Kirchen und Siedlungsbauten prägen das Werk des Architekten Otto Bartning. Sowohl als einer der Impulsgeber für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg wie auch als Berater der Stadt Berlin, vertrat er eine an menschlichen Bedürfnissen orientierte soziale Moderne. Eine Ausstellung in der Akademie der Künste im Hansaviertel würdigt nun diesen bislang eher in Fachkreisen bekannten Architekten des 20. Jahrhunderts.
In leichtem Bogen verläuft die Bartningallee, die Magistrale des Hansaviertels, von der Altonaer Straße zur Akademie der Künste im Hanseatenweg, wo die Retrospektive aktuell gezeigt wird. Doch der Namensgeber hat hier im Hansaviertel, das in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen feiert, kein einziges Haus gebaut. Bekannt sind dagegen die Hansaviertel-Architekten Walter Gropius, Oscar Niemeyer, Alvar Aalto und Egon Eiermann. Bartning aber war maßgeblich verantwortlich für die grundlegende städtebauliche Planung des Hansaviertels, dem Modellvorhaben der „Interbau 1957“. Als Vorsitzender des leitenden Ausschusses der Internationalen Bauausstellung und städtebaulicher Berater West-Berlins wirkte er an der Konzeption des Viertels mit und setzte in der offenen Stadtlandschaft unter anderem eine streng rechtwinklige Anordnung der Neubauten durch.
Geboren 1883 in Karlsruhe, studierte Bartning ab 1902 Architektur an der Technischen Hochschule Charlottenburg, um anschließend ab 1905 als selbstständiger Architekt in Berlin zu arbeiten. Er engagierte sich im fortschrittlichen „Arbeitsrat für Kunst“, wo er neben der Forderung nach einer neuen Architektur auch die Grundsätze einer reformierten Architekturausbildung mitformulierte. Das war 1919 die Basis für die Gründung des Bauhauses.
Ab Mitte der 1920er Jahre widmete sich Bartning dem Neuen Bauen und wandte sich neben Kirchen- und Krankenhausbauten auch dem modernen Geschosswohnungsbau zu. Als Mitbegründer der Reichsforschungsgesellschaft für rationelle Baumethoden war er in die Planung der Berliner Wohnsiedlungen Haselhorst und Siemensstadt eingebunden. Der lange, geschwungene Wohnriegel längs der Goebelstraße, der auch als „langer Jammer“ bezeichnet wird, wurde von Otto Bartning im Jahr 1929 entworfen. Weitere bekannte Bartning-Bauwerke in Berlin sind die Gustav-Adolf-Kirche in Charlottenburg, die Offenbarungskirche in Friedrichshain und die Himmelfahrtkirche am Humboldthain.
Während der Zeit des Nationalsozialismus konnte Bartning nur wenige Projekte realisieren, obwohl er keine direkten Repressalien erlitt. Vor allem durch Kirchbauaufträge fand er sein Auskommen abseits des öffentlichen Baugeschehens. Kurz nach Kriegsende entwickelte er schließlich für das Hilfswerk der Evangelischen Kirche ein „Notkirchenprogramm“ zur Versorgung der Millionen Flüchtlinge aus dem Osten.
Prägender Einfluss auf den Wiederaufbau
Tatsächlich hat Bartning nach dem Zweiten Weltkrieg wenig gebaut, doch sein Einfluss auf die Baukultur der jungen Bundesrepublik war groß. Als Preisrichter war er an zahllosen Wiederaufbauvorhaben beteiligt. Bei den Neugründungen der Akademie der Künste und des Deutschen Werkbunds nach 1945 bestimmte er die programmatischen Leitlinien der Architekturentwicklung mit.
Er trat vor allem für eine Rückbesinnung auf die Ideale der Weimarer Republik ein. Für diese Epoche war er ein authentischer und integrer Vertreter. Die „Interbau 1957“ in Berlin war der letzte Höhepunkt seines Lebenswerks. Zwei Jahre nach Errichtung des Hansaviertels starb Otto Bartning 1959 in Darmstadt im Alter von 75 Jahren.
Jens Sethmann
Aus dem Stegreif überzeugend
„Wir hatten Anfang der fünfziger Jahre viele alte Professoren an der Universität, und auch Otto Bartning war ja kein junger Mann mehr. Trotzdem – er war anders als die anderen. Er sprach leise und zurückhaltend. Aber wenn er etwas sagte, dann blitzten seine Augen, und jeder war sofort auf seiner Seite. Er hatte die seltene Fähigkeit, Menschen aus dem Stegreif von seinen Ideen zu überzeugen.“
Ein ehemaliger Student Bartnings
„Bei alledem ist Otto Bartning nicht zu einem Hektiker geworden, er war kein Vorläufer des problematischen Architektur-Jet-Sets. Er kannte den Segen der Muße und wusste ihn zu nutzen.“
Die Zeitschrift „Bauwelt“ 1983 zum 100. Geburtstag von Otto Bartning
Ausstellung: Otto Bartning (1883-1959). Architekt einer sozialen Moderne, Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, noch bis zum 18. Juni 2017:
www.adk.de/bartning
29.05.2017