Der Name ist Programm: „Asbest“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „nicht brennbar, unauslöschlich“. Vor allem wegen dieser Eigenschaft wurde das natürlich vorkommende, inzwischen verbotene Mineral jahrzehntelang zur Ummantelung von Heizungsrohren, in Abdichtungen von Kachelöfen oder in Nachtstromspeicherheizungen verwendet. Asbest eignet sich zudem besonders gut als Schall-, Wärme- und Feuchtigkeitsschutz und wurde deshalb für die Herstellung von Baustoffen genutzt, etwa für Boden-, Fassaden- und Dachplatten. Dort lauern – oft gut versteckt – noch heute die gefährlichen Fasern.
Vor allem in den 60er und 70er Jahren wurde in vielen öffentlichen Gebäuden Asbest verbaut, etwa im Palast der Republik, im Deutschen Theater oder im ICC. Doch auch Wohngebäude sind betroffen: Beim Bau vieler Hochhäuser im Westen und Plattenbauten im Osten wurden asbesthaltige Stoffe verwendet. „Sie kamen aber auch bei Sanierungen zum Einsatz, deshalb können auch Altbauten betroffen sein“, sagt Karin Wüst vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi). Wie viele Gebäude in Berlin asbestbelastet sind, ist nicht bekannt. Nicht in jedem Fall ist Besorgnis angesagt. „Im Gegensatz zu schwach-gebundenem Asbest ist fest-gebundener Asbest nur dann gefährlich, wenn er beschädigt wird und dadurch Fasern in die Raumluft gelangen“, erklärt ein Mitarbeiter des „Vereins Meßzelle – Institut für Umweltanalytik“ an der Technischen Universität Berlin.
Wie leicht allerdings auch fest-gebundener Asbest zur Gefahr werden kann, zeigt ein aktuelles Beispiel. Im Mai 2009 informierte das Wohnungsunternehmen GSW die Mieter der „Schöneberger Terrassen“, dass in Garagen, den Lüftungsschächten für die Keller- und Abstellräume und sogar in Decken und Wänden der Sanitärbereiche Asbest verbaut worden ist. Gesundheitsgefahr bestehe nicht, solange die Asbestplatten nicht angebohrt oder anderweitig beschädigt würden. Entsprechende Warnaufkleber zieren seitdem die Badezimmer, welche ursprünglich ab dem Sommer 2009 saniert werden sollten. Doch bis heute ist nichts passiert. „Die GSW handelt nur in äußersten Notfällen“, sagt Ilse Mössner*, die seit 32 Jahren in der Wohnanlage lebt. Eine Mieterin habe einen Wasserrohrbruch gehabt. Als die Handwerker trotz ihrer Warnung die Wand aufgeschlagen haben, schaltete sie die Polizei ein. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft. Die Wohnung wird noch immer saniert und die betroffene Mieterin lebt in einer Ersatzwohnung.
Auch die anderen Mieter sind zunehmend in Sorge: „Im Februar 2010 teilte die GSW mit, dass die Wohnungen im Grunde komplett asbestbelastet sind“, erzählt Ilse Mössner. „Wir sollten jegliche Beschädigungen der Trockenbauwände in den Wohnräumen vermeiden, weil darin asbesthaltige Spachtelmasse stecken könnte.“ Selbst Tapezierarbeiten sollten nicht ohne Abstimmung mit dem Wohnungsunternehmen vorgenommen werden. In den Wohnräumen seien zudem asbesthaltige Floor-Flex-Platten verlegt worden, weshalb die Mieter auch hier keine Arbeiten durchführen dürfen.
Asbest rechtfertigt Mietminderung
„Die Mieter haben bei Asbestgefahr das Recht, die Miete zu mindern“, so Rechtsberaterin Sabine Mettin vom Berliner Mieterverein (BMV). „Sie tragen zwar die Beweislast, was bei Asbest insofern schwierig ist, da hierfür keine Schadstoffgrenzwerte festgelegt sind.“ Doch entschied das Oberlandesgericht Hamm 2002 im Fall eines asbestbelasteten Hauses, dass schon die bloß latente, befürchtete Gefahr den ungestörten Gebrauch der Mietsache beeinträchtigen könne und somit ein Mangel vorliege (Oberlandesgericht Hamm vom 13. Februar 2002 – 30 U 20/01). „Im Fall der Schöneberger Terrassen könnte es passieren, dass früher oder später alle Mieter umgesetzt werden müssen“, befürchtet Mettin.
Fachfirmen notwendig
Floor-Flex-Platten, wie sie in den Schöneberger Terrassen liegen, wurden bis in die 80er Jahre häufig verbaut. Diese leicht marmorierten und meist grau- oder beige-farbenen Fliesen enthalten 15 bis 20 Prozent fest-gebundenen Asbest. Genau mit solchen Platten hatte es auch Renate Hofberger* in ihrer Wohnung in Steglitz zu tun. 2002 war sie in das Haus aus den 60er Jahren eingezogen. „Ich hatte ständig Atemwegserkrankungen“, erinnert sich die Mieterin, die als Ursache zunächst den neu verlegten Laminatfußboden in Verdacht hatte. Als sie schließlich im Oktober 2006 das Laminat nach Rücksprache mit den Vermietern in Eigenregie entfernte, entdeckte sie unter drei weiteren Bodenbelägen schließlich die asbesthaltigen Flex-Platten. Ende 2006 ließen die Vermieter diese entfernen und Fertigparkett verlegen. Eine Kontrolle der Wohnung auf Asbestreste fand nicht statt. „Die Handwerker haben die Renovierungsarbeiten nicht sachgemäß durchgeführt“, ist sich die Mieterin sicher. Solche Arbeiten dürfen nur von Fachfirmen durchgeführt werden. Dabei müssen zum Beispiel die Asbestfaserkonzentration ermittelt und besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden. Auf keinen Fall darf sich Asbeststaub ausbreiten.
Renate Hofberger schaltete schließlich einen Sachverständigen ein, der nachträglich eine von ihr zurückbehaltene Flex-Platte untersuchte und darin neben 20 Prozent Asbest auch noch in erheblicher Menge krebserregende Teerbestandteile (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, PAK) feststellte. Durch die vielschichtigen Bodenbeläge sei eine Akkumulation von Asbestfasern in und zwischen allen Schichten des Laminats zu befürchten, da beim Laufen auf dem Boden durch einen Pumpeffekt Asbestfasern freigesetzt werden können, heißt es im Gutachten. Vor Gericht konnte Renate Hofberger sich dennoch nicht durchsetzen. Inzwischen lebt sie in einer anderen Wohnung.
Auch in Cushion-Vinyl-Bodenbelägen finden sich die krebserregenden Asbestfasern, und hier sogar in schwach-gebundener und damit noch deutlich gefährlicherer Form. Cushion-Vinyl-Böden bestehen aus einer Schaumschicht mit Druckdesign und einer asbesthaltigen Trägerschicht aus filzartiger Pappe. „Klebe- oder Spachtelmasse für Bodenbeläge können ebenfalls asbesthaltig sein“, sagt Frank Leupold von Oecolab, einem Büro für baubiologische Messtechnik. „Letztlich zeigt nur eine fachmännisch durchgeführte Materialprüfung, ob sich Asbest im Boden oder anderen Teilen der Wohnung befindet.“
Doch hellhörig sollten zum Beispiel auch Mieter werden, die noch eine alte Nachtspeicherheizung in ihrer Wohnung stehen haben. Geräte bis Baujahr 1977 können Asbest enthalten. Außer Betrieb genommen werden müssen sie laut Energieeinsparverordnung (EnEV 2009) erst Ende 2019. Wer eine Asbestbelastung vermutet, sollte unbedingt den BMV und das Bauaufsichtsamt einschalten. Hauseigentümer können dazu verpflichtet werden, eine mögliche Asbestgefahr durch ein Gutachten abklären zu lassen. Bestätigt sich der Verdacht, muss der Vermieter die Wohnung fachgerecht sanieren lassen.
Kristina Simons
* Name wurde von der Redaktion geändert.
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Weitere Informationen zum Thema im Infoblatt Nr. 80 des Berliner Mietervereins unter
www.berliner-mieterverein.de
(Passwordgeschützt, nur für Mitglieder)
Das Infoblatt enthält auch eine Liste der asbesthaltigen Nachtstromspeichergeräte.
Zum Thema
Ein langer Weg bis zum Verbot
Besonders gefährlich ist schwach-gebundener Asbest mit einem Asbest-Anteil von bis zu 70 Prozent. Dazu gehören Brandschutzverkleidungen, Dichtungsmaterialien und Spritzasbest. 1969 wurde Spritzasbest in der DDR verboten, in Westdeutschland erst 1979. Die übrigen schwach-gebundenen Asbestprodukte dürfen seit 1982 nicht mehr verwendet werden. Fest-gebundene Asbestzementprodukte wie Eternit mit einem Asbestanteil von zehn bis 20 Prozent wurden zum Beispiel für Fassaden- und Dachplatten, Lüftungsrohre, Fensterbänke oder Balkonverkleidungen verwendet. Sie sind in Deutschland seit 1992 verboten, Asbest generell erst seit 1993. Innerhalb der EU durfte Asbest sogar noch bis 2005 verarbeitet oder in Verkehr gebracht werden. Ein weltweites Verbot gibt es bis heute nicht.Gelangen Asbestfasern durch Einatmen in die Lunge, können sie die lebensbedrohliche Krankheit Asbestose auslösen. Die Folge sind Atemnot, Einschränkungen der Lungenfunktion und in schweren Fällen Lungenkrebs, der oft erst Jahrzehnte später ausbricht.
ks
11.06.2018