Formaldehyd im Ikea-Regal, Holzschutzgifte in der Deckenverkleidung, Pestizide im Wollteppich – die Skandale um Wohngifte reißen nicht ab. Umso erstaunlicher, dass sich die bundesdeutschen Verbraucher ziemlich unbeeindruckt von den Gesundheitsrisiken zeigen. Wer sich ein neues Sofa kaufen will, schaut in erster Linie auf Preis und Design und nicht etwa auf die möglicherweise enthaltenen Chemikalien. „Wenn die Substanzen wirklich so gefährlich wären, hätte man sie längst verboten“ oder „Ich kann mir keine Öko-Möbel leisten“ sind die gängigen Argumente. Die meisten unterschätzen damit die Gefahr, die vom Chemiecocktail in den eigenen vier Wänden ausgeht.
Fluchtartig musste eine Mutter mit ihren beiden Kindern die Wohnung verlassen, nachdem bei einer Hausstaubanalyse das Nervengift Permethrin gefunden worden war. Seit dem Einzug war die ganze Familie von Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schwindel geplagt. Der Verdacht lag nahe, dass die neue Wohnung die Familie krank gemacht hat. Als Ursache entpuppte sich der Teppich im Kinderzimmer, der mit einem Mottenschutzmittel behandelt worden war – durchaus üblich bei Wollteppichen. Absurderweise erhalten solche Bodenbeläge sogar das Siegel der „Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppiche.“
Aus allen Wolken fiel auch ein Mieter, dem sein nagelneues Schlafzimmer Augenbrennen und Übelkeit bescherte. „Ich hätte nie gedacht, dass man sich so etwas mit Marken-Möbeln ins Haus holen kann, zumal ich kein Allergiker bin“, sagt er. Welche Substanzen in diesem Fall im Spiel waren, wurde nie geklärt. Das Möbelhaus zeigte sich kulant und nahm die Ware auch ohne Laboruntersuchung zurück – und die Beschwerden des Kunden verschwanden schlagartig.
Die Fälle zeigen: Nach wie vor enthalten viele Einrichtungsgegenstände, aber auch Farben, Baumaterialien und Bodenbeläge krankmachende Schadstoffe. Zwar hat sich seit den 70er Jahren zweifellos einiges verbessert. Die Holzschutzmittel DDT, Lindan und PCP, die früher tonnenweise unbekümmert verstrichen wurden, sind in Innenräumen mittlerweile ebenso verboten wie das Krebs erzeugende Asbest. Seit 1981 dürfen zudem nur noch Spanplatten mit niedrigem Formaldehyd-Gehalt verwendet werden. Doch zur Entwarnung besteht trotzdem kein Anlass. Zum einen, weil diese Gifte als Altlasten immer noch in vielen Wohnungen vorkommen – oft ohne Wissen der Bewohner – und zum anderen, weil sie durch neue Stoffe ersetzt worden sind, deren langfristige Auswirkungen auf den Menschen noch gar nicht erforscht sind. „Die Baustoffe von heute sind die Gefahren von morgen“, erklärt sogar Dr. Robert Rath vom Berliner Landesamt für Arbeitsschutz – keine Behörde, die im Verdacht der Öko-Hysterie steht. Asbest wurde beispielsweise durch künstliche Mineralfasern ersetzt, deren Unbedenklichkeit nicht bewiesen ist. Dazu kommt: Durch den Trend zum Energiesparen haben sich Wohngiftprobleme in den letzten Jahren sogar noch verschärft. Wärmedämmung und dichtere Fenster verhindern die ständige Frischluftzufuhr und die Schadstoffe können sich im Innenraum anreichern.
Geiz ist gefährlich
Woran liegt es also, dass die Nachfragen zum Thema Wohngifte bei der Verbraucherzentrale in den letzten Jahren zurückgegangen sind? „Das Umweltbewusstsein ist allgemein gesunken, meist zählt nur der Preis“, meint Dirk Peters von der Berliner Verbraucherzentrale. Die Gesundheitsgefahr sei für die meisten Leute eben sehr abstrakt und das Vertrauen in die gesetzlichen Vorschriften erstaunlich groß. Eine Ausnahme bilden Familien mit kleinen Kindern. Die erkundigen sich auch schon mal vor der Renovierung der Wohnung oder dem Kauf des Kinderbetts, worauf zu achten ist.
Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Krankheiten wie Asthma oder Krebs und den Wohngiften ist meist nur schwer nachzuweisen. Doch aus Gründen der Vorsorge sollte die Schadstoffbelastung so gering wie möglich gehalten werden. Schließlich halten wir uns 80 bis 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen auf, ein Großteil davon zu Hause.
Um welche Wohnraumschadstoffe geht es nun heutzutage hauptsächlich? Ein riesiges Problem sind immer noch die Holzschutzmittel. Vor allem im Ostteil Berlins sind viele unsanierte Dachstühle mit dem hochgiftigen DDT verseucht. „Gefährlich wird es, wenn solche Dachböden von den Mietern zum Wäschetrocknen genutzt werden, denn dadurch wird Staub aufgewirbelt“, erklärt Dr. Rath vom Landesamt für Arbeitsschutz. Wer in ein saniertes Dachgeschoss einzieht, habe aber nichts zu befürchten: „Es mag Einzelfälle geben, wo gepfuscht worden ist, aber die meisten Dächer wurden fachgerecht saniert“, so Dr. Rath. Allerhöchste Vorsicht ist geboten, wenn das Holz wie mit Puderzucker bestäubt aussieht – das ist ein untrügliches Zeichen für die Behandlung mit chemischen Holzschutzmitteln. Auch Decken- und Wandverkleidungen wurden von Hobby-Heimwerkern früher ausgiebig mit Lindan und PCP bestrichen. Solche Paneele sind auf jeden Fall zu entfernen. Vorher sollte man aber fachkundigen Rat einholen. Zu beachten ist beispielsweise, dass das Holz als Sondermüll entsorgt werden muss und auf gar keinen Fall verbrannt werden darf. War die kontaminierte Verkleidung schon beim Einzug in die Wohnung vorhanden, ist der Vermieter für die Beseitigung zuständig.
Uraltlast Asbest
Eine weitere berüchtigte Altlast ist der Asbest. Obwohl seit den 30er Jahren die Krebsgefahr bekannt ist, wurden die Fasern bis Ende der 80er Jahre in Fassaden, Wasserrohren, Nachtspeicheröfen, Dämmstoffen und so weiter verbaut. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen fest gebundenem Asbest, zum Beispiel bei Hausfassaden, und schwach gebundenen Fasern. Im ersten Fall besteht nur bei einer Beschädigung die Gefahr, dass Fasern in die Umgebung gelangen. Bei schwach gebundenem Asbest reichen schon kleine Erschütterungen, um erhebliche Mengen freizusetzen. Bei einigen Wohnungstypen der DDR bestehen die gesamten Küchen- und Sanitäreinheiten aus asbesthaltigen Sokalit-Platten. Sie verlieren im Laufe der Zeit durch Feuchte ihre Festigkeit und können Asbestfasern freisetzen.
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Wie aktuell das Problem auch fast 20 Jahre nach dem Verbot ist, zeigt ein Fall aus Charlottenburg. Dort haben Mieter rein zufällig erfahren, dass sie seit 25 Jahren Asbest unter ihren Füßen haben. Die so genannten Flexplatten in ihren Mietshäusern am Klausenerplatz waren – wie im Sozialen Wohnungsbau üblich – in den 70er Jahren bei der Sanierung verlegt worden. „Wir sind schockiert, 25 Jahre lang haben wir von nichts gewusst und unsere Kinder auf dem Fußboden spielen lassen“, meint eine Mieterin. Viele Platten sind im Laufe der Zeit mürbe geworden. „Bruchstücke haben wir einfach zusammengekehrt, auch die Firmen, die uns die Wohnungsbaugesellschaft WIR zum Austausch der Platten geschickt hat, haben völlig ohne Schutzvorkehrungen gearbeitet“, empört sich die Mieterin. Die Wohnungsbaugesellschaft sieht dennoch keinen Handlungsbedarf: „Es handelt sich um stark gebundenen Asbest, von dem keine Gesundheitsgefahr ausgeht“, sagt Stefan Grzimek vom Vorstand des GEWOBAG-Verbundes. Raumluftproben hätten keine Belastung ergeben. Man sehe daher auch für die Zukunft keine Notwendigkeit, die Mieter über den Asbest zu informieren. Beim Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf sieht man das etwas anders: „Wir würden uns wünschen, dass die Mieter darauf hingewiesen werden, aber wir haben keine rechtlichen Möglichkeiten“, bedauert Dr. Frauke Tedsen-Ufer. Man könne weder den Vermieter dazu zwingen, noch dürfe die Behörde von sich aus die Bewohner informieren. Allerdings hält auch sie die Gesundheitsgefahr für nicht sehr groß. Ein gewisses Risiko bestehe, wenn einzelne Platten beschädigt werden oder wenn Mieter in die Platten bohren. Genau das soll am Klausenerplatz passiert sein, erzählen mehrere Mieter. Ein Familienvater soll im Beisein seiner Kinder die Platten abgeschlagen haben. Grzimek ist dieser Fall nicht bekannt. Die Darstellung, dass es keine Fachfirmen gewesen seien, die mit dem Austausch kaputter Platten beauftragt waren, weist er zurück. Kein Grund zur Panik also? Die Mieter jedenfalls sind nach wie vor in großer Sorge und wollen die Sache nicht auf sich beruhen lassen.
Allgegenwärtig: Formaldehyd
Eine andere Gefahr, die in vielen Mietwohnungen lauert, ist Formaldehyd. Das farblose Gas ist allgegenwärtig und gilt mittlerweile als Wohngift Nummer eins. Vor allem Span- und Sperrholzplatten in Fußböden und Möbeln enthalten Formaldehyd. Aber auch Lacke, Parkettversiegelungen und Teppichkleber sind betroffen. Typisch ist der stechende Geruch, der zu Augen- und Schleimhautreizungen, Atembeschwerden und Kopfschmerzen führen kann. Als Dauerschäden drohen Asthma, Hautleiden und Krebs der oberen Atemwege. Verbindliche Grenzwerte für Wohnräume gibt es, wie bei den meisten Schadstoffen, nicht. Das ehemalige Bundesgesundheitsamt (BGA) empfiehlt einen Richtwert von 0,1 ppm (parts per million). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht schon bei Konzentrationen von über 0,08 ppm Anlass zur Besorgnis. Formaldehyd gast bis zu zwei Jahrzehnte in die Raumluft aus.
Zu den Altlasten gehören die Chlorverbindungen Polychlorierte Biphenyle (PCB) und polychlorierte Terphenyle (PCT). Sie wurden im Wohnungsbau vorwiegend zur Fugenabdichtung bei Betonbauteilen und Fenstern verwendet. Außerdem wurden sie lange Zeit als Flammschutzmittel bei Anstrichen und Farben sowie zur Isolierung elektrischer Kabel eingesetzt. Das Tückische bei PCB und PCT ist, dass sie jahrzehntelang ausgasen. Obwohl sie in Deutschland seit 1989 verboten sind, lassen sich die Chemikalien auch heute noch in fast jeder Hausstaubprobe nachweisen und haben sich sogar im Fettgewebe des Menschen angereichert. PCB und PCT können die inneren Organe, besonders Leber und Niere schädigen und zu Störungen im Immunsystem führen.
In hunderttausenden deutscher Parkettböden tickt nach Einschätzung der Stiftung Warentest eine chemische Zeitbombe. Neben PCB enthalten die Parkettkleber nämlich Krebs erregende „Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe“ (PAK). Solange die Holzoberfläche dicht versiegelt ist, besteht für die Bewohner kein Anlass zur Sorge. Doch haben sich erst einmal einzelne Parkettteile gelockert, steigt die Gefahr, dass der Kleberstaub aufgewirbelt wird. Gefährdet sind vor allem Kleinkinder, die auf dem Boden herumkrabbeln. Ist eine Sanierung nicht möglich oder zu kostspielig, lautet die Empfehlung der Stiftung Warentest: Raus damit!
Mieter, die ihre Wohnung frisch streichen und tapezieren oder einen neuen Teppich verlegen, holen sich nicht selten eine volle Packung Chemie ins Haus. Farben, Lacke, Teppichkleber und Lackabbeizer enthalten oft reichlich Lösemittel. Auch wenn der typische Geruch längst verschwunden ist, lassen sich oft Monate nach Renovierungsmaßnahmen noch erhöhte Lösemittelkonzentrationen in der Raumluft nachweisen. In Baumärkten werden immer noch Lacke mit einem extrem hohen Lösemittelanteil verkauft. Ein Liter Kunstharzlack kann einen halben Liter Lösemittel enthalten! Dieser halbe Liter verdunstet während des Verstreichens und beim Trocknen des Lackes vollständig. Einen Teil davon atmen wir ein.
Komplettiert wird der heimische Chemiecocktail durch Flammschutzmittel in Computern und Fernsehern sowie – nicht zu vergessen – Weichmachern in PVC-Bodenbelägen und Teppichen.
Was tun beim Einkauf?
Wer ohne Gift wohnen will, hat es also nicht einfach. Die Herstellerhinweise auf den Produkten sind dürftig und kaum ein Mitarbeiter im Baumarkt wird wissen, ob in der Vinyltapete Weichmacher sind. Wie kann man also sicher sein, schadstoffarme Möbel oder Farben zu kaufen? Peter Dirk von der Verbraucherzentrale rät, sich im Kaufvertrag bestätigen zu lassen, dass beispielsweise das Regal formaldehydfrei ist. Dann handelt es sich um eine zugesicherte Eigenschaft und man kann die Ware notfalls zurückgeben. Ein anderer Tipp des Verbraucherschützers: sich vom Teppichboden eine kleine Probe geben lassen und einige Tage ans Kopfende des Bettes legen. Von PVC-Böden raten die meisten Fachleute sowieso ab. Gütesiegel wie der Blaue Engel des Umweltbundesamtes sind eine wichtige Orientierungshilfe, allerdings sollte man den diversen Prädikaten nicht blind vertrauen. Ein Blauer Engel bedeutet nur, dass das Produkt vergleichsweise emissionsarm – nicht jedoch, dass es völlig unbedenklich ist. Und manche Umweltsiegel garantieren nach einer Untersuchung von Öko-Test gerade mal, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden. Es hilft also nichts: Wer seine Wohnung renovieren will oder die Anschaffung neuer Möbel plant, kommt nicht umhin, sich über die Materialzusammensetzung und Schadstoffe eingehend zu informieren. Die Untersuchungen von Stiftung Warentest und Öko-Test können wertvolle Hilfen geben.
Ein paar allgemein gültige Tipps gibt es aber doch:
- Durch gründliches und regelmäßiges Lüften und Staubwischen kann die Schadstoffbelastung deutlich verringert werden.
- Auch Tabakrauch enthält Formaldehyd, daher sollte man in der Wohnung möglichst nicht rauchen.
- Möbel aus Massivholz sind schadstoffärmer als Möbel aus Spanplatten – allerdings auch wesentlich teurer. Da die meisten Stoffe über offene, nicht furnierte Kanten entweichen, sollten Spanmöbel wenigstens vollständig versiegelt sein.
- Neue Möbelstücke, die unangenehm riechen, möglichst erst ein paar Tage in einem wenig genutzten Zimmer auslüften lassen.
- Auf lösemittelarme Farben achten! Günstig sind Acryllacke, die lediglich 10 Prozent organische Lösemittel enthalten.
- Da die Lösemittelkonzentration während des Streichens und Trocknens am höchsten ist, sollte man bei offenem Fenster arbeiten und die Räume längere Zeit lüften. Frisch renovierte Zimmer sollte man anfangs nach Möglichkeit nicht dauerhaft nutzen.
- Teppichböden sollten möglichst nicht fest verklebt werden. Die Kleber enthalten oft Formaldehyd und andere Schadstoffe.
Birgit Leiß
MieterMagazin: Wie kommt jemand dazu, gesundheitliche Beschwerden auf Wohngifte zurückzuführen? Haben die Leute, die sich von Ihnen beraten lassen, einen konkreten Verdacht?
Peter Braun: Manchmal gibt es einen engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, etwa wenn die Kopfschmerzen unmittelbar nach dem Verlegen des neuen Teppichbodens auftauchen. Kürzlich hatten wir beispielsweise einen Fall, wo beide Ehepartner auf die neuen Schlafzimmermöbel mit Übelkeit und Juckreiz reagierten. In vielen anderen Fällen muss man sich erst auf Spurensuche begeben.
MieterMagazin: Das heißt, man muss eine teure Messung in Auftrag geben?
Peter Braun: Nein, das ist gar nicht in jedem Fall erforderlich. Wir befragen die Leute eingehend zu ihrer Wohnsituation, da lassen sich die Schadstoffquellen oft schon eingrenzen. Ist der Zusammenhang so eindeutig wie in den erwähnten Beispielen, sollte man sein Geld lieber in die Sanierung stecken beziehungsweise in die Beseitigung der Ursachen. Das heißt: die neuen Möbel oder den Teppich entfernen und schauen, ob sich die Beschwerden bessern. Bei gerichtlichen Auseinandersetzungen, etwa wenn man sich mit dem Vermieter um den Wohnungsmangel streitet, braucht man aber häufig ein Gutachten inklusive Schadstoffuntersuchung.
MieterMagazin: Was halten Sie von den preisgünstigen Schnelltests, wie sie von Apotheken oder der Stiftung Warentest angeboten werden?
Peter Braun: Solche Schnelltests sind sinnvoll, wenn ein konkreter Verdacht besteht, also wenn man zum Beispiel wissen will, ob der Schrank aus Spanplatten mit Formaldehyd belastet ist. Ganz wichtig ist aber eine kompetente Beratung. Es hilft den Betroffenen ja wenig, wenn sie wissen, dass ihre Wohnung mit Formaldehyd belastet ist. Sie können die gemessenen Werte weder einordnen noch können sie die Gesundheitsgefahren einschätzen. Die Laboranalyse ist nur ein Werkzeug, ohne Beratung geht es nicht.
Das Interview führte MieterMagazin-Autorin Birgit Leiß
Schadstoffe in der Wohnung gelten als Mangel. Wie bei allen Mängeln gilt: Sie müssen den Vermieter umgehend über das Problem informieren und ihm eine angemessene Frist zur Beseitigung setzen. Solange die Wohnqualität gemindert ist, steht Ihnen das Recht auf Mietminderung zu. Rührt sich der Vermieter nicht, können Sie selber eine Firma beauftragen oder bei erheblichen Beeinträchtigungen sogar fristlos kündigen. Unter Umständen haben Sie auch Anspruch auf Schadensersatz. All das gilt natürlich nur, wenn Sie die Wohngifte nicht selber hereingebracht haben, etwa über die Möbel.
Das Problem: Sie müssen nicht nur beweisen, dass die Substanzen vorhanden sind, sondern auch, dass sie gefährlich sind. Und das ist schwierig, weil gesetzliche Grenzwerte bis auf wenige Ausnahmen nicht existieren. Unstrittig ist, dass Sie nicht warten müssen, bis Sie krank sind. Es genügt, wenn eine Gesundheitsgefährdung ernsthaft befürchtet werden muss (Landgericht Hamburg, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1989, Seite 368). Individuelle Überempfindlichkeit, etwa Allergien, zählen allerdings nach der überwiegenden Rechtsprechung nicht und berechtigen nicht zur fristlosen Kündigung. Krankheitssymptome können für einen Wohnungsmangel sprechen, wobei Sie sich in diesem Fall unbedingt ein ärztliches Attest besorgen sollten. Gibt es einen gesetzlichen Grenzwert, ist die Sache einfach: Eine Überschreitung dieser Werte gilt immer als Mangel. Asbest in der Innenraumluft ist ebenfalls grundsätzlich als Mangel der Mietsache anzusehen, denn hier gibt es keine unbedenklichen Konzentrationen (Landgericht Mannheim, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 1996, Seite 398). Ansonsten ziehen die Gerichte bei der Frage, ob eine Gesundheitsgefährdung gegeben ist, Richtwerte heran, wie sie beispielsweise vom ehemaligen Bundesgesundheitsamt empfohlen werden oder in der Gefahrstoffverordnung festgelegt sind.
Kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, müssen Sie in der Regel ein teures Sachverständigengutachten vorlegen. Ein ärztliches Attest reicht als Beweismittel nicht aus. Die Schnelltests der Stiftung Warentest sind übrigens nicht gerichtsfest. Wird der Gutachter fündig und stellt tatsächlich Schadstoffe in überdurchschnittlicher Konzentration fest, haben Sie aber gute Chancen, Ihre Kosten vom Vermieter erstattet zu bekommen.
Vermieter können sich übrigens nicht darauf berufen, dass die Wohnung bei Abschluss des Mietvertrags den damals geltenden Vorschriften entsprochen hat. Verschärfen sich die Richtwerte, muss der Vermieter für den geforderten neuen Standard sorgen, das heißt die Gefährdung beseitigen (Bayerisches Oberlandesgericht, Wohnungswirtschaft und Mietrecht, 1999, Seite 568).
Fehlen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über die Schädlichkeit einer bestimmten Substanz, hat man vor Gericht wenig Aussicht auf Erfolg. Das ist derzeit zum Beispiel bei Elektrosmog der Fall.
Ein besonderes Problem sind asbesthaltige Nachtspeicheröfen, die es in Berlin noch zu Tausenden gibt. Betroffen sind Geräte, die bis 1977 gebaut wurden. Sie stellen aber nur dann eine Gesundheitsgefährdung dar, wenn Asbest-Fasern freigesetzt werden. Wenn Sie in Ihrer Wohnung ein solches Gerät haben, sollten Sie Ihren Vermieter schriftlich auffordern, das Risiko durch ein Sachverständigengutachten feststellen zu lassen. Beim Berliner Mieterverein gibt es einen entsprechenden Musterbrief. Hier hat man auch eine Liste mit asbesthaltigen Fabrikaten. Lehnt der Vermieter ab, können Sie die bezirkliche Bauaufsicht einschalten. Die Rechtsprechung zu Mietminderung oder der notwendigen Sanierung bei Wohngiften ist sehr widersprüchlich, daher sollten Sie sich auf jeden Fall mietrechtlich beraten lassen.
bl
MieterMagazin 5/06
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Tückische Chlorverbindungen finden sich häufig in Dichtmaterialien, zum Beispiel an Fenstern
Webtipps
Öko-Test unter
www.oekotest.de
Die mit dem Blauen Engel ausgezeichneten Produkte
und die Vergabekriterien findet man unter
www.blauer-engel.de
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Beratungstipps
Die Gesundheitsämter der Bezirke beraten kostenlos zu Innenraumschadstoffen, führen aber selber keine Messungen durch. Adressen siehe Gelbe Seiten
Der Berliner Mieterverein vermittelt Experten für Schadstoffanalyse und Umweltchemie
Literaturtipps
Stiftung Warentest (Hrsg.): Wohnen ohne Gift. Sanieren, renovieren und einrichten. Rund 200 Seiten, 2002, 9,20 Euro, ISBN 3-931908-68-2,
Bezug im Buchhandel oder direkt bei der
Stiftung Warentest, Vertrieb,
Postfach 810660, 70523 Stuttgart
(dann zuzüglich 2 Euro Versand)
Bundesumweltamt (Hrsg.): Gesünder wohnen aber wie? Praktische Tipps für den Alltag. 60 Seiten.
Die Broschüre kann kostenlos bestellt werden beim
Bundesumweltamt,
Postfach 1406, 06813 Dessau,
Tel. (0340) 2103-0 oder als pdf-Dokument heruntergeladen werden unter
www.umweltbundesamt.de.
Demnächst erscheint auch der überarbeitete Ratgeber des Umweltbundesamtes „Möbel für gesundes Wohnen“.
Eine achtseitige Broschüre „Schadstoffe in Innenräumen“ ist gegen Einsendung von 2,60 Euro in Briefmarken (inklusive Versand) bei der
Verbraucher Initiative e.V.,
Elsenstraße 106, 12435 Berlin
erhältlich.
Der Umweltberater Peter Braun ist Mitarbeiter bei „ALAB“ (Analyse Labor in Berlin). Der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Innenraumschadstoffe berät zudem beim Verein „B.A.U.C.H.“ kostenlos betroffene Privatpersonen
04.05.2023