Wem gehört der Grund und Boden, auf dem wir uns bewegen? Wer darf bestimmen, wer das Land auf welche Weise nutzt? Wonach entscheidet sich, wer wo wohnen darf? Die Bodenfrage spielt eine zentrale Rolle bei den großen Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte: Klimaschutz und Klimaanpassung, Erhaltung der Artenvielfalt, gesicherte und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion, gerechte Vermögensverteilung, sozialer Zusammenhalt und nicht zuletzt: eine angemessene Wohnraumversorgung für alle. Dennoch wird Boden nach wie vor wie eine beliebige Ware gehandelt. Die Spekulation mit Immobilien bringt dabei immer neue Superlative hervor. In Berlin haben sich die Grundstückspreise zwischen 2010 und 2020 verdreifacht. Nach einigen bitteren Lehren in der Vergangenheit, als die Stadt Teile ihres Eigentums an Betrieben und Boden veräußerte, um ihrer Schulden Herr zu werden, ist ein weiterer Verkauf nun passé. Doch das allein genügt nicht: Berlin muss zukaufen, wenn es für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet sein will. Öffentliche Bodenbevorratung ist das Gebot der Stunde.
Der Bodenreformer Adolf Damaschke sagte am Anfang des 20. Jahrhunderts: „Oft genug hat eine Stadt heute Boden verkauft, und nach verhältnismäßig kurzer Zeit für ein kleines Stück dieses Geländes, das sie für den Bau einer Schule und so weiter brauchte, einen höheren Preis geben müssen, als sie einst für das Ganze erhalten hat.“ Er ahnte wohl nicht, dass seine Heimatstadt Berlin 100 Jahre später erneut diese Erfahrung machen würde. Nach dem Fall der Mauer 1989 steckte Berlin in einer Haushaltsnotlage und verkaufte fast alles, was nicht niet- und nagelfest war: Grundstücke, Versorgungsbetriebe, ganze Wohnungsbaugesellschaften.
Diese Privatisierungspolitik hält heute kaum noch jemand für richtig. Landeseigene Flächen werden mittlerweile grundsätzlich nicht mehr verkauft. Zum Teil hat Berlin sogar privatisierte Betriebe und Wohnungsbestände inzwischen zurückgekauft – zu erheblich höheren Preisen als beim Verkauf. Im Februar 2020 hat der Senat beschlossen, eine „strategische Grundstücksreserve“ aufzubauen. Dazu kauft das Land Grundstücke an.
Für diese Aufgabe hat der Senat die Berliner Bodenfonds GmbH (BBF) als Tochtergesellschaft der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) gegründet und ihr 290 Millionen Euro für Ankäufe zur Verfügung gestellt. „Unser Hauptaugenmerk liegt auf dem Erwerb von Flächen, deren Nutzen oder Preis in den kommenden Jahren voraussichtlich höher sein wird“, so der frühere Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD).
Vorrang haben Flächen, deren spätere Verwendung sich jetzt schon absehen lässt. In zweiter Linie werden Reserveflächen erworben, deren Nutzung für die Dauer von etwa zehn Jahren offen gehalten wird. Bis es soweit ist, sollen sie sinnvollen Zwecken dienen.
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Bescheidener Anfang
Die ersten bescheidenen 12.000 Quadratmeter der Grundstücksreserve gingen im Oktober 2021 von der Deutschen Bahn auf den Bodenfonds über. Es sind vier unbebaute Flächen in Treptow-Köpenick, die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt werden. Sie sind allerdings nicht für eine Bebauung vorgesehen, sondern für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Wenn an anderer Stelle durch Baumaßnahmen in die Stadtnatur eingegriffen wird, können hier zum Beispiel Ersatzbäume gepflanzt oder Zauneidechsen-Kolonien angesiedelt werden. „Die Verhandlungen zum Ankauf weiterer Pakete laufen auf Hochtouren“, erklärt BIM-Geschäftsführerin Birgit Möhring.
Mehr Bauland für die Gemeinwohlorientierten?
Der neue Senat wird diese Grundstückspolitik fortführen: „Die Koalition hält am kontinuierlichen Ankauf von Grund und Boden (…) im Sinne einer strategischen Bodenbevorratung fest“, heißt es im Koalitionsvertrag. Dabei möchte die Landesregierung „mehr Transparenz schaffen und die Zivilgesellschaft stärker einbeziehen“. Ein „Bodenbeirat“ und ein öffentlich einsehbares Liegenschaftskataster für Landeseigentum sollen dafür die Grundlage schaffen.
Der Berliner Mieterverein (BMV) hält den Bodenfonds für einen guten Einstieg in eine vorausschauende Bodenbevorratungspolitik. Grundsätzlich wünscht man sich aber, dass die Liegenschaftspolitik des Senats einen größeren Beitrag für die soziale Stadtentwicklung und den Neubau preisgünstigen Wohnraums leistet. Die BIM sollte nach Ansicht des BMV sowohl den städtischen Wohnungsunternehmen als auch anderen gemeinwohlorientierten Trägern deutlich mehr Bauland zur Verfügung stellen. In das Konzept einbinden könne man auch die Grundstücke von anderen Berliner Landesunternehmen oder Verwaltungen.
Im Vergleich zu anderen Städten hat Berlin viel Grundbesitz. 420 Quadratkilometer, 47 Prozent des Stadtgebietes, befinden sich im Eigentum des Landes. Davon dienen 93 Prozent der Daseinsvorsorge: Verwaltungsgebäude, Schulen, Hochschulen, Sportstätten, Straßen, Grünanlagen, Kleingartenkolonien und nicht zuletzt ausgedehnte Wälder. Als große Baulandreserve waren einmal die Kleingartenflächen gedacht. Zum größten Teil wurden sie von Berlin als Ackerflächen am Stadtrand aufgekauft, um in späteren Zeiten als Bauland zu dienen. Die Verpachtung an Schrebergärtner war lediglich für den zwischenzeitlichen Gebrauch gedacht. Dieses „Provisorium“ hält mancherorts schon über ein Jahrhundert an. Inzwischen ist allgemein anerkannt, wie wichtig diese Flächen für das Stadtklima und die Artenvielfalt sind.
Der größte Teil der Kleingärten ist geschützt
Von den 27 Quadratkilometern landeseigener Kleingartenfläche sind mittlerweile 82 Prozent dauerhaft als solche gesichert, weitere 10 Prozent zumindest bis 2030. Bleiben 8 Prozent, bei denen es sich nach dem Kleingartenentwicklungsplan um „Potenzialflächen mit Prüfauftrag“ handelt. Über die Zukunft selbst dieser kümmerlichen Reste Berliner Kleingartenlandes gibt es keine Einigkeit. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag wurde die Frage mit dürren Worten vertagt: „Die Koalition wird die Berliner Kleingärten sichern und die Kleingartenvereine bei der sozialen, umwelt- und klimagerechten Ausrichtung unterstützen. Eine gesetzliche Sicherung wird geprüft.“
Bodenbevorratung ist eine langfristige Strategie. Die Früchte erntet man meist erst Jahrzehnte später. Aber es lohnt sich. So hat die Stadt München 1966 für rund 100 Millionen Mark (circa 50 Millionen Euro) 170 Hektar Ackerboden als Bauerwartungsland gekauft. Heute würde diese Fläche, auf der seit 2016 das neue Wohngebiet Freiham für 25.000 Menschen entsteht, mehr als das 25-fache kosten: 1,275 Milliarden Euro.
Der hohe Bodenpreis ist heute das größte Problem bei der Bildung einer Grundstücksreserve. Der Staat hat nicht unbegrenzt Geld und will auch nicht jeden geforderten Preis zahlen, um die Spekulation nicht noch weiter anzuheizen. Deshalb fordert das „Bündnis Bodenwende“, den Grundstücksmarkt wirksamer zu regulieren, um die finanzmarktgetriebene Immobilienpreisspirale zu bremsen. In dem Bündnis haben sich Organisationen aus den Bereichen Architektur, Stadt- und Raumplanung, Umwelt- und Naturschutz, Wohnen und Soziales zusammengeschlossen, um für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik zu kämpfen. Auch der Deutsche Mieterbund (DMB) gehört dazu. Vom Programm der neuen Bundesregierung ist das Bündnis enttäuscht. „Die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Aussagen bleiben hinter unseren Erwartungen zurück“, sagt Bodenwende-Sprecher Stephan Reiß-Schmidt.
Die Zusagen, den Immobilienmarkt transparenter zu machen und Share-Deal-Steuerschlupflöcher zu schließen, seien zwar Schritte in die richtige Richtung, und die angekündigte „neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ könne auch die Tür zu einer „Bodengemeinnützigkeit“ öffnen, so das Bündnis. Doch das reiche nicht aus. Damit bezahlbares Bauland für die hochgesteckten Wohnungsbauziele der neuen Bundesregierung zur Verfügung steht, müsse die kommunale Bodenbevorratung auch durch ein gestärktes, preislimitiertes Vorkaufsrecht unterstützt werden. Planungsbedingte Bodenwertsteigerungen sollen nicht mehr in den Taschen der Grundeigentümer verschwinden, sondern dem Wohle aller dienen.
Bund kündigt aktivere Nutzung seines Immobilienbesitzes an
Immerhin will die Bundesregierung ihre Grundstücke aktiver nutzen als bisher. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) soll in Zukunft zentral für die Bauten und Liegenschaften des Bundes verantwortlich sein. Sie will künftig Kredite aufnehmen, um investieren und bauen zu können. Eine Bodenbevorratungspolitik ist das allerdings nicht.
Jens Sethmann
Erbbaurecht: Die Wiederentdeckung einer alten Tradition
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 ist das Eigentum am Boden immer mit dem Eigentum an den daraufstehenden Gebäuden verbunden. Wem ein Grundstück gehört, der besitzt auch das Haus darauf.
Gedacht als Hilfe für finanzschwache Bauwillige
Beim Erbbaurecht kann aber ein Grundstückseigentümer einem Dritten das Recht einräumen, auf seinem Boden ein Bauwerk zu errichten und zu bewirtschaften. Der Erbbaurechtsgeber bleibt der Besitzer des Grundstücks. Das Gebäude gehört hingegen über die Laufzeit des Vertrags dem Erbbauberechtigten. Dieser bezahlt dafür dem Eigentümer einen Erbbauzins, der in der Regel als Prozentsatz des aktuellen Bodenwerts festgelegt wird. Die Laufzeit kann frei ausgehandelt werden, meist beträgt sie 99 Jahre. Anschließend fällt das Gebäude in den Besitz des Grundeigentümers, der dem Erbbauberechtigten einen angemessenen Ausgleich für den Gebäudewert zahlt. Das Erbbaurecht wird im Grundbuch eingetragen und wie ein Grundstück behandelt: Gebäude können mit Hypotheken belastet, vererbt oder auch verkauft werden.
Das Erbbaurecht ist eine alte Tradition. Seine gesetzliche Grundlage bekam es mit dem Erbbaurechtsgesetz von 1919, das bis heute gilt. Es ermöglicht finanziell schwächeren Bevölkerungsschichten das Bauen, wenn sie sich einen Grundstückskauf nicht leisten können. In Deutschland stehen allerdings nur rund vier Prozent der Häuser auf Erbbauflächen.
In Amsterdam werden Grundstücke seit 1896 nur in „erfpacht“ vergeben. Dort sind heute 60 Prozent der Gebäude auf Erbbaugrund errichtet worden. Nutzungsrechte werden für 50 Jahre nach Quoten vergeben: Wer auf solchen Flächen bauen will, muss 80 Prozent preisgebundene Wohnungen errichten. Die Stadt sorgt so nicht nur für bezahlbaren Wohnraum. Sie hat auch jedes Jahr Erbbauzinseinnahmen in Höhe von 80 bis 100 Millionen Euro.
js
Grund und Boden – endlich und unvermehrbar
Der Staat als Grundeigentümer war früher der Normalfall. In den deutschen Städten des Mittelalters gehörte die gesamte Stadtfläche dem Landesherrn. In Berlin war das der Markgraf von Brandenburg. Den Bürgern wurde ein Erbbaurecht auf unbegrenzte Zeit eingeräumt. Sie mussten jährlich für jedes Grundstück einen Pfennig und vier Schilling sowie einen Pfennig je Rute Straßenfront zahlen. Dieser „ewige Pfennig“ sollte unveränderlich sein.
„Leistungslose Wertsteigerungen abschöpfen“
Erst im 18. Jahrhundert kamen Private in den direkten Besitz von Grundstücken. Damit die preußische Hauptstadt größer und bedeutender werde, haben die Hohenzollern-Könige weitläufige Stadterweiterungen abgesteckt und das Bauland an Privatleute verschenkt. Ab 1850 konnte jeder Bürger die von ihm genutzte Parzelle für den 18-fachen Betrag der jährlichen Steuer kaufen. 1871 setzte eine ungezügelte Bodenspekulation ein. „Das Stück Brandenburger nackten Sandbodens, auf dem die Stadt Berlin steht, das vor tausend Jahren fast wertlos war, gilt heute über 6.000.000.000 Mark!“ stellte der Bodenreformer Adolf Damaschke 1912 fest. Und:„Kein Schritt breit Staats- und Gemeinde-Boden darf bedingungslos der Privatspekulation ausgeliefert werden!“ Forderungen, die „leistungslosen Wertsteigerungen“ des privaten Grundbesitzes abzuschöpfen und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen, werden seit 150 Jahren von fast allen politischen Parteien erhoben – im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und in der Bundesrepublik – von Karl Marx über Konrad Adenauer bis zu Hans-Jochen Vogel. „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und endlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen“, urteilte das Bundesverfassungsgericht 1967. So oft auch die Bodenfrage als dringend zu lösende, grundlegende soziale Frage bezeichnet wurde – geändert wurde nichts.
Wirkungslose Mahnung des Bundesverfassungsgerichts
Wäre der staatliche Grundbesitz nicht im 19. Jahrhundert von den Hohenzollern verscherbelt worden, sondern nach der Revolution 1918 unter demokratische Kontrolle gekommen, dann hätte Berlin heute ideale Voraussetzungen für eine selbstbestimmte, soziale Stadtentwicklung.
Wie das aussehen könnte, kann man in der australischen Hauptstadt Canberra sehen. Dort wurde von Beginn an eine vollständige öffentliche Bodenbevorratung betrieben. Nachdem Australien 1908 den Bau einer neuen Hauptstadt in einer kaum besiedelten Gegend beschlossen hatte, kaufte der Staat den gesamten Grund und Boden im abgesteckten Territorium. So hat man die Spekulation verhindert und freie Hand für den planmäßigen Aufbau der Stadt ab 1913 bekommen. Noch heute gehören dem Staat nicht nur alle Grundstücke in der wachsenden 400.000-Einwohner-Stadt, sondern auch der gesamte Boden des 2358 Quadratkilometer großen Australian Capital Territory, ein die Hauptstadt umgebendes Gebiet. Wer sich hier ansiedeln will, bekommt eine Parzelle für 99 Jahre im Erbbaurecht („Leasehold“). Er darf dort ein Haus bauen, das Grundstück aber bleibt im Staatsbesitz. Die Verwaltung nutzt das nach wie vor für eine reibungslose Stadtplanung, mit der niemand private Gewinne macht.
js
Dauerwaldvertrag: Beispiel für Nachhaltigkeit und Weitsicht
Der Dauerwaldvertrag von 1915 ist ein frühes Beispiel für eine weitsichtige Bodenbevorratung. Nach jahrelangem Ringen konnte die Stadt Berlin dem Staat Preußen 10.000 Hektar Wald abkaufen und als Gebiet zur Naherholung und Trinkwassergewinnung sichern.
Die preußische Staatskasse hatte zuvor die Ränder des Grunewalds an Bauspekulanten verkauft. Die Villenkolonien Westend, Grunewald und Nikolassee hatten sich dadurch schon weit in das Forstgebiet hineingefressen. „Wir erheben Protest gegen die Absicht des Fiskus, einen wesentlichen Teil des Grunewalds, den man mit Recht die Lunge Berlins genannt hat, der Bebauung zu erschließen, das heißt zu vernichten“, hieß es 1904 in einer von 30.000 Bürgern unterschriebenen Petition. Doch erst 1915 wechselten 10.000 Hektar der Staatsoberförstereien Grunewald, Tegel, Potsdam, Köpenick und Grünau für 50 Pfennig pro Quadratmeter den Besitzer. Im Vertrag verpflichtete sich Berlin, die Flächen „in ihrem wesentlichen Bestande als Waldgelände zu erhalten“ und „die gekauften Grundstücke weder ganz oder teilweise zu veräußern“. Ausnahmen waren möglich, der Erlös musste dann aber zum Erwerb von Ersatzflächen verwendet werden, die ebenso dauerhaft geschützt zu sein hatten.
Der Dauerwaldvertrag gilt heute noch unverändert. Berlin besitzt insgesamt 28.000 Hektar Wald, davon liegen rund 17.000 Hektar im Stadtgebiet, der Rest im nahen Umland.
js
Zum Weiterlesen:
Hans-Jochen Vogel: Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar, Freiburg 2019, 12 Euro
Hans Bernoulli: Die Stadt und ihr Boden, Erlenbach-Zürich 1946, Neuausgabe Basel/Berlin/Boston 1991, antiquarisch und in Bibliotheken erhältlich
Adolf Damaschke: Die Bodenreform. Grundsätzliches und Geschichtliches zur Erkenntnis und Überwindung der sozialen Not, Berlin 1902, zahlreiche erweiterte Neuauflagen, antiquarisch und in Bibliotheken erhältlich.
04.10.2022