Wo der Wohnungsmarkt derart unter Druck ist wie in Berlin, sieht es auch für Kleingewerbetreibende nicht rosig aus. Wer mit den rasant steigenden Mieten nicht mithält, muss seinen Laden dichtmachen. Das gilt erst recht für Künstler, die auf kostengünstige Ateliers angewiesen sind – eine prekäre Situation, denn Ausweichen ist kaum noch möglich.
Der Plattenbau in der Pankower Pestalozzistraße 5-8 ist ein Haus mit Geschichte. Erbaut für die DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowskis, ging er nach dem Fall der Mauer in Privathand über. Die leer stehenden Räume wurden als Büros für verschiedene Dienstleister angeboten, und ab 2008 siedelten sich mehr und mehr Künstler auf dem Gelände an. Ihren Ort, an dem nun regelmäßig Ausstellungen, politische Diskussionen und Kunstveranstaltungen stattfanden, nannten sie KunstEtagenPankow (KEP). Die Künstler arbeiten in unmittelbarer Nachbarschaft mit Rechtsanwälten, Ingenieuren, einer Berufsberatung, einem Heilpraktiker, einer Musikschule und einem Yoga-Studio. Sie alle haben bezahlbare Räume in dem fünfgeschossigen Gebäude gefunden. „Im Grunde ist das hier wie ein Coworking Space – der typische Berliner Mix eben“, sagt Ina Stachat, die seit vier Jahren im Haus ein Atelier hat. Sie fertigt ihre Collagen Tür an Tür mit Bühnenbildnern, Filmemachern, Tänzern, Autoren, Malern und Fotografen.
Jahr für Jahr schmilzt das Angebot
„Aber wie es jetzt aussieht, ist Ende diesen Jahres hier Schluss“, fasst sie die schwierige Situation der Mieter zusammen. Der Eigentümer will Baufreiheit, um auf dem gesamten Grundstück Wohnungen zu errichten. Dafür war bereits 2015 den Künstlern im Seitenflügel gekündigt worden. „Einige sind damals noch im Haupthaus untergekommen“, so Ina Stachat. Sie hatten Hoffnung auf ein Verbleiben über viele Jahre: „Denn es ist ja gerade sehr, sehr schwierig für uns“, erklärt die Pankower Künstlerin. Und meint keinesfalls nur die Mieter in der KEP.
Wie der Atelierbeauftragte des Berliner Senats, Martin Schwegmann, erklärte, gingen Jahr für Jahr in Berlin etwa 350 bezahlbare Ateliers verloren. Dabei seien schätzungsweise etwa 90 Prozent der 8000 bis 10.000 professionellen bildenden Künstler in der Stadt auf bezahlbare Atelierräume angewiesen.
Die extrem angespannte Situation ist entstanden, weil sich über Kündigung und Neuvermietung oder auch Abriss und Neubau vor allem in innerstädtischen Bezirken deutlich mehr verdienen lässt. Es würden nicht nur Wohnungen immer teurer, so Martin Schwegmann, sondern auch die Gewerbemieten stiegen unaufhörlich. Und die sind für die Existenz von Künstlern von entscheidender Bedeutung.
Für ihr 19 Quadratmeter großes Atelier zahlt Ina Stachat in der KEP 180 Euro Warmmiete – 9 Euro pro Quadratmeter. Zusammen mit den sehr hohen Betriebskostennachzahlungen für den noch unsanierten Plattenbau ist auch das kein Schnäppchen. Aber der Berliner Atelierbeauftragte weist darauf hin, dass Künstlerinnen und Künstler heute mit Neuvertragsmieten oft weit jenseits von 10 Euro kalt konfrontiert werden. Mit einem Einkommen aus freier bildender Kunst ließe sich das in der Regel nicht erwirtschaften, so Schwegmann.
Rechtsanwalt Heinrich Lüth, der beim Berliner Mieterverein (BMV) viele Künstler bei ihren Mietrechtsproblemen berät, kann das nur bestätigen: „Es ist für sie ein ständiger Überlebenskampf, den sie nur gewinnen, weil sie gleichzeitig mit mehreren Jobs Geld verdienen.“
Dazu kämen ungünstige Zeitmietverträge – etwa über ein oder zwei Jahre. Bei Gewerbemieten sei das durchaus üblich, so der Jurist. „Allerdings müssen sich die Künstler dann auch fragen, ob es sich lohnt, viel in ein Atelier zu investieren.“
Geförderte Ateliers nur für jeden Zehnten
Meist übernähmen sie schlecht ausgestattete Räume, leere Hallen, Dachböden oder Garagen. Heinrich Lüth: „Bei kurzen Gewerbemietverträgen fehlt jede Kontinuität, die für künstlerische Arbeit erforderlich ist.“
Ein anderes Problem sei die Verlängerung von Mietverträgen bei Wohnateliers. Ein Urteil des Berliner Landgerichts entschied zwar 2002 zugunsten eines Künstlers, der sich bereits in den 1960er Jahren einen Dachboden als Atelier ausgebaut hatte und ab 1973 dort auch mit seiner Familie wohnte (LG Berlin vom 26. Februar 2002 – 25 O 78/02). Aber das, so Rechtsanwalt Lüth, sei durchaus nicht die Regel.
Und so könnten Atelierhäuser wie die KunstEtagenPankow gerade Künstlern zuverlässig Arbeitsmöglichkeiten bieten – wenn sie sich denn langfristig sichern ließen.
Währenddessen werden die Chancen für jene, die sich auf „Wanderschaft“ durch die Stadt begeben müssen, um Ausweichlösungen zu finden, immer schlechter. Und wer sich auf Grund seiner professionellen künstlerischen Tätigkeit einerseits und niedriger Einkünfte andererseits um eines der geförderten und damit bezahlbaren Ateliers bewerben kann, hat inzwischen eine Chance von eins zu zehn, in Innenstadtlagen noch weit darunter, ein Atelier zu bekommen.
Nach Auskunft des Atelierbeauftragten beziehen aktuell 8716 Künstlerinnen und Künstler den Newsletter, um die Ausschreibungen der geförderten Ateliers und Atelierwohnungen zu erhalten. Besonders groß sei die Nachfrage in Kreuzberg, Nord-Neukölln, Mitte und Wedding.
Dabei könnte die Atelierförderung sehr wohl schnell und direkt anmieten. Und durch die Vergabe von Baukostenzuschüssen ließen sich auch mit seriösen Privatanbietern und gemeinwohlorientierten Initiativen und Genossenschaften Modelle für Atelierflächen finden. Diese Zuschüsse gibt es aber derzeit nur für öffentliche Liegenschaften. Aus Sicht von Martin Schwegmann ein Hemmnis. Formale und organisatorische Hürden aus Verwaltungssicht sollten hier möglichst schnell abgebaut werden, um Orte für bildende Kunst zu schaffen, die langfristig gesichert werden – und damit das Besondere der Stadt erhalten: „Nach New York gilt Berlin derzeit als zweitwichtigster Produktionsort für bildende Kunst weltweit. Das gerät gerade in Gefahr“, so der Atelierbeauftragte.
Mit Pankower Kunstschaffenden und Politikern saß Schwegmann im November vergangenen Jahres im Atelierhaus in der Pestalozzistraße zusammen, um über Hilfen und über die Sicherung von Arbeits- und Ausstellungsräumen nachzudenken.
Bezirksbürgermeister Sören Benn brachte die Forderungen aller auf einen Punkt: Was für die Kunstszene Berlins dringend gebraucht werde, sei ein soziales Gewerbemietrecht mit Mietspiegel, Mietobergrenzen und Kündigungsschutz.
Rosemarie Mieder
Das Berliner Atelierprogramm
Seit über 20 Jahren gibt es das Berliner Atelierprogramm. Es wurde vom Atelierbeauftragten und dem Atelierbüro im Kulturwerk des Berufsverbandes bildender Künstlerinnen und Künstler Berlin entwickelt und wird von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa finanziell unterstützt.. Zurzeit verfügt das Programm über 870 geförderte, mietpreis- und belegungsgebundene Ateliers und Atelierwohnungen. Neue Angebote oder auch frei werdende Räume werden über ein Serviceportal ausgeschrieben. Eine vom Senat berufene Auswahlkommission entscheidet über die Vergabe. Die Kriterien sind Professionalität des Antragstellers und die Dringlichkeit der Bewerbung. Darüber hinaus gelten unterschiedliche Einkommensgrenzen.
rm
Weitere Informationen unter: www.bbk-berlin.de
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01.12.2020