Die vor einem Jahr hoffnungsvoll gestartete Mietpreisbremse wirkt völlig unzureichend. Die vom Berliner Mieterverein (BMV) in Auftrag gegebenen Studien zur Wirksamkeit des Gesetzes haben eine breite Debatte über notwendige Nachbesserungen ausgelöst. Der Bundesjustizminister hat diese jetzt teilweise aufgegriffen.
Vor gut einem Jahr, am 1. Juni 2015, trat die Mietpreisbremse in Berlin in Kraft. Im Grundsatz darf die Miete bei einer Wiedervermietung nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Für neu gebaute und umfassend modernisierte Wohnungen gilt die Mietpreisbremse jedoch nicht. Und wenn schon der Vormieter eine höhere Miete gezahlt hat, darf diese auch vom neuen Mieter verlangt werden.
Kurz vor dem ersten Geburtstag hat der Berliner Mieterverein (BMV) Untersuchungen vorgestellt, die belegen, dass die Bremse weitgehend ins Leere läuft. Das Forschungsinstitut RegioKontext und das Institut für soziale Stadtentwicklung (IFSS) haben dazu Wohnungsangebote ausgewertet. Den Zahlen von RegioKontext zufolge liegen die verlangten Mieten auf demselben Niveau wie vor der Einführung der Neuregelung. Durch die Mietpreisbremse müssten aber bei zwei Dritteln der Angebote, so der Mieterverein, die Mieten deutlich niedriger sein. Im Durchschnitt übersteigen die Mietforderungen die Grenze der Mietpreisbremse um 31 Prozent beziehungsweise um 2,18 Euro pro Quadratmeter. Bei Altbauten ist die Überschreitung deutlich höher. Das IFSS hat zudem festgestellt, dass in den Innenstadtbezirken die Mietpreisbremse besonders stark missachtet wird. Vor allem private Vermieter fallen mit überhöhten Mietforderungen auf, während sich die städtischen Wohnungsbaugesellschaften weitgehend an die Regelung halten. „Nach zwölf Monaten ist die Bilanz ernüchternd“, fasst BMV-Geschäftsführer Reiner Wild zusammen.
Um die Mietpreisbremse zum Greifen zu bringen, schlägt der BMV vor:
- Bei einem Verstoß gegen die Mietpreisbremse sollen Mieter die gesamte zu viel bezahlte Miete seit Vertragsbeginn zurückfordern können – und nicht erst ab dem Zeitpunkt, an dem sie den Verstoß gerügt haben.
- Die Ausnahme für bereits vom Vormieter gezahlte höhere Mieten muss gestrichen werden.
- Vermieter sollten verpflichtet werden, bei Vertragsabschluss nachprüfbare Angaben zur Überschreitung der Mietpreisbremse zu machen.
- Wenn Vermieter die ortsübliche Vergleichsmiete um mehr als 15 Prozent überschreiten, soll das Wirtschaftsstrafgesetz greifen und ein Bußgeld verhängt werden.
- Die Befristung der Mietpreisbremse auf fünf Jahre muss aufgehoben werden.
Kurzfristige Änderungen im Mietrecht möglich
Bei Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) traf die Kritik durchaus auf offene Ohren. Im Mai gestand er als Gast bei der Bundesarbeitstagung des Deutschen Mieterbundes in Fulda die Schwächen der Mietpreisbremse ein. „Mieter nutzen die Mietpreisbremsenregelung nicht, wie wir uns das vorgestellt haben“, erklärte Heiko Maas. „Wenn sich Vermieter nicht an die neuen gesetzlichen Regelungen halten, ist das ein Rechtsbruch. Wir werden jetzt genau hinschauen, ob und wenn ja, wo Nachbesserungen notwendig sind, und dann entsprechende Vorschläge machen. So können Vermieter beispielsweise verpflichtet werden, die Vormiete anzugeben und überhöhte Mieten von Beginn des Mietverhältnisses an zurückzuzahlen.“ Eine solche Änderung stellte Maas kurzfristig in Aussicht: „Dies könnte schon in der jetzt geplanten zweiten Mietrechtsnovelle durchgesetzt werden.“ In diesem Gesetzespaket, das vor den Bundestagswahlen im September 2017 beschlossen werden soll, waren Änderungen an der Mietpreisbremse bislang nicht beabsichtigt.
Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Johannes Fechner will in den anstehenden Verhandlungen über die Mietrechtsänderungen durchsetzen, dass Vermieter von sich aus Gründe für eine Überschreitung der Mietpreisbremse nennen müssen, dass der Rückzahlungsanspruch der Mieter rückwirkend ab Vertragsbeginn gilt und dass das Wirtschaftsstrafgesetz hier eingesetzt werden kann. „Wir müssen im Sinne unserer ursprünglichen Forderungen nachbessern, damit Mieter die Mietpreisbremse effektiv ziehen können“, sagt Fechner.
Scharfe Kritik kommt von der Grünen-Bundestagsfraktion: „Die sogenannte Mietpreisbremse bremst nicht“, erklären die Sprecher für Rechts- und Wohnungspolitik Renate Künast und Chris Kühn. „Die Bundesregierung ist vor einem Jahr sehenden Auges in dieses Debakel gerannt. Wir fordern eine deutliche Nachschärfung der Mietpreisbremse. Die Ausnahmen müssen gestrichen und mehr Transparenz für Mieterinnen und Mieter festgeschrieben werden. Außerdem brauchen wir endlich ein Verbandsklagerecht für Mieterverbände.“
Katrin Lompscher von der Linken-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus sagt: „Der Berliner Mieterverein hat mit seiner Analyse eindrucksvoll die Schwächen der Mietpreisbremse offengelegt. Seine Vorschläge für Korrekturen unterstützen wir.“ Sie fordert vom Senat, den angemahnten Verbesserungen der Mietpreisbremse mit einer Bundesratsinitiative mehr Nachdruck zu verleihen.
Mitte Juni hat der Senat tatsächlich einen Vorstoß in der Länderkammer beschlossen. Von den sechs Punkten seiner Gesetzesinitiative beziehen sich aber nur zwei direkt auf die Mietpreisbremse: Vermieter sollen verpflichtet sein, bereits bei Mietbeginn alle Tatsachen zur Zulässigkeit der Miethöhe mitzuteilen, und die Hürden für die Anwendung des Wirtschaftsstrafrechts sollen gesenkt werden. Die übrigen von Berlin vorgeschlagenen Mietrechtsänderungen entsprechen denen des Bundesjustizminsters, zum Teil bleiben sie aber auch dahinter zurück. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) erklärte: „Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, von der Hauptstadt aus ein Signal an die anderen Länder zu senden.“
In der Bundesregierung deutet hingegen wenig auf eine Einigung hin. Die vielen Ausnahmen und Bedingungen, die die Mietpreisbremse so schwächen, finden die Zustimmung der CDU/CSU. Auch heute liegen die Standpunkte von Union und SPD weit auseinander. Antje Tillmann und Olav Gutting von der Unionsfraktion meinen gar, die Mietpreisbremse hätte sich „nach neuesten Meldungen als einer der Treiber für steigende Mieten erwiesen“. Offensichtlich beziehen sie sich damit auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (siehe Kasten). Das Credo der Union: „Nur zusätzlicher Wohnungsbau kann das Problem der steigenden Mieten lösen.“
Das deckt sich mit der Position der Wohnungswirtschaft: „Ein Jahr Mietpreisbremse hat gezeigt: Dieses Instrument ist und bleibt das falsche Mittel, um die Probleme am Wohnungsmarkt zu lösen“, erklärt Axel Gedaschko, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland (BID). Er warnt vor einer „Verschlimmbesserung am ohnehin schädlichen Instrument“.
Immobilienwirtschaft weiterhin ablehnend
Die BID meint, wie auch der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), methodische Schwächen der RegioKontext-Studie entdeckt zu haben: In den Internet-Immobilienportalen, die als Datengrundlage dienen, sind die öffentlichen BBU-Unternehmen mit ihren tendenziell günstigeren Mieten wenig vertreten. Allerdings wurden in der IFSS-Studie die Angebote der städtischen Wohnungsbaugesellschaften sehr wohl betrachtet. Im Durchschnitt können sie das Gesamtergebnis aber kaum erfreulicher gestalten.
BBU-Vorstand Maren Kern zieht eine eigenwillige Schlussfolgerung: „Die Studie zeigt, dass die Mietpreisbremse funktioniert. Denn Ziel des Gesetzgebers war es, die Mietendynamik deutlich zu bremsen. Die vom Mieterverein beauftragte Studie kommt zu genau diesem Schluss.“ Das ist falsch. Ziel des Gesetzes ist nicht nur, den Mietenanstieg irgendwie zu drosseln, sondern ganz konkret Neuvertragsmieten bei zehn Prozent über dem Ortsüblichen zu kappen. Das wurde klar verfehlt. Und deshalb sind Nachbesserungen dringend notwendig.
Jens Sethmann
DIW: Wirkung der Mietpreisbremse kaum messbar
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat Mieten, Wohnungspreise und Bautätigkeit in Regionen mit und ohne Mietpreisbremse verglichen und kommt zu dem Schluss: Die Hoffnung, den Anstieg der Mieten zu verlangsamen, hat sich nicht erfüllt. In einigen Städten mit Mietpreisbremse hat sich der Anstieg sogar kurzfristig beschleunigt, weil Vermieter unmittel-
bar vor dem Inkrafttreten der Maßnahme gezielt höhere Mieten verlangten. Daraus wie die CDU/CSU zu folgern, die Mietpreisbremse sei ein Preistreiber, ist jedoch verfehlt. Der Bestandsschutz für höhere Mieten war der Hauptanreiz, schnell noch mal an der Mietschraube zu drehen. Nach Inkrafttreten der Mietpreisbremse blieb die Mietenentwicklung gegenüber vorher nahezu unbeeinflusst. Auch auf die Kaufpreise hatte die neue Rechtsregelung keine Auswirkungen. Das DIW schließt daraus, dass Investoren nicht mit Einbußen durch die Mietpreisbremse rechnen. Auch hätten sich die im Vorfeld geäußerten Befürchtungen, die Bremse würde die dringend benötigte Bautätigkeit erheblich hemmen, nicht bewahrheitet.
js
BMV-Untersuchungen zur Wirkung der Mietpreisbremse unter
www.berliner-mieterverein.de
DIW-Studie im DIW-Wochenbericht 22/2016: www.diw.de
(unter „Publikationen“)
- Aktion Mietpreisüberprüfung des Berliner Mietervereins
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mit Musterbrief zur qualifizierten Rüge - MietCheck – Überprüfung von Miethöhen bei neuen Mietverträgen
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Was Sie über die Mietpreisbremse wissen müssen - Mietspiegelwert-Berechnung: www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/
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25.03.2021