Wohnungen nicht als Wohn-, sondern als Gewerberaum zu vermieten, ist für den Eigentümer in der Regel lukrativer. Büromieter zahlen durchaus den doppelten Mietpreis, unter Umständen sogar weit mehr. Durch Zweckentfremdung wurden viele Mietwohnungen in der Vergangenheit dem Markt entzogen.
Um den Wohnraum zu schützen, gab es früher in Berlin die Zweckentfremdungsverbotverordnung. Artfremde Nutzungen als Büro, Arztpraxis oder Anwaltskanzlei mussten sich Eigentümer ebenso genehmigen lassen wie den längeren Leerstand oder den Abriss von Wohnraum.
Im Jahr 2002 kippte jedoch das Berliner Oberverwaltungsgericht die Verordnung. Es bestünde keine Grundlage mehr für die Regelung, weil die Wohnraumversorgung der Bevölkerung nicht mehr gefährdet sei, so das Gericht. Es bezog sich in der Begründung auch ausdrücklich auf Äußerungen des damaligen Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD), der kaum eine Gelegenheit ausließ, auf den angeblich entspannten Wohnungsmarkt hinzuweisen.
Auch seine Nachfolgerin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) hielt in ihrer gesamten Amtszeit bis 2011 an dieser Darstellung fest. Die zum Beweis angeführten hohen Leerstandszahlen hielten einer genauen Überprüfung allerdings nicht stand. Eine Untersuchung des Berliner Mietervereins von 2009 ergab deutliche Hinweise darauf, dass mehr als die Hälfte der rund 100.000 länger als sechs Monate leer stehenden Wohnungen dem Markt gar nicht zur Verfügung standen. Damit gab es damals schon keinen Leerstand mehr, der über die für einen funktionierenden Wohnungsmarkt notwendige Fluktuationsreserve von drei Prozent hinausging.
Die politische und richterliche Fehleinschätzung zeigte Folgen: Seit dem Ende des Zweckentfremdungsverbots im Jahr 2002 ging eine Umnutzungswelle durch die Wohnhäuser der Stadt. Deren Ausmaß ist nicht zu erfassen. Ohne die Genehmigungspflicht ging der Nutzungswandel komplett an den Bauämtern vorbei und tauchte in keiner Statistik auf. Dazu kommt, dass es auch vorher eine hohe Dunkelziffer an Fehlnutzungen gab, weil Wohnungen ohne Genehmigung umgenutzt wurden und die schwach besetzten Bezirksämter nicht immer den notwendigen Ehrgeiz zeigten, um Zweckentfremdungen zu entdecken und zu unterbinden.
Ferienapartments sind ein einträgliches Geschäft
Ein relativ neues Phänomen sind die Ferienwohnungen. Die gewerbliche Kurzzeitvermietung von Wohnungen an Berlin-Touristen, Messegäste oder Kongressbesucher erlebt seit einigen Jahren einen wahren Boom. Selbst wenn die Ferienapartments viel billiger als vergleichbare Hotelzimmer angeboten werden, reicht eine nur 50-prozentige Auslastung meist locker aus, um mehr Einnahmen einzuspielen als durch eine reguläre Vermietung. In der Berliner Verwaltung schätzte man im Frühjahr 2012 die Zahl der Wohnungen, die als Ferienherberge zweckentfremdet werden, auf 12.000. Inzwischen dürften es noch mehr sein, weil der Senat schon Ende 2011 ein neues Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum angekündigt hat und vermutlich viele Vermieter noch schnell vorher Ferienwohnungen eingerichtet haben.
Weil die Bezirke Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg nicht mehr länger auf den Senat warten wollten, haben sie Anfang 2013 in ihren Milieuschutzgebieten die Feriennutzung untersagt. Davon werden aber nur Teile der vom Tourismusboom besonders betroffenen Ortsteile Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg erfasst. Die Sanktionierung ist schwierig. Es muss nachgewiesen werden, dass die Wohnungen ständig an wechselnde Gäste für höchstens vier Wochen vermietet werden. Die knapp besetzten Bezirksämter sind dabei auf die Mithilfe der Nachbarn angewiesen. Ein berlinweites Zweckentfremdungsverbot wäre weitaus hilfreicher.
Ausnahmen in begründeten Fällen
Im November 2013 hat der Senat tatsächlich ein neues Gesetz zum Verbot von Zweckentfremdungen beschlossen. Nach Inkrafttreten der zugehörigen Verordnung müssen Ferienwohnungsanbieter ihre Touristenapartments beim Bezirksamt melden. Sie erhalten eine Übergangsfrist von zwei Jahren, danach muss die Wohnung wieder regulär vermietet werden. Bei gewerblichen Büromietern, freiberuflichen Kanzleien und Praxen in Wohnungen bleiben die Gewerbemietverträge bis zum Ende der Laufzeit gültig. Die zweckfremde Nutzung kann aber auch darüber hinaus weiter genehmigt werden – dann nämlich, wenn „private Interessen das öffentliche Interesse“ überwiegen, also zum Beispiel die wirtschaftliche Existenz des Betriebs oder des Ferienwohnungsvermieters gefährdet ist oder wenn der Verlust an Wohnraum durch die „Schaffung von angemessenem Ersatzwohnraum“ ausgeglichen wird. Das Gesetz macht auch einen länger als sechs Monate andauernden Leerstand und den Abriss von Wohnungen genehmigungspflichtig. Wer ohne Genehmigung Wohnraum zweckentfremdet, leer stehen lässt oder beseitigt, muss mit bis zu 50.000 Euro Bußgeld rechnen.
Verwaltung unter Zeitdruck
Der guten Absicht entgegen läuft allerdings die „Genehmigungsfiktion“: Wenn die personell ausgedünnten Bezirksämter es nicht schaffen, einen Antrag auf Zweckentfremdung innerhalb von 14 Wochen zu bearbeiten, gilt die Nutzung automatisch als genehmigt, und zwar unbefristet. Der Senat gesteht den Bezirken insgesamt 17 zusätzliche Stellen zu. Die Bezirksämter werden die Mitarbeiter voraussichtlich in einer Dienststelle bündeln, um schlagkräftiger handeln zu können. Es ist dennoch zu befürchten, dass das knappe Personal die Aufgabe nicht bewältigt und somit ungewollt massenhaft Zweckentfremdungen genehmigt werden.
Über den Wohnungsleerstand wird seit zwei Jahren kaum noch gesprochen. Auf dem Markt gibt es praktisch keinen Angebotsüberhang mehr. Damit Mieter die Möglichkeit zum Umzug haben, ist ein Leerstand von drei Prozent („Fluktuationsreserve“) notwendig. In Berlin wären das knapp 60.000 Wohnungen. In den Beständen des Verbandes Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU) ist die Leerstandsquote mit 2,6 Prozent schon unter diese Quote gesunken, laut Zensus lag sie 2011 bei 3,4 %.
Auf der anderen Seite gibt es aber immer noch einen nennenswerten Leerstand, der nicht Bestandteil des Marktgeschehens ist. Die letzte Leerstandserhebung stammt noch aus dem Jahr 2010. Seinerzeit standen 133.000 Wohnungen leer, davon 98.000 sechs Monate und länger. Einer Eigentümerbefragung der Investitionsbank Berlin (IBB) zufolge waren damals rund 76.000 Wohnungen zwar grundsätzlich marktgängig, wurden jedoch nicht angeboten. Als Gründe wurden vor allem laufende oder geplante Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen genannt. Eigentümer lassen aber auch viele Wohnungen wegen eines geplanten Verkaufs unvermietet – also in spekulativer Absicht, denn leere Wohnungen erzielen deutlich höhere Preise als bewohnte. Hochgerechnet betraf das im Jahr 2010 über 10.000 Wohnungen. Weitere 14.000 Wohnungen wurden nicht vermietet, weil der aktuelle Bauzustand zu schlecht war und auch nichts geplant war, um die Wohnungen wieder vermietbar zu machen.
Diese Zahlen dürften sich seither reduziert haben, machen aber deutlich, dass mit einer konsequenten Bekämpfung von spekulativem Leerstand und mit der Instandsetzung von unvermietbarem Wohnraum eine fünfstellige Zahl an Wohnungen „aktiviert“ werden kann. Wie gut das Zweckentfremdungsverbot gegen spekulativen Leerstand greift, wird die Praxis zeigen. Für Modernisierungsvorhaben gesteht das Gesetz den Eigentümern einen Leerstand von einem Jahr Dauer zu. Bei den Eigentümern von Wohnungen, die wegen ihres schlechten Zustands nicht vermietet werden, handelt es sich häufig um „private Amateurvermieter mit eher geringem Professionalisierungsgrad“, so die IBB-Leerstandsanalyse. Daher seien Beratungsangebote zu technischen Instandsetzungsfragen und Finanzierungsmöglichkeiten notwendig.
Jens Sethmann
Mehr Informationen zum Thema "Zweckentfremdung von Wohnraum" (Mai 2016):
MieterMagazin 1+2/14
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03.03.2018