Wohnraum ist knapp in Berlin. Auch der langsam in Gang kommende Neubau konnte die Wohnungsnot noch nicht abmildern. Gleichzeitig gibt es in der Stadt immer noch einen nicht unerheblichen Gewerberaumleerstand. Was liegt da näher, als die verwaisten Büros zu Wohnungen umzubauen?
Gewerbenutzungen versprechen immer noch höhere Mieteinnahmen als das Wohnen. Nicht umsonst müssen Wohnungen mit einem Zweckentfremdungsverbot geschützt werden. Wenn aber Bürogebäude leer stehen und sich kein neuer Gewerbemieter findet, ist es allemal profitabler, die Räume als Wohnungen zu vermieten, auch wenn der Umbau manchmal sehr aufwendig ist. Konsequent umgesetzt kann die Umnutzung von Gewerberäumen den Wohnungsmarkt zumindest ein Stück weit entlasten. In Berlin stehen rund 680.000 Quadratmeter Büroflächen leer. Würde man diese vollständig umbauen, könnten rechnerisch rund 10.000 Wohnungen durchschnittlicher Größe entstehen – Platz für 20.000 Menschen.
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft Gesobau verwandelte in der Weißenseer Streustraße einen ganzen Bürokomplex in Wohnungen. Das Gebäude Streustraße 117 war erst 1995 als Verwaltungsgebäude errichtet, die benachbarten Nummern 118, 119 und 120 sind um 1900 als Wohnhäuser gebaut worden, wurden aber seit den 90er Jahren von der Gesobau als Bürogebäude genutzt, ebenso wie das damit verbundene Gewerbegebäude im Hinterhof der Börnestraße 5 a. Insgesamt sind in den fünf Gebäuden 42 Wohnungen entstanden, die ein bis vier Zimmer haben und zwischen 30 und 114 Quadratmeter groß sind. Anfang 2016 wurden sie bezogen.
Dass der baurechtliche Bestandsschutz entfällt, hat einige aufwendige Folgen: Beim Umbau müssen nämlich nun alle Anforderungen der Bauordnung eingehalten werden, die für einen Neubau gelten: von der Wärmedämmung über den Schall- und Brandschutz bis hin zur Barrierefreiheit. Für einen zeitgemäßen Trittschallschutz musste die Gesobau deshalb in den Altbauten die Holzbalkendecken durch Ziegeldecken ersetzen. Außerdem wurden an den Hoffassaden Wärmedämmplatten montiert und neue Fenster eingesetzt. An der Straßenfront wurden die Kastendoppelfenster aufgearbeitet. Die meisten Wohnungen erhielten einen Balkon. Und natürlich mussten Bäder und Küchen neu eingebaut werden. Die geforderten barrierefreien Wohnungen brachte die Gesobau in dem neueren Gebäude in der Streustraße 117 unter, das bereits einen Fahrstuhl hatte. So konnte man sich bei den Altbauten den Anbau von Aufzügen sparen.
Die Auflagen haben die Umbauten verteuert. Doch obwohl die Wohnungen nun Neubau-Standard haben, liegen die Mieten zwischen 7,50 Euro und 9,50 Euro pro Quadratmeter nettokalt – und damit immer noch merklich unterhalb der Mieten, die üblicherweise bei neugebauten Wohnungen verlangt werden. Der Umbau war eines von sieben Modellvorhaben des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). „Um angespannte Wohnungsmärkte zu entlasten, bietet der Bestand viel Potenzial“, lautet das Fazit von BBSR-Direktor Harald Herrmann.
Der Kreisel: Ende gut – alles gut?
Ein spektakuläres Projekt ist der Umbau des Steglitzer Kreisels: Die CG-Gruppe plant, das 30-stöckige ehemalige Verwaltungsgebäude ab März 2017 für 277 Millionen Euro in einen Wohnturm umzubauen. Der von 1969 bis 1980 errichtete Baukomplex ist ein Symbol für den West-Berliner Baufilz: Nach einer Baukostenexplosion und dem Konkurs des Bauträgers sprang die öffentlich Hand ein. Hauptnutzer des Turms war das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf, bis es Ende 2007 wegen der Asbestbelastung auszog. Für den neuen Eigentümer ist der Kreisel hingegen ein „Wahrzeichen Berlins, das allein schon wegen seiner Historie das Potenzial für eine erfolgreiche Projektentwicklung bietet“. Der Investor will hier 248 Wohneinheiten schaffen, davon 182 im Turm – pro Etage vier bis acht Wohnungen. Die Räume sind 3,50 Meter hoch und werden gehoben ausgestattet. Die Mieten sollen zwischen 9 und 25 Euro pro Quadratmeter liegen.
Derselbe Investor, ein ähnliches Projekt: Die CG-Gruppe möchte auch das 23-geschossige Hochhaus des früheren Postscheckamts am Halleschen Ufer in Kreuzberg zum Wohnhaus umbauen. Das 1971 fertiggestellte Gebäude wurde 2014 von der Postbank verkauft. Hier soll künftig allerdings nicht nur gewohnt werden: Unter dem Namen „Xberg Tower“ wird das Gebäude zum „Vertical Village“, zum senkrechten Dorf. Im unteren Drittel sind gewerbliche Nutzungen und „Community-Services“ vorgesehen, darüber 320 Apartments für „digitale Nomaden“. Diese 42 bis 82 Quadratmeter großen möblierten Wohnungen sollen nettokalt 18 Euro pro Quadratmeter kosten. Baustart für das 115-Millionen-Euro-Projekt soll ebenfalls im März 2017 sein.
Der Turmumbau ist Teil eines größeren Neubauvorhabens am Halleschen Ufer und an der Großbeerenstraße, bei dem bis 2019 weitere 496 Wohnungen entstehen sollen. Nach dem Prinzip der kooperativen Baulandentwicklung hat das Bezirksamt mit der CG-Gruppe vereinbart, dass 25 Prozent der Neubauwohnungen zu 6,50 Euro pro Quadratmeter an Sozialmieter vergeben werden.
Das Etikett täuscht
Ausdrücklich günstige Wohnungen sollten im Jahr 2012 beim Umbau eines leerstehenden Bahn-Verwaltungsgebäudes in der Frankfurter Allee 216 entstehen. „Discount-Wohnen“ lautete der Slogan. Für 15 Millionen Euro wurde vor vier Jahren aus dem 145 Meter langen Neungeschosser von 1970 eine kleine Wohnmaschine namens „Q 216“ mit 430 Kleinstwohnungen. Auf jede Etage passen 47 Einzimmer-Apartments mit je 22 bis 40 Quadratmetern. Weil die Mittelflurerschließung beim Umbau beibehalten wurde, ist jede Wohnung nur zu einer Seite ausgerichtet: entweder nach vorn auf die sechsspurige Straße und eine Tankstelle oder nach hinten auf das Gleisfeld des Bahnhofs Lichtenberg – keine ideale Wohnlage. Deshalb zielte man auf Mieter mit kleinem Geldbeutel: Studenten und Auszubildende mit einem Einkommen unter 1000 Euro sowie alleinstehende Sozialhilfeempfänger.
Die kleinsten Wohnungen waren für 299 Euro warm zu haben. Das klingt günstig, doch lagen die Nettokaltmieten über 10 Euro – Discount-Wohnen sieht anders aus. Die Mieten sind heute noch ähnlich. Für die Anmietung einer 35-Quadratmeter-Wohnung verlangt die Hausverwaltung nun aber ein Mindestnettoeinkommen von 1300 Euro.
Nicht nur Bürohäuser lassen sich zu Wohnungen umbauen, auch andere Gewerbeflächen kann man für Wohnzwecke nutzen. Zum Beispiel Kaufhäuser. So wurden im Jahr 2011 in den Obergeschossen des ehemaligen Kaufhofs am Anton-Saefkow-Platz in Lichtenberg 84 Wohnungen eingerichtet. Weil die Räume vier Meter hoch sind, nannte der Investor sie „Star-Lofts“, auch wenn sie nur 55 Quadratmeter groß sind. Auch hier sind die meisten Apartments zu einer Seite hin orientiert. Dafür haben sie aber großzügige Loggien bekommen. Zur Warmmiete von 10,50 Euro pro Quadratmeter wurden dem Makler die Mini-Lofts seinerzeit geradezu aus den Händen gerissen.
Nachdem das Hertie-Kaufhaus in der Turmstraße 2009 geschlossen hatte, baute ein Investor das 1961 errichtete Gebäude im Jahr 2013 für kleinere Gewerbeeinheiten um und verwandelte die oberen beiden Stockwerke in 48 Wohnungen mit 45 bis 70 Quadratmetern. Der Clou: Mit dem vorhandenen Lastenaufzug können die Mieter ihr Fahrrad mit auf ihre Wohnetage nehmen. Unter dem Namen „Bike Living“ wurden die Wohnungen für 10 Euro pro Quadratmeter vermietet.
Die meisten Gewerbebauten lassen sich mit vertretbarem Aufwand zu Wohnhäusern umbauen. Wenn man sich auf die Architektur einlässt, kann man auch ungewöhnliche Wohnkonzepte verwirklichen. Und wenn man mit spitzem Bleistift plant, können die Wohnungen deutlich billiger sein als im Neubau.
Jens Sethmann
Bürostadt wird Wohnviertel
In Frankfurt am Main stehen über 1,3 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer – doppelt so viel wie in Berlin. Die Stadt hat deshalb ein großes Umnutzungsprojekt angeschoben: Die Bürostadt Niederrad wird Schritt für Schritt in ein gemischtes Wohnviertel umgebaut. In dem reinen Gewerbegebiet aus den 70er Jahren herrscht ein Büroleerstand von 30 Prozent, einige Gebäude sind seit Jahren ungenutzt. Im Jahr 2010 wurde ein erstes Bürohochhaus in 98 Wohnungen umgebaut – seinerzeit eine aufsehenerregende Pioniertat. Das Stadtplanungsamt stellte nun zwei Bebauungspläne auf, die eine Mischnutzung zulassen. Durch Umnutzung und Verdichtung sollen weitere 4000 Wohnungen für 8000 Menschen sowie Kitas und Einkaufsmöglichkeiten entstehen. Einen neuen Namen erhält die Bürostadt auch: Lyoner Viertel.
js
05.02.2018