Leitsätze:
a) Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht eine sogenannte Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, nicht aus (Bestätigung von BGH, Urteile vom 23.9.2015 – VIII ZR 297/14, NJW 2015, 3368; vom 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395). Vielmehr muss sich der Nutzungswunsch soweit „verdichtet“ haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung besteht (Bestätigung von BGH, Urteil vom 23.9.2015 – VIII ZR 297/14, aaO).
b) Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substanziiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (Bestätigung von BGH, Urteil vom 18.5.2005 – VIII ZR 368/03, aaO).
BGH vom 11.10.2016 – VIII ZR 300/15 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 12 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter kündigte im April 2011 zu Januar 2012 die Einzimmerwohnung mit der Begründung, die Wohnung werde dringend benötigt, um seine pflegebedürftige Mutter, die allein in einem Einfamilienhaus lebe, im Haus aufzunehmen. Aufgrund eines Vergleichs vor Gericht zog die Mieterin im August 2012 aus.
Seitdem stand die Wohnung leer, die Mutter des Vermieters verstarb im November 2014. Schadensersatzansprüche der Mieterin wegen vorgetäuschtem Eigenbedarf lehnten Amts- und Landgericht ab.
Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidungen auf und erklärte: Der behauptete Eigenbedarf sei als dringend und akut bezeichnet worden. Tatsächlich sei die Wohnung nach dem Auszug der Mieterin aber fast ein Jahr lang als Fahrradstellplatz genutzt worden und auch nach mehr als zwei Jahren sei die Mutter des Vermieters nicht eingezogen. Ein derartiger zeitlicher Ablauf sei ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Eigenbedarfskündigung eine mögliche spätere Nutzung erst vorbereiten sollte, der Nutzungswunsch der Mutter aber noch unbestimmt war beziehungsweise erst hätte geweckt werden müssen.
Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs reiche eine derartige Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer Nutzungswunsch der Eigenbedarfsperson zugrunde liegt, nicht aus. Vielmehr müsse sich der Nutzungswunsch soweit „verdichtet“ haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung bestehe.
Am Ende der Entscheidung weist der BGH noch auf die Beweislage bei vorgetäuschtem Eigenbedarf hin: Ein Mieter habe in die für den Eigenbedarf geltend gemachten Tatsachen regelmäßig keinen Einblick. Er könne daher ohne nähere Darlegung seitens des Vermieters nicht beurteilen, ob dessen Kündigung wegen Eigenbedarfs, die den Mieter zum Auszug veranlasst hatte, berechtigt war. Wenn der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat umsetze, liege der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen sei.
Daher sei es dem Vermieter zuzumuten, plausibel darzulegen, warum der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hieran seien strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genüge, obliege dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestanden habe.
27.03.2022