„Ein sinnvoller Kompromiss ist oft besser, als sich bis auf Messers Schneide zu bekämpfen“, sagt Stefan Schetschorke, Leiter der Rechtsabteilung des Berliner Mietervereins (BMV). Daher versuchen die Rechtsberater alles, um beispielsweise eine faire Modernisierungsvereinbarung durchzusetzen oder eine nicht zulässige Mieterhöhung abzuwehren – auch ohne Klage. „Doch manchmal geht es eben nicht anders, etwa wenn der Vermieter auf unsere Schreiben nicht einmal reagiert“, so Schetschorke. Die Klagefreudigkeit der Mieter sei dabei sehr unterschiedlich: „Gerade ältere Leute, die noch nie etwas mit dem Gericht zu tun hatten, sind oft sehr ängstlich – andere würden am liebsten alles durchklagen.“
2600 Gerichtsfälle pro Jahr
2,2 Prozent der Mitglieder des BMV zogen im Jahr 2012 gegen ihren Vermieter vor Gericht beziehungsweise sind von ihm verklagt worden. Das sind gut 2600 Fälle in dem Jahr. Die Zahl hat sich seit Jahren nicht wesentlich verändert. Am häufigsten geht es um Mängel und andere Vertragsverletzungen, auch Streitigkeiten um Mieterhöhungen und Betriebskosten müssen oft gerichtlich geklärt werden.
Mitglieder des BMV können einem Gerichtsverfahren gelassen entgegensehen: Sie sind durch die Prozesskostenversicherung abgesichert. Selbst wenn sie im Streit unterliegen, entstehen ihnen weder Anwalts- noch Gerichtskosten. Nur Sachverständigengutachten, die nicht vom Richter angeordnet wurden, sondern der vorprozessualen Beweisführung dienen, werden nicht von der Versicherung übernommen.
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Der Richterspruch ist nicht vorhersehbar
Für nicht rechtsschutzversicherte Mieter besteht dagegen in jedem Fall ein hohes finanzielles Risiko. Denn man kann es nicht oft genug sagen: Der Ausgang eines Prozesses ist nie vorherzusehen. Auch wenn die Sachlage eindeutig erscheint und ein Gericht in einem ähnlichen Fall zugunsten des Mieters entschieden hat, so kann doch im konkreten Fall völlig anders geurteilt werden.
Wie bei jeder Versicherung müssen jedoch einige Bedingungen erfüllt sein. Dazu gehört, dass die Mitgliedsbeiträge vollständig bezahlt wurden und dass man sich in der Rechtsangelegenheit beim BMV hat beraten lassen. Die telefonische Beratung gilt nicht als vorprozessuale Beratung. Zu beachten ist auch eine dreimonatige Wartefrist nach dem Beitritt zum Mieterverein. Bereits schwelende Streitfälle sind also nicht abgedeckt. Wer erst in den Mieterverein eintritt, nachdem er eine Mieterhöhung oder eine Modernisierungsankündigung bekommen hat, wird zwar beraten, möglicherweise entstehende Prozesskosten werden jedoch nicht übernommen.
Problematisch kann das bei Mängeln sein. „Maßgeblich ist das erstmalige Auftreten des entsprechenden Mangels“, erklärt BMV-Rechtsberaterin Isabell Pohl. Wer beispielsweise nach längerem Auftreten von Schimmel eine Klage einreichen will, muss belegen, dass der Schaden erstmals wahrzunehmen war, nachdem man Mitglied beim BMV wurde. Bei Streitigkeiten um die Rückzahlung der Kaution gilt das Datum der Kündigung als Schadensfall. Für viele Mitglieder ist das unverständlich, aber schließlich muss eine Versicherung wirtschaftlich arbeiten. Man kann eben nicht erst dann einen Versicherungsschutz abschließen, wenn „das Haus bereits brennt“.
Wer gegen seinen Vermieter klagen will beziehungsweise sich gegen dessen Klage zur Wehr setzen muss, kann sich – nach vorheriger Beratung durch den BMV – an einen Anwalt seiner Wahl wenden. „Wir empfehlen aber, einen unserer Vertragsanwälte zu nehmen, denn die sind mietrechtlich versiert und kennen außerdem das Procedere mit der Rechtsschutzversicherung„, erklärt Isabell Pohl. Der Anwalt oder die Anwältin schickt dann vor Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung die Klageschrift sowie die Klageerwiderung an den Berliner Mieterverein, verbunden mit dem Antrag, für diesen Rechtsstreit Kostendeckung zu erteilen.
Wer unterliegt, trägt die Kosten
Und was tun, wenn die Kostenübernahme abgelehnt wird? Wer mit seinem Einkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegt, kann über seinen Anwalt Prozesskostenhilfe beantragen. Der Antrag wird üblicherweise zusammen mit dem Entwurf der Klageschrift dem zuständigen Amtsrichter vorgelegt. Hält das Gericht die Klage (oder die Verteidigung dagegen) für aussichtsreich, können die Kosten des eigenen Anwalts unter Umständen ganz von der Staatskasse übernommen oder zumindest darlehensweise vorgestreckt werden. Verliert man den Prozess, muss man aber trotzdem die Kosten des gegnerischen Anwalts tragen. In jedem Fall gilt: Die unterlegene Partei muss nicht nur für die Gerichtskosten, sondern auch für das Honorar des gegnerischen Anwalts aufkommen.
Zuständig für mietrechtliche Streitigkeiten sind grundsätzlich die Amtsgerichte. Davon gibt es zehn in Berlin. Die Zuständigkeit richtet sich nach der Adresse der Mietwohnung. Bei welchem Richter man landet, ist reiner Zufall. Früher erfolgte die Zuordnung nach dem Anfangsbuchstaben des Vermieters, so dass jeder Amtsrichter „seine Pappenheimer“ kannte. Auch heute noch wird in vielen Kommunen so verfahren.
Und wie kommt ein Gerichtsverfahren nun überhaupt ins Rollen? Der erste Schritt ist immer das Einreichen einer Klageschrift beim Amtsgericht. Hier wird ausgeführt, welche Forderungen erhoben werden („Klageantrag“) und warum diese Ansprüche bestehen („Klagebegründung“). Auch die Beweismittel werden bereits genannt, wobei grundsätzlich gilt: Wer klagt, hat die Fakten vorzutragen. Mieter, die beispielsweise gegen ihren Vermieter auf Beseitigung von Schimmel klagen, müssen diesbezügliche Korrespondenz mit dem Vermieter, Fotos und unter Umständen ein Sachverständigengutachten vorlegen. Hat der Vermieter wegen unerlaubter Untervermietung eine Kündigungsklage eingereicht, muss er diese Behauptung durch Zeugenaussagen, Auszug aus dem Melderegister oder ähnliches beweisen. Ist der Mieter der Beklagte, wird ihm die Klageschrift vom Gericht mittels des berühmten „blauen Briefes“ zugestellt. Jetzt muss man innerhalb einer bestimmten Frist reagieren. Der nächste Schritt ist dann die Klageerwiderung durch den eigenen Anwalt.
Apropos Anwalt: Theoretisch muss man sich für die erste Instanz beim Amtsgericht gar keinen Rechtsbeistand nehmen. Doch davon ist dringend abzuraten – selbst wenn man mal ein paar Semester Jura studiert hat. Das Prozessrecht ist selbst für Fachleute voller Tücken. Wer jemals eine Gerichtsverhandlung erlebt hat, weiß: Die Urteile und Paragrafen, die sich Richter und Anwälte da um die Ohren hauen, sind Laien meist völlig unbekannt.
Entgegen landläufiger Meinung ist man als Mieter auch nicht verpflichtet, vor Gericht zu erscheinen, ganz gleich, ob man selber klagt oder verklagt wurde. Allerdings geht der mündlichen Verhandlung immer eine mündliche Güteverhandlung voraus, bei der es darum geht, den Rechtsstreit einvernehmlich beizulegen. Dazu werden in der Regel beide Parteien geladen. „Manchmal wird aber auch darauf verzichtet, etwa wenn aus der Vorkorrespondenz schon ersichtlich ist, dass eine Einigung aussichtslos ist“, erklärt Rechtsanwalt Dr. Maitra.
Bleibt die Güteverhandlung ohne Erfolg, beginnt die erste mündliche Verhandlung. Die meisten Streitigkeiten werden bei diesem ersten Termin bereits entschieden. Lediglich für Räumungsklagen oder Duldungsklagen sind oft mehrere Verhandlungen nötig.
Über die Berufungsmöglichkeit entscheidet der Streitwert
Das Amtsgerichtsverfahren endet schließlich mit einem schriftlichen Urteil. Grundsätzlich haben beide Parteien die Möglichkeit, dagegen Berufung einzulegen – allerdings nur, wenn der Streitwert 600 Euro übersteigt. Geht es beispielsweise nur um eine Zahlungsklage von 450 Euro, dann entscheidet das Amtsgericht als erste und letzte Instanz über diesen Streit. Ansonsten geht der Streit zum Landgericht Berlin als nächsthöherer Instanz. Rund 90 Prozent alle Mietsachen werden von den Amtsgerichten entschieden. Zwar gibt es auch die Möglichkeit einer streitwertunabhängigen Zulassungsberufung, in der Praxis kommt das aber nur sehr selten vor (zur Streitwertberechnung siehe auch die Tabelle).
Beim Landgericht herrscht grundsätzlich Anwaltszwang. Auch hier werden viele Rechtsstreitigkeiten durch Vergleich abgeschlossen. Mit einem Vergleich oder einem Urteil des Landgerichts ist dann der Rechtsweg in aller Regel beendet.
Wo es den Gerichtsvollzieher braucht
Prozess gewonnen, aber dennoch keinen Schritt weiter? Das kommt nicht selten vor, denn manche Vermieter lassen sich selbst durch Urteile nicht zu einer Reparatur oder der Rückzahlung einer Kaution bewegen.
In diesen Fällen kann man eine Zwangsvollstreckung in die Wege leiten. Das heißt: Ein Gerichtsvollzieher wird beauftragt, der beim Schuldner Geld beschlagnahmt oder Gegenstände pfändet – notfalls solange, bis die geschuldete Summe zusammengekommen ist.
Birgit Leiß
„Besser den Spatz in der Hand …“
Dr. Dilip D. Maitra ist einer von 80 Vertragsanwälten des Berliner Mietervereins. Das MieterMagazin hat mit ihm über seine Erfahrungen bei Mietprozessen gesprochen.
MieterMagazin: Viele Mieter haben den Eindruck, dass das Gericht auf Biegen und Brechen einen Vergleich herbeiführen will. Liegt das an der Arbeitsbelastung der Amtsrichter?
Dilip Maitra: Natürlich spart ein Richter Arbeit, wenn der Prozess kurz ist und er kein Urteil schreiben muss. Aber davon mal abgesehen: Oft ist die gütliche Einigung für die Betroffenen günstiger, als eine Sache durchzustreiten. Nicht immer ist die Beweislage gut. Ein Vergleich bietet ein schnelles Ergebnis in einer für den Mieter oft belastenden Lage. Der Vergleich ist sozusagen der Spatz in der Hand, und der ist eben manchmal besser als die Taube auf dem Dach, zumal beide Seiten ihr Gesicht wahren. Schließlich hat man in der Regel auch weiter miteinander zu tun.
MieterMagazin: Aber warum sollte man sich auf einen Kompromiss einlassen, wenn man ganz sicher im Recht ist?
Dilip Maitra: Ob man einen Prozess gewinnt, hängt nicht nur davon ab, welche Rechte einem zustehen, sondern auch davon, ob man das Gericht durch präzise Angaben überzeugen kann. Viele Mieter verkennen, welch hohe Anforderungen an die Beweisführung vor Gericht gestellt werden. Bei Mängeln oder Mietminderung beispielsweise liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Mieter.
Oft sagen mir Mandanten, sie hätten unzählige Beweise, aber dann stellt sich heraus, dass ihre eigenen Unterlagen und Belege viel zu vage sind und die Zeugen sich an entscheidenden Punkten nicht oder nicht präzise genug erinnern. In solchen Fällen ist ein Vergleich oft sinnvoll.
MieterMagazin: Macht es überhaupt noch Sinn, wegen Mängeln vor Gericht zu ziehen? Die Rechtsprechung scheint ja immer restriktiver zu werden.
Dilip Maitra: Das sehe ich nur eingeschränkt so. Klagen auf Mängelbeseitigung haben häufig Erfolg. Bei Minderungen sieht das schon anders aus, auch wegen restriktiver Tendenzen der Rechtsprechung, etwa bei Baulärm. Aber oft besteht das Problem – neben der erwähnten Beweislast – auch darin, dass viele Mieter die Minderung zu hoch ansetzen. Wer persönlich unter Baulärm leidet, mag eine Minderung von 50 Prozent für moderat halten.
Gerichte orientieren sich dagegen an objektiven Kriterien, etwa den reinen Bauzeiten, und daran, welche Räume betroffen sind. Mehr als 20 Prozent Minderung werden selten zuerkannt. Um keine Kündigung des Vermieters zu riskieren, empfiehlt es sich oft, die Miete unter Vorbehalt zu zahlen und den Minderungsbetrag einzuklagen. Die Minderungshöhe mittels Feststellungsklage zu klären, scheitert meist daran, dass die Rechtsschutzversicherung nicht die Kosten deckt.
MieterMagazin: Was können Mieter dazu beitragen, damit eine Klage Erfolg hat?
Dilip Maitra: Frühzeitig in der Mieterberatung die Beweiserfordernisse klären, Beweise sammeln und auf sichere Zustellung aller Schreiben an den Vermieter achten. Hilfreich sind präzise Lärm- und Bauprotokolle, ebenso Gedächtnisprotokolle, damit man sich später vor Gericht konkret genug erinnert. Ob ein privates Sachverständigengutachten sinnvoll ist, hängt vom Einzelfall ab.
Das Interview führte Birgit Leiß.
MieterMagazin 11/13
Dr. Dilip D. Maitra, Vertragsanwalt des Berliner Mietervereins
Foto: Isabell Pohl
12.07.2019