Wenn man schon seine Wohnung und dem Vermieter damit den Weg für seine wie auch immer gearteten Absichten freimacht, dann sollte doch wenigstens ein üppiges Schmerzensgeld drin sein, denken viele Mieter. Doch so verlockend das auch erscheinen mag – am Ende zahlen sich solche Deals nur selten aus.
Einen rechtlichen Anspruch auf eine Abfindung gibt es nicht. „Vor allem bei Eigenbedarf glauben viele Mieter, dass ihnen der Vermieter zumindest die Umzugskosten zahlen müsste“, erklärt Stefan Schetschorke, Leiter der Rechtsabteilung des Berliner Mietervereins (BMV). Dem ist leider nicht so. Zudem kursieren häufig völlig überzogene Vorstellungen von der Höhe. Im Schnitt, so Schetschorke, geht es um Summen von 5000 bis 10.000 Euro.
Die höchste Abfindung, mit der es der Rechtsberater je zu tun hatte, waren 80 000 Euro. In diesem Fall wollte der neue Eigentümer alle Mieter loswerden, weil er das Haus anders verwerten wollte. Am Ende blieb eine einzige Mieterin übrig. Um sie endlich zum Auszug zu bewegen, bot er schließlich 80.000 Euro.
Solange der Vermieter eine Chance sieht, die Mieter auf anderem Wege rauszubekommen, gibt es für ihn keinen Grund, das Scheckbuch zu zücken.
Gute Karten haben Mieter, die einem großen Bauprojekt finanzstarker Investoren „im Wege stehen“. Für viele Vermieter ist es zu zeitaufwendig, eine Kündigung durch alle Instanzen durchzuklagen. Mietrechtsanwalt Christoph Müller hat seinen Mandanten früher oft geraten, zu überlegen, ob sie wirklich zwei Jahre Terror und Baustelle ertragen wollen oder ob sie nicht doch den „Goldenen Handschlag“ annehmen wollen. Doch inzwischen winkt er meist ab, wenn die Richter diesen Vorschlag machen. Auslöser war ein Fall, wo er für einen Mieter 7000 Euro Abfindung ausgehandelt hatte. Die Eigenbedarfskündigung wäre zwar früher oder später ohnehin durchgegangen, aber der Vermieter wollte sich nicht mit einem Rechtsstreit herumärgern und hat Geld geboten. „Mein Mandant hatte eine kleine Rente, war sich aber sicher, irgendwo eine Wohnung zu finden, notfalls in Mahlsdorf oder Marzahn“, sagt Müller. Doch als die vereinbarte Auszugsfrist nahte, hatte der Mieter trotz über 300 Bewerbungen keine neue Wohnung. Der Rentner musste aus Berlin wegziehen. Müllers Fazit: Von extremen Ausnahmefällen abgesehen rechnet sich eine Abfindungszahlung nicht für Mieter, vor allem nicht für Geringverdiener.
Das kann Stefan Schetschorke nur bestätigen. Der Rechtsberater empfiehlt zudem, sich beim Aushandeln der Abfindungsvereinbarung unbedingt juristischen Beistand zu holen. Dabei gilt es auch sicherzustellen, dass die Prämie wirklich fließt und man nicht über den Tisch gezogen wird. Die einzige wasserdichte Variante ist es, das Geld auf ein sogenanntes Anderkonto mit Sperrvermerk transferieren zu lassen. Selbst bei einer Insolvenz des Vermieters wäre dann die Zahlung gesichert.
Die Zahlung absichern
Doch darauf lassen sich die wenigsten Vermieter ein, auch weil das Gebühren kostet. Ansonsten sollte man vorab auf Zahlung der ersten Hälfte der Abfindungssumme bestehen. Die zweite Hälfte sollte man sich dann beispielsweise bei Rückgabe des Schlüssels aushändigen lassen. Die Höhe der Abfindung ist immer Verhandlungssache, feste „Tarife“ gibt es nicht. Einige Anwälte nennen als inoffiziellen Maßstab 200 Euro pro Quadratmeter. Das wären 12.000 Euro für eine 60 Quadratmeter große Wohnung – übrigens steuerfrei.
Birgit Leiß
Die Top Five der Abfindungen
In fast allen Abfindungsvereinbarungen steht eine Verschwiegenheitsklausel. Daher sind folgende Angaben mit Vorsicht zu genießen. 500.000 D-Mark sollen Mitte der 1990er Jahre einige Mieter aus dem Weinhaus Huth bekommen haben. Ihr Haus stand am Ende als einsame Insel inmitten der Riesenbaustelle Potsdamer Platz. Mehr als 200.000 Euro sollen angeblich die letzten Mietparteien aus der Wilhelmstraße 56-59 erhalten haben. Der Plattenbau wurde für einen Luxusneubau abgerissen. Eine sechsstellige Summe soll auch im Falle der Enckestraße 4/4 a geflossen sein, zumindest an die zwei letzten Mietparteien, die sich trotz massiver Einschränkungen nicht vertreiben ließen. Nach ihrem Auszug wurde das Hinterhaus abgerissen, derzeit werden hier Eigentumswohnungen gebaut. Tief in die Tasche greifen musste auch der Chemiekonzern Bayer, als er vor einigen Jahren das Wohnhaus Fennstraße 35/37/Am Nordhafen 1 abreißen wollte. Über die genaue Höhe hüllen sich die Beteiligten in Schweigen. Immerhin 35.000 Euro wurden den Mietern aus den IBA-Bauten am Lützowplatz gezahlt. Zehn Jahre lang hatten sie sich gegen den Abriss der einstigen Vorzeigebauten gewehrt.
bl
28.03.2022