Nichts ist beständiger als der Wandel, wusste schon der deutsche Dichter Heinrich Heine. Auf den Kreuzberger „Fichtebunker“ trifft dies in besonderer Weise zu: Er wandelte sich vom Gasometer zum Bunker, Waisenhaus, Flüchtlingslager, Obdachlosenheim und schließlich zum Depot für die Lebensmittelreserven des Senats. Nun gibt es ganz neue Pläne für das denkmalgeschützte Gebäude: Auf und neben dem Fichtebunker sollen Luxuswohnungen entstehen. Das ruft Proteste von Anwohnern hervor.
Der älteste und einzige erhaltene Steingasometer Berlins ist ein wahrer Koloss: 21 Meter hoch und mit einem Durchmesser von 56 Metern steht er zwischen klein wirkenden Wohnhäusern in der Kreuzberger Fichtestraße.
Lange Zeit galt der Fichtebunker als unverkäuflich. Im Innern wurde Asbest verbaut, eine Sanierung ist mit hohen Kosten verbunden. Den Berliner Architekten Paul Ingenbleek hielt das nicht davon ab, die Immobilie zusammen mit einem Investor im vergangenen Herbst vom Liegenschaftsfonds zu erstehen. „Wir möchten einen städtebaulich wichtigen und schönen Beitrag leisten. Das Projekt ist nicht auf maximalen Gewinn ausgelegt“, betont Ingenbleek. Für die Asbestsanierung werden teils der Investor, teils der Liegenschaftsfonds aufkommen.
Seit Bekanntwerden der Umbaupläne sieht sich Ingenbleek mit Protesten von Anwohnern konfrontiert. „Doch unser Vorhaben findet auch viele Befürworter – wesentlich mehr als Kritiker, nur sind diese leiser.“ Es gebe sogar schon zahlreiche Wohnungsinteressenten aus der Fichte-, der Körte- und der Grimmstraße. Etwa 30 Leute wiederum gehören zum harten Kern der eigens gegründeten „Initiative Fichtebunker“. „Einmal in der Woche treffen sich Anwohner aus der Fichtestraße und aus den umliegenden Straßen“, erzählt Martin Hoffmann von der Initiative. „Deshalb passte der ursprüngliche Name ,Initiative Fichtestraße‘ auch nicht mehr.“ Gegründet hat sich die Gruppe, weil der Senat und der grüne Bezirksbürgermeister Franz Schulz die Interessen der Anwohner ihrer Meinung nach ignoriert haben. Weder wurden sie frühzeitig über die Umbauabsichten informiert, noch fühlen sie sich mit ihren Bedenken wirklich ernst genommen. Erst auf Drängen der Initiative habe der Bürgermeister die Öffentlichkeit Ende Januar überhaupt über das Bauvorhaben unterrichtet.
Was bleibt Denkmal?
Nach Ingenbleeks Plänen sollen 31 Wohnungen auf dem 8000 Quadratmeter großen Areal entstehen, zwölf davon unter der riesigen Stahlkuppel des Bunkers. Um den alten Gasometer herum sind weitere Häuser und Lofts vorgesehen, hinzu kommen Stellplätze und eine Tiefgarage. „Ein Großteil des Bunkers wird öffentlich zugänglich sein, mehr als in den letzten 130 Jahren“, stellt Architekt Ingenbleek klar. Deshalb hat er sich mit dem Verein Berliner Unterwelten zusammengetan. „Wir freuen uns darüber, dass sich der Eigentümer an uns gewandt hat und zusammen mit unserem Verein ein Konzept zum Denkmalschutz entwickeln will“, so Unterwelten-Vorstand Dietmar Arnold.
Die Anrainer sind skeptisch
Einige Anwohner sehen den Denkmalschutz dennoch in Gefahr. Sie wollen diese öffentliche Aufgabe nicht in privaten Händen wissen. Schließlich könne nicht garantiert werden, dass sich die zukünftigen Käufer der Luxusappartements unter der Kuppel nicht irgendwann zu sehr gestört fühlen von den Stahlträgern vor ihrem Fenster. „Dass Herr Ingenbleek den Erhalt der Kuppel garantiert, reicht nicht, solange der Schutz des Denkmals nicht auch im Grundbuch abgesichert wird“, so Martin Hoffmann.
Ein wesentlicher Kritikpunkt der Initiative und des Sportvereins FC Berliner Amateure, der den angrenzenden Sportplatz nutzt, betrifft den Lärmschutz. „Der jetzige Bebauungsplan wäre das Aus für den Sportplatz“, ist sich Hoffmann sicher. Die zukünftigen Bunkerbewohner könnten den Betrieb gerichtlich einschränken lassen. Eine in Hörweite des Platzes lebende Frau habe aus Lärmgründen bereits jetzt kürzere Trainingszeiten und das Verbot von Trillerpfeifen durchgesetzt. Diskutiert wurde diese Frage auch auf einer Bezirksverordnetenversammlung im Februar diesen Jahres. Einig war man sich darin, dass der Sportplatz unbedingt erhalten werden solle. Dies könne möglicherweise im Grundbuch abgesichert werden.
Dritter Kritikpunkt der Initiative Fichtebunker: Was wird aus der sozialen Mischung im Graefekiez, wenn hier plötzlich so viele gutsituierte Eigentümer hinziehen? Wird es einen Wachschutz geben und Zäune? Dahinter steckt auch die Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung der jetzigen Bewohner. „Wir sind nicht Zehlendorf“, so Martin Hoffmann. „Es herrscht hier eine bunte Mischung unterschiedlicher Nationalitäten, für deren Erhalt sich die Kommune doch bisher immer stark gemacht hat.“
Ingenbleek kann nachvollziehen, dass die geplanten Veränderungen eine gewisse Unsicherheit schaffen. Einigen Nachbarn sei aufgrund ihrer Kritik angeboten worden, den denkmalwürdigen Speicher in historisch wichtigen Bereichen der Öffentlichkeit selbst zugänglich zu machen. „Auf diesen Vorschlag kam bisher keine Reaktion, obwohl hier eine prima Zusammenarbeit entstehen könnte, und zwar nicht nur baulich, sondern auch menschlich.“ Die Initiative Fichtebunker möchte hingegen zunächst Antworten von den politisch Verantwortlichen.
Architekt Ingenbleek geht davon aus, im Mai oder Juni mit den Arbeiten beginnen zu können. Die Initiative Fichtebunker versucht noch immer, das Ganze zu stoppen. Immerhin haben sie mit ihren Protesten erreicht, dass auf der Bezirksverordnetenversammlung Ende Februar einstimmig beschlossen wurde, den Bebauungsplan im Bauhauptausschuss noch einmal zu diskutieren. „Viel Hoffnung machen wir uns allerdings nicht“, so Hoffmann.
Kristina Simons
Eine wechselhafte Geschichte
Vor mehr als 130 Jahren, zwischen 1874 und 1876, wurde der Gasometer in der Fichtestraße gebaut. Um 1920 musste er stillgelegt werden, denn Berlin setzte inzwischen verstärkt auf Elektrizität. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Gebäude dann zum Großbunker für etwa 6000 Menschen umgebaut. 1,80 Meter dicke Stahlbetonwände und eine Abschlussdecke von drei Metern Stärke machten ihn zum sicheren Zufluchtsort. Nach Kriegsende wurde das Gebäude zunächst als Jugendarrestanstalt zur Unterbringung verwahrloster Waisen und jugendlicher Straftäter genutzt. Danach diente es als Altersheim und später als Obdachlosenasyl. Bis 1990 lagerte dann der Westberliner Senat Lebensmittel im kühlen Inneren des Bunkers für den Fall einer Blockade der Stadt. Seitdem steht das Gebäude leer und verfällt zusehends.
ks
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Auf und neben dem Kreuzberger „Fichtebunker“ sollen Luxuswohnungen entstehen.
MieterMagazin 5/07
Projekt Fichtebunker: 31 Wohnungen, zwölf davon direkt unter der Stahlkuppel, sollen entstehen
alle Fotos: Rolf Schulten
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06.02.2016