In Berlin herrscht Goldgräberstimmung bei den Vermietern. Die Immobilienpreise steigen an, die Mieten schießen in die Höhe – der Druck auf die Mieter nimmt zu. Bezahlen oder verschwinden – so lautet die Devise. Wie Mieter verdrängt werden, zeigt sich nicht nur in den krassen Fällen, in denen Fenster zugemauert oder vorsätzlich Wasserschäden verursacht werden. Verdrängung ist in Berlin Alltag geworden. In die Rechtsberatung des Berliner Mietervereins kommen immer mehr Mieter, die ihr Vermieter ganz offenkundig aus dem Haus haben will. Dabei ist jedes Mittel recht: juristische Winkelzüge, die klassische Zermürbungstaktik oder die Preisschraube – manchmal umgesetzt mit erschreckender Skrupellosigkeit.
Das Hinausdrängen der bisherigen Mieter ist für Vermieter die lukrativste Art, zu höheren Mieteinnahmen zu kommen. In laufenden Mietverhältnissen kann die Miete nur bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Berliner Mietspiegel erhöht werden und darf außerdem innerhalb von drei Jahren um höchstens 20 Prozent steigen. Das ist zwar auch nicht wenig – aber bei Neuvermietungen können die Mieten völlig frei festgelegt werden, egal was der Vormieter gezahlt hat oder was im Mietspiegel steht. Der Vermieter kann also nehmen, was der Markt hergibt.
Vor allem in den begehrten Innenstadtquartieren stehen die Mieter unter hohem Druck. Langjährige Bewohner, deren Miete über die Jahre immer „nur“ auf Mietspiegelniveau angestiegen ist, sind besonders gefährdet, weil ihre Mieten vergleichsweise gering sind. Wenn ein Vermieter sieht, dass er eine Wohnung, die seit 20 Jahren von denselben Mietern bewohnt wird, statt für 4,50 Euro pro Quadratmeter auch für 9 Euro nettokalt vermieten könnte, dann lässt er sich dieses Steigerungspotenzial in der Regel ungern entgehen. Je größer der Unterschied zwischen der Bestandsmiete und der möglicherweise auf dem Markt zu erzielenden Miete ist, desto größer die Versuchung, den alten Mieter auch mit nicht ganz sauberen Mitteln loszuwerden.
Die Ankündigung von teuren Modernisierungsmaßnahmen ist eine zu diesem Zweck weit verbreitete Methode. Eigentümer können 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete umlegen. Daraus resultieren oft ganz erhebliche Mietsteigerungen, die auch nicht auf der Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel gekappt werden. Viele Mieter nehmen schon gleich nach der Modernisierungsankündigung Reißaus, weil sie sich den in Aussicht gestellten Mietzins nicht leisten können und nicht wissen, wie sie sich dagegen wehren können. Oft werden besonders aufwendige Modernisierungen angekündigt, um Mieter loszuwerden. Mit dem Einbau von Aufzügen, Fußbodenheizungen, Gästebädern und luxuriösen Kücheneinrichtungen oder dem Anbau von Balkonen kann man beispielsweise extrem hohe Modernisierungsumlagen erzeugen. Nach oben gibt es keine Grenze. Für einen liquiden Vermieter sind die Modernisierungskosten zweitrangig. Durch die Umlage auf die Miete ist die Investition nach neun Jahren wieder eingespielt.
Wie Mieten hochgetrieben werden
Beispiel Koppenplatz 9 in Mitte. Das 1903 gebaute altehrwürdige Haus ist schon 1994 bis 1998 mit öffentlichen Fördergeldern saniert worden. Zu den Förderbedingungen im damaligen Sanierungsgebiet Spandauer Vorstadt gehörte eine Mietpreisbindung. Nach der Sanierung zogen vor allem junge Familien in das Haus.
Jetzt hat der neue Eigentümer eine neuerliche Modernisierung des denkmalgeschützten Hauses angekündigt: Er möchte nicht nur das Dachgeschoss ausbauen, das zur Kleinen Auguststraße gelegene Hinterhaus aufstocken und einen Aufzug einbauen, sondern auch die Heizungsanlage samt Heizkörpern und Rohren nach gerade einmal 14 Jahren entfernen und durch eine Fußbodenheizung ersetzen sowie die Kellerdecke dämmen und die Fensterscheiben austauschen. Die Modernisierungsumlage ist entsprechend hoch. Mieter Uwe Walter soll für seine 156-Quadratmeter-Wohnung statt bisher 1000 Euro eine Kaltmiete von 1600 Euro berappen. „Das kann ich nicht zahlen“, sagt der selbstständige Fotograf, der wie die meisten Bewohner seit 14 Jahren im Haus lebt. Auch seine Nachbarn sind mit solchen Erhöhungen um 60 Prozent überfordert.
Begründet werden die aufwendigen Baumaßnahmen unter anderem mit der vorgesehenen Energieeffizienz. Aus Sicht der Mieter ist die Bilanz allerdings äußerst dürftig: „Für 53 Euro Ersparnis im Monat soll ich 600 Euro mehr Kaltmiete zahlen“, rechnet Uwe Walter vor. Er sieht in der angekündigten Modernisierung keine Verbesserung. Er befürchtet vielmehr, dass das Haus „totsaniert“ wird. Das vorhandene Parkett müsste für den Einbau der Fußbodenheizung entfernt werden. Nach einer Neuverlegung dürfte der Boden höher sein, die alten Türen müssten angepasst werden und die prachtvoll verzierten Kachelöfen würden in einer Vertiefung stehen.
Im Juni bekamen die Mieter die Modernisierungsankündigung. Geht es nach dem Vermieter, sollen sie schon im Herbst die Wohnungen für ein halbes Jahr räumen. Doch in der eng zusammengewachsenen Hausgemeinschaft will sich keiner der Hinausmodernisierung beugen. „Wir haben Einwendungen gegen die Modernisierungsankündigung erhoben“, sagt BMV-Rechtsberater Peter Riehl. Die Mieter haben außerdem die Denkmalschutzbehörde informiert.
Auch beim Verkauf einer Immobilie gelten Mieter als hinderlich. Leere Häuser oder bezugsfreie Wohnungen bringen einen deutlich höheren Erlös. Vorbei sind die Zeiten, in denen in Immobilienanzeigen der Hinweis „gut vermietet“ verkaufsfördernd war. Leere Wohnungen versprechen einerseits als Kapitalanlage höhere Mieteinnahmen durch eine profitable Neuvermietung und sind andererseits auch für Käufer interessant, die selbst in die Wohnung einziehen wollen, denn sie müssen gegenüber einem vorhandenen Mieter keine Eigenbedarfskündigung aussprechen und auch die vorgeschriebene Frist von drei beziehungsweise sieben Jahren nicht abwarten.
Die Signale sind eindeutig
Beispiel Frankfurter Allee 5-27 in Friedrichshain. Der „Block G Nord“ der früheren Stalinallee ist der letzte noch unsanierte Abschnitt des Vorzeigeboulevards aus den 50er Jahren. An manchen Stellen lösen sich die Fassadenkacheln aus Meißener Porzellan. Nach der Privatisierung der einstmals volkseigenen Wohnungen hat es mehrere Verkäufe gegeben. Der jetzige Eigentümer wandelt die 250 Wohnungen in Einzeleigentum um und bietet sie nach und nach zum Verkauf an. Er signalisiert den Mietern dabei sehr deutlich, dass ihr Bleiben nicht erwünscht ist. Die bitter notwendige Instandsetzung wird so schleppend und schlampig durchgeführt, dass sie für die Bewohner zu einer dauerhaften Belastung wird. Aufzüge waren für Wochen außer Betrieb, so dass viele der älteren und gehbehinderten Mieter kaum noch aus der Wohnung kamen. Bei der Verlegung neuer Stromleitungen gab es in den Fluren wochenlange Stemmarbeiten. „Es war ständig alles dreckig“, erzählt Mieter Bernd Möller*. Die aufgestemmten Wände sind immer noch nicht wieder verputzt worden. Provisorisch sieht auch ein erneuertes Abwasserrohr aus, das durch das Bad der Möllers verlegt wurde: Es wurde einfach mit Dämmmaterial umwickelt, eine Verkleidung ist nicht vorhanden. Die undichten Fenster werden nur in den zu verkaufenden Wohnungen repariert oder ausgetauscht. Für Beschwerden ist die Hausverwaltung nur schwer zu erreichen. „Jede Mietminderung wird als Anlass zu Kündigungen genutzt“, sagt Martina Möller*. Es gab schon Abmahnungen wegen angeblicher unerlaubter Untervermietung, weil die Hausverwaltung zusätzliche Namen am Briefkasten entdeckt hatte – bei den Möllers waren es die Namen ihrer erwachsenen Kinder -, oder auch nur, weil Schuhe vor der Tür standen. „Die arbeiten mit allen Mitteln“, berichtet die Mieterin. Einigen Mietern wurden auch Auszugsprämien angeboten. Die Eigentumswohnungen werden unrenoviert im vermieteten Zustand zum Preis von 1800 bis 2100 Euro pro Quadratmeter angeboten. Wenn sie „mieterfrei“ sind, steigt der Preis auf rund 2300 Euro.
Kündigungen aufgrund einer „Hinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung“ sind in letzter Zeit häufiger geworden. Dabei muss der Vermieter darlegen, dass ihm durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses erhebliche Nachteile entstehen. Verwertungskündigungen werden meist ausgesprochen, wenn das Haus oder die Wohnung verkauft oder abgerissen werden soll oder von Grund auf saniert werden muss. Wenn beispielsweise eine vermietete Wohnung einen erheblich geringeren Verkaufserlös bringt als im unvermieteten Zustand, kann eine solche Kündigung rechtens sein. Wie groß der Unterschied sein muss, um als „erheblicher Nachteil“ zu gelten, ist gesetzlich nicht geregelt. Die bloße Behauptung, anderweitig mit der Wohnung mehr Geld verdienen zu können, reicht allerdings nicht aus. Dem Eigentümer muss aber auch nicht erst der finanzielle Kollaps drohen, bevor er eine Verwertungskündigung aussprechen darf. Beabsichtigt ein Vermieter den Abriss der vermieteten Wohnung mit anschließendem Neubau, muss er zusammen mit der Kündigung aufzeigen, dass es deutlich unwirtschaftlicher wäre, den Altbau zu sanieren als ihn abzureißen und neu zu bauen.
Beispiel Scharnhorststraße 32 in Mitte. Die acht Mietparteien erhielten im Sommer Kündigungen zum Februar 2012 von der neuen Eigentümerin, einer großen Projektentwicklungsgesellschaft. Das Haus soll luxuriös umgebaut werden, und bei dieser wirtschaftlichen Verwertung stören die Mieter, so die Begründung für die Kündigung. Spätestens seit der Entscheidung, in der Chausseestraße einen Neubau für die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes zu errichten, ist die zuvor vernachlässigte Gegend in den Fokus der Immobilienhändler geraten. Unter lauter schick modernisierten Altbauten und neu hochgezogenen Eigentumswohnanlagen ist die Nummer 32 eines der letzten noch unsanierten Häuser in der Scharnhorststraße.
Die hier vorliegende Verwertungskündigung ist aber durchaus angreifbar. „Das ist relativ wacklig, was die da konstruiert haben“, sagt Mieter Michael Pascal von Hase. So wird der Zustand und die Ausstattung des Hauses als äußerst schlecht dargestellt, von Außenklo und Ofenheizung gesprochen, obwohl die Wohnungen Innen-WC und Gasheizer haben. Außerdem waren der Eigentümerin beim Kauf des Hauses vor einem Jahr die aktuellen Bewirtschaftungskosten und -erträge bekannt. „Das ist eine reine Spekulationsgeschichte“, sagt BMV-Rechtsberaterin Marlies Lau, die Mieter des Hauses vertritt. Trotzdem helfen die fragwürdigen Kündigungen dabei, die Mieter zu vertreiben. Neben der Peitsche bietet die Eigentümerin auch ein Zuckerbrot: eine Ablösezahlung im Fall des Auszugs. Zunächst waren die in Aussicht gestellten Summen ziemlich gering. „Ich habe mich wie ein Indianer gefühlt, dem sie eine Flasche Feuerwasser geben und dann sagen: Und nun geh!“, berichtet Mieter von Hase.
Mit Zuckerbrot und Peitsche
Anfangs hieß es auch, das Haus solle abgerissen werden. „Das war ein Versuch, uns mit Rauch und Nebel einzuschüchtern“, erinnert sich von Hase. Ein Hausbewohner war dennoch davon so beeindruckt, dass er sich ziemlich billig hinauskaufen ließ. Im Laufe der Monate erhöhten sich die Angebote und angesichts der geballten wirtschaftlichen Macht der Eigentümerin geraten die Mieter in Zweifel, ob ein womöglich langer und nervenaufreibender Streit um die Wohnung lohnt. Michael Pascal von Hase hat inzwischen ein Aufhebungsvereinbarung unterschrieben.
„Für mich hat das keinen Sinn, um die Wohnung zu kämpfen – ich möchte nicht ewig auf einer Baustelle wohnen“, sagt er, der 13 Jahre lang in der Scharnhorststraße gewohnt hat. „Das ganze Umfeld hat sich stark verändert. Das hat nichts mehr gemein mit dem, wie wir hier bisher gelebt haben.“ Er zieht nun in den Wedding, wo er eine gute Wohnung gefunden hat. „Ein bisschen Wehmut ist noch dabei.“ Wer allerdings nicht soviel Glück hat, einen passenden und bezahlbaren Ersatz zu finden, hat keine Wahl und muss wohl oder übel den Kampf um seine Wohnung weiterführen.
Besonders krasse Folgen hat die Mieterverdrängung in den Beständen des Sozialen Wohnungsbaus, für die keine Anschlussförderung gewährt wurde. Wenn diese Wohnungen aus der 15-jährigen Grundförderung herausfallen, können die Eigentümer die sogenannte Kostenmiete verlangen. Diese beträgt in der Regel 12 bis 19 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Betroffen sind die Mieter von rund 28 000 Sozialwohnungen, die zwischen 1988 und 1997 gebaut wurden. Im Jahr 2009 wurden die ersten Fälle bekannt, in denen ein Eigentümer tatsächlich die absurd hohe Kostenmiete verlangte – offensichtlich mit dem einzigen Ziel, die Sozialmieter loszuwerden, um anschließend teurer an neue Mieter vermieten zu können. Daraufhin beschloss der Senat im Juli 2011 das Wohnraumgesetz, um die schlimmsten Folgen für die Mieter abzumildern. So darf nach einem Eigentümerwechsel nur noch die ortsübliche Vergleichsmiete verlangt werden. Außerdem gibt es Mietausgleichszahlungen für betroffene Bewohner. Allerdings profitieren längst nicht alle davon.
Beispiel Elsenstraße 5/6 und Puschkinallee 46/46 a in Treptow. Dieser Gebäudekomplex mit 75 Wohnungen ist 1996 extra für alte und behinderte Mieter errichtet worden. Viele der Bewohner sind heute hochbetagt und pflegebedürftig, aber sie können hier in ihren eigenen vier Wänden leben. Nachdem jedoch die Förderung ausgelaufen ist und der Eigentümer wechselte, kamen in kurzer Folge Mieterhöhungen, und die Mieter wissen nicht mehr ein noch aus. Die jüngste Erhöhung um 34 Euro bringt die 87-jährige Helga Grote* zur Verzweiflung: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich nochmal umziehen muss.“ Sie soll für ihre 45-Quadratmeter-Wohnung künftig eine Warmmiete von 480 Euro zahlen. Wie die meisten hat sie nur eine kleine Rente, die mit der Grundsicherung aufgestockt werden muss. Das Sozialamt steht aber bei Ein-Personen-Haushalten nur für eine Wohnfläche bis zu 38 Quadratmeter ein. Ein Umzug würde die alleinstehende Helga Grote, die ihr Leben lang in Treptow gewohnt hat, entwurzeln. „In den 15 Jahren sind hier Freundschaften gewachsen. Ich habe alle Ärzte hier, die mich kennen, und der mobile Pflegedienst ist im Haus.“ Sie befürchtet, einen Umzug gesundheitlich nicht zu überstehen.
Die Mietsteigerungen sind möglich, weil das Haus vor dem Inkrafttreten des Wohnraumgesetzes den Besitzer gewechselt hat. Der Eigentümer könnte auch die volle Kostenmiete verlangen. Mit den Mieterhöhungen nutzt er die Notlage der Senioren aus, die auf eine barrierefreie und behindertengerechte Wohnung angewiesen sind und die deshalb noch irgendwie versuchen, eine Kaltmiete von 7,50 Euro pro Quadratmeter aufzubringen. Von einem Mieter, der sich gegen eine Betriebskostenabrechnung zur Wehr gesetzt hatte, wurde kurzerhand die Kostenmiete von 17,09 Euro pro Quadratmeter verlangt – ein solcher willkürlicher Rausschmiss ist rechtlich möglich.
Der Senat glaubt dieses Problem gelöst zu haben. Stadtentwicklungssenator Michael Müller berichtet, dass berlinweit nur bei neun Prozent der betroffenen Wohnungen die Mieten auf über 7 Euro pro Quadratmeter erhöht wurden und in „nur“ 106 Fällen die volle Kostenmiete geltend gemacht wurde. „Bis auf wenige Einzelfälle ergeben sich damit weiterhin tragbare Mietbelastungen“, heißt es in dem Bericht lapidar. Mit den beschlossenen Mietausgleichsleistungen und Umzugskostenerstattungen sollen Härtefälle vermieden werden. BMV-Rechtsberaterin Sabine Mettin, die die Mieter der Treptower Wohnanlage betreut, sagt: „Einmalige Zahlungen nützen den Leuten nichts. Die brauchen eine dauerhafte Unterstützung.“ Die freiwerdenden Wohnungen, die mit Unsummen an öffentlichen Geldern in der Vergangenheit gefördert wurden, vermietet der Eigentümer nun zu Nettokaltmieten von über 11 Euro pro Quadratmeter.
Dauerhafte Hilfe ist notwendig
Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Es ist für Mieter immer schwieriger, ihre Rechte durchzusetzen. Häufig genug können sie vor der wirtschaftlichen Macht und der Skrupellosigkeit auf Vermieterseite nur noch kapitulieren. Die Fälle zeigen auch das Versagen der Politik auf Bundes- und Landesebene auf. Der Senat hat jahrelang behauptet, der Berliner Wohnungsmarkt sei entspannt, und blieb mietenpolitisch völlig untätig. Die Bundesregierung plant sogar, die Mieterrechte noch weiter zu beschneiden. Wohnen ist ein Grundbedürfnis des Menschen und kein Handelsgut und darf daher nicht wie Kartoffeln oder Seife dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen werden.
Jens Sethmann
* Namen geändert
Flucht in Beton-Gold
Der Immobilienmarkt ist in den letzten Jahren stark in Bewegung geraten. Nicht nur aufgrund der Ungewissheit, wie es mit dem Euro weitergeht, erfährt die Immobilie bei Kapitalanlegern eine neue Wertschätzung. Grundbesitz ist in den Augen der Finanzwirtschaft nicht nur eine stabile und sichere Geldanlage, sondern verspricht auch eine hohe Rendite. Dazu sind die Zinsen so tief im Keller, dass nicht nur Großverdiener sich Immobilienbesitz leisten können. Immer mehr Menschen aus dem In- und Ausland legen Geld in „Beton-Gold“ an.
In allen deutschen Großstädten floriert der Handel mit Wohnimmobilien, und mit der hohen Nachfrage steigen die Preise. Am größten ist die Marktdynamik in Berlin: Die Zahl der Wohnungsverkäufe und die Preise steigen überdurchschnittlich stark an. Weil hier das Ausgangsniveau sowohl der Kaufpreise als auch der Mieten noch niedriger ist als in vergleichbaren Städten, sehen Makler und Käufer auf dem Berliner Markt die größten prozentualen Steigerungsmöglichkeiten. Das Kalkül lautet: Mit weiter steigenden Immobilienpreisen nimmt der Wert einer einmal gekauften Eigentumswohnung oder eines Wohnhauses quasi von selbst zu, und mit weiter steigenden Mieten wirft die Kapitalanlage beständig wachsende Gewinne ab. Manchen Anlegern wird eine absurd hohe Rendite versprochen, die man dann auch „auf Teufel komm raus“ zu erzielen versucht. Die Leidtragenden sind diejenigen, die am Ende der Verwertungskette stehen: die Mieter.
js
MieterMagazin 10/12
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alle Fotos: Sabine Münch
29.03.2022