Der Wegzug junger Familien mit Kindern unter sechs Jahren ins Umland übersteigt noch immer sehr deutlich den Zuzug aus derselben Altersgruppe. Auch die Wanderungsbewegungen innerhalb Berlins zeigen, dass junge Familien nicht in die Innenstadt strömen. Einer der wichtigsten Gründe: Bezahlbare Wohnungen für Familien sind dort Mangelware.
Mit den Suchkriterien „Vier- bis Fünfzimmerwohnung, 80 bis 120 Quadratmeter in Kreuzberg, Friedrichshain, Charlottenburg, Wilmersdorf, Steglitz, Schöneberg, Tempelhof, Prenzlauer Berg und Mitte“ in einem Wohnungsangebotsportal erlangt man 258 Treffer. Die Kaltmieten betragen zwischen 420 und 2160 Euro monatlich. Ändert man die Suche in „Zwei- bis Dreizimmerwohnung“ bei gleicher Größe und Wohnorten, so erhält man 1118 Angebote – also mehr als viermal so viel. Interessanterweise liegen die Kaltmieten hier niedriger: Sie fangen bei 270 Euro an und gehen bis 1026 Euro. Große Wohnungen für Zweipersonenhaushalte sind offensichtlich günstiger und leichter zu bekommen als Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern.
Berlins größtes Wohnungsunternehmen, die Degewo, verfügt derzeit über rund 7900 Wohnungen mit vier oder mehr Zimmern. Das entspricht etwa 11,3 Prozent ihres Gesamtbestandes von 70.000 Wohnungen. Die durchschnittliche Miete wird 2009 nach Auskunft eines Sprechers bei circa 4,93 Euro pro Quadratmeter liegen. Allerdings liegen die meisten dieser Wohnungen am Stadtrand, etwa in Gropiusstadt oder Marzahn. Sucht man dagegen in zentraleren Vierteln nach einer Vier- bis Fünfzimmerwohnung bis 90 Quadratmeter, so finden sich bei der Degewo gerade einmal zwei Angebote in Schöneberg zu einer Gesamtmiete von je etwas über 960 Euro. Nicht viel anders sieht es beim Wohnungsunternehmen Gewobag aus. Etwa neun Prozent aller vom Unternehmen bewirtschafteten Wohnungen besitzen vier oder mehr Zimmer. Doch nur fünf Objekte entsprechen den Suchkriterien „Vier- bis Fünfzimmerwohnung, 80 bis 120 Quadratmeter, zentrale Innenstadtlage“.
Junge Eltern, die „mitten drin“ wohnen bleiben und den Kontakt zu Freunden aus der Studienzeit nicht verlieren möchten, müssen tief in die Tasche greifen: Für eine Fünfzimmerwohnung in Charlottenburg (128 Quadratmeter) beträgt die Nettokaltmiete beispielsweise bei der Gewobag rund 756 Euro – viel Geld für eine Familie, in der nicht beide Elternteile ein Einkommen haben.
Ein Drittel aller Berliner Familien mit minderjährigen Kindern verfügt über ein Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1500 Euro im Monat. Das zweite Drittel der Berliner Familien kann auf ein Einkommen zwischen 1500 und 2600 Euro zurückgreifen und einem weiteren Drittel stehen mehr als 2600 Euro monatlich zur Verfügung.
Randlagen erschwinglich
Wer mit einem Außenbezirk vorlieb nimmt, kann zum Beispiel bei der Wohnungsbaugenossenschaft „Vorwärts“ eine 90 Quadratmeter große Vierzimmerwohnung in Friedrichsfelde (Lichtenberg) für eine Warmmiete von rund 596 Euro anmieten. Eine Fünfzimmerwohnung (112 Quadratmeter) ist dort für eine Warmmiete von 770 Euro erhältlich. Die Nachfrage sei groß, heißt es bei „Vorwärts“. Andere Genossenschaften, etwa die „Märkische Scholle“, berichten von langen Wartelisten für ihre Vierzimmerwohnungen.
Beim Wettbewerb um Wohnungen in der Innenstadt können junge Familien nur selten finanziell mithalten. Da ist das gut verdienende Paar ohne Kinder meist im Vorteil. Der aktuelle Wohnungsmarktbericht zeigt, dass Berlin zunehmend zerfällt in ein „voll vermietetes“ und deshalb teures Zentrum und in weniger begehrte Randlagen. Der beliebte Bereich erstreckt sich von Charlottenburg-Wilmersdorf über Mitte, Kreuzberg-Friedrichshain und Prenzlauer Berg bis zur Rummelsburger Bucht in Lichtenberg. In Charlottenburg liegt die Leerstandsquote bei gerade einmal zwei Prozent, in Wilmersdorf sogar noch darunter. „Familien brauchen hier einen langen Atem und viel Glück, um eine Wohnung zu finden“, sagt Stadtrat Joachim Krüger (CDU).
Auch Franz Schulz (Grüne), Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, beobachtet, dass einkommensschwache Familien sich Wohnungen in seinem Bezirk kaum noch leisten können. Sie weichen aus nach Neukölln, Wedding und Schöneberg-Nord.
„Im Bestand unserer Mitglieder befinden sich weniger die großen Altbauwohnungen in der Innenstadt als vielmehr Wohnungen in Außenbezirken“, erklärt Dr. David Eberhart vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). In den Großsiedlungen am Stadtrand stünden viele große Wohnungen leer. Die Unternehmen versuchen daher, Familien mit besonderen Angeboten zu locken.
So bietet das Wohnungsunternehmen GSW im Rahmen der Aktion „Babyboomer“ jungen Eltern bei Abschluss eines Mietvertrags ein Jahr lang ein mietfreies Kinderzimmer und kostenlose Windeln an. In Marzahn räumt die Degewo Rabatte für Kinder ein, die ihren ersten eigenen Haushalt gründen und deren Eltern bereits Mieter des Unternehmens sind. Die Gewobag übernimmt in Rudow für zwei Jahre einen monatlichen Zuschuss von 50 Euro für jedes Kind, das die Kita „Chiquitito“ besucht. Außerdem bietet das Unternehmen Präventionskurse für Schulanfänger („Sicher auf dem Schulweg“) und Kinder-Kochkurse für gesunde Ernährung.
Sina Tschacher
Der WBS – ein Schein, der helfen kann
Ein Wohnberechtigungsschein (WBS) erlaubt den Bezug einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung („Sozialwohnung“). Der WBS kann von jedem volljährigen Bürger für sich und seine Familie beantragt werden (Adresse siehe links). Die ausgefüllten Formulare müssen nicht persönlich abgegeben werden, sie können auch mit der Post an das zuständige Bezirksamt geschickt werden.
Einen WBS erhalten Menschen, deren Jahreseinkommen bestimmte Grenzen nicht übersteigt. In Berlin sind dies bei einem Paar mit einem Kind 25900 Euro. Bei der Berechnung wird meist das Einkommen zu Grunde gelegt, das in den zwölf Monaten ab Antragstellung zu erwarten ist. Kindergeld zählt nicht zum Einkommen. Es können zudem unterschiedliche Pauschal- und Freibeträge abgesetzt werden. Im WBS wird die angemessene Wohnungsgröße für die Familie vermerkt, in der Regel pro Person ein Zimmer. Wer aktuell in unzureichenden Wohnverhältnissen lebt, etwa mit drei Personen in einer kleinen Zweizimmerwohnung, oder gar keine Wohnung hat, erhält einen WBS mit Dringlichkeit und soll vorrangig versorgt werden. Der WBS wird für ein Jahr ausgestellt.
Mit dem WBS in der Tasche kann man sich um eine der rund 190000 Sozialwohnungen bewerben. In Vermietungsanzeigen für geförderte Wohnungen muss darauf hingewiesen werden, dass ein WBS erforderlich ist. Der WBS hat in der Praxis jedoch erheblich an Wert eingebüßt: Durch eine Anhebung der Einkommensgrenzen um 40 Prozent hat Berlin den Kreis der Berechtigten erheblich erweitert. Zudem sind 39100 Sozialwohnungen in 21 Großsiedlungen seit 1999 von der WBS-Pflicht ausgenommen, um dort „das Sozialgefüge zu verbessern“. Hinzu kommt, dass die Mieten der Sozialwohnungen paradoxerweise oftmals höher sind als auf dem freien Markt.
Benötigt wird der WBS auch, um in einem Sanierungsgebiet eine der wenigen geförderten Wohnungen zu beziehen. Diese werden in der Regel von den örtlichen Mieterberatungsgesellschaften im Auftrag des Bezirks vermittelt. Wenn man ein besonders geringes Einkommen nachweist, kann man hier in den Genuss einer reduzierten Miete kommen. Eine solche Einkommensbescheinigung ist wie der WBS beim Bezirk zu beantragen.
Auskünfte hierzu erteilen die Wohnungsämter der Bezirke und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Sina Tschacher/Jens Sethmann
Unter besonderem Druck: die „Kleinstfamilie“
In keiner anderen deutschen Stadt leben so viele alleinerziehende Eltern wie in Berlin: 32 Prozent aller Haushalte mit minderjährigen Kindern bestehen aus Einelternfamilien.
Sie sind besonderen, vor allem finanziellen Belastungen ausgesetzt: Laut Statistischem Bundesamt sind Alleinerziehende dreimal so häufig von Armut bedroht wie Familien, zu denen zwei oder mehr Erwachsene gehören.
Den meisten Alleinerziehenden stehen monatlich nur zwischen 900 und 1300 Euro zur Verfügung. Um sich und ihren Nachwuchs über Wasser zu halten, ist die Mehrheit von ihnen berufstätig. Ausreichend flexible Betreuungsangebote in Form von Ganztagsschulen oder -horten in ihrem Wohnumfeld sind für sie daher existenziell. Oft benötigen Alleinerziehende zusätzlich eine Kinderbetreuung zu untypischen Zeiten, denn im Fall von Überstunden oder einem Abendtermin ist kein Partner zur Stelle, der auf den Nachwuchs aufpasst. Daher legen sie meist großen Wert auf soziale Netze, etwa die ehrenamtliche Betreuung des Kindes im Krankheitsfall durch die Nachbarin. Wohnanlagen, in denen es Gemeinschaftsräume gibt, aber auch Mehrgenerationenhäuser sind für viele eine gute Möglichkeit, ihr privates Betreuungsnetzwerk auszubauen.
Aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Situation sind Alleinerziehende stärker als andere auf günstigen Wohnraum angewiesen. Doch bei der Suche ziehen sie oft den Kürzeren. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Innofact. Danach gibt nur jeder zehnte Vermieter Alleinerziehenden als Mieter eine Chance. Noch weniger Zustimmung finden nur Wohngemeinschaften. Am beliebtesten bei Vermietern sind Paare ohne Kinder und Rentner.
Sina Tschacher
Mehr Staat, bitte!
„Familien mit Kindern sind gleich mehrfach Verlierer auf dem Wohnungsmarkt“, sagt Siegfried Stresing, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes. Sie brauchen größere Wohnungen, müssen steigende Mieten und Nebenkosten aus einem ohnehin oft schmaleren Portemonnaie bezahlen und nicht wenige Vermieter scheuen sich noch immer, eine Wohnung an eine Familie mit mehreren Kindern zu vermieten. „Familien sind deshalb angesichts des Rückzugs aus der staatlichen Wohnungsbauförderung besonders auf gezielte Unterstützung und eine städtebauliche Planung mit Familienblick angewiesen, damit es genügend bezahlbaren und familiengerechten Wohnraum gibt.“
Kinder sind vor allem für Alleinerziehende eine potenzielle Armutsfalle. Nur Arbeitslosigkeit wirkt sich noch gravierender aus. „Mehr staatliche Hilfen zum Wohnen wären deshalb gerade für sie wichtig“, sagt Elisabeth Küppers vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter in Berlin. Oft würden Frauen erst durch eine Trennung zu Hartz-IV-Empfängern. „Wenn sie dann in eine kleinere Wohnung umziehen müssen, haben viele noch nicht mal das Geld für die Mietkaution.“ Die werde vom Jobcenter in der Praxis häufig nicht übernommen. Wer erstmals Leistungen nach Hartz IV bezieht, bleibe meist auch auf den sonstigen Umzugskosten sitzen. „Und als Empfänger von staatlichen Transferleistungen mit Kindern überhaupt eine Wohnung zu finden, die den erlaubten Mietsätzen entspricht, ist fast unmöglich.“ So darf etwa die Bruttowarmmiete eines Zweipersonenhaushalts bei 444 Euro, die eines Dreipersonenhaushalts bei 542 Euro liegen. Hier müsse nachgebessert werden.
ks
MieterMagazin 1+2/10
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Fotos: Christian Muhrbeck
Familienangebote
der Degewo findet man im Internet unter
www.degewo.de
unter dem Stichpunkt „Mieten“, dann „Wohnen für Familien“. Dort stehen auch die Kontaktdaten aller Ansprechpartner.
Infos zum Kindergartenzuschuss der Gewobag findet man unter
www.gewobag.de
unter „Mieten“, dann „Sonderaktionen“;
Wohngenossenschaft „Vorwärts“:
www.wg-vorwaerts.de
Antragsformular für den WBS:
www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/
mieterfibel/de/s_formulare.shtml
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
zum WBS:
www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/
mieterfibel/de/mf_wbs.shtml
Soziale Netze sind für Alleinerziehende besonders wichtig
Foto: Christian Muhrbeck
Hier finden Alleinerziehende
Unterstützung und Beratung:
Verband alleinerziehender
Mütter und Väter,
Landesverband Berlin e.V.,
Seelingstraße 13, 14059 Berlin,
Tel. 851 51 20, Fax: 85 96 12 14
E-Mail: vamv-berlin@t-online.de
www.vamv-berlin.de;
SHIA e.V.
Rudolf-Schwarz-Str. 29/31, 10407 Berlin
Tel., Fax: 425 11 86
www.shia-berlin.de
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Foto: Christian Muhrbeck
01.01.2021