Das Bauhaus wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Obwohl die Schule nur 14 Jahre lang bestand und nur eine überschaubare Zahl von Schülern ausgebildet hat, war ihr Einfluss auf das Design und die Architektur des 20. Jahrhunderts immens. Für schnörkellose Möbel, kühl und funktionell gestaltete Einrichtungsgegenstände und kantig-moderne Architektur bürgerte sich schnell der Begriff „Bauhaus-Stil“ ein – ganz gegen die Absicht der Bauhaus-Lehrer. Sie wollten keine neue Mode erschaffen, sondern mit ganzheitlich und unakademisch ausgebildeten jungen Gestaltern eine neue Gesellschaft aufbauen. Die Geschichte des Bauhauses, das sich immer gegen politische Angriffe von Konservativen und Rechten wehren musste, ist auch ein eindringliches Plädoyer für die Freiheit der Kunst, der Wissenschaft und der Lehre.
Am 1. April 1919 trat der Architekt Walter Gropius seinen Posten als Leiter der Hochschule für Bildende Kunst in Weimar an. Er vereinigte sie mit der Kunstgewerbeschule zum „Staatlichen Bauhaus in Weimar“. Mit dieser Fusion wollte Gropius die Trennung von freier und angewandter Kunst aufheben. „Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst“, schrieb Gropius im Gründungsmanifest des Bauhauses. Er wollte einen neuen Künstlertyp ohne akademische Spezialisierung ausbilden, um ein „bewusstes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander“ zu erreichen. „Die alten Kunstschulen vermochten diese Einheit nicht zu erzeugen“, so Gropius. Die Schule müsse „wieder in der Werkstatt aufgehen“. „Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück!“
Walter Gropius (1883-1969) entstammt einer Berliner Architektenfamilie. Walter Gropius schuf mit seinem Kompagnon Adolf Meyer bei einem der ersten Aufträge gleich ein aufsehenerregendes Bauwerk: Die dreigeschossige Fabrikhalle der Fagus-Werke in Alfeld an der Leine bekam eine großflächig verglaste Fassade, auch an den Gebäudeecken. Das war ein radikaler Bruch mit der bisherigen Gewohnheit, dass ein Haus auf massiven Außenwänden zu ruhen habe.
Die Leitung des Bauhauses verdankte er Henry van de Velde, der ihn als seinen Nachfolger für die Leitung der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst vorschlug. Gropius stieß dort auf ein Machtvakuum: Der Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach hatte im November 1918 abgedankt, und der neue Freistaat hatte sich noch nicht gefunden. Gropius nutzte die Gunst der Stunde, um bei Null anzufangen und eine gänzlich neue Kunstschule mit neuer Ausrichtung, neuem pädagogischen Konzept und neuem Namen aufzubauen.
Kommune mit Utopien
In den ersten Jahren lernten die Schüler in verschiedenen Werkstätten – unter anderem Bildhauerei, Bühne, Metallwerkstatt, Tischlerei, Töpferei, Weberei und Fotografie. Angeleitet wurden sie jeweils gemeinsam von einem Künstler und einem Handwerker, genannt Formmeister und Werkmeister. Anfänger durchliefen den sechsmonatigen Vorkurs, der ihnen die Grundlagen der Gestaltung und den Umgang mit Material und Farbe nahebrachte. Es gab für die Schüler keine Zugangsvoraussetzungen.
Schüler und Lehrer lebten anfangs wie in einer Kommune zusammen. Man versuchte utopische Gesellschaftsideale zu leben, widmete sich mystischen Geheimlehren und Esoterik und ernährte sich nach einer Diät, die aus einem Mus von selbst gezogenem Gemüse bestand. Dieser schmeckte so fad, dass kräftig Knoblauch hinzugegeben wurde. Deshalb beschrieb Alma Mahler-Werfel, die seinerzeit mit Walter Gropius verheiratet war, den Bauhaus-Stil als „wenn jemand nach Knoblauch aus dem Hals stank“.
Die wirtschaftliche Not in den Jahren nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg verdrängte bald die schwärmerischen Ideale. So wurde schnell klar, dass man mit der handwerklichen Fertigung nicht den Massenbedarf befriedigen konnte. Handgefertigte Möbel, seien sie noch so schlicht, waren für Arbeiter unerschwinglich. Das Bauhaus entwickelte daher mehr und mehr Produkte, die sich industriell herstellen ließen.
Obwohl das Programm aufs Bauen ausgerichtet war, wurde am Bauhaus zunächst kaum gebaut. Das schien auch den Geldgeber zu irritieren. Der Thüringer Landtag forderte 1922, dass das Bauhaus in einer Ausstellung Ergebnisse seiner Arbeit zeigen sollte. Diese Ausstellung fand im August und September 1923 statt: Neben Vorträgen über moderne Kunst und Architektur sowie Aufführungen neuer Musik und eines Mechanischen Balletts gab es auch ein Haus zu sehen: das Musterhaus „Am Horn“ von Georg Muche. Es ist ein flaches, weiß verputztes Einfamilienhaus auf quadratischem Grundriss, in dem alle Räume um ein großes Hauptwohnzimmer herum angeordnet sind. Dieses aufsehenerregend moderne Haus sollte der Anfang einer Bauhaus-Siedlung sein. Es blieb jedoch das einzige Bauhaus-Zeugnis in Weimar.
Im Thüringer Landtag gewannen 1924 die bürgerlich-nationalen Kräfte die Oberhand. Das als links und internationalistisch geltende Bauhaus lehnten sie ab und kürzten den Etat der Schule um die Hälfte. Der Meisterrat des Bauhauses beschloss daraufhin im Jahr 1925 den Umzug nach Dessau. Die industriell geprägte Hauptstadt des Freistaats Anhalt bekam den Zuschlag, weil hier eine stabile sozialdemokratisch-liberale Mehrheit herrschte und die Stadt den Bau eines neuen Gebäudekomplexes und einer Wohnsiedlung für die Mitarbeiter ermöglichte.
Schon 1926 konnte das Bauhaus sein neues Domizil beziehen. Das von Gropius entworfene Bauhausgebäude mit drei ausgreifenden Flügeln, einer straßenübergreifenden Brücke und der vollverglasten Wand des Werkstattgebäudes wurde zu einem Sinnbild der modernen Architektur. Gleichzeitig baute Gropius für die Bauhaus-Professoren sieben Meisterhäuser. Es folgte eine Versuchssiedlung im Stadtteil Törten, bei der mit dem industriellen Bauen experimentiert wurde, sowie ein Wohnhaus aus Stahl. Es entstanden auch ein Arbeitsamt, ein Konsumgebäude, eine Ausflugsgaststätte und fünf Laubengangwohnhäuser.
In den Werkstätten wurden Einrichtungsgegenstände und Möbel produziert, die durch Zweckmäßigkeit, klare Formen und kühle Eleganz hervorstachen. In der Dessauer Zeit erfanden zum Beispiel Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe ihre berühmten Freischwinger-Stühle aus Stahlrohr.
Auch in Dessau war das Budget des Bauhauses schmal. Die Stadt bewilligte jährlich rund 100.000 Mark, wovon auch die 24 Lehrkräfte bezahlt wurden, die 180 bis 200 Studierende unterrichteten. Die Einkünfte aus den Lizenzen, die das Bauhaus an verschiedene Firmen zur Serienproduktion von Möbeln, Lampen, Textilien und Geschirr vergeben hatte, besserten den Etat bedeutend auf. Auch Studenten, deren Arbeiten sich verkaufen ließen, wurden daran beteiligt und konnten so ihre Existenz sichern. Die Schaffung von Standards für die Industrieproduktion war für Gropius nicht nur eine ökonomische Frage: „Die Standardisierung der praktischen Lebensvorgänge, wie sie das Bauhaus anstrebte, bedeutet (…) Befreiung des Lebens von unnötigem Ballast, um es desto ungehemmter, freier und geistiger sich entfalten zu lassen.“
Harsche Kritik vom Nachfolger
1928 zog sich Gropius aus dem Bauhaus zurück. Zu seinem Nachfolger bestimmte er Hannes Meyer (1889-1954), den Leiter der erst ein Jahr zuvor gegründeten Architekturabteilung. Der Schweizer war angetreten, die Lehre wissenschaftlicher zu machen und die Kunst zurückzudrängen. „Was fand ich bei meiner Berufung vor? Ein Bauhaus, dessen Leistungsfähigkeit von seinem Ruf um das Mehrfache übertroffen wurde und mit dem eine beispiellose Reklame getrieben wurde. Eine ,Hochschule für Gestaltung‘, in welcher aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktivistelndes Gebilde gemacht wurde. Eine ‚Kathedrale des Sozialismus‘, in welcher ein mittelalterlicher Kult getrieben wurde mit den Revolutionären der Vorkriegskunst.“ So wenig schmeichelhaft urteilte Meyer im Nachhinein. „Überall erdrosselte die Kunst das Leben. So entstand meine tragikomische Situation: Als Bauhausleiter bekämpfte ich den Bauhausstil.“
Meyer stellte die soziale Frage in den Vordergrund und gab das Motto „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ aus. Besonders durch die stylishen Stühle und Lampen war das Bauhaus zu einer gefragten Design-Marke geworden, für die Liebhaber hohe Preise zahlten. Meyer förderte die Entwicklung von preiswerten Möbeln, Textilien, Tapeten und Lampen, die sich auch ein Arbeiter leisten konnte. Allerdings musste das Bauhaus weiterhin auch kommerziell denken: Meyer steigerte die Einnahmen aus dem Lizenzenverkauf im Jahr 1929 auf 230.000 Mark. Der Ertrag ging zu einem Drittel an die Studierenden. Mit dem Rest wurden Gastlehrer bezahlt, deren Engagement das staatliche Budget nicht erlaubt hätte.
Auch die Architektur sollte sich allein an der Funktionalität und den Kosten orientieren: „Bauen ist kein ästhetischer Prozess. Architektur als ‚Affektleistung des Künstlers‘ ist ohne Daseinsberechtigung“, so Meyer. Die Baukosten für die 1930 fertiggestellten Laubenganghäuser waren so niedrig, dass die Miete für die 90 Zweieinhalb-Zimmer-Wohnungen nur 37,50 Mark betrug. Meyer, der politisch den Kommunisten nahestand, wurde von der Stadtverwaltung dennoch zunehmend kritisch eingeschätzt. 1930 entließ ihn die Stadt als Bauhaus-Direktor.
Schnelles Ende durch die Nazis
Sein Nachfolger Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) – wiederum von Gropius empfohlen – war politisch weniger kontrovers. Doch nach einem Rechtsruck im Stadtparlament wurde der Druck auf das Bauhaus größer. Am 22. August 1932 stellte die NSDAP-Fraktion im Dessauer Gemeinderat einen Antrag auf Schließung des Bauhauses, der bei Enthaltung der Sozialdemokraten angenommen wurde. Am 1. Oktober 1932 war das Dessauer Bauhaus Geschichte.
Mies van der Rohe zog daraufhin mit dem Bauhaus nach Berlin, wo er es als Privatinstitut weiterführte. Das Bauhaus residierte in einer ehemaligen Telefonfabrik in der Birkbuschstraße 49 im Ortsteil Lankwitz. Im März 1933 begann dort ein provisorischer Lehrbetrieb mit 19 Studenten. Doch inzwischen hatten die Nationalsozialisten auch die Reichsregierung übernommen und machten dem als „kulturbolschewistisch“ verfemten Bauhaus ein schnelles Ende. Nachdem Gestapo und SA im April das Haus durchsucht und versiegelt sowie Studenten verhaftet hatten, sah sich das Kollegium am 20. Juli 1933 zur Selbstauflösung gezwungen.
In den 14 Jahren seines Bestehens hatte das Bauhaus gerade einmal 1250 Schüler. Der große Einfluss, den die Schule auf Architektur, Kunst und Design des 20. Jahrhunderts hatte, lag zum einen darin begründet, dass Gropius viele namhafte Lehrer holte und das Bauhaus zum Schmelztiegel der internationalen Moderne machte. Die Maler und Grafiker Lyonel Feininger, Paul Klee, Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky und der Gestalter László Moholy-Nagy lehrten in Weimar, in Dessau kamen vermehrt Architekten wie Hannes Meyer, Hans Wittwer, Ludwig Mies van der Rohe, Ludwig Hilberseimer und Mart Stam zum Lehrkörper. Der ehemalige Bauhaus-Schüler Marcel Breuer übernahm als Eigengewächs die Leitung der Möbelwerkstatt. Die Bauhaus-Meister kamen aus Deutschland, Ungarn, Russland, Dänemark, Österreich, der Schweiz, der Tschechoslowakei und den Niederlanden.
Zum anderen hat sich das Bauhaus äußerst erfolgreich selbst inszeniert. Über eigene Publikationen, zahlreiche Vorträge der Professoren und Ausstellungen, die durch ganz Europa wanderten, wurde es sehr populär.
Zur weltweiten Verbreitung der Bauhaus-Ideen trug schließlich auch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten bei, die viele Lehrer in die Emigration zwang. Vor allem in den USA wurden die Bauhäusler mit offenen Armen empfangen. So nahm Walter Gropius 1937 eine Professur an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts an und holte Marcel Breuer an sein Institut. Auf Gropius‘ Vorschlag wurde László Moholy-Nagy zum Leiter des New Bauhaus in Chicago berufen. Ludwig Mies van der Rohe wurde Direktor des Illinois Institute of Technology in Chicago.
Der Berliner Bauhaus-Nachlass
In Berlin hat das Bauhaus wenig Spuren hinterlassen. Das Gebäude, in dem es vor seiner Auflösung angesiedelt war, existiert nicht mehr. Die vielen modernen Wohnsiedlungen, die in den 20er Jahren in Berlin entstanden, sind aber mit dem Bauhaus eng verwandt. Die wichtigsten Berliner Architekten hatten 1926 die Vereinigung „Der Ring“ gegründet, die auch das vom Bauhaus vertretene „Neue Bauen“ fördern wollte. Dazu gehörten unter anderem Bruno Taut und Max Taut, Martin Wagner, Hans Scharoun, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van de Rohe und der damalige Bauhaus-Chef Walter Gropius.
Einige Berliner Wohnanlagen entstanden auch unter direkter Beteiligung der Bauhaus-Protagonisten. So baute Gropius 1928 in Zehlendorf die Villa Lewin, die den Dessauer Meisterhäusern ähnelt, und 1930 zwei Blöcke in der Großsiedlung Siemensstadt. Mies van der Rohe entwarf 1926 eine kleine Wohnanlage an der Afrikanischen Straße. Die Villa Lemke, die 1933 nach den Plänen Mies van der Rohes in Hohenschönhausen entstand, ist heute ein Ausstellungsgebäude.
Nach dem Krieg bemühte sich West-Berlin darum, dass die zu internationalen Architektur-Stars gewordenen ehemaligen Bauhäusler in der Halbstadt bauen. Mit Erfolg: Mies van der Rohe baute die 1968 eröffnete Neue Nationalgalerie auf dem Kulturforum, Walter Gropius steuerte ein Wohnhaus im Hansaviertel für die Interbau 1957 bei. Von Gropius stammt der Gesamtplan für die Gropiusstadt (1962 bis 1972) sowie das dortige halbrunde „Gropius-Haus“. Das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung an der Klingelhöferstraße beruht ebenfalls auf einem Gropius-Entwurf. Hier wird der Bauhaus-Nachlass gesammelt und ausgestellt. Zurzeit wird das Haus umgebaut und erweitert.
Jens Sethmann
Weimar und Dessau nach der Vertreibung des Bauhauses
In Weimar entstand nach dem Weggang des Bauhauses die Bauhochschule. Ihr Direktor Otto Bartning knüpfte zwar an die Idee des Bauhauses an, richtete den Lehrbetrieb aber stark auf die Architektenausbildung aus und verzichtete auf Experimente und Neuerungen.
Unter verschiedenen Namen existiert die Hochschule bis heute im Gebäude der ehemaligen Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst, seit 1996 als Bauhaus-Universität Weimar. Zum 100. Gründungsjubiläum eröffnet am 5. April 2019 das Bauhaus Museum Weimar in einem Neubau.
Nach der Schließung des Bauhauses Dessau konnten sich die Nazis mit ihrer Forderung, das Bauhausgebäude abzureißen, nicht durchsetzen. Stattdessen nutzte es die NSDAP selbst als Gauführerschule und als Landesfrauenarbeitsschule. 1945 brannte es nach einem Luftangriff teilweise aus. Auch zwei Meisterhäuser wurden zerstört. In der Anfangszeit der DDR stand das Bauhaus als „kosmopolitisch“ nicht hoch im Kurs. Nach einem vereinfachten Wiederaufbau wurde das Bauhaus als Berufsschule genutzt. 1976 wurde es rekonstruiert und unter Denkmalschutz gestellt. Es diente als „Wissenschaftlich-kulturelles Zentrum“ und firmierte ab 1986 wieder unter dem Namen „Bauhaus Dessau“ mit dem Zusatz „Zentrum für Gestaltung der DDR“. Im Jahr 1994 übernahm die neue Stiftung Bauhaus Dessau das Gebäude. Sie widmet sich dem Erhalt und der Vermittlung des Bauhaus-Erbes. Die beiden zerbombten Meisterhäuser wurden 2014 als Neuinterpretationen wiedererrichtet. Auch in Dessau eröffnet zum Bauhaus-Jubiläum ein neues Museum in der Innenstadt.
js
Ausweichquartier des Bauhaus-Archivs/Museum für Gestaltung the temporary bauhaus-archiv, Knesebeckstraße 1-2, Charlottenburg, Montag bis Samstag 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei.
www.bauhaus.de
31.12.2022