Der verwilderte Garten mit seinen vielen Bäumen, Winkeln und Verstecken ist ein Paradies für Kinder. Davor steht ein dreigeschossiger, 66 Meter langer Plattenbau. Er ist weitgehend entkernt. Die leer stehende Kindertagesstätte wird zum Mehrgenerationenhaus umgebaut. „Werkpalast“ heißt das Wohnprojekt.
Windig, kühl und regnerisch ist es am „Tag der offenen Tür“ im Werkpalast Anfang Juni. Doch das hat die vielen Besucher nicht davon abgehalten, sich das künftige Wohnprojekt in Berlin-Lichtenberg einmal genauer anzusehen. Ein paar von ihnen würden gerne eine der letzten vier freien Wohnungen ergattern, andere leben in der Nachbarschaft oder sind einfach nur neugierig, was aus der ehemaligen DDR-Kindertagesstätte aus den 70er Jahren werden wird.
Der Werkpalast ist von zwei Seiten eingerahmt von Plattenbauten, im Süden stehen Altbauten, im Westen befindet sich eine Kleingartensiedlung. Fünf Jahre stand das Gebäude leer. „Wir haben erlebt, wie das Haus mehr und mehr verfällt“, erzählt Peter Malkowski. Der Rentner wohnt mit seiner Frau genau gegenüber. Bis vor Kurzem lebte auch die 93-jährige Schwiegermutter mit im Haushalt. Doch die Wohnung ist nicht barrierefrei, die Schwiegermutter musste deshalb in ein nahe gelegenes Heim umziehen. Die Malkowskis hatten sich deshalb selbst schon mal Gedanken über das ehemalige Kitagebäude gemacht: „Wir dachten an ein Seniorenwohnprojekt und hatten bereits ein paar Interessierte zusammen.“ Die Umsetzung erwies sich allerdings als schwierig. Als Peter Malkowski dann mitbekam, dass sich ein junges Paar ebenfalls für das Gebäude interessierte – Ziel: ein Mehrgenerationenhaus -, hat er die beiden angesprochen und sich ihnen mit Frau und Schwiegermutter kurzerhand angeschlossen.
Stefanie Eckert und Silvio Divani heißen die beiden Initiatoren. Ihnen kam die Idee zu dem Wohnprojekt durch eine ebenfalls leer stehende Kita am Bersarinplatz in ihrem Noch-Wohnbezirk Friedrichshain. „Eine Million Euro sollte die kosten – also viel zu viel für uns“, erzählt Eckert.
Unter genossenschaftlichem Dach
Also haben sie sich auf die Suche nach ähnlichen Objekten gemacht. „Kitas sind ideal für solch ein Wohnprojekt: Sie haben einen großen Garten und sind meist frei von Altlasten.“ Ende 2006 fiel die Entscheidung für das Gebäude in der Lichtenberger Alfred-Jung-Straße, nicht weit entfernt vom nördlichen Teil Friedrichshains.
Es folgten zähe Verhandlungen mit dem Liegenschaftsfonds Berlin, mehrere abgelehnte Angebote des Hausprojekts und eine einjährige Option auf das Grundstück, für die Eckert und Mitstreiter 20.000 Euro zusammenkriegen mussten. „Wir hatten am Anfang die naive Vorstellung, dass wir die Kita einfach kaufen, umbauen und einziehen“, erinnert sich die Initiatorin. Doch ohne verlässliche Partner geht nichts. Die haben Eckert und Divani in der auf solche Projekte spezialisierten Architektin Anita Engelmann, in der Genossenschaft „SelbstBau e.G.“ und in der gemeinnützigen Stiftung Trias gefunden. Die künftigen Palastbewohner sind als Hausgruppe in die „SelbstBau“-Genossenschaft eingetreten. Nach der Kreditzusage durch eine Bank im März 2009 hat die Stiftung Trias das Grundstück für 427.500 Euro erworben und per Erbpacht der Genossenschaft zur Nutzung überlassen.
Die genossenschaftliche Organisation ist Eckert und Divani sehr wichtig. Dadurch können die künftigen Bewohner Mieter sein und sich das Ganze überhaupt erst finanziell leisten. „Gleichzeitig haben wir sehr viel mehr individuellen Gestaltungsraum als in einem gewöhnlichen Mietshaus.“ Die Mieten für die insgesamt 18 Wohneinheiten zwischen 30 und 190 Quadratmetern werden zwischen 4,50 und 6,50 Euro kalt liegen. Im Erdgeschoss werden die Wohnungen barrierefrei sein. Wo zu DDR-Zeiten 144 Kinder in Krippe und Kita gingen, leben künftig 15 Kinder und 30 Erwachsene im Alter von unter einem bis zu 93 Jahren. Stefanie Eckerts Eltern werden auch mit einziehen. „Aber in den anderen der beiden Gebäudeteile, das war die Bedingung für beide Seiten“, lacht sie.
Offen für die Nachbarn
Unterstützung bekamen die Projektinitiatoren auch vom Lichtenberger Stadtrat für Immobilien und Wirtschaft, Andreas Prüfer. „Unser Konzept hat ihn überzeugt und er hat sich sehr für uns engagiert“, sagt Eckert. Das Vorhaben beschränkt sich nicht nur auf eine Wohngemeinschaft für mehrere Generationen. „Wir wollen auch das Miteinander im Bezirk fördern.“ Deshalb wird der etwa 70 Quadratmeter große Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss auch für die Menschen im Kiez und andere Interessierte offen sein. Eckert und Divani, beide Medienwissenschaftler, werden hier ehrenamtlich Kurse für Neue Medien anbieten. „Wir wollen keine Insel sein, die Nachbarn sollen sehen, was hier passiert.“ Genau deshalb haben sie auch den „Tag der offenen Tür“ veranstaltet. Mit der Stadtteilmanagerin von Lichtenberg haben sie sich bereits getroffen, von Bezirk und Stadt Berlin erfährt das Projekt „partnerschaftlichen Rückhalt“.
Saniert wird nach ökologischen Gesichtspunkten. „Wir wollen durch eine gute Dämmung, eine spezielle Lüftung und dreifachverglaste Fenster Niedrigenergiestandard erreichen“, sagt Eckert. Die Balkone werden nur im zweiten Obergeschoss erhalten bleiben – „… aus energetischen Gründen“, erklärt Architektin Engelmann. Denn an Balkonen entstehen leicht Wärmebrücken, über die dann Energie entweichen kann. Eine Luxussanierung werde das nicht. „Aber wir haben alles möglichst so geplant, wie die künftigen Bewohner es wollten“, sagt Engelmann.
Im April ging es los mit dem Abriss der Innenwände und der Fußböden. Bereits im März 2010 soll der Werkpalast bezugsfertig sein. Das Tempo ist auch dem Umstand geschuldet, dass es inzwischen für solche Projekte keine Fördergelder vom Land Berlin mehr gibt. „Wir müssen möglichst schnell die Kredite zurückzahlen, für die Sanierung bleibt nicht viel Zeit“, sagt Eckert. Deshalb kann auch nicht so viel in Eigenarbeit gemacht werden. „Es geht einfach deutlich schneller, wenn professionelle Firmen das machen.“ Auf 1000 Euro pro Quadratmeter sind die Sanierungskosten angesetzt, 2,1 Millionen Euro insgesamt. Der Garten soll auf jeden Fall verwildert bleiben und nur um eine Liegewiese ergänzt werden.
Kristina Simons
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MieterMagazin 7+8/09
Nach fünf Jahren Leerstand wird aus der ehemaligen Kita ein Mehrgenerationen-Wohnhaus
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Nach zähen Verhandlungen am Ziel: Architektin Engelmann und Projektinitiatorin Eckert
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Genossen auf Erfolgskurs
Die Mietergenossenschaft „SelbstBau e.G.“ kauft oder pachtet Mietshäuser und saniert sie mit Beteiligung der künftigen Bewohner. Für die Sanierung gab es früher Gelder vom Land Berlin im Rahmen des Förderprogramms „Soziale Stadterneuerung“. Der Werkpalast ist das erste Projekt der Genossenschaft, für das es diese Unterstützung nicht mehr gibt. Die „SelbstBau“ wurde 1990 von den Bewohnern der Häuser Rykestraße 13 und 14 im Bezirk Prenzlauer Berg gegründet. Sie wollten den Abriss der Blöcke rund um die Rykestraße verhindern. Als die dringend notwendige Modernisierung in der Nachwendezeit in weite Ferne zu rücken drohte, beschlossen die Mieter, als Genossenschaft die Häuser ökologisch und sozialverträglich zu sanieren. Mit dem Werkpalast verfügt die Genossenschaft nun bereits über 17 Häuser.
ks
Mehr Infos unter
www.selbstbau-genossenschaft.de
21.12.2016