Leitsätze:
1. Auf Grundlage einer Jahresabrechnung nachgeforderte Nebenkosten sind keine (laufende) Miete im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB und spielen deswegen für die Vollständigkeit der Schonfristzahlung im Sinne des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB selbst dann keine Rolle, wenn die Kündigung ausdrücklich auch auf die Nebenkosten-Nachforderung gestützt war.
2. Zeigt die seit vielen Jahren im Leistungsbezug stehende Mieterin bei dem zuständigen Jobcenter an, sie wolle sich selbstständig machen, und stellt das Jobcenter daraufhin jegliche Leistungen ein, um zunächst rund drei Monate der begonnenen selbstständigen Tätigkeit auszuwerten, bevor es die beantragten Leistungen gewährt, so kann das Verschulden der Mieterin an dem aufgelaufenen Mietrückstand in milderem Licht zu sehen sein; der Vermieter kann sich dann nach der vollständigen Tilgung des Rückstands nicht erfolgreich darauf berufen, dass nur die fristlose, nicht aber die ordentliche Kündigung durch Schonfristzahlung unwirksam geworden sei.
LG Berlin vom 15.3.2023 – 64 S 180/21 –
Mitgeteilt von VRiLG Jörg Tegeder
Urteilstext
Gründe
I.
Die Klägerin ist Vermieterin, die Beklagte ist Mieterin einer Dreizimmerwohnung im 1. OG eines Mehrfamilienhauses, die sie als alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern im Alter von 11 und 13 Jahren bewohnt. Die Mietzahlungen erbringt schon seit Jahren unmittelbar das zuständige Jobcenter. Im Zeitraum September 2019 bis Januar 2020 wurde keine Miete gezahlt, und auch die Nachzahlung auf die Nebenkostenabrechnung 2018 vom 16. Dezember 2019 in Höhe von 487,58 € blieb aus. Die Klägerin kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 15. Januar 2020 wegen eines Rückstands an laufender Miete von insgesamt 3.687,68 € (268,85 € + 3 x 846,28 € + 879,99 €) sowie der Nebenkostennachforderung von 487,58 €, in Summe 4.175,26 €, fristlos, hilfsweise ordentlich; auf das Kündigungsschreiben Bl. I/34 d. A. wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen. Durch Zahlungen des Jobcenters vom 20. Januar 2020 wurden die offenen Forderungen bis auf einen Restbetrag von 488,93 € ausgeglichen. Da der Rückstand bis dahin immer noch nicht vollständig ausgeglichen worden war, erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Juni 2020 erneut die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Daraufhin beglich die Beklagte am 18. Juni 2020 die offene Restforderung. Weiterer Anlass für die Kündigungserklärung vom 3. Juni 2020 war ein Polizeieinsatz in der vermieteten Wohnung, in dessen Zuge die Wohnungstür beschädigt wurde und der für Unruhe im Haus sorgte; zu den Details und einem etwaigen Verschulden der Beklagten an diesem Geschehen hat die Klägerin allerdings nicht vorgetragen. Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des Sach- und Streitstandes einschließlich der zur Entscheidung gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angegriffenen Urteils verwiesen, welches der Beklagten am 2. Juni 2021 zugestellt worden ist.
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Räumung der Wohnung verurteilt. Zwar sei die fristlose Kündigung vom 15. Januar 2020 gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch die nachfolgenden Zahlungen unwirksam geworden. Die ordentliche Kündigung habe jedoch weiterhin Bestand; der Verzug mit mehr als einer Monatsmiete über nahezu fünf Monate stelle eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung dar. Hiergegen richtet sich die Beklagte mit der am 2. Juli 2021 eingegangenen und nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 2. September 2021 begründeten Berufung.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 27. September 2021 darauf hingewiesen, dass sie der Ansicht der Zivilkammer 66 zuneige, wonach auch die ordentliche Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch eine Schonfristzahlung unwirksam werde. Eine wirksame Schonfristzahlung sei hier wohl bereits am 20. Januar 2020 erfolgt, da der Rückstand an laufender Miete bis auf einen Bagatellbetrag von weniger als 1,50 € nahezu vollständig getilgt worden sei; auf den offenen Abrechnungssaldo habe die Klägerin die außerordentliche Kündigung nicht stützen können. Selbst wenn die ordentliche Kündigung nicht nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam geworden sei, müsse jedenfalls geklärt werden, ob das Verschulden der Beklagten in Folge der kurz nach Zugang der Kündigung erfolgten Zahlung in einem milderen Licht zu sehen sei. Die Kündigungserklärung vom 3. Juni 2020 könne das Räumungsbegehren der Klägerin nicht tragen, da sie allein auf die offene Nebenkostennachforderung gestützt sei, die deutlich hinter dem Betrag einer Monatsmiete zurückbleibe.
Die Beklagte trägt vor, das Jobcenter habe zunächst jegliche Zahlungen eingestellt, nachdem sie dort im September 2019 angezeigt habe, dass sie sich als ooo selbständig machen wolle. Die Prüfungen der Behörde hätten sich über Monate hingezogen, weshalb sie der Klägerin – das ist unstreitig – am 12. September 2019 handschriftlich sowie am 13. und 17. Oktober 2019 telefonisch mitgeteilt habe, dass sich die Mietzahlung leider verzögere. Am 18. November 2019 habe das Jobcenter auf telefonische Rückfrage bestätigt, dass die Miete übernommen werde, die Bearbeitung des Antrages aber noch andauere; dies habe sie der Klägerin – auch das ist unstreitig – am 18. November 2019 handschriftlich und am 3. Dezember 2019 telefonisch erläutert. Am 5. Dezember 2019 habe die Beklagte weitere Unterlagen zur Ergänzung ihres Antrages beim Jobcenter abgegeben und sich dies quittieren lassen. Das Jobcenter habe die Zahlungen aber erst im Anschluss an die Kündigung vom 15. Januar 2020, dann allerdings unverzüglich, wieder aufgenommen. Dass das Jobcenter die Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung 2018 vom 16. Dezember 2019 zunächst nicht bezahlt habe, sei der Beklagten nicht bewusst gewesen. Vielmehr habe sie dies erst durch die Kündigung vom 3. Juni 2020 erfahren und die Forderung dann am 18. Juni 2020 bezahlt.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
der Beklagten eine angemessene Räumungsfrist, mindestens aber sechs Monate, einzuräumen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VIII ZR 263/14) handele es sich auch bei Nebenkostennachforderungen um wiederkehrende Leistungen; der Ansicht, dass eine Zahlungsverzugskündigung nicht auch auf Rückstände aus Nebenkostenabrechnungen gestützt werden können, sei nicht zu folgen. Die Klägerin müsse es jedenfalls nicht sanktionslos hinnehmen, wenn die Beklagte den Nachforderungsbetrag erst mehrere Monate nach Fälligkeit ausgleiche. Außerdem sei die Beklagte auch früher schon einmal in Zahlungsverzug geraten. So habe sie – das ist unstreitig – die Miete für April und Mai 2019 erst auf eine Abmahnung vom 7. Mai 2019 hin verspätet am 8. Mai 2019 gezahlt; schon damals hätte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzug kündigen können, statt bloß abzumahnen. Außerdem habe die Beklagte die seit 30. November 2018 fällige Nachforderung von 268,85 € aus der Heizkostenabrechnung 2017 erst mit jahrelanger Verspätung beglichen. Den zur Kündigung führenden Rückstand habe die Beklagte auch verschuldet. Sie habe ihre Anträge offenbar nicht rechtzeitig und vollständig gestellt; wenn die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zu einer aufwändigen Prüfung des Jobcenters führe, so hätte die Beklagte den Schritt in die Selbstständigkeit eben besser vorbereiten und früher mit dem Jobcenter abstimmen müssen. Der Klägerin sei jedenfalls nicht zuzumuten, dass über Monate keine Miete gezahlt werde. Notfalls hätte die Beklagte bei dem Jobcenter ein Darlehen beantragen müssen, damit die laufende Miete rechtzeitig bezahlt wird. Unklar bleibe, wie die Beklagte über mehrere Monate ihre übrigen Lebenshaltungskosten gedeckt und welche laufenden Einnahmen aus ihrer selbständigen Tätigkeit sie erzielt habe; solche hätte sie zumindest anteilig auch für die Zahlung der Miete verwenden können und müssen.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 9. September 2022 wegen behaupteten Fehlverhaltens der Beklagten gegenüber anderen Mietern erneut die Kündigung des Mietverhältnisses erklärt. Sie hat mit Schriftsatz vom 29. September 2022 klargestellt, dass sie den Klageanspruch nicht auf diese weitere Kündigung zu stützen sucht.
Die Kammer hat das zuständige Jobcenter auf Grundlage ihres Beschlusses vom 6. April 2022 um Auskunft über die Ursachen für die verzögerte Bewilligung der der Beklagten für den Zeitraum ab Oktober 2019 zustehenden Leistungen und um Übersendung des Verwaltungsvorgangs ersucht; wegen der Einzelheiten wird auf den am 6. April 2022 verkündeten Beschluss und auf die Verfügung des Vorsitzenden vom selben Tage verwiesen. Das Auskunftsersuchen hat zu erheblichen Verzögerungen geführt, da es seitens des Jobcenters zunächst ignoriert worden ist; die ersten beiden Verfügungen des Vorsitzenden vom 6. April 2022 und vom 20. Mai 2022 sind schlicht unbeantwortet geblieben. Erst nachdem die Kammer sich mit Verfügung vom 13. Juni 2022 an die Geschäftsführerin des Jobcenters gewandt hat, ist am 28. Juni 2022 überhaupt eine Antwort der Behörde eingegangen. Diese erste Antwort ist ungenügend gewesen, da keine der im Beschluss formulierten Fragen beantwortet worden ist und bloß Auszüge der Verwaltungsvorgänge beigefügt gewesen sind, an Hand derer sich der Ablauf des Bewilligungsverfahrens nicht hat nachvollziehen lassen. Erst auf weitere Mahnungen hin hat das Jobcenter schließlich am 5. September 2022 ein umfangreiches Konvolut aus den dort elektronisch geführten Akten übersandt, welches jedoch weder die zeitliche Abfolge der Eingänge und ihrer Bearbeitung erkennbar macht noch sonst nach offensichtlichen Ordnungsprinzipien gegliedert ist und das aus sich heraus auch keine Prüfung auf Vollständigkeit ermöglicht. Die Kammer hat weitere Bemühungen um die Durchsetzung des Auskunftsersuchens sodann zurückgestellt, um noch weiter gehenden Verzögerungen des Rechtsstreits vorzubeugen.
Nach Einsicht in die Akten des Jobcenters ist das – bis zur mündlichen Verhandlung am 15. März 2023 allerdings unstreitig gebliebene – Zahlenwerk der Klägerin teilweise zu korrigieren. Wie im Termin am 15. März 2023 erörtert, steht nach Auswertung des Verwaltungsvorgangs insbesondere fest, dass es sich bei dem der Kündigung vom 15. Januar 2020 zu Grunde gelegten vermeintlichen Zahlungsrückstand aus September 2019 von 268,85 € tatsächlich um eine restliche Nebenkosten-Nachforderung aus der Abrechnung für 2017 handelte; ferner steht fest, dass das Jobcenter auf Grundlage des Bescheides vom 19. Februar 2020 zur Tilgung der Nebenkosten-Nachforderung aus der Abrechnung für 2017 an die Klägerin weitere 288,11 € zahlte. Diese Zahlung, die bis zum Termin von keiner der Parteien erwähnt worden ist, mindert den der zweiten Kündigungserklärung vom 3. Juni 2020 zu Grunde gelegten Rückstand, der laut Klageschrift seit der Zahlung des Jobcenters vom 20. Januar 2020 unverändert bei 488,93 € gelegen haben soll.
Die Berechnung dieses Betrages ist, wie im Termin erörtert, nunmehr an Hand des Bescheides des Jobcenters vom 15. Januar 2020 (vgl. Bl. I/233 ff. d. A.) nachvollziehbar: Der Zahlungsrückstand von insgesamt 4.175,26 € im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vom 15. Januar 2020 setzte sich zusammen aus den offenen Mieten für Oktober 2019 bis Januar 2020 von insgesamt 3.418,83 € und Nebenkostennachforderungen für 2017 und 2018 von insgesamt 756,44 €. Das Jobcenter zahlte in Umsetzung des Bescheides vom 15. Januar 2020 insgesamt 3.686,33 € an die Klägerin; davon waren 352,67 € für die Heizkostennachforderung 2018 gedacht, während das Jobcenter von der Miete für Oktober 2019 einen Teilbetrag von 89,70 € nicht bezahlen wollte. Der nach der Zahlung des Jobcenters vom 20. Januar 2020 verbliebene Rückstand von 488,93 € setzte sich mangels ausdrücklicher abweichender Tilgungsbestimmung des Jobcenters oder der Beklagten gegenüber der Klägerin vollständig aus den Nebenkosten-Nachforderungen zusammen und minderte sich auf Grund der Leistungsbewilligung vom 19. Februar 2020 um 288,11 €, sodass am 3. Juni 2020 tatsächlich nur noch 200,82 € – statt bisher zu Grunde gelegter 488,93 € – offen waren.
II.
1.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 511, 517, 519, 520 ZPO.
2.
Die Berufung ist auch begründet.
a)
Wie schon im Beschluss vom 27. September 2021 ausgeführt, wurde die am 15. Januar 2020 ausgesprochene fristlose Kündigung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf Grund der wenige Tage später geleisteten Zahlungen des Jobcenters rückwirkend unwirksam. Der Umstand, dass die Kündigung auch auf Nachforderungen aus den Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2018 und 2017 in Höhe von insgesamt 756,44 € gestützt war, steht dem nicht entgegen. Bei solchen Nachforderungen handelt es sich nicht um laufende Miete im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 543 Rn. 87 m. w. N.); die Nachforderung war daher für sich genommen weder geeignet, eine wirksame Kündigung zu begründen, noch war es mit den erkennbaren Interessen der Beklagten vereinbar, die unmittelbar nach der Kündigung erfolgte Zahlung vorrangig auf die Nebenkostennachforderungen zu verrechnen. Da der kündigungsrelevante Mietrückstand durch die Zahlung vollständig ausgeglichen war und Nebenkostennachforderungen für die Wirkungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB selbst dann keine Rolle spielen, wenn die Kündigung auch auf die Nachforderungen gestützt war (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 569 Rn. 40), ist unerheblich, dass nach der am 20. Januar 2020 gebuchten Zahlung noch eine Nebenkosten-Nachforderung von insgesamt 488,93 € offen blieb.
Soweit die Klägerin unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu VIII ZR 263/14 meint, dass eine Zahlungsverzugskündigung durchaus auch auf Rückstände aus Nebenkostenabrechnungen gestützt werden könne, mag das im Falle von für sich genommenen erheblicher Rückstände und je nach Verschulden des Mieters zutreffen. Das ändert aber nichts daran, dass eine Nachforderung aus einer Nebenkostenabrechnung keine laufende „Miete“ im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB ist (vgl. Staudinger/V Emmerich (2021) BGB § 543, Rn. 68 m. w. N.). In der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs ging es um die Frage, ob es sich bei Nebenkostennachforderungen um wiederkehrende Leistungen im Sinne von § 216 Abs. 3 BGB handelt oder nicht. Diese Frage hat der BGH bejaht, dabei jedoch ausdrücklich offen gelassen, „ob Rückstände aus Betriebskostenjahresabrechnungen zum Mietbegriff des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zählen und deshalb eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses (mit-)begründen können“ (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 20. Juli 2016 – VIII ZR 263/14, Rn. 17, juris). In anderem Zusammenhang führt der BGH dagegen wörtlich aus: „Miete im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB . . . ist die Grundmiete zuzüglich der Nebenkostenvorauszahlung“ (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – XII ZR 134/06, Rn. 31, juris). Die Kammer hält daher daran fest, dass die fristlose Kündigung vom 15. Januar 2020 bereits durch die am 20. Januar 2020 erfolgte Zahlung des Jobcenters wirkungslos wurde.
b)
Festzuhalten ist auch daran, dass die Kündigungserklärung vom 3. Juni 2020 von vorne herein ungeeignet war, das Mietverhältnis zu beenden. Soweit die Kündigung auf einen Polizeieinsatz vom 24. April oder 7. Mai 2020 gestützt war, bei dem es sich um einen wiederholten Vorfall handeln soll, hat die Klägerin nicht schlüssig dargetan, dass der Beklagten eine schuldhafte und nachhaltige Störung des Hausfriedens vorzuwerfen sei; es fehlt auch an einem Beweisantritt für irgendein Fehlverhalten der Beklagten. Die Zahlungsverzugskündigung war unwirksam, weil die seit Ende Februar 2020 nur noch offene Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung 2018 vom 16. Dezember 2019 von 200,82 € deutlich hinter der Höhe einer Monatsmiete zurückblieb; eine erhebliche Vertragsverletzung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB lag nicht vor.
c)
Sofern das Mietverhältnis auf Grund der im Schreiben vom 15. Januar 2020 hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB beendet wurde, kann die Klägerin sich darauf nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB jedenfalls nicht berufen, da das Verschulden der Beklagten an der Entstehung des Kündigungsrückstandes gering zu achten ist und sie den Kündigungsrückstand nach Zugang des Kündigungsschreibens sofort ausglich.
Soweit die Kammer in ihrem Beschluss vom 16. September 2020 unter Hinweis auf die Rechtsprechung der Zivilkammer 66 für bedenkenswert gehalten hat, dass auch eine ordentliche Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch eine Schonfristzahlung unwirksam werden könne, verfolgt sie diesen Ansatz im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Oktober 2021 (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2021 – VIII ZR 91/20 -, juris) nicht weiter. Stattdessen ist darauf abzustellen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Verschulden des Mieters an der Entstehung des Mietrückstands in einem milderen Licht zu sehen sein kann, wenn er den Zahlungsrückstand nach Zugang der Kündigungserklärung kurzfristig und jedenfalls innerhalb der Schonfrist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgleicht. Gab es in der Vergangenheit keine weiteren erheblichen Störungen des Mietverhältnisses, so kann die baldige Nachzahlung der offenen Miete dem zunächst berechtigten Misstrauen des Vermieters in die weitere Vertragstreue des Mieters die Grundlage entziehen; die Durchsetzung des durch die ordentliche Kündigung begründeten Räumungsanspruchs stellt sich dann im Sinne des § 242 BGB als rechtsmissbräuchlich dar, sodass das Mietverhältnis fortzusetzen ist, als wäre es nicht wirksam gekündigt worden (vgl. BGH, NZM 2005, 334 f.; BGHZ 195, 64 ff.; ständige Rechtsprechung). So kann beispielsweise auch dann zu entscheiden sein, wenn der Mieter über einen Zeitraum von vier Monaten schuldhaft mit seinen Zahlungen in Verzug geriet und damit ein im Sinne des § 573 BGB erheblicher Grund für die Beendung des Mietverhältnisses vorlag, der Mieter den Rückstand aber nach Zugang der Kündigung binnen einiger Wochen ausgleicht (vgl. LG Bonn, GE 2015, 383 sowie nachfolgend BGH, GE 2016, 453 und GE 2016, 455; alle zitiert nach juris).
Entscheidend ist also, ob der Grad des Verschuldens der Beklagten an der Entstehung des bis 15. Januar 2020 aufgelaufenen Rückstandes gemäß §§ 573 Abs. 2 Nr. 1, 242 BGB unter Einbeziehung aller Umstände einschließlich des bisherigen Verlaufs des Mietverhältnisses die ordentliche Beendung des Mietverhältnisses rechtfertigt, obwohl der rückständige Betrag – mit Ausnahme der restlichen Nebenkostennachforderung von 488,93 € – sofort nach Zugang der Kündigungserklärung ausgeglichen wurde. Diese Frage ist nach Auswertung der Akten des Jobcenters zu verneinen. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass die Beklagte den Antrag vom 12. September 2019 noch früher hätte stellen und angeforderte Unterlagen noch schneller hätte nachreichen können, sodass sie die schließlich am 15. Januar 2020 erfolgte Leistungsbewilligung womöglich um zwei bis drei Wochen, vielleicht sogar um einen Monat, hätte beschleunigen können. Selbst in diesem Fall wäre im Zeitraum zwischen Beantragung und Bewilligung der Leistungen aber ein Mietrückstand von drei Monaten entstanden, den die Beklagte selbst durch überobligatorische Sachwaltung und Zuarbeit nicht hätte abwenden können. An Hand des Verwaltungsvorgangs ist nämlich die Darstellung der Beklagten nachvollziehbar, wonach das Jobcenter für den von ihm benötigten Zeitraum der Prüfung der sich aus der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit zum 1. September 2019 ergebenden Leistungsänderung jegliche Zahlungen einstellte, ohne eine vorläufige oder darlehensweise Deckung der Mietforderungen anzubieten oder auch nur in Erwägung zu ziehen. Nach Einschätzung der Kammer als offensichtlich unverhältnismäßig stellt sich insbesondere die dem Bescheid vom 14. November 2019 (vgl. Bl. I/230 f. d. A.) zu Grunde liegende Entscheidung des Jobcenters dar, jegliche Leistungen an die Beklagte und ihre Kinder vorübergehend ganz einzustellen. Die in dem Bescheid als fehlend bezeichneten Verträge und weiteren Unterlagen befanden sich teils bereits im Verwaltungsvorgang, während die in dem Bescheid bezeichneten Aufforderungs- und Mahnschreiben vom 19. September 2019 und vom 14. Oktober 2019 in den seitens des Jobcenters überlassenen Aktenauszügen nicht auffindbar sind. Der weitere Verfahrensablauf stützt die Darstellung der Beklagten, wonach das Jobcenter schlicht drei Monate habe zuwarten wollen, um seine Entscheidung auf die wirtschaftliche Auswertung mehrerer Selbstständigkeitsmonate stützen zu können; jedenfalls ist an Hand des Verwaltungsvorgangs nicht ersichtlich, welchen darüber hinausgehenden maßgeblichen Erkenntnisgewinn die Behörde durch die weitere Zuarbeit der Beklagten im Zeitraum zwischen dem 14. November 2019 und der Bewilligungsentscheidung am 15. Januar 2020 erzielt haben könnte.
Ist das ohnehin nur geringe Verschulden der Beklagten an der Entstehung des Rückstandes an laufender Miete für den Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 von insgesamt 3.418,83 € mithin auf Grund des sofortigen Ausgleichs dieses Fehlbetrags durch die Zahlung vom 20. Januar 2020 in milderem Licht zu sehen, so ist das Räumungsbegehren der Klägerin nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB zurückzuweisen und kann nicht deswegen Erfolg haben, weil die Beklagte über ein halbes Jahr zuvor hinsichtlich der Mieten für April und Mai 2019 schon einmal vorübergehend in Zahlungsverzug geraten war. Aus dem Umstand, dass die Beklagte auch nach der Zahlung vom 20. Januar 2020 noch mit Nebenkostennachforderungen für die Jahre 2017 und 2018 von insgesamt 488,93 € in Verzug war, ergibt sich Abweichendes nicht. Das gilt hinsichtlich des auf Grund Bescheides des Jobcenters vom 19. Februar 2020 ungefähr einen Monat später ausgeglichenen Teilbetrages von 288,11 € aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2017 schon deswegen, weil die Beklagte diese Abrechnung bereits im März 2019 beim Jobcenter eingereicht hatte und nicht damit rechnen musste, dass das Jobcenter erst fast ein Jahr später über den Ausgleich der Forderung entscheiden würde; die Kammer hat schon mit Verfügung vom 23. August 2022 darauf hingewiesen, dass der/die zuständige Sachbearbeiter/in des Jobcenters die Prüfung der Abrechnung ohne dokumentierten Hinweis an die Beklagte um rund 11 Monate zurückstellte, obwohl die Beklagte neben der Abrechnung gleichzeitig eine Mahnung der Klägerin vom 18. Februar 2019 über einen Rückstand von 268,85 € vorgelegt hatte. Die verbleibende Nebenkostennachforderung von 200,82 € war der Höhe nach nicht gravierend und erst im Dezember 2019 fällig gestellt worden.
3.
Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Grundsätzliche, ihrer Bedeutung nach über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfragen sind nicht betroffen. Eine Revisionszulassung zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ebenfalls nicht geboten.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 63 Abs. 2, 47, 41 Abs. 2 GKG.
24.05.2023