Leitsatz:
Eine teilrechtsfähige (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts kann sich in entsprechender Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter oder dessen Angehörigen berufen (Fortführung von Senat, Urteile vom 27. Juni 2007 – VIII ZR 271/06, NJW 2007, 2845 Rn. 15; vom 16.7.2009 – VIII ZR 231/08, NJW 2009, 2738 Rn. 13 f.; vom 23.11.2011 – VIII ZR 74/11, NJW-RR 2012, 237 Rn. 23).
BGH vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 38 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieter hatten im Jahr 1985 vom Rechtsvorgänger der Vermieterin eine Fünfzimmerwohnung in München gemietet.
Die Vermieterin ist eine im Jahr 1991 gegründete, aus vier Gesellschaftern bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die das Anwesen, in dem die streitige Wohnung liegt, im Gründungsjahr erworben hat. Nach dem Gesellschaftsvertrag besteht der Zweck der Gesellschaft in der „Instandsetzung, Modernisierung und dem Ausbau des Anwesens, dessen Vermietung sowie nach Möglichkeit der Aufteilung in Wohnungseigentum“.
Im September 2013 kündigte die Vermieterin das Mietverhältnis und begründete dies mit Eigenbedarf der Tochter eines der Gesellschafter. Die Mieter sind der Kündigung entgegengetreten.
Das LG München hat – unter bewusster Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die Auffassung vertreten, mit Rücksicht auf den unter anderem in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorgesehenen Bestands- und Verdrängungsschutz des Mieters dürfe eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Wohnraummietvertrag bereits von vornherein nicht wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen kündigen. Dieser Ansicht wollte der BGH nicht folgen und bestätigte seine bisherige Rechtsprechung, wonach einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ein Eigenbedarf eines Gesellschafters oder deren Angehörigen „zuzurechnen“ ist.
Die vom LG München angestellten Schutzzwecküberlegungen stünden einer entsprechenden Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht entgegen. Unzutreffend sei bereits die vom Berufungsgericht als Ausgangspunkt seiner Überlegungen gewählte Prämisse, der Kündigungstatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB solle den Mieter vor einem Verdrängungsrisiko durch eine unüberschaubare Anzahl von Personen auf Vermieterseite schützen. Dieser Zweck komme allein der Kündigungssperre in § 577 a BGB zu. Der Zweck der Kündigungsregelungen in § 573 BGB bestehe dagegen darin, einerseits den vertragstreuen Mieter, für den die Wohnung seinen Lebensmittelpunkt darstelle, vor willkürlichen Kündigungen zu schützen, andererseits aber auch dem Vermieter die Befugnis einzuräumen, sich bei Vorliegen eines triftigen Grundes aus dem Mietverhältnis lösen zu können.
Durch die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts im Jahr 2001 durch den BGH seien zwar nicht mehr die Gesellschafter als natürliche Personen Vermieter, sondern die Gesellschaft sei selbst Vermieterin geworden, so dass der auf natürliche Personen zugeschnittene Kündigungstatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht mehr direkt anwendbar sei. Die Interessenlage habe sich aber nicht verändert. Insbesondere hätte die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht zum Ziel gehabt, die ihr bis dahin zukommende Rechtsposition zu beschneiden. Auch hätten sich Anzahl und Identität der Mitglieder einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts hierdurch nicht verändert.
Allerdings sei durch diese rein auf gesellschaftsrechtlichen Erwägungen beruhende Rechtsprechungsänderung im Mietrecht eine Regelungslücke entstanden. Den Gesetzesmaterialien zum Mietrechtsreformgesetz (in Kraft seit 1. September 2001) sei zu entnehmen, dass eine Änderung der bisherigen Rechtslage nicht beabsichtigt war. Mit der im Jahr 2013 erfolgten Ergänzung der Kündigungssperre des § 577 a BGB auf bestimmte Fälle der Kündigung eines Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters einer Personengesellschaft habe der Gesetzgeber (erneut) bestätigt, dass er einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts nicht die Befugnis zur Kündigung wegen Eigenbedarfs eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen absprechen wolle, sondern lediglich in bestimmten Fallkonstellationen die Verlängerung der Kündigungsfrist für geboten halte.
Die durch die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit einer (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts entstandene Regelungslücke sei im Wege der analogen Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB dahin zu schließen, dass sich auch eine teilrechtsfähige (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts auf einen Eigenbedarf ihrer Gesellschafter oder deren Angehörigen berufen dürfe. Die Geltendmachung des Eigenbedarfs eines Gesellschafters oder dessen Angehörigen sei in allen wesentlichen Punkten einer Miteigentümer- oder Erbengemeinschaft vergleichbar, die sich als rechtlich nicht verselbständigte Zusammenschlüsse natürlicher Personen unmittelbar auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen könnten. Auch bei solchen Vermietermehrheiten gäbe es – ebenso wie bei Gesellschaften des bürgerlichen Rechts – eine große Bandbreite unterschiedlicher Strukturen. Neben kleinen und kompakten Miteigentümer- und Erbengemeinschaften gäbe es auch solche, die eine große Mitgliederzahl oder verflochtene Strukturen aufwiesen, was etwa bei über mehrere Generationen fortgesetzten Erbengemeinschaften der Fall sei. Folglich sei die vom LG München angeführte „Unüberschaubarkeit“ des Mitgliederbestands bestimmter Gesellschaften des bürgerlichen Rechts in Anbetracht des Normzwecks des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kein Kriterium, das es erlauben würde, eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts schlechter zu stellen als eine Miteigentümer- oder Erbengemeinschaft. Auf Missbrauchsfälle könnten die Gerichte weiterhin mit der Anwendung der Vorschrift des § 242 BGB angemessen reagieren.
Der BGH hat daher das Berufungsurteil aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen, damit es die notwendigen Feststellungen zum Vorliegen des geltend gemachten Eigenbedarfs und zu möglichen Härtegründen treffen kann.
27.03.2022