. In Frankfurt gibt es nur acht teils sehr kleine Milieuschutzgebiete.
Als Stadtstaat hat Berlin es wie Hamburg in der eigenen Hand, eine Umwandlungsverordnung zu erlassen. Der Wille dazu ist aber nicht sehr ausgeprägt: „Für Gebiete mit einer hohen Fluktuation, hohem Mietniveau und einer durchschnittlichen bis guten Wohnungsausstattung würde eine pauschale Umwandlungsverordnung nicht die gewünschten Effekte erzielen“, antwortete Stadtentwicklungs-Staatssekretär Ephraim Gothe im März auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Katrin Lompscher. Das Thema Milieuschutz überlässt der Senat
ganz den Bezirken, die sich in sehr unterschiedlichem Maße dafür engagieren. Von den 18 Berliner Milieuschutzgebieten liegen elf in Pankow und sechs in Friedrichshain-Kreuzberg, ansonsten hat nur Mitte noch ein solches Gebiet ausgewiesen. Insgesamt leben 162.000 Berliner unter Milieuschutz.
Fazit: Der Blick über den Tellerrand zeigt, dass Berlin viel mehr tun könnte, um die Mietpreisspirale zu bremsen. Der klamme Landeshaushalt kann dabei nicht als Entschuldigung für das Nichtstun herhalten. Intelligente Lösungen sind auch ohne viel Geld möglich. Die Bemühungen des Senats, über den Bundesrat eine Änderung des Mietrechts zu erreichen, sind kein Ersatz für eigenes Handeln. Als Bundesland ist Berlin nicht von den Entscheidungen einer Landesregierung abhängig, sondern im Gegensatz zu fast allen anderen Städten in der komfortablen Lage, sich selbst Landesgesetze geben zu können. Im Interesse der Mieter sollte die Hauptstadt diese wie auch andere ungenutzte Möglichkeiten ergreifen.
Jens Sethmann
Mieter beobachten den Wohnungsmarkt –
eine Aktion des Berliner Mietervereins
Zur Bewertung der wohnungspolitischen Situation in Berlin steht derzeit nur wenig verlässliches aktuelles Datenmaterial zur Verfügung. Deshalb hat sich der Berliner Mieterverein entschlossen, eine Marktbeobachtung durchzuführen. Ziel der Aktion „IMMOWATCH – Mieter beobachten den Wohnungsmarkt“ ist es, die Erkenntnisse aus dem ausgewerteten Datenmaterial in Forderungen umzusetzen, die an die Berliner Wohnungspolitik und den Berliner Senat zu stellen sind. Die vier in diesem Titelthema des MieterMagazin aufgezeigten Problemstellungen sind auch die vier Komplexe, zu denen der Berliner Mieterverein seine Mitglieder befragt.
Bitte beteiligen Sie sich an dieser Aktion. Sie finden den Fragebogen auf den hinteren Umschlagseiten dieses MieterMagazin.
Die Aktion ist mittlerweile beendet.
MieterMagazin 6/12
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In jeder Großstadt entwickeln sich hochpreisige Stadtteile – doch die Kommunen reagieren darauf unterschiedlich (Berlin/Prenzlauer Berg, Frankfurt/Bockenheim, Hamburg/Blankenese, München/Bogenhausen)
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Frankfurt verfolgt Mietpreisüberhöhungen, aber – so Wolfgang Hessenauer vom Hessischen Mieterbund – das Wirtschaftsstrafgesetz ist nicht effizient genug
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Dem Berliner Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder verdankt Berlin das OVG-Urteil, dass der Zweckentfremdung Tür und Tor öffnete
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„Naheliegend“ findet die Münchner Mietervereins-Vorsitzende Beatrix Zurek die Idee, leer stehende Gewerberäume als Wohnungen zu nutzen
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Zweckentfremdung kontrollieren: Hamburg agiert, Frankfurt/Main kann nicht, Berlin will nicht (von oben nach unten: Hamburg/St. Pauli, Frankfurt/Westend, Berlin/Friedrichshain)
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Große Unterschiede auch beim Einsatz kommunaler Mittel für die energetische Sanierung von Wohngebäuden – Hamburg: 45 Millionen Euro, München: 14 Millonen, Berlin: 3 Millionen
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Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist in allen Großstädten ein bedeutendes Problem: Hamburg hat es im Griff, München kämpft, Berlin „prüft“ noch
Foto: Christian Muhrbeck
Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin hat die Umwandlung per Verordnung in den Griff bekommen: „Milieuschutz ist ein probates Mittel gegen Verdrängung“: Jutta Blankau
Foto: Volker Stahl
03.03.2018