Die Arbeit im Homeoffice – eine Not während des Lockdowns – wird zur Tugend. Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sehen zunehmend die damit verbundenen Vorteile. Das Homeoffice wird aber nicht nur den Arbeitsalltag verändern. Es wird neue Anforderungen an die Wohnung und an das Wohnumfeld stellen. Und: Die Stadt wird nicht so bleiben, wie sie ist.
Der Lockdown infolge der Corona-Pandemie hat ausgelöst, was sich zuvor viele nicht vorstellen konnten: flächendeckendes Arbeiten im Homeoffice. Und nun, mit der über mehrere Monate gesammelten Erfahrung, stellen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber fest, dass die Arbeit von zu Hause aus eine echte Alternative sein kann. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP), für die 500 Unternehmen befragt wurden, zeigte, dass 90 Prozent eine Ausweitung der Homeoffice-Arbeit im eigenen Betrieb für möglich halten. Die deutschen DAX-Unternehmen gaben laut einer Umfrage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel nahezu lückenlos an, Konzepte zu entwickeln, wie ihre Mitarbeiter künftig dauerhaft mehrere Tage pro Woche am heimischen Schreibtisch arbeiten können.
In einem Punkt sind sich die Studien einig: Wir werden nicht alle durchgehend zu Hause arbeiten. Jobs werden sich nur in Ausnahmefällen komplett ins Homeoffice verlagern. Einige Tage im herkömmlichen Büro und einige am heimischen Schreibtisch – solchen hybriden Arbeitsformen wird wohl die Zukunft gehören.
14,8 Millionen Menschen, rund ein Drittel der deutschen Erwerbstätigen, arbeiten in einem Bürojob, so das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) – Tendenz steigend. Für 85 Prozent von ihnen sei Homeoffice eine Option. Vor Corona verbrachten laut Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) nur rund 5,3 Prozent der Beschäftigten mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Schreibtisch zu Hause, weitere 6,7 Prozent in einem geringeren Umfang. Im europäischen Vergleich rangierte Deutschland damit im Mittelfeld. Im April 2020, während des Lockdowns, arbeiteten aber auch hierzulande schon rund 23 Prozent der Befragten überwiegend im Homeoffice.
Macht die Arbeit zu Hause den Arbeitnehmer unzufriedener oder zufriedener? Verschiedene Untersuchungen kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Eine 2018 veröffentlichte Studie des Institute of Labor Economics (IZA) belegte etwa, dass das Arbeiten zu Hause auf Dauer stresst und unglücklicher macht, weil die Trennung von Arbeit und Freizeit schwerer fällt. Eine im Juli 2020 veröffentlichte Studie der Krankenkasse DAK kommt zum gegenteiligen Schluss: Die Befragten, die während der Corona-Pandemie im Homeoffice arbeiteten, fühlten sich überwiegend seltener gestresst, produktiver und gaben an, Familie und Job besser vereinbaren zu können. Drei Viertel der Teilnehmer gaben an, dass ihnen allerdings der direkte Kontakt zu Kollegen fehlte. Ein weiterer Nachteil des Homeoffice, der immer wieder genannt wird, ist die Schwierigkeit, Job und Privates zu trennen. Auf der anderen Seite, bei den Arbeitgebern, mangelt es bei der „Führung auf Distanz“ noch an Routine.
„Durch den Wegfall des Arbeitsweges werden Zeit, Geld und Nerven gespart, auch die Umwelt wird geschont.“
Aber es gibt auch viele Vorzüge. Durch den Wegfall des Arbeitsweges werden Zeit, Geld und Nerven gespart. Auch Umwelt und Klima profitieren vom Wegfall des Arbeitsweges und dem damit verbundenen Rückgang an Emissionen. Wo die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter steigt, steigt auch ihre Loyalität – es gibt weniger Arbeitsausfälle und Fehlzeiten. Für Unternehmen ist der vielleicht am schwersten wiegende Vorteil: Sie sparen Geld, weil sie weniger Büroflächen vorhalten müssen.
Monatlich kostet ein Arbeitsplatz den Arbeitgeber im Schnitt rund 500 Euro. Auf der anderen Seite müssen Arbeitnehmer im Homeoffice gleichzeitig tiefer in die Tasche greifen: Wer zu Hause arbeitet, der hat Ausgaben für Strom, Heizung, Wasser, Internet und das Einrichten eines Arbeitsplatzes. Zudem muss knapper Wohnraum umgewidmet werden.
Der Ruf nach Kompensationsleistungen durch den Arbeitgeber ist da nur verständlich. Denkbar wäre auch eine steuerliche Absetzbarkeit in Form höherer Werbungskosten, was aber ungerecht wäre. Bislang besteht für Arbeitnehmer kein Recht auf das Arbeiten im Homeoffice. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will das noch in diesem Jahr ändern.
Doch was wird passieren, wenn jeder, der kann und darf, es tatsächlich auch tut? Was werden die Auswirkungen auf das Wohnen und die Stadtentwicklung sein?
Trend 1
Büros im Wandel: Büroflächen werden reduziert, dezentralisiert, in günstigere Gegenden verlagert – und könnten künftig vor allem dem Austausch dienen.
Leerstehende Büro-Hochhäuser gibt es seit Beginn der Pandemie und des damit verbundenen Lockdowns nicht nur in den Metropolen der USA und Großbritanniens. Das Institut der deutschen Wirtschaft erwartet, dass die Büromieten auch hierzulande um bis zu 47 Prozent abstürzen. Die Unternehmensberatung KPMG hat unlängst mehr als 300 Firmenchefs befragt: Sieben von zehn gehen davon aus, dass ihr Betrieb künftig weniger Büroflächen benötigen wird.
Der Chef der Barclays-Bank, Jes Staley, gibt an, die Gebäudestrategie seines Unternehmens überdenken zu wollen. Er könne sich Zweigstellen und Filialen am Stadtrand oder im Umland vorstellen, anstatt die Mitarbeiter alle zentral in der Stadt anzusiedeln. Der Chemiekonzern BASF testet derzeit „Satellitenbüros“– zahlreiche kleinere Vor-Ort-Dependancen, rund um die Uhr geöffnet, die die Arbeit in der Zentrale ergänzen sollen.
Büroflächen könnten also reduziert, dezentralisiert und in günstigere Gegenden verlagert werden. Denkbar sind auch Sharing-Modelle, etwa das sogenannte „hot desking“, bei dem sich mehrere Arbeitnehmer einen Büro-Schreibtisch teilen und zu unterschiedlichen Zeiten nutzen. Immerhin: Ganz wegfallen werden Büros nicht, da sind sich die meisten Experten einig. Dazu spielt das soziale Miteinander eine zu große Rolle. Aber das klassische Einzelbüro – in dem vor Corona immerhin ein Drittel der Büroarbeiter tätig war – könnte bald ausgedient haben. Gemeinschaftsbüroflächen an zentralen Orten wären dann der Arbeit im Team, der Begegnung und Kommunikation sowie der kollektiven Kreativleistung vorbehalten.
Trend 2
Die Renaissance des Lokalen: Mit dem Arbeiten im Wohnquartier wird auch die wohnortnahe Infrastruktur wichtiger – lange Wege könnten der Vergangenheit angehören.
Prof. Dr. Angela Million von der Technischen Universität (TU) Berlin führt als mögliche Alternative zum zentralen Bürogebäude auch wohnortnahe Büroflächen wie die seit einigen Jahren aufstrebenden sogenannten Coworking Spaces – geteilte Büroräume – an. Diese seien unauffällig, passten sich daher gut in ein Viertel ein und trügen dazu bei, dass die dort Tätigen in Kontakt mit anderen Menschen kämen und nicht zu Hause vereinsamten: „Die Gemeinschaftsbildung im Alltag ist unheimlich wichtig.“ Auch gewinne die wohnortnahe Infrastruktur – Restaurants, Kultur, Treffpunkte – an Bedeutung, wenn Menschen zu Hause oder nahe ihrer Wohnung arbeiten.
Beim Zukunftsinstitut ist man sich sicher, dass die aktuelle Entwicklung die Kieze stärkt: „Viele Menschen, die sich lange Zeit unverbunden und getrennt von ihrer Nachbarschaft fühlten, entdeckten in der Krise Freude, Bequemlichkeit und Schönheit des Lokalen wieder.“
Zahlreiche Städte greifen dieses Prinzip der „Hypernähe“ schon auf. So will die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hildago, die französische Metropole zu einer „15-Minuten-Stadt“ umbauen, in der die Bewohner alles, was sie im Alltag benötigen, innerhalb von 15 Minuten erreichen können: Arbeit, Essen, Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Sport, Kultur und mehr. Die sogenannte „segmentierte Stadt“ ist klimafreundlich, da durch die kurzen Wege Autos überflüssig werden und Straßen zu Grünflächen umgewidmet werden können. Experten sehen die Pandemie als möglichen Katalysator einer grüneren, nachhaltigeren, krisenfesteren Stadtentwicklung. Ein Beispiel aus Berlin: Während des Lockdowns entstanden dort viele Kilometer Pop-Up-Radwege.
Trend 3
Die Krise als Chance: Die Innenstädte werden eine Krise durchleben – aber möglicherweise bunter daraus hervorgehen.
Wenn sich die Menschen verstärkt in der eigenen Nachbarschaft aufhalten und seltener in die Innenstadt pendeln, hat das Konsequenzen für die Zentren. Dann leidet die gesamte innerstädtische Infrastruktur – neben den Büroflächen, die häufig die oberen Geschosse der Gewerbeimmobilien belegen –, auch die Erdgeschossnutzer: die Restaurants, Cafés, Bars, Kinos. Und der Einzelhandel. Der leidet schon länger, da seit Jahren der Onlinehandel auf dem Vormarsch ist.
Sind die Innenstädte also dem Tode geweiht? Mit Umbrüchen ist wohl zu rechnen. Experten gehen von großen Leerständen in den kommenden Monaten aus. Der renommierte britische Stadtplaner Charles Landry äußerte unlängst, man müsse nun gegensteuern, ansonsten werde sich eine „entsetzliche Leere“ in der Innenstadt ausbreiten.
In der Veränderung liegt aber auch eine Chance. „Wenn die Mieten sinken, dann haben Geschäftsmodelle eine Chance, die noch nicht so stark sind wie die großen Ketten – zum Beispiel Fusionskonzepte zwischen Gastronomie, Kunst, Verkauf und Büro. Das kann ja alles auf einer Fläche hochspannend zusammengeführt werden“ – so Prof. Dr.-Ing. Thomas Krüger, Stadtplanungsexperte an der HafenCity Universität Hamburg. In einigen Städten mieten oder kaufen Kommunen leerstehende Geschäfte und verpachten sie günstig weiter. Eine Chance für kleinere Gewerbetreibende – und dadurch möglicherweise im Ergebnis buntere, vielfältigere Innenstädte.
Stadtplanungsexperten wie Charles Landry und Dr. Thomas Krüger sind sich übrigens sicher, dass die Entwicklung auch die Umnutzung von Gewerbe- zu Wohnraum in den kommenden Jahren begünstigen wird.
Trend 4
Spezifisch statt offen: Nachdem lange Zeit offene Grundrisse dominierten, erleben Abgrenzbarkeit und Teilbarkeit von Wohnraum ein Revival.
Die Pandemie hat die heimischen vier Wände vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Plötzlich waren Wohnungen nicht mehr nur private Rückzugsorte, sondern mussten auch noch Homeschooling und Homeoffice integrieren. Wibke Werner von der Geschäftsführung des Berliner Mietervereins geht davon aus, dass das Bedürfnis nach mehr Raum sich verstärken dürfte, sollte sich das Arbeiten im Homeoffice etablieren. Aber auf den angespannten Wohnungsmärkten fehle es am Angebot, um dieses Bedürfnis zu bedienen. Prof. Dr. Angela Million von der TU Berlin sagt: „Größer werden die Wohnungen erst einmal nicht, das können wir uns im Neubau nicht leisten.“ Und Ricarda Pätzold vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu) ergänzt: „Der Wohnungsmarkt braucht dringend mehr Flexibilität, erstarrt aber immer weiter.“
Seit Jahren gelten offene Grundrisse, etwa Wohnküchen und Wohn-Esszimmer-Kombinationen, als modern. Die Krise zeige aber an vielen Stellen die Grenzen und Nachteile multifunktionaler Räume auf. Prof. Dr. Million hält daher eine Trendwende für möglich: „Teilbarkeit und Abgrenzbarkeit von Wohnraum könnten wiederkommen.“ Ricarda Pätzold: „Kleine Räume haben zu Unrecht ein schlechtes Image.“
Das sagt sich natürlich leicht. Eine Altbau-Mietwohnung mit großen Räumen lässt sich nur schwer in kleine Zimmer für die unterschiedlichen Bedürfnisse aufteilen. Hier hilft allenfalls Improvisationsgabe. Mit Stellwänden oder – vom Vermieter genehmigten – Trennwänden lässt sich schon viel erreichen. Das Thema berührt aber auch einen anderen wichtigen Punkt. Die neue Freiheit in der Wahl des Arbeitsortes benachteiligt all jene mit wenig Wohnraum. Als hochkritisch beurteilt Prof. Dr. Million die Situation derer, die zu Hause nur einen Raum zur Verfügung hätten, bei denen Wohnen also ohnehin schon prekär sei und nun auch noch das Arbeiten mit dazu käme. Hier verberge sich möglicherweise sozialer Sprengstoff.
Trend 5
Randgegenden werden gewinnen: Der Speckgürtel-Boom wird durch eine Zunahme der Heimarbeit weiter begünstigt – erfasst aber nicht alle Bevölkerungsgruppen.
Einig sind sich die Expertinnen und Experten in dem Punkt, dass der Faktor Fahrzeit von Angestellten, die mehr Zeit im Homeoffice verbringen, anders gewichtet würde als von jenen, die jeden Tag ins Innenstadt-Büro pendelten. Wer seltener fährt, nimmt weitere Wege in Kauf. Hinzu kommt: Wer mehr Zeit zu Hause verbringt, legt auch mehr Wert auf das eigene Wohnumfeld.
Die Homeoffice-Zunahme könnte also mit der Suburbanisierung einen Trend verstärken, der bereits seit Jahren anhält: Mehr Menschen ziehen aus den Zentren der Stadt weg statt in sie hinein. Das schlägt sich sichtbar auf die Immobilienpreise in den Randgebieten vieler Metropolen nieder, die seit Jahren explodieren. Aktuelle Zahlen des Online-Portals Immowelt zeigen, dass die Mieten im Berliner Speckgürtel im vergangenen Jahr rundum, stellenweise um satte 17 Prozent, gestiegen sind. Das Umland wird durch Homeoffice also boomen, vielleicht mehr denn je – aber welche Gebiete genau? Aus Sicht von Prof. Dr. Million spielen soziale und kulturelle Aspekte bei der Auswahl des Wohnortes eine wichtige Rolle. Nur Gemeinden, die ein entsprechendes Angebot vorhielten, könnten auch neue Bewohner anlocken. Aus ihrer Sicht seien das in erster Linie mittelgroße Kommunen mit einer soliden Infrastruktur wie etwa Brandenburg an der Havel. Gewinner könnten zudem nur Orte mit hervorragender digitaler Infrastruktur sein, denn diese sei Voraussetzung für die Arbeit vom heimischen Schreibtisch aus. Auch hier seien metropolennahe Gemeinden weiter abgelegenen Gebieten meist überlegen.
Katharina Buri
Das Homeoffice: Rechte und Pflichten gegenüber dem Vermieter
- Mit dem Chef ist die Arbeit im Homeoffice abgestimmt – kann sich jetzt noch der Vermieter querstellen? Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen einer teilgewerblichen oder gewerblichen Nutzung und der gelegentlichen Arbeit von zu Hause aus. Allerdings sind die Grenzen fließend. Der Bundesgerichtshof hat 2009 ein Urteil (Aktenzeichen VIII ZR 165/ 08) dazu gefällt, das besagt, dass „… der Vermieter einer Wohnung geschäftliche Aktivitäten seines Mieters freiberuflicher oder gewerblicher Art, die nach außen hin in Erscheinung treten, mangels entsprechender Vereinbarung – auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt – nicht in der Wohnung dulden muss“. Kritisch wird es also vor allem bei Jobs mit „Außenwirkung“, wenn man beispielsweise die Adresse auf geschäftliche Visitenkarten druckt oder gar mit einem Schild am Haus auf das Gewerbe hinweist. Mietrechtsexperten empfehlen, im Zweifel lieber auf Nummer Sicher zu gehen und die Zustimmung des Vermieters einzuholen. Eine Genehmigung des Vermieters muss auch dann vorab eingeholt werden, wenn der Mieter dauerhafte Umbauten wie Zwischenwände und fest eingebaute Möbel plant.
kb
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24.04.2021