Die „Umstrukturierungssatzung“ ist so etwas wie der Milieuschutz für dringende Fälle. Sie verfolgt auch das Ziel, Mieter vor Verdrängung zu schützen, lässt sich aber schneller und konkreter handhaben. Die Umstrukturierungssatzung schlummerte lange unbeachtet im Baugesetzbuch vor sich hin. Doch nach den ersten erfolgreichen Anwendungen im Ortsteil Prenzlauer Berg ist das Instrument berlinweit in den Blickwinkel von Bezirkspolitikern gerückt.
Die Umstrukturierungssatzung ist wie der Milieuschutz eine Form der Erhaltungssatzung. Die Regelung ist allerdings viel einfacher: Im Umstrukturierungsgebiet werden Baumaßnahmen nur genehmigt, wenn es einen Sozialplan gibt, der den sozialverträglichen Ablauf sichert. Umfangreiche Voruntersuchungen, wie sie für Milieuschutzgebiete notwendig sind, können entfallen. Während der Milieuschutz vorbeugend und langfristig für größere Stadtteile aufgestellt wird, ist die Umstrukturierungsverordnung ein Instrument auf Zeit, mit dem die Bezirke schnell auf drohende kleinräumige Verdrängungen reagieren können.
Die Umstrukturierungssatzung ist bislang nur selten angewandt worden. In Berlin kam sie erstmals 2006 in der Grünen Stadt in Prenzlauer Berg zum Einsatz. Die Siedlung aus den späten 30er Jahren liegt zwischen Greifswalder und Kniprodestraße und umfasst rund 1800 Wohnungen. Die Wohnungsbaugesellschaft GSW plante 2005, die lange vernachlässigte Siedlung umfassend zu modernisieren, was für viele Mieter eine glatte Verdoppelung ihrer Miete bedeutet hätte. Im März 2006 beschloss deshalb der Bezirk Pankow, eine Umstrukturierungsverordnung aufzustellen.
In einem Sozialplan wurde anschließend festgeschrieben, wie hoch die Mieten steigen dürfen, welche Ausstattung in den Gebäuden realisiert werden soll und dass der Mieter wählen kann, ob er zwischen- oder endumgesetzt werden möchte. Für Hartz-IV-Haushalte und wohngeldberechtigte Mieter gab es Sonderregelungen. Nach Abschluss der Sanierung fällt die Bilanz für die Grüne Stadt positiv aus: Die Nettokaltmieten blieben durchweg unter 5 Euro pro Quadratmeter, die meisten Altmieter konnten dort wohnen bleiben. Im Frühjahr 2010 erließ Pankow ein zweites Mal eine solche Verordnung. Davon profitieren die 300 Mietparteien in zwei großen 30er-Jahre-Wohnblöcken beiderseits der Glaßbrennerstraße. Mit den Eigentümern, der städtischen Gewobag und einer privaten Immobiliengesellschaft, konnte sich der Bezirk auf ähnliche Regeln wie in der Grünen Stadt einigen.
Trotz der Pankower Erfolge fanden sich in den anderen Bezirken zunächst kaum Nachahmer. Im Herbst 2010 beschloss der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine Umstrukturierungsverordnung für einen kleinen Block am Urbanhafen. Lichtenberg kam mit einer Verordnung für eine GSW-Siedlung an der Frieda- und Metastraße im Jahr 2012 zu spät, um die Sanierung der ersten 200 Wohnungen noch zu beeinflussen. Wenn das Wohnungsbauunternehmen GSW dort die verbliebenen 300 Wohnungen saniert, hat der Bezirk aber die Verordnung in petto. Ein glücklicheres Händchen hatte Lichtenberg 2013 bei der Plattenbausiedlung an der Wartenberger Straße in Hohenschönhausen. Mit einer Umstrukturierungsverordnung konnte man den Eigentümer davon überzeugen, mit den 800 Mietparteien Modernisierungsvereinbarungen abzuschließen. Unter anderem wurden darin die Nettokaltmieten auf 6,17 Euro pro Quadratmeter begrenzt.
Mittlerweile ist die Umstrukturierungsverordnung keine große Unbekannte mehr. Wo Verdrängung droht, wird sie heute zumindest von Mieterseite ins Gespräch gebracht – etwa in der Zehlendorfer Onkel-Tom-Siedlung oder zuletzt in der Reinickendorfer Siedlung am Steinberg.
Jens Sethmann
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13.06.2018