Leitsätze:
1. Auch der Mieter einer Wohnung im Innenstadtbereich ist zur Mietminderung berechtigt, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft störende Bauarbeiten stattfinden, die bei Mietvertragsabschluss nicht vorhersehbar waren.
2. Zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses vorhandene konkrete Anhaltspunkte für bevorstehende Bauarbeiten können sich ergeben aus der Lage in einem ausgewiesenen Sanierungsgebiet, oder bei baufälligen Gebäuden, erneuerungsbedürftigen Fassaden oder bei nahe gelegenen Baulücken.
3. Auch wenn ein Mieter im zentralen Innenstadtbereich einer Großstadt wie Berlin jederzeit damit rechnen muss, dass (Straßenbau-)Arbeiten in größerem Umfang und von längerer Dauer stattfinden, von denen auch Lärmbelästigungen ausgehen, so muss er aber regelmäßig ohne konkrete äußere Anhaltspunkte nicht damit rechnen, dass in einem Nachbargebäude Entkernungsarbeiten stattfinden, die zu einer das übliche Maß deutlich übersteigenden Zunahme der Lärm- und Schmutzemissionen führen.
LG Berlin vom 26.9.2013 – 67 S 251/13 –
Mitgeteilt von RA Christian Willert
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Zwar scheint die Rechtsprechung der 67. und der 65. Zivilkammer des LG Berlin (vom 13.3.2013 – 65 S 321/11 -) nicht so rigoros zu sein wie die der 63. Zivilkammer (vom 27.9. 2011 – 63 S 641/10 -: „In der Innenstadt kann in der Regel nicht wegen Entkernungsarbeiten gemindert werden“). Im Ergebnis dürften sich die Unterschiede zumeist jedoch nicht auswirken.
Faktisch ist daher leider weiterhin – auch unter Ansehung der Rechtsprechung von 67. und 65. Zivilkammer – äußerste Zurückhaltung bei der Minderung wegen Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück geboten.
Denn zwei der von allen drei Kammern des Landgerichts als Anhaltspunkte für die minderungsausschließende „Vorhersehbarkeit“ genannten Kriterien sind auslegungsfähig und nicht immer sicher einzuschätzen: „baufälliges Gebäude“ und „erneuerungsbedürftige Fassade“.
Eine Entscheidung der vierten Berliner Mietrechtsberufungskammer, der 18. Zivilkammer, ist offensichtlich noch nicht ergangen.
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Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Die Kernsanierungsarbeiten auf dem Nachbargrundstück …straße … mit der Folge, dass während des streitgegenständlichen Zeitraums November 2011 bis Juli 2012 die Wohnung des Beklagten erheblichen Lärm- und Staubemissionen und starken Erschütterungen ausgesetzt war, rechtfertigt zur Überzeugung der Kammer eine Minderung des monatlich zu entrichtenden Mietzinses.
Der Beklagte hat substantiiert unter Vorlage von Lärmprotokollen für den Zeitraum 1. November 2011 bis 19. Januar 2012 und vom 11. August bis 12. September 2012 vorgetragen, dass in diesem Zeitraum werktäglich von 7.00 bis 18.00 Uhr ganztags Bauarbeiten stattgefunden haben. Es seien ganztägig Bohr-, Hammer, Säge- und Klopfgeräusche wahrnehmbar gewesen. Diesem Vortrag ist die Klägerin nur unsubstantiiert entgegengetreten. Insbesondere war ihrem Beweisantritt hinsichtlich der Gewerbemieter im Vorderhaus nicht nachzugehen, da sich die Wahrnehmung dieser Zeugen allenfalls auf die dort zu vernehmenden Geräusche und sonstigen Emissionen beziehen kann, nicht aber auf den Zustand in der Wohnung des Beklagten im 4. Obergeschoss des Quergebäudes. Im Übrigen ist unstreitig, dass im Zeitraum Frühjahr 2011 bis August 2012 das Nachbargebäude …straße … vollständig kernsaniert, die Grundrisse verändert, teilweise die Fassaden geöffnet und Balkone angebaut, das Garten- und das Quergebäude um eine bzw. zwei Etagen aufgestockt, dazu die Dächer geöffnet und neu gebaut, Dachterrassen errichtet und ein Außenaufzug angebaut wurde. Dass eine derartige Baumaßnahme über Monate mit erheblichem Lärm und Schmutz und erheblichen Erschütterungen verbunden ist, zumal sie teilweise unmittelbar an der Brandmauer stattfand, die zur Wohnung der Beklagten gehört, ist offensichtlich. Insofern handelt es sich um eine offenkundige Tatsache im Sinne des § 291 ZPO, hinsichtlich derer es keiner Beweiserhebung bedurfte.
Die Kammer hält im gegenständlichen Verfahren eine Minderung von 25 % für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum von November 2011 bis zum Abschluss der Bauarbeiten im Juli 2012 für angemessen. Es bedarf insofern auch keiner Differenzierung hinsichtlich einzelner Zeitabschnitte. Bei umfangreichen Bauarbeiten ist es vielmehr zulässig, selbst ohne konkrete Darlegung des Mieters bezüglich des qualitativen und quantitativen Ausmaßes der jeweiligen Bauarbeiten eine feste Minderungsquote für die gesamte Dauer des Bauvorhabens zuzusprechen, auch wenn in einzelnen Zeiten keine besonders starken Störungen stattfinden (vgl. insoweit KG, GE 2001, 620 f.; LG Köln WuM 2004, 234, LG Berlin, Urteil vom 13. März 2013 – 65 S 321/11).
Eine Minderung des Mietzinses war entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Parteien bei Abschluss des Mietvertrags im März 2003 hinsichtlich zukünftiger, vom Nachbargebäude …straße … ausgehender Lärmbelästigungen eine Beschaffenheitsvereinbarung dergestalt getroffen hätten, dass mit solchen zu rechnen und eine Minderung deshalb ausgeschlossen wäre.
Der Beklagte hat unter Vorlage eines Fotos des Hauses …straße … aus dem Jahre 2010 substantiiert vorgetragen, dass das Haus zwar unsaniert, keineswegs aber erkennbar baufällig oder stark sanierungsbedürftig gewesen sei. Vom Zustand innerhalb des Gebäudes konnte sich der Beklagte kein eigenes Bild machen. Allein die Tatsache, dass andere Gebäude in der …straße und auch das Haus, in welchem sich die Wohnung des Beklagten befindet, im Zeitpunkt des Einzugs des Beklagten frisch saniert waren, ließ für ihn nicht den zwingenden Schluss zu, dass das Nachbargebäude …straße … in näherer oder fernerer Zukunft in dem hier gegebenen Umfang kernsaniert und vollständig umgestaltet werden würde. Eine derartige Sanierung fand dann auch über etwa 8 Jahre nicht statt, sondern begann erst im Frühjahr 2011.
Ein Ausschluss der Minderung kommt zwar dann in Betracht, wenn bereits zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses konkrete Anhaltspunkte für bevorstehenden Bauarbeiten vorgelegen haben, wie bei einer Lage in einem ausgewiesenen Sanierungsgebiet oder bei baufälligen Gebäuden, erneuerungsbedürftigen Fassaden oder bei nahe gelegenen Baulücken (vgl. OLG München, Urteil vom 26.3.1993 – 21 U 6002/92; KG, Urteil vom 3.6.2002 – 8 U 74/01; LG Berlin, Urteil vom 28.8.2006 – 62 S 73/06; LG Berlin, Urteil vom 24.11.2009 – 65 S 346/09; LG Bonn, Urteil vom 25.3.1985 – 6 AS 2/85, LG Leipzig, Urteil vom 8.6.2005 – 3 O 4016/04; LG Frankfurt, WuM 2007, 316 f.; LG Gießen, ZMR 2011, 384). Vergleichbare konkrete Anhaltspunkte für bevorstehende Bauarbeiten in dem später unstreitig erfolgten Umfang sind im gegenständlichen Verfahren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 28. August 2003 aber nicht erkennbar gewesen.
Auch turnusmäßig vorzunehmende und üblicherweise im Altbaubestand vorherzusehende Bauarbeiten in Nachbargebäuden können zum Ausschluss einer Minderung des Mietzinses führen, weil ihr Erfordernis für den Mieter bei Vertragsschluss grundsätzlich vorhersehbar ist und vorhergesehen werden muss. Auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 19. Dezember 2012 – VIII ZR 152/12) können aber Lärmbelästigungen, die die innerhalb der Berliner Innenstadtlagen nach Umfang und Intensität üblichen Grenzen – wie im gegenständlichen Verfahren – bei weitem übersteigen, einen zur Minderung berechtigenden Mangel darstellen. Von einem solchen geht die Kammer – wie bereits dargestellt – im gegenständlichen Verfahren unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles aus.
Auch wenn ein Mieter im zentralen Innenstadtbereich einer Großstadt wie Berlin zudem jederzeit damit rechnen muss, dass (Straßenbau-)Arbeiten in größerem Umfang und von längerer Dauer stattfinden, von denen auch Lärmbelästigungen ausgehen (BGH, a.a.O.), so muss er aber regelmäßig ohne konkrete äußere Anhaltspunkte nicht damit rechnen, dass in einem Nachbargebäude Entkernungsarbeiten stattfinden, die zu einer das übliche Maß deutlich übersteigenden Zunahme der Lärm- und Schmutzemissionen führen (anders: Landgericht Berlin, Urteil vom 27. September 2011 – 63 S 641/10; wie hier: Landgericht Berlin, Urteil vom 13. März 2013 – 65 S 321/11). …
06.07.2017