In keinem anderen Bezirk werden so viele Mietshäuser aus den 1950er und 1960er Jahren abgerissen wie in Charlottenburg-Wilmersdorf. Immer häufiger muss günstiger, mit öffentlichen Mitteln errichteter Wohnraum exklusiven Eigentumswohnungen Platz machen. Ist der Bezirk zu großzügig beim Erteilen von Abrissgenehmigungen?
Ein aktuelles Beispiel: Windscheidstraße 3/3a. Die beiden Häuser sind herunterkommen, viele Wohnungen stehen seit Jahren leer. Der Eigentümer plant hier einen Neubau mit Tiefgarage. Die Abrissgenehmigung liegt bereits vor. Derzeit verhandeln die verbliebenen Mieter mit dem Eigentümer um eine Abfindung. Einige haben jetzt eine Verwertungskündigung bekommen.
In der Fasanenstraße 64 waren die Abrissbagger bereits da. Bis zuletzt harrten zwei Senioren in dem 1960er-Jahre-Bau aus. Sie dürfen nun zu günstigen Konditionen in den Neubau ziehen. Doch wo es vorher 40 preiswerte Mietwohnungen in gutem Zustand gab, entsteht nun ein mondäner Neubau mit „toskanischen Säulen“. Eine 31 Quadratmeter große Eigentumswohnung wird über eine halbe Million Euro kosten. Ein anderer Fall: Uhlandstraße 77. Auch hier wurde die Abrissgenehmigung bereits erteilt.
Baustadtrat in der Kritik
„Die Situation ist eine wohnungspolitische Katastrophe“, sagt Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Bündnis 90/Die Grünen), der in der Bezirksverordnetenversammlung viel Kritik für sein „Durchwinken“ von Abrissanträgen einstecken musste. Er verteidigt sich: Eine Abrissgenehmigung könne nur verweigert werden, wenn die Häuser im Milieuschutzgebiet liegen oder unter Denkmalschutz stehen.
Der Bezirk sei immer wieder vor Gericht gezogen, um Abrisse zu verhindern, berichtet Christoph Wapler, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf. So auch im Falle der Uhlandstraße 103, wo man dann vor dem Verwaltungsgericht unterlag: „Der Verwertungsdruck und das Streben nach Gewinn-Maximierung ist gerade in unserem Bezirk enorm“, so Wapler. Mit einer Eigentumsquote von 43 Prozent ist der Bezirk Spitzenreiter. Dazu kommt, dass in der City-West nach den Kriegszerstörungen viele Mietshäuser in lockerer Bebauung und mit großzügigen Innenhöfen entstanden sind. Das birgt viel Potenzial für eine noch bessere Grundstücksausnutzung, zumal – wie Niklas Schenker von der Linksfraktion kritisiert – Investoren dann auch noch mit einer Erhöhung der Geschossflächenzahl belohnt werden: Statt eines Fünfgeschossers ist beispielsweise in der Windscheidstraße 3 ein Siebengeschosser geplant. „Kaum Milieuschutzgebiete und eine enorme Nachfrage nach Eigentumswohnungen – das sind komfortable Bedingungen für spekulative Abrisse“, erklärt Schenker.
Zweifellos ist der Städtebau der Nachkriegszeit an einigen Stellen verbesserungswürdig. Die Ecke Fechnerstraße 7/Uhlandstraße etwa mit ihren einstöckigen Gewerbebauten neben einem Mietshaus soll nach dem Willen des Eigentümers neu geordnet werden. Doch statt das Bestandsgebäude zu integrieren, ist sein Abriss geplant. Die Bewohner haben lange gekämpft, doch irgendwann ließen sich auch die letzten vier Mieter auf eine – offenbar stattliche – Abfindung ein. „Einige aus dem Haus sind betagt, die hätten ein Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang nicht durchgestanden“, erklärt eine Bewohnerin resigniert. Ende April 2021 müssen alle ausziehen.
Intakte Gebäude abzureißen sei ökologischer Wahnsinn, meint Theresa Keilhacker, Architektin und Mitglied der Kommission Nachhaltiges Bauen.
Birgit Leiß
Keine gesetzliche Handhabe
Auch die vor einigen Jahren verschärfte Zweckentfremdungsverbotverordnung ist kein geeignetes Instrument, um Abrisse zu verhindern. Demnach muss sich der Eigentümer lediglich verpflichten, die gleiche Anzahl von Ersatzwohnungen zu schaffen. Doch die vom Senat eingeführte Mietobergrenze von 7,92 Euro wurde vom Verwaltungsgericht gekippt. Präzedenzfall war der Abriss der Suarezstraße 24 in Charlottenburg (VG vom 27. August 2019 – VG 6 K 452.18). Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, der Ball liegt jetzt beim Oberverwaltungsgericht.
bl
29.01.2021