Beim Wohnungsbau wollen viele mitreden. Während die Immobilienwirtschaft vor zu viel Bürgerbeteiligung warnt und ein schlechtes Neubauklima beklagt, will der Senat möglichst viele Menschen zum Mitmachen bewegen und klare Beteiligungsgrundsätze festlegen. Man hofft, dass dadurch in der Bevölkerung die Akzeptanz für Neubauten steigt und der Weg für die neuen Wohnungen schneller geebnet wird.
„Stadtentwicklung ist dann erfolgreich, wenn sie gemeinsam gestaltet wird und auch diejenigen mit einbezieht, die unmittelbar betroffen sind“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung von SPD, Linken und Grünen. Bürger, Politik und Verwaltung sollen gemeinsam „Berliner Leitlinien“ für Beteiligung erarbeiten. „Dabei werden insbesondere die Verfahren ausgebaut, die niedrigschwelliger, flexibler und repräsentativer sind“, so der Koalitionsvertrag.
Knapp ein Jahr nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ist das 24-köpfige Arbeitsgremium zur Entwicklung der Leitlinien zusammengetreten. Es besteht aus zwölf Vertretern aus Politik und Verwaltung und zwölf Bürgern. Im Sommer konnten sich alle Berliner für diesen Arbeitskreis bewerben. Das Interesse war so groß, dass gelost werden musste.
Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen: „Klare Regeln und Grundsätze können es schaffen, dass Partizipationsprozesse bei Bau- und Planungsvorhaben nicht zu Verzögerungen führen, sondern zu einer schnelleren Umsetzung mit einem breiten Rückhalt aus der Bevölkerung.“
Konsens ohne Debatte?
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind davon nicht überzeugt. Im September hatten die Vorstände der sechs Unternehmen in einem Brief an Katrin Lompscher gewarnt, sie könnten das Neubauziel von 30.000 Wohnungen bis 2021 nicht erreichen, wenn die Politik die Hindernisse nicht zügig aus dem Weg räumt. Unter anderem beklagen die Gesellschaften auch die langwierige Bürgerbeteiligung. Zwar sei es richtig, einen „möglichst breiten Konsens über die Art der Ausführung von Neubauvorhaben“ erzielen zu wollen. Die Bürger würden jedoch bestärkt, Bauprojekte grundsätzlich zu verhindern und in Frage zu stellen. Nach Ansicht der Wohnungsbaugesellschaften sollte es allenfalls um das „Wie“, nicht aber um das „Ob“ von Neubauten gehen.
Genau diese Haltung hat 2014 zum Scheitern der Randbebauung auf dem Tempelhofer Feld geführt. Hier wollte der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller nur darüber sprechen, wie die festgelegte Zahl von 4700 Wohnungen auf die abgesteckten Baufelder verteilt werden.
Wenn man Bürgerbeteiligung ernst nimmt, muss man selbstverständlich auch über das „Ob“ reden. Dass Berlin schnell viele neue Wohnungen braucht, ist ein schwer wiegendes Argument, das in der Abwägung etwa den Verlust von Parkmöglichkeiten deutlich überwiegt. Doch ein Totschlagargument, das jede weitere Diskussion erübrigt, ist es nicht. Sollte sich bei der Bürgerbeteiligung herausstellen, dass gewichtige ökologische, verkehrliche, städtebauliche oder soziale Gründe gegen die Bebauung eines Grundstücks sprechen, muss es in der Konsequenz auch möglich sein, das Bauvorhaben ganz abzublasen – wie etwa auf der Elisabethaue in Berlin-Pankow.
Zu welchen Verzögerungen es kommen kann, wenn man die Anwohnerbeteiligung vernachlässigt, erfährt gerade das landeseigene Wohnungsunternehmen Gesobau bei einem relativ kleinen Vorhaben in der Weißenseer Gounodstraße. Als sie im Juli 2013 die fertigen Pläne stolz im Rahmen einer Rundfahrt mit Senator Müller vor Ort präsentierte, waren die Anwohner komplett überrascht. Das Schließen einer Baulücke in der Straßenfront hätten alle akzeptiert, aber dass im grünen Garten zusätzlich sechs Townhouses entstehen sollten, rief Protest hervor.
Gestoppter Durchmarsch
Die Gesobau änderte die Pläne daraufhin nur geringfügig und sägte vorsorglich fast alle Bäume ab. Einige Nachbareigentümer klagen nun gegen die Baugenehmigung. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, der Ausgang ist ungewiss. Viereinhalb Jahre nach der Vorstellung der Pläne sind die einzigen Ergebnisse eine verwüstete Gartenanlage und Ärger auf allen Seiten. Wenn die Gesobau von Anfang an die Anwohner einbezogen hätte, könnte zumindest der Lückenschluss schon längst fertig sein.
Entscheidend für eine gelungene Bürgerbeteiligung ist, dass die Planer ohne vorgefertigte Pläne die Diskussion eröffnen. So ist die Senatsverwaltung im Februar mit einem nahezu weißen Blatt Papier in die ersten Informationsveranstaltungen nach Blankenburg gegangen. Für das Entwicklungsgebiet Blankenburger Süden hat die Verwaltung nur wenige Rahmenbedingungen vorgegeben: Es sollen 5000 bis 6000 Wohnungen und die dazugehörigen Schulen und Kitas sowie eine Straßenbahnanbindung entstehen. Resultat: Die Mehrheit der Bürger zeigte sich zufrieden, dass sie mit ihrer Meinung das Vorhaben noch beeinflussen können. Initiativen wie die AG Stadtentwicklung Blankenburg bleiben skeptisch, wollen aber die Planung kritisch begleiten.
Auch beim neuen Kreuzberger Sanierungsgebiet Rathausblock ist es mit einem offenen Dialogangebot gelungen, die zahlreichen Gewerbetreibenden, Künstler und Initiativen, die schon lange auf dem Dragonerareal aktiv sind, für eine konstruktive Mitarbeit zu gewinnen.
Wie Planer sich hingegen den nachhaltigen Unmut von Anwohnern zuziehen, zeigt ein Beispiel aus der Michelangelostraße in Prenzlauer Berg. Von den Plänen, dort auf Grünflächen und Parkplätzen 1500 Wohnungen zu bauen, erfuhren die meisten Anwohner erst, als im Januar 2015 das Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs präsentiert wurde. Die Bürger gingen auf die Barrikaden, nicht nur, weil der Bebauungsvorschlag für viele Nachbarn unzumutbare Verschlechterungen gebracht hätte, sondern auch, weil sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Als im April dieses Jahres die Anwohner zu einem „Neustart“ des Dialogs eingeladen waren, schlug den Senats- und Bezirksplanern in der vollbesetzten Gethsemane-Kirche nach wie vor breite Ablehnung entgegen. „Wir brauchen qualifizierte Bürgerbeteiligung statt eines Akzeptanzmanagements“, sagte Horst Krüger vom Verein für Lebensqualität in der Michelangelostraße.
Die Bürger sind durchaus zu Kompromissen bereit. Eine komplette Verweigerungshaltung gegen Neubauten gibt es nur selten. Einer Umfrage des landeseigenen Wohnungsunternehmens Stadt und Land zufolge begrüßen 71 Prozent der Berliner, dass mehr Wohnungen gebaut werden. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft haben 61 Prozent kein Problem mit Neubauten. So schlecht ist das Neubauklima also nicht.
Jens Sethmann
Eine Plattform für alle
Schon bei der Frage, wie Bürgerbeteiligung funktionieren soll, wird Bürgerbeteiligung groß geschrieben. Das zur Hälfte aus Bürgerinnen und Bürgern bestehende Arbeitsgremium soll innerhalb eines Jahres Leitlinien erarbeiten und im Herbst 2018 ans Abgeordnetenhaus übergeben. Bis dahin wird es vier öffentliche Veranstaltungen zum Thema geben. Ab Januar 2018 können sich alle Berliner auf der Internetseite „mein.berlin.de“ an der Diskussion beteiligen. Der Senat will „meinBerlin“ zu einer Vorhabenplattform ausbauen, auf der in Zukunft sowohl alle planerischen Vorhaben des Landes und der Bezirke frühzeitig mit einer Projektbeschreibung veröffentlicht werden als auch alle öffentlichen Beteiligungsverfahren verzeichnet sind.
js
Leitlinien zur Bürgerbeteiligung
www.stadtentwicklung.berlin.de/planen/leitlinien-buergerbeteiligung/index.shtml
25.11.2017